Sightseeing Trains Rügen: Bimmelbahn elektrifiziert

Sightseeing Trains Rügen produziert elektrisch angetriebene Wegebahnen. In Zusammenarbeit mit Elektro-Fahrzeuge Stuttgart baut und vertreibt das Unternehmen mittlerweile auch E-Transporter mit Fahrgestellen des russischen Herstellers GAZ. Wir haben mit den Machern aus Prora auf Rügen über den ungewöhnlichen Fuhrpark – 11 Bahnen sind in Betrieb – gesprochen.

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Die Muttergesellschaft der Sightseeing Trains Rügen GmbH, die Jagdschlossexpress & Ausflugsfahrten GmbH, betreibt seit 1992 Wegebahnen für die Beförderung von Touristen auf Rügen. Auf der Insel sind derzeit elf Bahnen im Einsatz, davon sechs mit eigens entwickelten 400-Volt-Elektroloks. Die Anforderungen an die Fahrzeuge seien über die Jahre gewachsen, sagt Roger Pieniak, Inhaber und CEO. „Die Hersteller aber waren zu bequem, was Neues zu entwickeln“, moniert er. Daher hat sich das Unternehmen mit Sitz im Ostseebad Binz bereits 2014 entschieden, selbst Bahnen zu bauen. „Wir haben ein Produkt aus der Praxis für die Praxis entwickelt. Alles fing mit einer Dieselbahn, auf Basis eines Land Cruisers an“, erzählt er, ein Modell des japanischen Herstellers Toyota. Man sei aber schnell auf die Idee gekommen, die Lok zu elektrifizieren.

„Ich habe mich an Reinhardt Ritter erinnert, der mal auf Rügen Elektrofahrzeuge getestet hat.“ Sein Unternehmen, die Elektro-Fahrzeuge Stuttgart GmbH (EFA-S), hat sich auf den Umbau von Pkw und Lkw mit Verbrennungsmotor zu umweltfreundlichen Fahrzeugen mit Elektroantrieb spezialisiert. „Gemeinsam haben wir eine 400-Volt-Elektrolok entwickelt, die 2016 fertig wurde“, sagt Pieniak. Im Einsatz auf Rügen erfolgreich erprobt, war dem Unternehmer schnell klar, dass er weitere Bahnen bauen und Dritten verkaufen will. „Mittlerweile sind wir mit unserer Elektrolok Marktführer in Europa“, fügt er stolz hinzu.

Ausgerüstet sind die Loks mit Lithium-Eisen-Phosphat-Batterien (LiFePO4), die aus einzelnen Modulen bestehen. „Davon haben wir 126 Stück in dem Fahrzeug verbaut“, erläutert Ingenieur und Projektleiter Patrick Thies. Sie befinden sich in vier großen Batterieboxen, die gewichtstechnisch im Fahrzeug verteilt sind. Eine große befindet sich vorne, zwei kleinere in der Mitte links und rechts und eine weitere große hinten. „Vorteil, sollte es mal zu Problemen kommen, lassen sich die Zellen einzeln wechseln, wir müssen nicht das ganze Batteriepack austauschen, das zwischen 25.000 und 30.000 Euro kosten würde“, sagt er. Eine Zelle ist etwa doppelt so groß wie eine Packung Milch und kostet rund 250 Euro. Im normalen Fahrbetrieb sei es bislang aber noch zu keinem Ausfall oder Schaden gekommen.

Für LFP hat sich das Unternehmen entschieden, weil sie länger halten sowie wartungsfrei und extrem sicher sein sollen. Zudem weisen sie eine verbesserte Entlade- und Ladeeffizienz auf. Wie stark das Batteriepack sein soll, hängt davon ab, wo die Lok zum Einsatz kommt, also ob die Landschaft eher flach, hügelig oder vielleicht sogar bergig ist und welche Strecken damit pro Tour zurückgelegt werden sollen. Die in der bis zu 15 Tonnen schweren Ursprungsbahn verbaute Batterie kommt auf 72,5 Kilowattstunden (kWh) und reicht für 200 bis 250 Kilometer Wegstrecke, auch wenn es draußen kalt ist. Die neueren Batteriepacks haben inzwischen 80,6 beziehungsweise 107,5 kWh, je nachdem, was der Kunde sich wünscht und wie viel Masse die Lok tatsächlich bewegen soll, sprich, wie lang die Wegebahn ist, oder welche Steigungen sie bewältigen muss.

Laden lässt sich die Batterie an AC-Ladegeräten, die Sightseeing Trains Rügen seinen Kunden mitliefert. Um sie in Betrieb zu nehmen, sind handelsübliche 16- oder 32-Ampere-Steckdosen erforderlich, deren maximale Leistung bei 22 Kilowatt (kW) liegt. „Salopp gesagt, eine normale rote Haussteckdose, die in der Regel überall vorhanden ist, reicht völlig aus“, erzählt Thies. Der Ladevorgang bei völlig entladener Batterie dauert etwa vier Stunden.

Neben den Wegebahnen verkauft das Unternehmen in Prora auf Rügen inzwischen in Kooperation mit EFA-S auch Elektrofahrzeuge für die Straße. Fahrgestelle und Aufbauten stammen vom russischen Hersteller GAZ. Den Kontakt dorthin hat wiederum Reinhardt Ritter von EFA-S hergestellt. Genutzt wird dieselbe Batteriearchitektur wie in den Wegebahnen, hier sind es jedoch 20 LiFePO4-Packs, die aus insgesamt 240 Zellen bestehen und 80,6 kWh leisten.

Sightseeing Trains Rügen bietet als Vertriebspartner von EFA-S in Mecklenburg-Vorpommern die Transporter mit verschiedenen Aufbauten an, als Plane-Spriegel-Fahrzeug oder Plane-Spriegel mit Doppelkabine sowie als geschlossene Transporter oder Kleinbusse für die Personenbeförderung. „Sie sind in Varianten von 2,9 bis 4,2 Tonnen zulässigem Gesamtgewicht erhältlich“, erläutert Thies.

Im Moment stagniert das Geschäft allerdings, da derzeit keine Förderungen für die E-Fahrzeuge zu bekommen sind. Durch den Regierungswechsel agieren Thies Aussagen zufolge die dafür verantwortlichen Ministerien bislang sehr träge bis gar nicht. „Still ruht der See seit August 2021, das spielt uns natürlich nicht in die Karten“, moniert er. Üblicherweise wird die Differenz vom Kaufpreis eines herkömmlich angetriebenen Fahrzeugs zur E-Variante gefördert. Bei den GAZ-Fahrzeugen sei der Einkauf günstig und demnach die Förderspanne sehr hoch. Bei der Wegebahn beläuft sich der Förderbetrag auf rund 100.000 Euro, bei den Transportern sind es gut 55.000 Euro.

„Wir haben sehr viele Förderanträge beim aktuellen Förderträger, dem Bundesamt für Güterverkehr (BAG), für unsere potenziellen Käufer gestellt, aber derzeit passiert gar nichts“, ärgert er sich. Dasselbe geschehe momentan mit den Wegebahnen. „Wir bekommen keine Auskunft und werden am Telefon sehr unfreundlich behandelt“, fügt Geschäftsführer Pieniak hinzu. Das lief seinen Aussagen zufolge vorher besser als noch der Projektträger Jülich (PTJ) für die Förderanträge zuständig war. Seit die Grünen an der Regierung sind, stagniere alles. „Das ist gerade für Mecklenburg-Vorpommern als Tourismusland sehr ärgerlich, denn wer in Wegebahnen oder E-Transporter investieren will, wartet nun erstmal ab“, resümieren die beiden.

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