
Volvo EX90 Single Motor Plus: Die Landyacht
Der Volvo EX90 fährt nicht an, er legt ab: Leise wie ein Segelboot, leiser als die meisten anderen Elektroautos und äußerst geschmeidig. Der Abrollkomfort dieses Volvos ist sehr hoch, und die Geräusche des Fahrwerks sind wirksam gedämpft. Der EX90 ist eine Landyacht. Er ist die Alternative zum XC90, der seit 2002 angeboten wird und immer nochVerbrennungsmotoren hat. Das ist nicht nur ein Abgas-, sondern bis heute ein Kulturunterschied: Der elektrische Antrieb passt ideal zur kühlen Eleganz des Schwedendesigns. Die Preisliste beginnt bei 83.700 Euro. In der Ausstattungslinie Single Motor Plus und mit einigen Extras kam der Testwagen auf einen Bruttolistenpreis von 101.630 Euro.
Single Motor bedeutet im Volvo EX90 Heckantrieb und 205 Kilowatt (kW) Motorleistung. Genug Power, um den schweren Wagen (das Leergewicht beträgt 2.605 Kilogramm) in 8,4 Sekunden auf 100 km/h zu beschleunigen. Das ist im Vergleich zu anderen Elektroautos nicht besonders zügig. Und ja, beim Durchtreten ist der Schub subjektiv verhalten. Mit etwas Nüchternheit sollte jeder begreifen, dass diese Kraft in den meisten Lebenslagen ausreichend ist.
2,2 Tonnen Anhängelast nur mit dem Twin Motor
Aber nicht in allen. So liegt die Anhängelast des EX90 Single Motor bei 1,2 Tonnen ; der Aufpreis für die Kupplung beträgt 1.190 Euro. Auch wenn das in Postings vielfach diskreditiert wird: Käufer von solchen SUVs haben tatsächlich bisweilen die realen Anwendungsfälle für mehr Zuglast. Der Familienvater mit Wohnwagen etwa oder der niedersächsische Pferdwirt müssen zum Twin Motor (5.700 Euro Aufpreis) greifen. Der kann 2,2 Tonnen schleppen und hat 300 kW oder als Twin Motor Performance sogar 380 kW Motorleistung.
Platz satt hat der Volvo EX90 in jedem Fall. Das ist bei 5,04 Meter Außenlänge, 1,96 Meter Breite exklusive Seitenspiegel sowie 1,74 Meter Höhe erwartbar. Standardmäßig kommt er als 5-Sitzer. Gegen Aufpreis ist die 6- oder 7-Sitzerkonfiguration (beide je 2.300 Euro) bestellbar.













Der Testwagen war ein 6-Sitzer: Die dritte Reihe lässt sich elektrisch umklappen und aufstellen. Sind die Sitze in der zweiten und dritten Reihe gefaltet, ergibt sich eine nahezu ebene Fläche. Der Zugang zur dritten funktioniert am besten über die Lücke zwischen den Einzelsitzen in der zweiten Reihe und ist für kleine oder gelenkige Menschen leicht. Nein, das müssen nicht Kinder sein.
Ein Cruiser mit Licht im Raum
Das Fahrerlebnis – siehe vorne – ist geprägt vom hohen Komfort und der hohen Sitzposition. Das Greenhouse, also die verglaste Fläche, ist groß und lässt viel Licht hinein. Ein Abstrich ist das Panoramadach, dass sich weder öffnen noch verschatten lässt.
Der Volvo EX90 verleitet fraglos zum Cruisen. Ja, er lässt sich gemessen an Größe und Gewicht erstaunlich agil durch Kurven fahren, aber letztlich entspricht ihm das nicht. Zurücklehnen, laufenlassen.
Haptische Hebel für Gangwahl und Blinker
Dabei fallen einige funktionelle Stärken und Schwächen auf. So ist die Aufteilung zwischen haptischen Bedienelementen und Touchscreens gelungen. Ein Wahlhebel für die Fahrstufen und die Aktivierung des Pilot Assists rechts, der Blinker- und Scheibenwischerhebel links, das passt. Die Software für das vertikal ausgerichtete Zentraldisplay basiert auf Google Android Auto und ist verlässlich fehlerfrei.
Hier sind etliche Funktionen zusammengefasst, und in Details hat es Volvo übertrieben: Die Außenspiegel und das Lenkrad können nur in irgendwelchen Submenus justiert werden. Und dass es keine vier Schalter für die Fensterheber gibt, sondern wie im EX30 lediglich zwei plus einem Zusatzschalter, der zwischen vorne und hinten wechselt, ist nicht besonders glücklich.
Assistenzsysteme nicht klassengemäß
Niederschwellig lässt sich dagegen der gesetzlich vorgeschriebene Warnsound beim Überschreiten des Tempolimits deaktivieren. Für das assistierte Fahren nach Level 2 gilt: Der Volvo EX90 macht seine Sache gut und trotzdem nicht ganz so, wie es in diesem Segment üblich ist.
