
Kia EV6: Ein nahezu perfekter Allrounder?
Ja, der EV6 hat mit seinem Design schon immer polarisiert. Von der Front mit den auffälligen Scheinwerfern über die Seitenlinie mit dem besonderen Dachkanten-Spoiler, der seitlich etwas über die D-Säule hinausragt bis hin zum Heck mit der geschwungenen, durchgängigen LED-Leiste. Und sagen wir so: Mit dem Facelift ist das Scheinwerfer-Design nicht gerade unauffälliger geworden. Obwohl er inzwischen vorne anders aussieht, ist der EV6 so gesehen seiner Linie treu geblieben: Er polarisiert weiterhin.
Das gilt auch für die ebenfalls überarbeitete Technik, denn in den Kommentaren unter unseren Artikeln wird oft und leidenschaftlich über Sinn oder Unsinn der 800-Volt-Technik diskutiert. Unnötig und teuer, sagen die einen. Der einzig sinnvolle Ansatz für neue E-Autos im Jahr 2025, meinen die anderen.
Blicken wir aber zunächst auf die Daten: Mit dem Facelift hält der überarbeitete 84,0-kWh-Akku in den EV6 Einzug, bisher waren es maximal 77,4 kWh. Wie bei Hyundai-Kia üblich, handelt es sich dabei um einen Brutto-Wert, der nutzbare Energiegehalt wird in der Regel nicht offiziell vom Hersteller angegeben – er dürfte aber etwa bei 80 kWh liegen. Kia hat nicht nur mit einer überarbeiteten Zellchemie den Energiegehalt erhöht, sondern auch die Ladeleistung von 240 auf nun bis zu 258 kW in der Spitze. Damit bleibt die Ladezeit von zehn auf 80 Prozent wie bisher bei 18 Minuten – nach wie vor ein sehr guter Wert für ein Serien-Elektroauto in Europa, unabhängig von der Preisklasse.
Testwagen kostet 59.730 Euro
Für den Test hat Kia den EV6 84 kWh RWD in der Earth-Ausstattung zur Verfügung gestellt. Heißt übersetzt: Mit der großen Batterie wird hier ein Elektromotor an der Hinterachse mit 168 kW Leistung kombiniert, der mit den 19-Zöllern auf bis zu 582 Kilometer Norm-Reichweite kommt (20-Zöller: 560 km nach WLTP). Darunter rangiert das Basismodell mit einem 63-kWh-Akku und 125-kW-Heckantrieb, darüber der 239 kW starke Allradler mit der großen Batterie. Earth heißt die mittlere der drei Ausstattungslinien, die über der Basisausstattung Air, aber unter der GT-Line (nur mit großem Akku) positioniert ist. Der Basispreis des Testwagens liegt bei 51.990 Euro laut Liste, mit einigen Extras summiert sich der Preis auf 59.730 Euro. So viel zur Ausgangslage.
980 Euro davon entfallen auf die Lackierung in „Snow White Pearl“. Der weiße Perleffekt-Lack gibt dem EV6 bei Sonnenschein ein besonderes Aussehen, da die Sicken und Kanten in den Karosserieblechen gut zum Vorschein kommen – bei dunkleren Lackierungen können diese Details etwas untergehen. Der Nachteil der weißen Lackierung: Der Dreck ist relativ schnell zu sehen, vor allem an der Abrisskante rund um die durchgängige LED-Rückleuchte sammelt sich der Schmutz der winterlichen Autobahn-Kilometer recht schnell. Zum Glück können sowohl der Kofferraumdeckel als auch die Abdeckung der Ladeklappe elektrisch betätigt werden.
Auf der Autobahn fallen im Vergleich zum Vorgänger zwei Neuerungen des Facelifts angenehm auf. Zum einen ist die Geräuschdämmung deutlich besser geworden, es ist bei Richtgeschwindigkeit deutlich leiser im Innenraum, obwohl der Testwagen auf Winterreifen stand. Mit Sommerreifen könnte der Unterschied noch etwas größer ausfallen. Das gilt auch für den erhöhten Komfort, der vor allem auf das überarbeitete Fahrwerk zurückzuführen ist. Die Abstimmung fällt jetzt etwas weicher aus. Damit ist der EV6 in meinen Augen für lange Strecken auf deutschen Autobahnen und im Alltag gut abgestimmt. Der Vorgänger war auf der straffen Seite unterwegs, davon haben sich die Kia-Fahrwerkstechniker jetzt etwas entfernt. Dennoch lässt sich der EV6 noch etwas sportlicher bewegen – für ein Sportwagen-Erlebnis sollte man wohl aber zum EV6 GT greifen, bei dem es keine Kompromisse zugunsten des Autobahn-Komforts gibt.









