Söder rüttelt am Verbrenner-Aus im Lkw / Branche will Planungssicherheit
Vor nicht einmal einem Monat, genauer gesagt Mitte Mai, hat die EU-Verordnung zu CO2-Standards für Lkw und Busse die letzte Hürde genommen. Mit der Zustimmung des Europäischen Rats war der Weg frei für den in jahrelangen Verhandlungen erarbeiteten Kompromiss: Ab 2035 müssen in der EU alle neuen Stadtbusse emissionsfrei sein, bei Lastwagen und Reisebussen wurde für 2040 eine CO2-Reduktion gegenüber 2019 von 90 Prozent beschlossen – ein Ziel, das nur mit einem extrem hohen Anteil emissionsfreier Neufahrzeuge zu erreichen ist, aber Luft für einige Nischen mit konventionellen Verbrennern lässt. Und da die Produktion von E-Fuels auf absehbare Zeit noch nicht einmal für die Luftfahrt reicht, bedeuten emissionsfreie Lkw in den kommenden Jahren vor allem: Es ist ein Elektroantrieb an Bord!
Die wichtige Rolle der Elektroantriebe – egal ob in Kombination mit einer Batterie oder mit einer Brennstoffzelle – will auch Bayerns Ministerpräsident Markus Söder nicht anfechten. „Wasserstoff ist sexy und ein entscheidender Player für die Zukunft“, sagte Söder in seiner Rede vor dem Fachpublikum der PIN21. Aber auch Elektromobilität findet der CSU-Politiker „sexy“. Er sagte wörtlich: „Beides ist sexy und beides hat seine Berechtigung“. Bayern werde auch weiterhin den Aufbau von 23 Wasserstoff-Tankstellen in dem Bundesland fördern und auch die Installation entsprechender Elektrolyseure, um den Wasserstoff vor Ort herzustellen. Das bekräftigte auch der ebenfalls anwesende Wirtschaftsminister Hubert Aiwanger – sehr zur Freude der versammelten Wasserstoff- und Nutzfahrzeugbranche.
Nur: So „sexy“, dass er sich auf die elektrischen Antriebe verlassen will, findet Söder die BEV- und FCEV-Lkw dann wohl doch nicht. Nach seinem Grußwort beantwortete er dem PIN21-Moderator und electrive-Chefredakteur Peter Schwierz auf der Bühne noch einige Fragen. Dabei bekräftige der bayerische Ministerpräsident nicht nur, dass sich die Union weiter gegen das Verbrenner-Ende im Pkw-Bereich einsetzen will. Söder ging – auf Nachfrage von Schwierz – noch einen Schritt weiter und stellte auch das weitgehende Verbrenner-Aus bei Trucks infrage. „Ich denke – und das habe ich auch von der Kommissions-Präsidentin offen so gehört – , wir werden dieses Verbot aufheben“, so Söder wörtlich. Auf die explizite Nachfrage „Beim Lkw?“ wurde Söder deutlich: „Bei allen Verbrennern. Ein absolutes Verbrenner-Verbot ist auf Dauer das falsche Signal für alle Technologien – so wie alle, die nur auf Elektromobilität setzen.“
Söder: Mittelstand ist „Treiber für die großen Konzerne“
Söders Auftritt ist natürlich nicht nur vor dem Hintergrund der versammelten Kompetenz der Nutzfahrzeug- und Wasserstoffwirtschaft bei dem Event in Vilshofen zu sehen, sondern auch mit Blick auf die Europawahl am Wochenende. Daher gab es etwa bei der Förderpolitik auch die ein oder andere Spitze gegen die Ampel-Regierung in Berlin. Bayern versuche zwar, die weggefallenen Fördermittel der Wasserstoff-Programme aufzufangen, mit frischem Geld vom Bund rechnet der Ministerpräsident aber nicht.
