Volker Blandow, TÜV SÜD: Plädoyer für mehr Radikalität!

Volker-Blandow-200x250Fünf Jahre wichtige und strategische Informationen Herr Schwierz. Gratulation, dass Sie und Ihr Team dies in dieser Intensität durchgehalten haben und hoffentlich noch lange fortführen werden. Ich übertreibe in keinster Weise, wenn ich postuliere, dass Ihr Newsletter über die Zeit immer relevanter geworden ist und dies täglich erneut unter Beweis stellt. Die Gründe für die von mir geforderte „neue Radikalität“ im Denken und Handeln lassen sich Ihrem Newsletter täglich neu entnehmen. Dafür nicht nur Anerkennung, sondern auch einen großen Dank! Wir sind ja hier quasi „unter uns“: Ich glaube, Sie liefern einen guten Teil jener „Energie“, die viele Protagonisten der Elektromobilität täglich neu motiviert!

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Ebenfalls genau vor fünf Jahren habe ich meine Funktion als Leiter der Elektromobilität beim TÜV SÜD angetreten und dabei die langjährige Rolle des Beraters mit der des „Umsetzers“ getauscht. Seit fünf Jahren muss ich also genau das umsetzen, was ich strategisch für richtig halte und was die Zukunft unseres Unternehmens, aber auch den Erfolg unserer Kunden sichern soll. Ich möchte daher diesen Beitrag auch dafür nutzen, eine Lanze für all diejenigen zu brechen, die in ihren jeweiligen Unternehmen ähnliche Wege gehen. Dies geschieht nicht immer zur Begeisterung aller, denn der Wandel bedeutet nicht ausschließlich neues und zusätzliches Geschäft, sondern in letzter Konsequenz auch den Abschied von gewohntem, etabliertem und in der Vergangenheit durchaus erfolgreichem Geschäft. Er bedeutet viel Arbeit und natürlich neue Risiken!

Ganz klar, dass einem dafür in einem konventionell geprägten Umfeld nicht nur Freude entgegenschlägt, sondern auch viel Gegenwind. Sorge um den Arbeitsplatz und auch darüber, welche Kompetenzen in Zukunft gefragt sein werden, beschäftigen viele Menschen – aber auch ganze Unternehmen. Besonders jene, deren Lebensadern vorwiegend aus den konventionellen Antrieben und deren Komponenten gespeist werden. „Benzin im Blut“ steht für Generationen von Ingenieuren und vielen anderen Fachkräften, deren umfangreiches Wissen plötzlich keine Zukunft haben soll? Es gibt gute Gründe dafür, warum sich gerade etablierte Automobilregionen wie Japan, „Detroit“ und Deutschland so schwer tun mit der Transformation; auch auf der Kundenseite. Das Automobil hat großen Wohlstand in die genannten Regionen gebracht, das klassische Automobil steht für so viel mehr als nur für ein „Transportmittel“.

TÜV SÜD betreibt inzwischen 7 „Folterkammern“ speziell für große Antriebsbatterien, in den USA und in Canada, in Deutschland, Japan, Korea, Singapur und an mehreren Standorten in China. Mit den Anforderungen wachsen auch die dafür benötigen Maschinen. Hier eine „Quetscheinrichtung“ für sehr große Antriebsbatterien mit 100 kWh und mehr. Überall auf der Welt prüft TÜV SÜD nach einheitliche Sicherheitsstandards und umweltgerecht, auch im Brandfall. Oft betritt TÜV SÜD damit Neuland und muss das Equipment dafür selbst entwickeln.
TÜV SÜD betreibt inzwischen 7 „Folterkammern“ speziell für große Antriebsbatterien, in den USA und in Kanada, in Deutschland, Japan, Korea, Singapur und an mehreren Standorten in China. Mit den Anforderungen wachsen auch die dafür benötigten Maschinen. Hier eine „Quetscheinrichtung“ für sehr große Antriebsbatterien mit 100 kWh und mehr in einem Batterielabor in Japan. Überall auf der Welt prüft TÜV SÜD nach einheitlichen Sicherheitsstandards und umweltgerecht, auch im Brandfall. Oft betritt TÜV SÜD damit Neuland und muss das Equipment dafür selbst entwickeln.

Lieber Herr Schwierz, wer in diesen Tagen die Meldungen Ihres Newsletters mit wachen Augen liest – gut, so früh am Morgen nicht immer ganz leicht – beginnt zu ahnen, welche Ausmaße die Transformation haben wird. Wenn ein „Newcomer“ wie Tesla übers Wochenende fast 300.000 Fahrzeuge absetzt; wenn in China die Verkaufszahlen von Elektrofahrzeugen monatlich inzwischen regelmäßig im zweistelligen Tausenderbereich liegen und milliardenschwere IT- und Telekommunikationsunternehmen aus Taiwan, Korea, China und den USA den Einstieg in den Automobilbereich ankündigen, dann haben wir es durchaus mit radikalen Marktkräften zu tun. Alle diese Unternehmen haben eines gemeinsam: Sie müssen nicht die nötige Transformation durchleben, sie können sich radikal für neue Geschäftsfelder aufstellen und sie tun dies auch.

