Han und Tang im Fahrbericht: Kann BYD Oberklasse?

Neben dem Atto 3 als Volumenmodell drängt BYD auch mit zwei Elektroautos auf den Markt, die jeweils über 70.000 Euro kosten. Statt nur auf Masse wollen die Chinesen von Anfang an auch auf Klasse setzen. Wir haben mit den beiden BYD-Flaggschiffen einige Fahreindrücke im direkten Vergleich gesammelt.

Mit der Ankündigung, eine Batterie mit 3.000 Ladezyklen bauen zu wollen, hat BYD vor einigen Jahren viel Aufsehen erregt. Die ersten Fahrzeuge mit der sogenannten Blade-Batterie sind die Limousine Han und der SUV Tang (benannt nach den Zeitaltern der gleichnamigen chinesischen Kaiser-Dynastien), mit ihnen möchte BYD demonstrieren, dass sie nicht nur günstige Massenfahrzeuge wie den Atto 3 bauen können, sondern auch in der Oberklasse mitspielen wollen. Kann das gelingen?

Gleiche Plattform, grundverschiedene Fahrzeuge

Die technische Basis von Han und Tang ist gleich: Beide haben einen Allradantrieb, den erwähnten Blade-Akku mit LFP-Zellen (mit leicht unterschiedlichen Kapazitäten von 85,4 kWh bzw. 86,4 kWh), beide bauen auf Verbrenner-Modellen auf und sind fast fünf Meter lang (Han: 4,99 m, Tang: 4,87 m).

Han: Inspiriert von Tesla und Mercedes

Es ist schwer zu leugnen, wo die BYD-Designer ihre Inspiration für den Han gesucht haben: Eine aufgeräumte, geschlossene Front ohne Grill-Imitat, versenkbare Türgriffe und die großen Außenspiegel mit Chromleiste am unteren Ende kennt man schon vom Tesla Model S. Das Interieur mit viel „glossy“ in der Mittelkonsole, dem Mini-Gangwahlhebel und der Kombination aus hellem Leder mit viel Aluminium(-Look) erinnert sehr deutlich an Mercedes. Das ist nicht negativ gemeint, beide Inspirationsquellen sind gut gewählt und ergeben in Summe ein stimmiges Bild.

Trotz flotter Beschleunigung in 3,9 Sekunden von 0 auf 100 km/h ist der Han definitiv kein Sportwagen: Mit einer massiven Mittelarmablage hinten (inklusive Touchscreen) und elektrisch verstellbaren Einzelsitzen hinten ist er ganz klar ein Chauffeurwagen. Die Einzelsitze sind nicht umklappbar, immerhin gibt es eine kleine Durchreiche zum 410 Liter fassenden Kofferraum. Schlau: Klappt man die Mittelkonsole weg, finden im Fond drei Passagiere Platz, dafür verschwindet aber der Touchscreen. Damit man trotzdem weiterhin von hinten aus das Infotainment steuern kann, gibt es deshalb einen zweiten, kleineren Touchscreen zwischen den beiden Vordersitzen.

Mit unserem Testverbrauch von 21,2 kWh/100km auf den Autobahnen im Amsterdamer Umland (die, wie überall in den Niederlanden, auf Tempo 100 begrenzt sind) ergibt sich eine Realreichweite von gut 400 Kilometern, man kann es sich also definitiv eine längere Zeit auf den Rücksitzen bequem machen. Ebenfalls etwas länger dauert leider auch das Laden. Die DC-Spitzenleistung liegt bei 120 kW, von 30 bis 80 Prozent braucht er 30 Minuten. Für lange Strecken muss man da doch einiges an Ladezeit einplanen.

Tang: Platz für die ganze Familie

Obwohl der Tang zwölf Zentimeter kürzer ist, hat er dank einer dritten Sitzreihe Platz für zwei Passagiere mehr. Die hintersten beiden Sitze sind jeweils einzeln umklappbar, die mittlere Reihe im Verhältnis 60:40. Außerdem ist die Mittelreihe längs verschiebbar, sodass die Beinfreiheit in der zweiten und dritten Reihe variabel ist. Sitzriesen haben in der letzten Reihe eher schlechter Platz, durchschnittlich gewachsene Menschen halten es aber gut auf allen Plätzen aus.

Für lange Urlaubsfahrten zu siebt dürfte vor allem der Kofferraum ein limitierender Faktor sein – mit aufgeklappter dritter Reihe passt hier nicht mehr viel Gepäck hinein (235 Liter vs. 1.655 Liter, wenn alle Sitze umgeklappt sind). Mit 27 kWh/100km erwies er sich als eher durstig – was bei einem cW-Wert von 0,33 und fast 2,5 Tonnen Leergewicht aber auch nicht verwunderlich ist, zumal wir die starke Beschleunigung (4,6 Sekunden bis 100 km/h) auch ab und an ausprobiert haben.