Eines dürften die (vorrangig mittelständischen) Zuhörer in Vilshofen gerne vernommen haben: Der „innovative Mittelstand“ habe eine große Bedeutung und sei „Treiber für die großen Konzerne“. Die „Wirtschaftsphilosophie der Bundesregierung“ mit Milliarden-schweren Förderungen für Großkonzerne hält er explizit für „falsch“. Auch Bayerns Wirtschaftsminister Hubert Aiwanger (Freie Wähler) forderte im Talk mit Peter Schwierz eine neue, bundesweite Förderung von Wasserstoff-Fahrzeugen. „Bayern setzt auf Wasserstoff. Leider zieht der Bund nicht mit, weil er die Förderung der Wasserstoff-Mobilität ausgesetzt hat. Dieser Fehler muss rasch korrigiert werden, der Bund muss die Förderung wieder aufnehmen, sonst gefährdet er eine vielversprechende Branche“, so Aiwanger. Ganz ähnlich hatte sich auch Ministerpräsident Söder geäußert.
Nur: Wie lange Söder diese Positionen vertreten wird, ist bei seiner Historie eher unklar. Bereits 2007 hatte er als CSU-Generalsekretär das Verbrenner-Aus beim Pkw für 2020 gefordert, um dann in eben jenem Jahr 2020 das Verbrenner-Aus für 2035 zu fordern – und genau das jetzt wieder stoppen zu wollen. Somit steht auch Söder für das politische Hin und Her – und nicht für Stabilität und Planungssicherheit, wie sie bei der PIN21 unisono von den Rednern aus allen Bereichen dringend angemahnt wurde.






Einer lässt sich davon in Vilshofen freilich nicht beirren: Bernhard Wasner, Geschäftsführer von Paul Nutzfahrzeuge, will sich trotz des Förderstopps aus Berlin nicht aufhalten lassen bei der Transformation. „Wir müssen mit unseren Partnerschaften und unserem Ökosystem erst einmal alleine klarkommen“, so Wasner. „Wir machen weiter und müssen immer mutig sein.“ Partnerschaften hat Paul Nutzfahrzeuge bereits einige, auf der PIN21 kam noch eine weitere hinzu: Die Daimler Truck AG und die Paul Group kündigten eine bundesweite Service-Partnerschaft für die Mercedes Benz Trucks Nutzfahrzeugzentren an.
Doch nicht nur bei der Förderung der Fahrzeuge und Infrastruktur haben Unternehmen wie Paul Nutzfahrzeuge mit der Politik zu kämpfen. Der hauseigene Brennstoffzellen-Lkw PH2P Truck basiert auf dem bekannten Mercedes Atego. Da hinter dem Führerhaus die Brennstoffzellen-Tanks gestapelt sind, ist der PH2P Truck etwa einen halben Meter länger als sein Plattform-Spender. Obwohl es deutlich größere Lastwagen als den 24-Tonner gibt, ist das ein Problem bei der Straßenzulassung. Zustimmung bekam das Unternehmen aus Vilshofen vom Ministerpräsidenten: Dass es da Probleme gebe, sei „unglaublich, geradezu lächerlich“, sagte Söder.
Auf der PIN21 kamen nicht nur Politiker und Vertreter des Gastgebers Paul Nutzfahrzeuge zu Wort, sondern auch von anderen Unternehmen, die an emissionsfreien Nutzfahrzeugen arbeiten. Georg Zembacher, Chief Innovation Officer von Toyota Tsusho Nexty Electronics Europe, stellte etwa in seinem Vortrag die günstigeren Total Cost of Ownership vor, die mit der höheren Effizienz und längeren Lebensdauer mit Brennstoffzellen der neuesten Generation möglich sind. Dominik Herzog, Co-Direktor Sales & Business Developement bei H2 Mobility Deutschland, sprach über seine Erfahrungen und den Status quo der Wasserstoff-Infrastruktur für eine klimaneutrale Transportlogistik. Auch bei Alexander Knaus, Gesamtvertriebsleiter des Kraftstoffhändlers MaierKorduletsch, ging es um die Infrastruktur. Michael Kimmich, Senior Manager Produktentwicklung Mercedes-Benz Special Trucks bei der Daimler Truck AG, sprach hingegen wieder über die Fahrzeugseite – das ganze Spektrum wurde abgedeckt. Und das sind nur einige Beispiele aus der langen Redner-Liste.
