Ein Jahr „Dieselgate“ – welche Folgen zeichnen sich bereits heute ab?

Peter-Mock-200x250Seit der IAA 2015 hält „Dieselgate“ die Autobranche auf Trab. Noch immer kommen neue Enthüllungen ans Licht, rollen Köpfe bei verschiedenen Herstellern. Und selbst der Zulieferer Bosch hat größte Not, sich aus den Schlagzeilen heraus zu halten. Zugleich haben die Befürworter der Elektromobilität durch den Skandal ungeahnte Kräfte freisetzen können. Überall wird an neuen Plattformen für elektrische Fahrzeuge gearbeitet, werden Batteriepreise rauf- und runtergerechnet. Eine Zeitenwende ist in Gang gekommen, so viel steht fest. Wir haben deshalb Peter Mock, den Europa-Chef der Organisation International Council on Clean Transportation (ICCT), die mit ihren Testergebnissen den Skandal in Kalifornien erst ins Rollen gebracht hat, gebeten, auf die vergangenen zwölf Monate zurückzublicken. Sein Meinungsbeitrag zeigt auf, warum es die Elektromobilität ist, die aus der Umwälzung am Ende den größten Nutzen ziehen wird.

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Ein rundes Jahr ist vergangen, seit Martin Winterkorn öffentlich eingestehen musste, dass bei Diesel-Fahrzeugen von Volkswagen illegale Abschalteinrichtungen zum Einsatz gekommen sind. Seither gab es kaum eine Woche, in der nicht neue Details zu „Dieselgate“ bekannt geworden sind, sei es von Volkswagen oder auch aus anderen Teilen der Automobilindustrie. Im Grunde sind wir jedoch auch nach einem Jahr immer noch voll und ganz damit beschäftigt, Hintergrundinformationen zu sammeln und einzuordnen – ein Abschluss der Aufarbeitung des Skandals ist bis heute nicht abzusehen.

Ein gutes Beispiel hierfür sind die Fahrzeugtests des deutschen Verkehrsministeriums. Noch Anfang des Jahres mussten wir uns auf einige wenige Einzelmessungen von Dieselfahrzeugen stützen, durchgeführt von unabhängigen Forschungsorganisationen oder auch Journalisten, die erste Hinweise darauf lieferten, dass Abschalteinrichtungen nicht nur im Hause Volkswagen zum Einsatz kamen. Im Frühjahr folgte dann endlich der umfassende Bericht des Verkehrsministeriums, der Licht ins Dunkel brachte und unsere schlimmsten Befürchtungen bestätigte: „Alle Hersteller nutzen aber Abschalteinrichtungen gemäß der Definition in Artikel 3 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007“, heißt es in dem offiziellen Untersuchungsbericht. Dabei kratzen die bisherigen Messungen des Verkehrsministeriums lediglich an der Oberfläche. Weitere, detailliertere Fahrzeugtests dürften folgen, und dabei sehr wahrscheinlich auch weitere Erkenntnisse zu bisher unbekannten Typen von Abschalteinrichtungen.

Um zu erklären, warum diese oder jene Abschalteinrichtung als dringend erforderlich und damit legal anzusehen ist, werden – ob vor dem Verkehrsministerium oder auch dem Bundestags-Untersuchungsausschuss – oftmals technische und juristische Spitzfindigkeiten bemüht. Ziel ist es, die betroffenen Fahrzeuge möglichst ganz ohne oder zumindest nur mit geringen technischen Anpassungen auch weiterhin auf unseren Straßen zu belassen. Abseits dieser eher kurzfristig orientierten Argumentation ist es jedoch interessant, auch die mittel- und langfristigen Tendenzen im Blick zu behalten.

Verschmutzungsprivileg vor Realitätscheck

Der Dieselantrieb genießt in Europa seit vielen Jahren ein Verschmutzungsprivileg. Die Abgasstandards für Diesel-Pkw sind, was die besonders relevanten Stickoxide angeht, weniger anspruchsvoll als für Benziner-Pkw. Auch wenn dieses Privileg auf absehbare Zukunft bestehen bleibt, so wird es durch die Einführung der Real Emissions Driving (RDE) Testprozedur (bei der Serienfahrzeuge auf der Straße anstatt, wie heute üblich, Vorserienfahrzeuge im Labor getestet werden sollen) immer schwieriger, bestehende Abgasstandards auszutricksen. Damit werden in Zukunft Diesel-Pkw auch im realen Straßenbetrieb deutlich sauberer werden müssen.

