Mercedes EQE im Test: Für viel Reichweite muss es kein Tesla mehr sein

Die Angst nach zu wenig Reichweite ist längst vorbei. Für einen großen Aktionsradius und Effizienz muss es zudem kein Tesla mehr sein. Denn abseits der E-SUV bieten die deutschen Autobauer mittlerweile konkurrenzfähige Limousinen an. Eines dieser Modelle ist der Mercedes EQE. Doch wie gut ist die elektrische Interpretation der E-Klasse?

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Zu den meistverkauften und beliebtesten Modellen von Mercedes-Benz gehört die E-Klasse, welche als Limousine der oberen Mittelklasse in den Flotten vieler Firmen zu finden ist. Wie die Daten vom KBA zeigen, war in diesem Jahr rund jedes zehnte in Deutschland neu zugelassene Exemplar rein elektrisch – und ja, bevor Fragen aufkommen: Das KBA weist den EQE als E-Klasse mit Elektroantrieb aus. Für 2023 gilt: Der moderne Mercedes-Fahrer – die Dienstwagen-Klientel eingeschlossen – fährt zunehmend ein Elektroauto.

Die Anforderungen der Kundengruppe? Maximaler Komfort. Aber auch viel Reichweite und beim Elektroauto mit Blick auf die Reisezeit möglichst kurze Ladepausen. Für diejenigen, die mit ihrem Diesel die 1.000 Kilometer am Stück fahren, heißt es an dieser Stelle abschalten – das geht mit dem E-Auto immer noch nicht. Für alle anderen: gern dranbleiben.

Als Mercedes den EQE vorstellte, schallte die Angabe von bis zu 660 Kilometer durch den Raum. Ein Wert, der aufhorchen ließ. Nach WLTP bietet die reichweitenstärkste und von uns getestete Variante EQE 350+ bis zu 654 Kilometer. Der Haken: Als 350+ mit der 90,56 kWh großen Batterie ist der EQE gar nicht mehr bestellbar. Die Limousine gibt es noch als EQE 350 mit knapp einer Kilowattstunde weniger im Akku (89 statt 90,56 kWh), die immerhin 550 bis 639 Kilometer weit kommen soll – nicht ganz der in Aussicht gestellte Wert.

In der Praxis rückt der theoretische Maximalwert jedoch in weite Ferne, der Minimalwert dafür umso näher. Bedeutet: Bei überwiegenden Autobahnfahrten und Richtgeschwindigkeit werden Netto-Werte, weil Ladeverluste nicht eingerechnet, zwischen 18 (im Idealfall) und 21 kWh/100 km (bei ungünstigeren Bedingungen) erreicht. Erstgenannter Verbrauchswert gelang zum Beispiel auf der Fahrt von Mittelhessen nach Hamburg (415 km zurückgelegt, 97 km/h im Schnitt, Außentemperatur von 17 Grad, trocken, kaum Wind). Mit einer Batterieladung wäre somit eine Reichweite von fast 500 Kilometern möglich gewesen. Im schlechteren Fall hingegen (also bei 21 kWh/100km) „nur“ an die 420 Kilometer. Immer noch genug, um von Hamburg nach Düsseldorf oder gar Stettin in einem Rutsch nahezu lautlos zu gleiten.

Wer hingegen überwiegend im städtischen Raum und auf Landstraßen gemütlich vor sich hin surrt, der kann Verbrauchswerte von deutlich unter 20 kWh/100 km erzielen. Im Norden Deutschlands lagen diese zwischen 17,1 und 19 kWh/100 km. Oder anders gesagt: 470 bis 520 Kilometer Praxis-Reichweite.

An dieser Stelle dürfte sicherlich ein Fragezeichen entstehen. Wie kann es sein, dass bei Autobahnfahrten Verbrauchswerte erreicht werden können, die fast auf dem Niveau von Stadt- und Landstraßen liegen, ohne dabei hinter einem Lkw schleichen zu müssen? Nun, eine lupenreine Antwort darauf kann ich Ihnen nicht geben. Doch meine Erfahrung deckt sich mit denen meiner Kollegen. Die Stuttgarter haben es geschafft, den Antriebsstrang – beim EQE 350  ist ein Heckmotor mit einer Nennleistung von 215 kW verbaut – vor allem sehr effizient für Fahrten auf der Autobahn abzustimmen. Freilich wird bei längerem Ausreizen der Höchstgeschwindigkeit von 210 km/h der Akku nur so dahinschmelzen und die aerodynamische Tropfenform inklusive der versenkbaren Türgriffe nur noch bedingt den Verbrauch nach unten drücken können.

