Puzzleteile für die Mobilitäts- und Energiewende

Vernetzung, Interoperabilität, Netzdienlichkeit, Sektorenkopplung – willkommen beim Mammutprojekt „3connect“. Wie kaum ein anderes Projekt haben die Initiatoren verschiedene Szenarien gewerblicher Mobilität mit Fragen der Energiebeschaffung und -erzeugung verknüpft. Hier geht’s zum Fazit.

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Drei Jahre lang glühten die Datenleitungen zwischen Osnabrück, Aachen und dem Allgäu. An allen drei Standorten kreierten insgesamt 18 Konsortialpartner Feldversuche für den gewerblichen Einsatz von Elektromobilität. Hier ein Hybrid-Traktor, der mit Strom aus einer Photovoltaikanlage lädt, dort eine transportable Containerbatterie mit Second-Life-Akkus und noch einmal woanders die Kreation einer multimodalen ÖPNV-Mobilitätsplattform. Koordiniert wurde das umfangreichste Projekt des Technologieprogramms „IKT für Elektromobilität“ von der Smartlab Innovationsgesellschaft mbH.

Projektleiter Moritz Dickehage erläutert im Interview den gemeinsamen Nenner dieser facettenreichen Szenarien. Er nimmt uns mit hinter den Vorhang – dorthin, wo Smart Grids und virtuelle Kraftwerke kreiert, getestet und für den regulären Betrieb vorbereitet werden. Laut dem Smartlab-Manager gewinnt die Übertragung von Datensätzen im Smart-Grid-Kosmos immer mehr Bedeutung. Er konstatiert aber auch: „Die Vorhaben Mobilitäts- und Energiewende sind jedes für sich und vor allem in Summe gigantisch.“

Und Deutschland ist seiner Meinung nach im Bereich der gewerblichen Mobilität kein Vorreiter. Im Gespräch mit electrive.net-Redakteurin Cora Werwitzke erläutert er, inwiefern die deutsche Mentalität beim Vorstoß in neue Geschäftsfelder eher bremst und warum Projekte wie „3connect“ gerade in Zeiten von Investitionsunsicherheit unabdingbar sind.

Herr Dickehage, 3connect, das waren eigentlich mindestens drei Projekte in einem. Wir geben gerne zu, dass wir zur Vorbereitung des Interviews etwas länger mit dem Einlesen verbracht haben. Wie bringen Sie in zwei Sätzen prägnant auf den Punkt, worum es in 3connect gegangen ist?

Im Verbundprojekt 3connect wurden stark unterschiedliche Anwendungsfälle der gewerblichen Elektromobilität auf ihre Gemeinsamkeiten hin untersucht. Dabei standen stets eine netzdienliche Steuerung und die Sektorenkopplung zwischen Mobilität und Energie im Vordergrund.

Höchst unterschiedliche Feldversuche in Aachen, Allgäu, Osnabrück – wo ist da der rote Faden?

Ziel des Projektes war es, die gewerbliche Elektromobilität in vielen verschiedenen Facetten zu beleuchten und wie oben beschrieben die Gemeinsamkeiten trotz der stark unterschiedlichen Fälle herauszustellen. Der rote Faden – wobei in 3connect eher der grüne Faden – stellte eine gemeinsame Zusammenfassung der verschiedenen Anwendungen unter einem zentralen Steuerungssystem zusammen, dem sogenannten Energielogistiker. Dieser sollte die Flexibilitäten am Energiemarkt vermarkten, also die steuerbaren Verbraucher unterschiedlichster Art in einem gemeinsamen Interessenverband vertreten.

Stichwort: Virtuelles Kraftwerk?

Ja genau. Eine Art virtuelles Kraftwerk, das die Energie für die verschiedenen angeschlossenen Teilnehmer gemeinsam beschafft und nach Bedarf verteilt.

Drei Jahre Entwicklung, Konzeptionierung, Felderprobung – welche Quintessenz ziehen Sie aus heutiger Sicht aus dem Projekt? Welche Erkenntnisse bringen die Branche wirklich weiter?