Unsere Praxisreichweite lag damit bei 320 Kilometern. Kombiniert mit seiner durchwachsenen DC-Ladeperformance (ebenso langsam wie beim Han) ist der Tang wohl eher eine Familienkutsche mit viel Platz für die Stadt, als ein Urlaubsmobil oder Dienstwagen für häufige Langstrecken.

Gemeinsamkeiten und Unterschiede

So verschiedenen die beiden Elektro-Schiffe von außen auch aussehen, so ähnlich sind sie sich doch in vielen Punkten. Beide wirken deutlich wuchtiger und größer als sie tatsächlich sind, beide wollen auf der Straße der Chef sein. Leider fehlt beiden ein Premium-Soundsystem und auch die Abroll- und Strömungsgeräusche sind doch deutlich dominanter als bei der Konkurrenz. Das Bremspedal fühlt sich zu Beginn merkwürdig weich an – beim Bremstest überzeugt die Brembo-Anlage aber und bringt die Fahrzeuge überraschend schnell zum Stehen. Wenn es mal schnell gehen muss, sind beide trotz ihrer Größe so flott, wie man es von Elektroautos erwartet. Trotz 380 kW Motorleistung ist aber in beiden Modellen bei 180 km/h Schluss (was außerhalb Deutschlands ohnehin ziemlich irrelevant ist).

Das Infotainment hat in beiden Modellen eine sehr ähnliche Software, die zwar relativ aufgeräumt ist, manche Funktionen aber an schwierig zu findenden Orten versteckt. So ist das Aktivieren der Sitzheizung relativ umständlich – dafür haben andere Funktionen, die man viel seltener braucht, einen direkten Hardware-Knopf. Übrigens: Im Tang ist das Mitteldisplay auf Knopfdruck elektrisch drehbar, im Han steht es fix im Querformat. Dafür muss man beim Han generell seltener den Blick von der Straße abwenden, denn er hat im Gegensatz zum Tang ein Head-up-Display.

Die Assistenzsysteme sind bei beiden Fahrzeugen ausbaufähig (dafür hat zumindest der Han-Fahrer ja seinen Chauffeur), ebenso die Sprachsteuerung (der Tang hat gar keine, der Han immerhin einen Mikrofon-Knopf, der aber in unserem Test funktionsfrei war). Paradox: Obwohl der Han mehr Platz für die Fond-Passagiere hat, ist die Oberschenkelauflage im Tang deutlich besser – höherer Dachlinie sei Dank. Hier hätten dem Han sogenannte Fußgaragen (Einbuchtungen im Akku, um die Füße tiefer zu positionieren) geholfen – diese sind aber mit der Blade-Batterie deutlich schwerer zu realisieren als mit konventionellen Modulen.

Preis-Leistungs-Könige und Eyecatcher

Tang und Han sind sehr gute Autos, die zumindest Laien wohl keinem chinesischem Autobauer zugetraut hätten. Natürlich ist der Han nicht die beste Chauffeur-Limo am Markt: Ein BMW i7 ist bequemer, ein Mercedes EQS verbraucht weniger, ein Porsche Taycan lädt schneller und ein Tesla Model S beschleunigt flotter. Aber in einem Punkt führt der Han (und auch sein SUV-Bruder) die genannten Konkurrenten gnadenlos vor: Beim Preis. Jeweils ab ca. 71.000 Euro rollen die beiden Fahrzeuge zu den Kunden – ein Schnäppchen für eine Chauffeur-Limousine bzw. ein siebensitziges Premium-SUV, so günstig bietet kein anderer OEM elektrische Oberklasse an.

Grund zur Panik besteht (noch) nicht, vor allem, weil die Ladeperformance bei beiden Modellen noch nicht zum Oberklasse-Anspruch passt. Nicht zuletzt auch deswegen werden Han und Tang den bisherigen Premium-Platzhirschen wohl noch relativ wenig Marktanteile abjagen. Vielleicht geht es aber auch gar nicht darum, möglichst viele Hans oder Tangs zu verkaufen. Vielleicht sollen diese beiden Fahrzeuge vor allem Eyecatcher sein, um Interessenten in die BYD-Showrooms zu locken, wo sie dann auf den deutlich ausgereifteren Atto 3 stoßen? Der dürfte, wegen seines deutlich niedrigeren Preises, wohl der aktuell interessanteste BYD sein.

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