Zeit für eine Ladepause

Irgendwann ist unabhängig von der Fahrweise jeder Akku einmal leer. Wann eine Lade-Pause eingelegt werden muss, darüber informiert die intelligente Routenplanung mit brauchbarer Berechnung der Ladestopps. Eine Funktion, die Tesla im eigenen Ökosystem schon lange beherrscht, bei einigen Herstellern aber noch immer nicht implementiert wurde. Da hier verschiedene Lade-Anbieter teils mit, teils ohne Echtzeit-Daten berücksichtigt werden müssen, ist ein solches offenes System auch ungleich komplexer. Mercedes ist es dennoch gelungen – und alle anderen sollten schnell nachziehen!

Sie benötigen am Zielort mehr Energie im Akku als das Mercedes-System Ihnen berechnet? Kein Problem. Im Infotainment lässt sich diese Einstellung selbst vornehmen, mit welchem Ladestand das Ziel erreicht werden soll – das System kalkuliert Ladestopps und deren Dauer entsprechend neu. Gleiches gilt für die Ankunft an der Ladesäule. Die zehn Prozent Restkapazität, mit denen Mercedes üblicherweise kalkuliert, reichen aber vollkommen aus. Zum einen ist in den meisten Gegenden Deutschlands die HPC-Dichte hoch genug, zum anderen entsprechen zehn Prozent im EQE immer noch rund 50 Kilometern. Das sollte doch genügen, oder?

Während der Fahrt arbeitet die Vorkonditionierung der Batterie automatisch. Ein nettes Feature: Im EQ-Menü zeigt das System unter anderem an, welche Ladeleistung bei aktuellem Ladestand maximal möglich wäre. Falls im 11,9-Zoll großen Zentraldisplay – unser Testwagen verfügte nicht über den Hyperscreen – noch ein Icon hinter der Kilowatt-Anzeige zu sehen sein sollte, hat der chemische Speicher die richtige Temperatur noch nicht erreicht. Andernfalls kann es am High Power Charger mit voller Kraft losgehen. U.a. bei Ionity oder Aral Pulse auch via Plug&Charge. Was das bedeutet, zeigt die nachfolgende Ladekurve:

Hinweis der Redaktion: In dem Drop-Down-Menü der folgenden Grafik können Sie selbst auswählen, welche der von uns hinterlegten Fahrzeuge Sie vergleichen möchten. Die Daten aller Ladekurven wurden von uns selbst erhoben.

Mit bis zu 170 kW lässt sich der wohltemperierte Akku des Mercedes EQE 350 aufladen. Ab einem Füllstand von etwas über 30 Prozent nimmt die Ladeleistung immer weiter ab, lässt bei 80 Prozent aber noch mehr als 70 kW zu. Dieser State of Charge soll laut dem deutschen Autobauer in gut 32 Minuten erreicht sein. Bei unserer Aufzeichnung waren es aber nur 30 Minuten. Lieber so als andersrum.

Sollten beim Ladestopp nur noch 200 bis 250 Kilometer vor Ihnen liegen und am Zielort eine Lademöglichkeit vorhanden sein, kann die Reise bereits nach gut 15 Minuten weitergehen. So wenig Zeit bleibt, ehe der Akku von zehn auf 50 Prozent geladen ist – genug für die bevorstehende letzte Etappe. Zur Vervollständigung: An der heimischen Wallbox benötigt ein AC-Ladevorgang auf 100 Prozent dank des Onboard-Chargers mit elf kW rund acht Stunden. Optional sind bis zu 22 kW möglich, womit sich die Ladezeit fast halbiert. Das kostet aber zarte 1.190 Euro Aufpreis – sollte also wohl überlegt sein. Wer kaum öffentlich AC lädt und Zugang zu einer 11-kW-Wallbox hat, kann sich das Geld sparen. Wer häufig an öffentlichen AC-Ladepunkten hält, kann viel Zeit sparen und in dem Vier-Stunden-Fenster (bis bei vielen Anbietern die Blockiergebühr greift) fast voll laden.

Assistenten und Komfort auf höchstem Niveau

Am Zielort angekommen, möchten Sie vermutlich sofort wieder auf die Piste. Schade, dass die Fahrt schon endet. So ging es zumindest mir. Diese Ruhe während der Fahrt, selbst das Batteriegehäuse ist mit einer Dämmschicht versehen, ist selbst für ein an sich leises Elektroauto hervorragend. Zu dieser Erkenntnis kam bereits mein Kollege Sebastian Schaal bei seiner Ausfahrt.