Das lässt sich, denke ich, nicht komplett neutral oder ohne Ambivalenz beurteilen. Das Projekt umspannte insgesamt über 100 Personenjahre Arbeit. Meine persönlichen Top 3 sieht wie folgt aus: Erstens, die gesetzlichen Rahmenbedingungen müssen dringend geändert werden, um die Energie- und die Verkehrswende nicht ins Stocken zu bringen und um Jahre zu verzögern. Ein Elektrotaxi konnte in Osnabrück nicht eingesetzt werden, da keine Taxameter nachgerüstet werden durften und es keine E-Taxis ab Werk gab. Wie Netzentgelte & EEG-Vergütung bei Batteriespeichern, die wechselnd als Verbraucher und Erzeuger auftreten, berechnet werden, ist auch alles andere als klar. An vielen Stellen fehlt der regulatorische Rahmen für Anwendungsfälle, die der Energiemarkt bis dato nicht kannte. Ein weiteres gutes Beispiel dafür ist das Eichrecht, bei dem die bestehenden Gesetze – die auf einen bestimmten Anwendungsfall zugeschnitten sind – plötzlich auf eine komplett neue Situation Anwendung finden, was zu großen Herausforderungen führt.

Das klingt nach vielen Hindernissen, auf die Sie und Ihre Partner im Zuge des Projekts gestoßen sind. Wie sehen Ihre Top-2- und Top-3-Erkenntnisse aus?

Zweitens, es ist typisch deutsch, erst alles durchzuplanen und zu versuchen, mit dem ersten Wurf alles richtig zu machen. Dieser Ansatz ist mit heutigen Entwicklungsmethoden nicht mehr vereinbar, da die meisten Softwarehäuser von monatlichen und nicht mehr jährlichen Releasezyklen sprechen. Dadurch bieten sich im Bereich der agilen Konzeptionierung und Planung neue Möglichkeiten, die auch notwendig sind, da sich die Landschaft, in die es sich zu integrieren gilt, ebenfalls deutlich schneller ändert.

Und drittens, die Vorhaben Mobilitäts- und Energiewende sind jedes für sich und vor allem in Summe gigantisch. Es kann niemand sagen, wie der Markt in fünf Jahren aussieht. Dadurch sind Investitionen unsicher und unbeliebt. Beispiel Energiemarktanbindung: Viele Lasten sowohl im privaten als auch im gewerblichen Umfeld lassen sich auf der Zeitachse verschieben. Dadurch entstehen Geschäftsmodelle für virtuelle Kraftwerke. Diese funktionieren aber nur so lange das Verschieben der Last einen Wert hat. Dieser sinkt natürlich bei steigendem Angebot an Flexibilität. Somit kann es sein, dass zum Beispiel eine steuerbare Heizung im privaten Haushalt sich heute lohnt, in drei Jahren aber die Batteriepreise so niedrig sind, dass der Bedarf an Regelleistung komplett durch stationäre Großspeicher gedeckt wird. Somit ist es schwierig, dem Privatkunden heute die steuerbare Verbrauchseinrichtung schmackhaft zu machen. Das Beispiel ist natürlich stark vereinfacht und lässt insbesondere die steigende Unsicherheit bei der Erzeugung außer Acht. Die Quintessenz hier ist, dass F&E-Projekte in Zeiten von Investitionsunsicherheit besonders sinnvoll sind.

Gibt es denn konkrete Vorhaben, die auf den gewonnenen Erkenntnissen von 3connect aufbauen? Auf welche Geschäftsmodelle oder Produkte können wir uns da freuen?

Die Ergebnisse von 3connect werden in einer Reihe von Projekten weiter verwertet. Im Hub Aachen wurden insbesondere die Erfahrungen im Bereich Smart Charging verwendet, um ein marktreifes Produkt im Bereich Backend-gestütztes Lastmanagement umzusetzen. Auch das Thema Ladeplatz-Reservierung ist schon lange im Markt diskutiert und technisch verfügbar. Hier besteht aber weiterhin ein Interessenskonflikt zwischen dem Ladeinfrastrukturanbieter, der eine möglichst hohe Auslastung seiner Investments sehen möchte, und des EMPs, dem der Kundenkomfort am Herzen liegt. Zu den Produktentwicklungen der anderen beteiligten Unternehmen möchte ich mich nicht äußern.

Die Technologieentwicklung schreitet schnell voran. Was hat sich an der Schnittstelle zwischen gewerblicher Mobilität und Energie seit dem Projektende zum Jahreswechsel 2018/2019 getan?