Der Tempomat mit Abstandsregelung etwa arbeitet angenehm sanft. Aber eine automatische Übernahme der Verkehrszeichen hat der Volvo nicht. Solche Features sind inzwischen im C-Segment wie zum Beispiel beim Volkswagen ID.3 mit Travel Assist keine Besonderheit mehr; in der Oberklasse sind sie eigentlich selbstverständlich.
Das gilt auch für andere Details wie das Wiederanfahren nach dem Stillstand: Der Mensch am Steuer des Volvos muss das noch durch Antippen des Fahrpedals bestätigen. Die Spurmittenführung auf der Autobahn wiederum macht, was sie soll, und so wird die Reise zum Genuss.
374 Kilometer reale Autobahnreichweite
Zumindest, wenn eine gewisse Disziplin vorhanden ist und nicht zu schnell gefahren wird. Die Stichprobe bei Richtgeschwindigkeit ergab einen Verbrauchswert von 27 kWh/100km. Nachkommastellen zeigt der Bordcomputer nicht an. Die Werksangabe für den Energieinhalt der Traktionsbatterie liegt bei 101 kWh, woraus satte 374 Kilometer Reichweite bei 130 km/h resultieren. Das ist viel weniger als im Messverfahren WLTP (612 Kilometer). Jeder möge aber prüfen, wie häufig er deutlich mehr als 300 Kilometer ohne Halt zurücklegt.
Dieser Verbrauchswert ist im Vergleich zu strömungsgünstigen Limousinen, die locker Werte um 20 kWh/100km erreichen, sehr hoch. Die Physik in Gestalt der immensen Stirnfläche des EX90 lässt sich leider nicht überlisten. Weitere Einzelverbrauchswerte: Bei 120 km/h sank der Stromkonsum auf 22 kWh/100 km, im Überlandbetrieb waren es 18 kWh/100km und in der City bei fließendem Verkehr rund 16 kWh/100km. Bleifuß auf A7 und A1 quittiert der Volvo mit Werten zwischen 35 und 40 kWh/100km.
Ladeperformance? Geht so.
Kein Grund zur Begeisterung ist der Ladestopp: Trotz Vorkonditionierung über den Routenplaner vergingen 29 Minuten für den Hub von 15 auf 80 Prozent. Dieser Zeitraum wird vom Werk jedoch für 10 bis 80 Prozent angegeben, das Versprechen also knapp verfehlt. Die maximale Ladeleistung betrug 184 kW (Werksangabe: 250 kW). Für sich betrachtet mag das okay sein, und etliche Anwender werden damit kein Problem haben.

Andere werden darauf warten, dass der EX90 von 400 auf 800 Volt Systemspannung in der Traktionsbatterie umgestellt wird und schneller laden kann. Das wird noch etwas dauern. Die Limousine ES90 macht es bereits vor. Vielleicht spendiert Volvo dem EX90 in diesem Zusammenhang auch einen 22- statt 11-kW AC-Lader, was angesichts von über 100 kW Energieinhalt ein lebenspraktisches Plus wäre.
Wiederum andere werden sich fragen, was ihnen die schwedische Ästhetik wert ist. Schließlich gibt es mit dem Kia EV9 oder dem Hyundai Ioniq 9 zwei Wettbewerber auf Basis der 800 Volt-Plattform E-GMP. Hier vergehen für den Standardhub von 10 auf 80 Prozent 18 Minuten. Der Kia EV6 ist mit ähnlich großem Energieinhalt (99,8 kWh) ab 64.990 Euro erhältlich. Der 6-Sitzer mit Allradantrieb und GT-Linepaket startet bei 83.370 Euro.
Wunsch zur Ästhetik
Das sind alles Summen, bei denen Privatkunden eine Ausnahme sind. Es sollte sich trotzdem jeder darüber im Klaren sein, dass es einen relevanten Kundenkreis für solche Fahrzeuge gibt. Das können gutverdienende Selbstständige sein oder leitende Angestellte. Schauen Sie gerne mal, was das T-Modell einer Mercedes E-Klasse mit Plug-in Hybridantrieb kostet. Das Teil hat sich 2024 ziemlich gut verkauft.
Der Volvo EX90 ist also ein Wunschkauf für jene Klientel, die eine skandinavische Formensprache möchte, die den Platz braucht und zugleich die nötige Kaufkraft hat. Als Elektroauto mag er wegen der Ladeperformance nicht ganz vorne sein, und die Assistenzsysteme sind lediglich okay statt sophisticated. Darum aber geht es nicht. Wer den Volvo wählt, bekommt einen zutiefst angenehmen Begleiter, der gelassen macht und Sicherheit vermittelt. So muss er sein.
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