So unterschiedlich die Themen und die Hintergründe der Redner auch waren, bei einem Punkt waren sich alle einig: Unternehmen brauchen Planungssicherheit! Ohne einen klaren, politischen Kurs sind Investitionen ein großes Wagnis. Für den ein oder anderen innovativen Mittelständler, die Ministerpräsident Söder so gerne in seinem Bundesland sieht, ist das womöglich ein zu hohes Risiko – und wer nicht investiert, fällt zurück. „Für eine schnellere Dekarbonisierung des Straßengüterverkehrs brauchen wir jetzt die richtigen politischen Signale, die den Hochlauf von Batterie-elektrischen und Wasserstoff-basierten Fahrzeugen ermöglichen. Diese Signale brauchen einen klaren Fokus auf die Faktoren Kostenparität und Infrastruktur, die neben ZEVs erfolgskritisch für die Dekarbonisierung sind“, sagt etwa Daimler-Truck-Manager Kimmich.
Logistiker würden gerne – wenn die Finanzierung und Infrastruktur stimmt
Das betrifft aber nicht nur die Hersteller und Zulieferer, sondern auch die Kunden, die solche Nutzfahrzeuge am Ende einsetzen – egal ob gekauft, geleast oder im modernen „Pay-per-Use“-Modell. Die Logistikverbände waren kürzlich im Kanzleramt, haben dort eine Kursänderung gefordert und ein „konjunkturell stark belastetes Marktumfeld“ angeprangert, das sich aus den verschiedensten Faktoren zusammensetzt – von dem seit 1. Dezember 2023 fälligen CO2-Aufschlag bei der Maut, der zugleich abgesägten KsNI-Förderung, den ausgesetzten Wasserstoff-Förderprojekten des Bundes und all das mit Blick auf die strenger werdenden CO2-Flottengrenzwerte auf EU-Ebene.
Eine unmittelbare Lösung für diesen Konflikt gab es auch auf der PIN21 nicht. Wenn man den Spediteuren mit ihren Praxisbeispielen zuhört, egal ob in Pilotprojekten oder im Regelbetrieb, wird aber schnell klar: Der Elektro-Lkw funktioniert, ob nun mit Batterie oder Brennstoffzelle. Martin Borth von der Emde Spedition würde seinen PH2P Truck von Paul Nutzfahrzeuge gerne noch mehr einsetzen – der 24-Tonner mit Brennstoffzelle pendelt zwischen München und Nürnberg, um Filialen von C&A zu beliefern. Nur: Es fehlt an passenden Tankstellen, um das Fahrzeug abseits der festen Route zu nutzen. Auch der Batterie-elektrische 40-Tonner von DAF wird in einem Feldversuch mit Hermes nur zwischen Paketdepots eingesetzt – und ist mangels Infrastruktur nicht flexibel.
Aber: Die Lkw fahren, Logistiker, Hersteller und Infrastruktur-Betreiber lernen mit jedem zurückgelegten Kilometer dazu. Die Energiewende im Verkehrssektor ist für Hersteller und Kunden kein Selbstläufer, das haben nicht nur die politische Ausgangslage, sondern auch die Diskussionen in Vilshofen gezeigt. Wie es weiter geht? Unklar. Paul Nutzfahrzeuge lässt sich davon aber nicht beirren – und hat die diesjährige PIN21 unter ein passendes Motto gestellt: „Challenge accepted!“
mynewsdesk.com (Mitteilung zur Veranstaltung), mynewsdesk.com (Vorträge)
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