Wir sehen im Markt weitere Ansätze zur Verkupplung der Daten. Standards zur Übertragung von Smart Grid-Datensätzen wie OpenADR (Open Automated Demand Response) oder OSCP (Open Smart Charging Protocol) werden eingeführt und weiterentwickelt. Die Smartlab ist derzeit in zwei Projekten dabei, das Thema zu vertiefen. In „Align“ sollen über eine OPC UA-Schnittstelle (Open Platform Communications Unified Architecture) direkt Daten zwischen einem Netzbetreiber und dem Backend ausgetauscht werden. Im EU-Projekt Electric Mobility Without Frontierts (EMWF) wird der Fall der Roamingplattform betrachtet. Hier wird es dem Verteilnetzbetreiber möglich sein, über eine einheitliche Schnittstelle die Daten der gemeldeten Ladestationen in dessen Netz zu bekommen und mit den entsprechenden Anschluss-IDs zu verknüpfen. Der Netzbetreiber bekommt dann neben dem Belegt-Zustand auch die aktuellen Leistungswerte im 15-Minuten-Raster.

Wie stehen wir im Vergleich zu anderen Ländern bei der Verknüpfung von gewerblicher Mobilität und Energie da?

Das kommt stark auf die Blickweise an. In Holland gibt es etwa deutlich mehr Plug-in-Fahrzeuge und öffentliche Ladepunkte als in Deutschland. Und das absolut, pro Kopf ist der Rückstand in Deutschland wesentlich dramatischer. Grund dafür waren starke Anreizprogramme, durch die Plug-in-Hybride als Dienstwagen sehr attraktiv wurden. Aber sind Dienstwagen, die in der Regel auch privat genutzt werden, gewerbliche Mobilität?

Deutschland ist im Bereich der gewerblichen E-Mobilität leider kein Vorreiter. Die Deutsche Post hat den Produktionsstopp bei StreetScooter beschlossen, wodurch der wohl wichtigste Leitstern der deutschen Industrie in dieser Hinsicht erlischt. Die traditionellen Automobilhersteller gehen das Problem stiefmütterlich an. Dies ist zum Beispiel an der Aktion von Herrn Schüren und dem „BV 1“ zu sehen (Der als eMobility-Pionier bekannte Bäcker Roland Schüren, Anm. d. Red.). Aussage von Herr Schüren war hier, dass sich kein alt eingesessener deutscher Hersteller ernsthaft um das Fahrzeug-Projekt bemüht hatte. Es fehlen die Konzepte und die Risikobereitschaft, weshalb wir in Deutschland wohl in Zukunft mehr ausländische Fabrikate bei Lkw, Bussen und Kleintransportern zu sehen bekommen.

Seit dem Projektende sind gut zweieinhalb Jahre vergangen. Ein großes Thema nach wie vor: die Interoperabilität – das Ziel, beliebige Hard- und Software im Sinne von Plug&Play miteinander kombinierbar zu machen. Wo stehen wir da inzwischen?

Auch das kommt sehr auf den Bereich an. Ladeinfrastruktur an ein Backend anzubinden ist heutzutage keine Herausforderung mehr. Ein komplettes industrielles Energiemanagement als Plug&Play-Lösung unabhängig von der Anwendung oder den beteiligten Akteuren anzubieten ist allerdings noch weit von der Wirklichkeit entfernt.

Herr Dickehage, haben Sie vielen Dank für das ausführliche Gespräch!

Über das Projekt:

3connect“ war ein gemeinschaftliches Förderprojekt des Technologieprogramms „IKT für Elektromobilität“, welches von Anfang 2016 bis Ende 2018 lief und vom Bundesministerium für Wirtschaft und Energie gefördert wurde. Zum Konsortium gehörten 18 Partner unter Leitung der Smartlab Innovationsgesellschaft mbH. An drei Standorten untersuchten sie wesentliche Aspekte der E-Mobilität in gewerblichen Flotten, in Logistikanwendungen, im ÖPNV und in der Landwirtschaft. Dabei griff das Konsortium unter anderem auf bereits vorhandene Daten aus vorangegangenen Projekten wie „econnect Germany“ zurück.

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