Gleichzeitig genießt der Dieselantrieb in den meisten EU-Ländern auch ein Steuerprivileg. In Deutschland zum Beispiel wird ein Liter Superbenzin mit 65 Cent besteuert, für Dieselkraftstoff fallen dagegen lediglich 47 Cent an Mineralölsteuer an. Noch steht eine Aufweichung dieses Steuerprivilegs in Deutschland nicht ernsthaft zur Diskussion. Anders als beispielsweise in Frankreich, wo in der Folge von „Dieselgate“ der Steuersatz für Dieselkraftstoff bereits leicht erhöht und eine weitere Angleichung angekündigt wurde. In der Folge sind die dortigen Neuzulassungen von Diesel-Pkw gesunken, auf knapp 50 Prozent Marktanteil statt – wie noch 2014 – 63 Pozent.

Sauberer Diesel wird teuer

Dass es gelingen kann, den Dieselantrieb auch unter realen Fahrbedingungen sauber laufen zu lassen, steht außer Frage. Die technischen Möglichkeiten zeigen nicht zuletzt die aktuellen Euro 6 Dieselmodelle aus dem Hause Volkswagen auf. Diese hielten bei den jüngsten Tests des Verkehrsministeriums auch unter realen Fahrbedingungen den Euro 6 Grenzwert ein. Aber ist es auch kosteneffizient, den Diesel-Pkw in den kommenden Jahren mit immer noch mehr technischen Raffinessen aufzurüsten?

Laut unseren jüngsten Analysen ist ein CO2-Zielwert von 70 g/km, so wie er derzeit auf europäischer Ebene diskutiert wird, für die Neufahrzeugflotte bis 2025 auch ohne einen großen Anteil von Elektrofahrzeugen zu erreichen. Der Dieselantrieb kann für die Erreichung eines solchen Zielwerts eine Rolle spielen, das kostengünstigere und auch das größere technische Potential bis 2025 liegt jedoch eher auf Seiten des Benziners. Das zeigt nicht zuletzt wieder Volkswagen, wo mit der Einführung der neuen TSI-Motorengeneration gegen Ende des Jahres ein großer Sprung in Richtung effizientere Ottomotoren geplant ist.

Absprung zum E-Antrieb kommt früher

Während die Kosten für verbrennungsmotorische Antriebe, egal ob Benziner oder Diesel, in den kommenden Jahren tendenziell steigen werden, befinden sich gleichzeitig die Kosten für Batterien und andere Komponenten des Elektroantriebs im stetigen Sinkflug. In der Folge erwarten wir ab spätestens 2030 ein vergleichbares Kostenniveau für Otto-/Diesel- und Elektrofahrzeuge. Spätestens ab diesem Zeitpunkt wird es für einen Fahrzeughersteller günstiger sein, auf eine weitere Verbreitung von Elektrofahrzeugen zu setzen, anstatt noch die letzten Prozentpunkte an Effizienzverbesserung beim Verbrennungsmotor auszureizen. Tatsächlich wird dieser Absprungpunkt für viele Fahrzeughersteller schon früher erreicht sein, je nach Ausgangslage und Produktstrategie. Einige der jüngsten Ankündigungen, zum Beispiel von Renault-Nissan oder Volkswagen deuten bereits in diese Richtung.

Auch ein Jahr nach dem Beginn von „Dieselgate“ ist damit kaum abzuschätzen, welche Folgen der Skandal für die Automobilindustrie haben wird. Klar scheint jedoch, dass die Auswirkungen nicht allein auf juristische Streitigkeiten über Details von Abschalteinrichtungen beschränkt bleiben werden, sondern auch langfristige Investitionsentscheidungen und Innovationen beeinflussen werden. Die Elektromobilität kann davon nur profitieren.

Über den Autor

Peter-Mock-150x150Peter Mock leitet seit 2010 die Aktivitäten der gemeinnützigen und unabhängigen Forschungsorganisation International Council on Clean Transportation (ICCT) in Europa. Der Schwerpunkt des ICCT liegt auf Fahrzeugtechnologien und deren Auswirkungen auf Luftqualität und Klima. Die Untersuchungen zum realen Abgasverhalten von Dieselfahrzeugen bildeten die Grundlage für „Dieselgate“. Der wissenschaftliche Beirat des ICCT setzt sich zusammen aus Behördenvertretern und unabhängigen Verkehrsexperten der wichtigsten Fahrzeugmärkte weltweit. ICCT wird finanziert durch private Stiftungen, darunter die ClimateWorks Stiftung in den USA und die Stiftung Mercator in Deutschland.

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