Synthetische Kraftstoffe parallel zur Elektromobilität?

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Die vielen Ankündigungen der deutschen Autohersteller für neue Elektro-Modelle hatten zuletzt den Anschein erweckt, die Industrie würde nun auf E umschalten. Doch der Technische Kongress des VDA in Berlin offenbart: Elektromobilität ist nur Kopfkino. Das Herz der Branche hängt am Verbrenner.

Im hippen Kosmos, einem früheren Großraumkino an der Karl-Marx-Allee in Berlin, kommen dieser Tage die führenden Ingenieure der Autobranche zum alljährlichen Technischen Kongress des VDA zusammen. Draußen parkt vorsichtshalber ein Mannschaftswagen der Polizei. Im Bezirk Friedrichshain, bis vor einigen Jahren noch eine Hochburg linksautonomer Hausbesetzer, will man auf mögliche Anfeindungen vorbereitet sein. Doch die Anzugträger können im Kosmos unbehelligt über die „Zukunft der Automobiltechnik“ diskutieren, deren Gegenwart gerade durch die Androhung von Fahrverboten und Strafzahlungen geprägt ist.

Stan­ding Ova­tions für den Diesel

Die Eröffnungsrede von VDA-Präsident Matthias Wissmann dreht sich zunächst um Elektromobilität. 30 Modelle habe man im Markt, einer umweltfreundlichen Mobilität wolle man „immer näher kommen“ und man werde alles daran setzen, auch bei alternativen Antrieben bis 2025 Weltmarktführer zu werden. Darunter geht in Auto-Deutschland bekanntlich nichts. Um so merkwürdiger, dass im Verlauf von Wissmanns Rede ausgerechnet bei einem leidenschaftlichen Pro-Diesel-Appell das erste und einzige Mal Szenenapplaus aufbrandet. „Den Euro-6-Diesel werden wir noch lange brauchen. So sehr wir für Neues zu begeistern sind – Wir verteidigen Bewährtes!“ Wissmann, der die fetten Jahre des Verbrenners wie kein anderer Lobbyist verkörpert, ruft der Branche kämpferisch entgegen: „Wir warnen die Politik davor, zu Fahrverboten zu greifen.“ So viel Beifall wie nach dieser Passage bekommt Wissmann nicht mal am Ende seiner Rede. Der Diesel ist in diesen Minuten im Kosmos förmlich zu riechen. Am Schluss platziert der VDA-Präsident noch ein Schlagwort, welches die zuvor routiniert vorgetragenen Pläne zur Elektromobilität endgültig in Vergessenheit geraten lässt: synthetische Kraftstoffe.

Jene sogenannten E-Fuels, bei denen theoretisch so viel CO2 aus der Atmosphäre beziehungsweise der Biosphäre entnommen wie später bei der Verbrennung freigesetzt wird, werden von den VDA-Oberen gerade als Trend-Thema aufgebaut. Und das, obwohl nach der Pleite von Choren im sächsischen Freiberg bereits 2011 eine Versuchproduktion baden ging. Nur Audi – der Ausgangspunkt des aktuellen Diesel-Betrugs – treibt das Thema mit einer „Power-To-X“-Anlage im niedersächsischen Werlt voran und will obendrein mit der Firma Sunfire, die in Dresden Flüssigkraftstoffe herstellt, eine Art e-Diesel etablieren.