Bemerkenswert ist dabei weniger, dass sie es tun, sondern vor allem mit Blick auf China, welch hohe Qualität diese Produkte inzwischen haben. Teilweise aus dem Stand. Als globales Unternehmen prüfen wir Batterien, Infrastrukturkomponenten und Elektrofahrzeuge selbstverständlich nicht nur in Deutschland, sondern weltweit. Wir öffnen damit unseren Kunden gleichzeitig die Märkte weltweit, begleiten ihn sogar zunehmend auf dem Weg in die Welt. Wir haben also einen recht guten Überblick über die Qualitäts-, Performance- und Sicherheitsniveaus. Und die sind, speziell in Asien, zunehmend hoch!

Offensichtlich funktioniert die Expansion der Technologie – vom Mobiltelefon oder Tablett hin zum Zulieferer oder sogar zum Fahrzeughersteller erstaunlich gut. Dieser Sachverhalt sorgt bei vielen Verantwortlichen in der konventionellen Automobilindustrie zwar noch für so manches Lächeln. Fakt ist aber auch, das Autos zunehmend zu rollenden „Tablets“ werden. Ich halte es für völlig offen, welche Bedeutung der Teil „Auto“ in diesem Produkt langfristig noch haben wird. Insbesondere, weil die Fahrleistungen immer weniger als Unterscheidungsmerkmal taugen. Die Beschleunigungswerte werden durch alle Fahrzeugklassen hindurch sehr ähnlich werden. Ein Golf wird ähnlich beschleunigen wie ein 911er. Es bleibt kaum eine Chance, sich darüber noch zu differenzieren, der Elektroantrieb macht es möglich!

Die chinesische Regierung nutzt auch darum die Elektromobilität längst als Instrument, Industriepolitik zu betreiben. In diesem Kontext sind durchaus weitere radikalere Schritte zu erwarten. Die politischen Rahmenbedingungen werden dies immer entsprechend dem technischen Fortschritt in China flankieren. Ein viel radikalerer Ansatz als dies im Westen oft wahrgenommen wird. Wir starren auf Tesla, wir sollten viel eher die zahlreichen „BYDs“ im Auge behalten, von denen wir oft nicht einmal die Namen kennen.

Aber wir leben bei TÜV SÜD natürlich auch Elektromobilität. Bei der gemeinsamen Ausfahrt der TÜV SÜD e-Motorrad-Gruppe werden „Elektronen“ geredet. Alltag im e-Biker-Leben.
Beim TÜV SÜD wird Elektromobilität natürlich auch gelebt. Bei der gemeinsamen Ausfahrt der TÜV SÜD e-Motorrad-Gruppe wird über „Elektronen“ geredet. Alltag im e-Biker-Leben.

Eine neue Radikalität im Denken und Handeln fordere ich dabei für alle Ebenen. Es gilt, Deutschland und seine Unternehmen fit zu machen für die große Transformation. Das beginnt ganz klar in der Vorstandsebene – hier werden die kreativen Freiräume für neue Produkte geschaffen –; und reicht über die Politik – hier werden die Rahmenbedingungen für den beginnenden und vertrauensbildenden Markthochlauf gesetzt-, bis in den Mittelstand. Diesen möchte ich ganz besonders „radikalisieren“, denn hier werden die Grundlagen dafür gelegt, dass die Fahrzeuge der großen OEMs auch im Bereich der radikaleren Innovationen weiterhin ganz vorne mitspielen.

Aktuell werden in Deutschland erfreulich viele hochinteressante und sicher auch sehr performante Elektrofahrzeuge entwickelt, aber „me too“ wird auf lange Sicht nicht mehr genügen. Elektromobilität muss in den Unternehmen gelebt und zur Gesamtphilosophie werden. Und ganz sicher brauchen wir viel mehr Mut für radikale Denkansätze und Investitionen, etwa im Bereich der Zellfertigung und der Batterie- und Brennstoffzellenentwicklung.

Schlussendlich muss auch die Gesellschaft, aus Sicht der Industrie also der Kunde, radikal dazulernen. Die Klimaziele von Paris sind von Wissenschaft und Politik formuliert, jetzt müssen wir als Bürger diese Ziele auch als unsere persönliche Verantwortung begreifen und deren Durchsetzung einfordern. Diese Verantwortung bezieht sich nicht nur auf das „hier und jetzt“ sondern betrifft überwiegend zukünftige Generationen und die Frage, welche Ressourcen unseres Planeten wir ihnen noch übergeben wollen und können; damit auch sie noch Spielräume haben, Innovationen zu gestalten und den Wohlstand zu erhalten. Und damit globale Verteilungskämpfe für unsere Enkel nicht „Alltag“ bedeuten.