Auf der Autobahn macht der EV6 mit Heckantrieb im Serien-Trimm einen guten Job – beim Komfort, aber auch beim Verbrauch. Bei größtenteils einstelligen Temperaturen pendelte der Bordcomputer grob zwischen 20 und 23 kWh/100km, mit flotterer Gangart auf der leeren Autobahn auch mal in Richtung 25 kWh/100km. Mit steigenden Temperaturen sank die Verbrauchsanzeige aber sichtbar, weshalb mit dieser Fahrweise dann gut und gerne 17-18 kWh/100km möglich sein dürften. Und das würde deutlich über 400 Kilometer reale Reichweite ergeben, im Winter bei Temperaturen um den Gefrierpunkt sollte man eher mit 330 bis 350 Kilometern rechnen. Für einen „perfekten Allrounder“ erwarten hier sicher einige etwas mehr als 330 Kilometer. Dennoch kann sich dieser Wert – vor allem in Verbindung mit den kurzen Ladezeiten – sehen lassen. Keine Frage: Über 450 Kilometer Real-Reichweite im Winter würde ich mich auch nicht beschweren.
Aber wäre das tatsächlich notwendig? Ein Beispiel: Von Düsseldorf aus ging es voll geladen in Richtung Süden. Nach 272 Kilometern waren noch 20 Prozent im Akku, die Temperatur lag bei rund drei Grad über null. Und während der Toilettenpause hatte der EV6 an einem Allego-Hypercharger schon genügend Strom für die restlichen 160 Kilometer nachgeladen. Zeitverlust also gleich null.
Das Ladeverhalten an sich ist nach wie vor beeindruckend: Mit dem Facelift hat Kia nicht nur den Peak erhöht, sondern auch die Ladekurve beim Abregeln nach dem langen Plateau verbessert. Grundsätzlich bleibt es bei dem bekannten Verhalten, dass der EV6 nicht direkt mit voller Leistung loslegt, sondern zunächst eine kurze Stufe bei inzwischen fast 200 kW einlegt. Bei etwa 20 Prozent Ladestand beginnt dann das leicht weiter ansteigende Plateau, das bei den 258 kW Peak mündet. Bis knapp über 50 Prozent Ladestand kann der EV6 diese Leistung halten, von zehn auf 50 Prozent vergehen nur wenige Minuten. So ist es kein großes Problem, in 18 Minuten 55 kWh nachzuladen.
Obwohl sich schon einiges bei diesem Thema getan hat, mit den größten Nachholbedarf gibt es weiterhin bei der Software. Denn Kia darf seinem E-Auto hier ruhig mehr zutrauen. Für die geplanten 430 Kilometer (400 Kilometer Reichweite waren bei vollem Akku angezeigt) wollte der EV6 laut der eigenen Planung zwei Mal an die Ladesäule. Einmal nach nur 186 Kilometern mit angeblich 30 Prozent Ladestand bei Ionity auf 80 Prozent laden, dann später nochmals bei den Pfalzwerken von 20 auf 49 Prozent. 39 Minuten Ladezeit auf 430 Kilometer hat das System vorgeschlagen. Tatsächlich geladen haben wir 17 Minuten und 40 Sekunden – mehr war nicht nötig. Noch ist man also mit einer manuellen Planung besser dran. Keine Frage, ich wäre auch mit der Kia-Planung ans Ziel gekommen, allerdings mit einer unnötigen Verzögerung. Das sollte aber bei einem Auto, das 2025 fast 60.000 Euro kostet, besser gehen.
Immerhin: Plant man lieber manuell oder nutzt ohnehin nicht die Kia-eigene Navigation, sondern Appel CarPlay oder Android Auto, kann inzwischen die Batterie-Vorkonditionierung auch manuell gestartet werden. Das geht relativ einfach über das EV-Menü. Allerdings hat es Kia hier in meinen Augen etwas zu einfach gehalten: Es wird nur angezeigt, ob die Akku-Temperatur im Moment zu niedrig, zu hoch oder im optimalen Bereich ist – in den ersten beiden Fällen kann die Batterie-Vorkonditionierung aktiviert werden, sonst nicht. Man sieht aber nicht, wie warm oder kalt die Batterie wirklich ist bzw. die tatsächlich relevante Angabe, wie lange das System laufen muss, bis der Akku im optimalen Bereich ist. Hat sich der Akku trotz der niedrigen Außentemperaturen über die 272 Kilometer schon genügend erwärmt? Oder ist der Akku aufgrund der schonenden Fahrweise noch kalt und benötigt fast eine Dreiviertel Stunde, um auf Temperatur zu kommen? Andere Hersteller wie VW und Mercedes liefern hier inzwischen die passenden Infos.
Grundsätzlich finde ich es bei den Testwagen von Hyundai und Kia immer wieder sehr angenehm, die Rekuperation über die Schaltwippen am Lenkrad sehr einfach einstellen zu können. Eigentlich bin ich ein Freund davon, dass sich ein Auto vorhersehbar verhält, wenn ich vom Fahrpedal gehe. Mit den Schaltwippen kann das einfach und intuitiv geändert werden, wobei sich der EV6 auch die eingestellte Reku-Stufe merkt, wenn etwa das Auto neu gestartet oder der Tempomat deaktiviert wird. Andere fallen hierbei immer auf die Standard-Stufe zurück – und damit reagiert das Auto eventuell anders als erwartet. Allerdings gebe ich auch zu, dass mein eigenes Elektroauto keine Reku-Einstellung über Schaltwippen hat – und ich mir nicht sicher bin, ob ich das Feature in den Kia-Testwagen also nur gerne nutze, weil es da ist, und ich es nach einer Weile vielleicht doch ignorieren würde.