Die Bundesregierung, auf der VDA-Konferenz vertreten durch Johanna Wanka, seit 2013 Bundesministerin für Bildung und Forschung, nimmt die Einladung dennoch an: „Es gibt nicht nur den Elektroantrieb“, sagt sie vor etwa 700 Zuhörern. „Es ist uns wichtig, dass die Autos der Zukunft in Deutschland gebaut werden. Egal mit welchem Antrieb – mit Batterie, Brennstoffzelle oder einem hocheffizienten Verbrennungsmotor, der mit synthetischen Kraftstoffen betrieben wird.“

Während also viele Kommunen im Lande nicht wissen, wie sie ihre Bürger vor giftigen Stickoxiden schützen sollen, verspricht Wanka in Berlin „eine große Forschungskampagne für synthetische Kraftstoffe“, also einen Aufschub zum St. Nimmerleinstag. Und danach erzählt sie dem staunenden Publikum, dass sich ihr Sohn gerade einen Diesel gekauft habe. Die freundliche Forschungsministerin macht sich im Nebensatz zwar auch für eine Batteriezellproduktion in Europa stark und appeliert artig an den „Ingenieursgeist der Autobranche“. Doch was hängen bleibt, sind die synthetischen Kraftstoffe. Mit denen man – und spätestens hier sollten alle, die gerade in Ladeinfrastruktur für Elektromobilität investieren, gut aufpassen – „so herrlich die Tankstellen weiternutzen“ könne, wie es Wanka formuliert.

Verbrennungsmotor noch für Dekaden

Im weiteren Verlauf des Tages wird deutlich, dass im Blut der Automobiler noch immer Benzin und Diesel fließen. Und, dass man eigentlich gar nicht einsieht, warum sich daran etwas ändern sollte. Dr. Rolf Bulander etwa, der als Geschäftsführer der Robert Bosch GmbH den gewichtigen Bereich Mobility Solutions leitet, nimmt die Steilvorlagen seiner Vorredner dankend auf: Man solle den Menschen das Recht auf individuelle Mobilität nicht wegnehmen, sagt er. (Als würde im Grundgesetz ein Recht auf Dieselautos verankert sein.) Man muss das verstehen: Bosch ist mit dem Diesel groß geworden. Und dieser werde künftig die Stickoxid-Grenzwerte auch auf der Straße einhalten, verspricht Bulander. Langfristig müsse sich natürlich das elektrische Fahren durchsetzen, aber der Verbrenner biete Kraft seiner Verbreitung den größeren Hebel bei der CO2-Einsparung im Verkehr. Deshalb werde er weiter verbessert. Und dann bringt auch Bulander die synthetischen Kraftstoffe ins Spiel. „Damit könnte man den Verbrennungsmotor noch über Dekaden erhalten“, sagt der Bosch-Boss ganz offen. Und jene der Elektromobilität zugewandten Gäste der Konferenz trauen spätestens jetzt ihren Ohren kaum.

Offensichtlich gehen Teile der Autobranche unter Führung des VDA jene E-Fuels gerade als konzertierte Aktion an. Wo der saubere Diesel von Umweltverbänden als Etikettenschwindel entlarvt wird, muss ein neues Thema her. Hinter vorgehaltener Hand berichten Branchenvertreter, dass dieses Thema vor allem von Volkswagen getrieben werde. Jenem Konzern also, der sich nach Dieselgate gerade einen elektromobilen Anstrich verpasst. Die Zweifel an dem Thema, das wird in den Pausen-Gesprächen ebenfalls deutlich, sind groß. Synthetische Kraftstoffe sind teuer, die Energiebilanz ist fragwürdig. Die Skepsis vieler kann jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, wie groß das Beharrungsvermögen der Autobranche noch immer ist. Die Argumente sind bekannt: Die Verbrennungskraftmaschine können wir in Deutschland, sie sichert Arbeitskräfte und Wohlstand. Davon loszulassen und sich in „eine ziemlich große Wette“ zu stürzen, wie Daimler-Oberentwickler Ola Källenius die E-Offensive von Mercedes und Smart in seinem Vortrag bezeichnet, scheint noch immer Überwindung zu kosten. Leidenschaft für Elektromobilität ist beim Technischen Kongress des VDA im Jahre 2017 jedenfalls nicht zu spüren. Man muss das halt jetzt machen, schwingt bei den Rednern mit. Beifall aus Überzeugung aber, den erntet hier nur der Verbrenner.

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