Elektromobilität, neue Mobilität und auch die Energiewende sind radikale Umbrüche und das ist auch gut so! Deutschland spielt als Markt nur noch eine untergeordnete Rolle, aber unser Wohlstand generiert sich aus den Produkten und Dienstleistungen, die wir erschaffen und weltweit verkaufen können. Glaubwürdig werden unsere Produkte nur sein, wenn wir in Deutschland Elektromobilität auch selbst leben. Verstehen wir es als große Chance, den notwendigen strukturellen Wandel zu akzeptieren und pro-aktiv zu gestalten, als Privatperson und als Unternehmen. Am Ende steht für uns alle eine höhere Lebensqualität und eine deutlich zukunftsfähigere Industrie, die quantitatives Wachstum in vielen Bereichen durch qualitatives Wachstum ersetzt hat.

Über den Autor

Volker-Blandow-150x150Volker Blandow stand schon kurz nach seiner Ernennung zum Global Head of E-Mobility beim TÜV SÜD als einer der ersten Branchenköpfe vor unserer Kamera: „Der elektrische Antriebsstrang im Fahrzeug ist eindeutig die Zukunft“, sagte Volker Blandow im Video-Interview mit electrive.net Ende 2011. Und er sollte Recht behalten… Blandow kann man getrost als „Jetsetter der Elektromobilität“ bezeichnen. Fast immer ist er unterwegs zu einem Kunden oder einem „seiner“ vielen Batterieprüfzentren auf der Welt.

4 Kommentare

zu „Volker Blandow, TÜV SÜD: Plädoyer für mehr Radikalität!“
Kurt Sigl
08.04.2016 um 08:04
Lieber Herr Blandow,danke für Ihre Ausführungen,, wie lange reden wir jetzt davon, wir seit jetzt fast acht Jahren. Die Welt schläft nicht aber wir hier in Deutschland das ist Fakt! Ein Herr Kauder, ein Herr Ramsauer eine Bayerische Regierung, mit Ihrem Veto Gestern, werden weiterhin alles versuchen zu bremsen. Hoffe die Verantwortlichen werden eines Tages zur Rechenschaft gezogen, denn sie alle machen sich mit Schuldig, wenn jetzt die Zukunft an die Wand gefahren wird und wir die Zukunft unserer nachfolgenden Generationen aufs Spiel setzen!
josef
08.04.2016 um 11:50
Danke Herr Blandow, danke Herr Sigl, dem ist nichts mehr hinzuzufügen. ausser: Union Investment hat sich erst kürzlich beschwert, das Daimler kein E-fahrzeug anbietet, zurecht, aber waren es auch nicht genau diese KurzzeitBWLer, die die neue AKlasse und den A2 sterben haben lassen??? diese Autos wurden geschafen für neue Antriebe, die Brennstoffzelle (und damit EAntrieb)könnte schon in Serie sein, von deutschen Herstellern, weit vor Toyota. aber dank BWL ern ist ja in Deutschland alles unmöglich! deweiteren sollten die Energiekosten von Strom und Sprit angepasst werden und auch die Folgekosten der Emissionen bei Verwendung gleich eingerechnet werden. Aber da müssten ja die BWLer mal mehr als Milchmädchen rechnen. ... BWL tötet BRD. von daher kann ich nur gratulieren, daß ihr auch ins Ausland geht!
ANDREAS-MICHAEL REINHARDT
08.04.2016 um 08:28
Das Plädoyer nehme ich auch wahr als Aufforderung zum neuen Denken und Handeln in Sachen Elektromobilität.Gut so ! Volker Blandows Worten kann man aber auch entnehmen wo Deutschland seiner Meinung nach steht und wo es nicht steht! Danke für die Offenheit!
Olaf Schilgen
08.04.2016 um 15:56
Da kann man nur zustimmen - aus der gemeinsamen Arbeit bei ASPO ist mit wenig Nachdenken die logisch zwingende Frage ebenso logisch zwingend nur mit einer verstärkten Elektrifizierung zu beantworten.Nimmt man den Klimaschutz noch hinzu, bleibt die Antwort ebenso identisch - E-Antriebe werden die Zukunft sein.Die einzige Frage ist, wie schnell man sich selbst im Vergleich zum Wettbewerb bewegt. Sind andere schneller - ja oder nein? Wenn man ein großes Fahrzeugbau-Unternehmen mit vielen Mitarbeitern in so eine Richtung bewegen möchte, ist es dazu notwendige Voraussetzung, viele interne Diskussionen zu bestehen - und den Wettbewerb intern für E-Mobilität klar zu gewinnen.Wenn das nicht gelingt, gelingt es nach außen gegenüber neuen Wettbewerbern ebenso nicht. Als ehemaliger Projektleiter eines E-Fahrzeugs schon in 2009 weiß ich, wovon ich rede.

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