Im Innenraum hat das Facelift vor allem das Kia-Infotainmentsystem ccNC (Connected Car Navigation Cockpit) gebracht, die EV6-Modelle bis 2024 basierten auf dem noch Gen5W genannten System. Das ccNC hat im Test sauber und zuverlässig funktioniert. Das inzwischen angekündigte Update, womit der gewünschte Ladestand am Ziel oder der Ladestation direkt über die Kartenansicht eingestellt werden kann, hatte unser Testwagen noch nicht – vielleicht hätte so die nicht ideale Routenplanung aus unserem Beispiel einfach angepasst werden können. Insgesamt bedarf das System etwas Übung, um alle Untermenüs und deren Inhalte zu kennen. Denn generell sind schon relativ viele Klicks nötig, um an das gewünschte Feature zu kommen – muss man dann noch suchen, wird es sehr schnell aufwendig.










Bei der Bedienung bietet der EV6 weiter die Besonderheit der umschaltbaren Touch-Bar: Mit einem Touchfeld-Druck kann die Leiste zwischen den Schnellwahl-Tasten für das Infotainment und der Klima-Leiste umgeschaltet werden, womit auch die Drehrädchen doppelt belegt werden – mal für die Temperatur, mal für die Lautstärke. Das funktioniert mit etwas Gewohnheit recht einfach. Wenn man allerdings direkt vor dem EV6 zwei Wochen lang den EV3 mit haptischen Tasten für die Klimaanlage gefahren ist, wird schnell deutlich, dass das die bessere Lösung ist.
Eine Sache hat sich mit dem Facelift nicht geändert: die Platzverhältnisse im EV6. Vorne gibt es mehr als genügend Platz, hinten bleibt selbst hinter einem sehr großen Fahrer mehr als ausreichend Beinfreiheit. Gerade verglichen mit dem Schwestermodell Hyundai Ioniq 5, das auch auf der Plattform E-GMP basiert, ist der Unterschied hier deutlich! So lässt es sich auch zu viert sehr angenehm reisen, mit 490 Litern ist auch der Kofferraum ausreichend groß. Mit seiner schrägen Heckscheibe nimmt sich der Kia zwar etwas Nutzwert bei voller Beladung, aber dieser Kompromiss ist bei Elektroautos eben oft nötig: Eine steile Heckscheibe ist zwar gut für die Raumausnutzung, aber sehr schlecht für die Aerodynamik und damit die Reichweite.
Neu ist aber, dass die beiden Modelle mit großem Akku jetzt eine Anhängelast von 1.800 Kilogramm haben, bis zum Facelift waren es maximal 1,6 Tonnen Anhängelast. Mit dem kleinen Akku bleibt es bei 750 Kilogramm.
Die Basisversion „Air“ startet mit der kleinen Batterie bereits bei 44.990 Euro (49.990 Euro, große Batterie). Damit ist sie günstiger als zuvor, bietet dafür aber mehr. Serienmäßig sind so unter anderem bereits Lenkradheizung, höhenverstellbare Vordersitze mit Sitzheizung, beheizbare und elektrisch einklappbare Außenspiegel, Rückfahrkamera, Parksensoren vorn und hinten, Spurhalteassistent oder auch ein Autobahnassistent an Bord. Viele Auswahlmöglichkeiten gibt es darüber hinaus allerdings nicht. Die induktive Lademöglichkeit für das Smartphone oder auch das Head-up-Display bleiben dem „Air“ verwehrt. Mehr Serienausstattung und Auswahl gibt es hingegen bei den Varianten „Earth“ und „GT-line“. Die Wärmepumpe bietet Kia jedoch stets nur optional (für alle Ausstattungslinien) an.
Fazit
Kia hat ein gutes Elektroauto besser gemacht – so kann das Facelift des EV6 kurz und knapp zusammengefasst werden. Mit dem etwas größeren Akku und höherer Ladeleistung gibt es mehr Reichweite ohne längere Ladepausen. Im Detail kann Kia gerade bei der Software rund um das Thema Laden noch etwas nachbessern. Wer dienstlich viel unterwegs ist, wird sich auch über den verbesserten Komfort freuen – mit dem Facelift hat der EV6 gerade mit Blick auf die Langstreckentauglichkeit dazu gewonnen.
Keine Frage, der EV6 ist kein günstiges Auto. Dennoch ist er im Segment der Mittelklasse-Crossover (bzw. Mittelklasse-SUV) nach wie vor seinen Preis wert – denn bei diesen Daten können nicht viele etablierte Hersteller mithalten.
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