Zum Komfort auf höchstem Niveau tragen aber auch die Assistenten bei. Da wäre zum Beispiel die intelligente Rekuperation, die aufgrund der Verkehrssituation – sogar Radfahrer werden erkannt – automatisch darüber entscheidet, ob der Stromer gerade segeln oder zum Stillstand kommen sollte. Auch der nahezu perfekt arbeitende Spurhalteassistent oder die Verkehrszeichenerkennung inklusive automatischer Geschwindigkeitsübernahme sollten nicht unerwähnt bleiben. Wie gut die Assistenzsysteme arbeiten, können Sie hier nachlesen. Gleiches gilt auch für das Platzangebot. Ich würde an dieser Stelle die bereits getätigten Aussagen nur wiederholen.

Bei einer gediegenen Ausfahrt mit dem Mercedes EQE von Frankfurt nach München – auch diese Strecke schafft er bei entsprechenden Bedingungen am Stück – wäre genug Zeit, um über all die Dämmmaßnahmen, Assistenzsysteme und sämtliche Funktionen des Infotainmentsystems zu plaudern und live auszuprobieren. Na, wie wär’s? Es lohnt sich!

Fazit

Die Mercedes-Interpretation der elektrischen E-Klasse ist gelungen. Den Stuttgartern ist eine konkurrenzfähige Limousine in den Punkten Komfort, Reichweite und Effizienz geglückt. Dienstwagen-Fahrer werden ihre Freude an diesem Modell haben. Vorausgesetzt, der Arbeitgeber spielt mit.

Denn all das hat seinen Preis: So startet der EQE 300 bei 66.402 Euro. In dieser Variante liegt die Motorleistung bei 180 kW. Der ebenfalls verfügbare EQE 350 (wohlgemerkt nicht der von uns getestete 350+) kostet hingegen, obwohl die Akkus bei beiden Varianten auf die gleiche Größe kommen, 70.210 Euro. Um jedoch das S-Klasse-Niveau zu erreichen, so kann der Komfort durchaus beschrieben werden, müssen viele Ausstattungs-Extras hinzugebucht werden. Schnell erreicht der Kaufpreis eine Schwelle von bis zu 100.000 Euro. Kein Pappenstiel.

4 Kommentare

zu „Mercedes EQE im Test: Für viel Reichweite muss es kein Tesla mehr sein“
Dirk
03.11.2023 um 08:05
Warum versteht die Deutsche Automobilindustrie ihre Kunden nicht? In dieser Preisklasse werden sich sicher ein paar Firmeninhaber oder Bankvorstände finden, aber sicher nicht die breite Masse. Bei ev-database wird dem neuen Tesla Model 3 eine reale Reichweite von von 500km bescheinigt bei 55.200€, und nicht 500km für 70.210€ (Grundpreis!) bis 100.000€!
Driver
22.03.2024 um 23:55
Seit wann definiert sich Komfort, Luxus etc. alleinig über Reichweite? Ein luxuriöses Fahrzeug war schon immer mehr als ein reines Fortbewegungsmittel. Wussten Sie dass nicht?
Stefan S
03.11.2023 um 11:43
Da ein Freund von mir den EQE als Firmenwagen hatte, bin ich ein paarmal mitgefahren. Die Reichweite ist tatsächlich nicht schlecht. Was mich gewundert hat, ist die Usability und das Fahrwerk- Die Geräusche sind lauter als bei einem 2014er Model S. Der Kofferraum des EQE ist ein schlechter Witz. Die vordere Haube kann man nicht öffnen. Die Scheibenwaschflüssigkeit muss man deshalb durch eine winzige Klappe seitlich in den Behälter balancieren. Teile des Armaturenbretts sehen aus wie aus dem 3D Drucker. Insgesamt macht es den Eindruck, als ob da ganz schnell ein Fahrzeug zusammen genagelt wurde. Hätte ich von Mercedes nicht erwartet.
Einsiedler Roland
16.03.2024 um 22:15
Was ist schlecht daran wenn Waschflüssigkeit einfüllen ohne Haube zu öffnen geht. Keine schmutzigen Hände, das ganze ruckzug erledigt, das ist genial gelöst. Das mit der Lautstärke kann ich auch nicht bestätigen und der Kofferraum ist für ein E Auto auch nicht so klein.

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