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Xiaomi SU7 Ultra: Forsch durchs Fremdrevier

Daheim ist er schon der unumstrittene Star. Doch seit Xiaomi den SU7 auch als Ultra anbietet, stiehlt er Porsche & Co mit seinen Rekordrunden auch bei uns die Schau. Dabei kann man ihn hierzulande noch gar nicht kaufen. Aber das wird sich wohl bald ändern.

Es soll keiner sagen, sie hatten sie nicht gewarnt. Denn schon im letzten Oktober hat Xiaomi die Porsche-Gemeinde mit einer rekordverdächtigen Runde auf dem Nürburgring aufgeschreckt. Nur, dass es damals noch ein Prototyp des neuen Performance-Modells war, und die 6:46,874 deshalb nicht als Bestzeit gewertet wurden. Doch mittlerweile ist der Überflieger als SU7 „Ultra“ in Serie, war wieder in der Eifel und hat diesmal mit amtlichem Segen die Rekordrunde des Porsche Taycan pulverisiert: 7:04,957 – kein Elektroauto und kein Viertürer aus der Serie hat die Nordschleife schneller umrundet als der Chinese, der mit drei Motoren – einer an der Vorder- und zwei an der Hinterachse auf bis zu 1.140 kW kommt. Und: In einer Prototyp-Variante hat der SU7 UItra im Frühjahr seinen eigenen Rekord sogar mit einer Rundenzeit von atemberaubenden 6:22,091 Minuten um ganze 24 Sekunden unterboten.

Das passt zur ebenso jungen wie dynamischen Geschichte des Elektronik-Giganten, der vor nicht einmal drei Jahren unter die Autobauer gegangen ist. Just als Apple seine Pläne für das iCar offiziell beerdigt hatte, hat Xiaomi seinen elektrischen Erstling vom Stapel gelassen – und damit alle Verkaufsrekorde gebrochen: In wenigen Wochen waren 100.000 Bestellungen zusammen und selbst die notorisch ungeduldigen Chinesen mussten sechs Monate auf die Auslieferung warten.

Für den Ultra hat Xiaomi jetzt noch einmal kräftig nachgelegt. Wo beim gewöhnlichen SU7 mit auch schon eher ungewöhnlichen 495 kW Schluss war, satteln sie jetzt noch einmal mehr als das Doppelte drauf. Dafür bauen sie im Heck ihre euphemistisch V8s genannten Motoren ein, die mit bis zu 27.200 Touren schneller drehen als die allermeisten anderen E-Maschinen. Dazu gibt’s einen 800-Volt-Akku, der mit 93,7 kWh eine chinesische Normreichweite von 630 Kilometern ermöglicht und der beim Laden genauso Tempo macht wie Rennfahrer Vincent Radermecke bei der Rekordrunde auf der Nordschleife. Wer die entsprechende DC-Säule findet, kann mit bis zu 489 kW rechnen und schafft den Hub von 10 auf 80 Prozent so im besten Fall in elf Minuten. Und weil sie es ernst meinen mit der Rennerei, haben sie auch den Temperaturhaushalt der Zellen, die Kühlung und die Lüftung optimiert: Zwei Runden auf der Nordschleife schafft der Ultra deshalb ohne zu überhitzen, versprechen die Entwickler, und müssen sich über mehr keine Sorgen machen. Denn wenn nicht gerade ein Profi am Steuer sitzt, ist spätestens nach der zweiten Runde auch der Fahrer am Ende.

Genau wie vor zwei Jahren bei der Premiere des SU7 gab es auch auf den „Ultra“ eine eindrucksvolle Resonanz: Als am 27. Februar die Bücher geöffnet wurden, waren nach zehn Minuten 6.900 Bestellungen notiert und nach zwei Stunden war das Jahresziel von 10.000 Fahrzeugen erreicht. Das liegt zum einen natürlich an der Faszination für die schier aberwitzigen Leistungsdaten und am patriotischen Stolz darauf, dass es China nun auch mit Porsche & Co. aufnehmen kann. Es ist aber auch dem fast schon lächerlichen Preis geschuldet. Denn obwohl der SU7 Ultra bei Leistung, Beschleunigung und Spitzentempo auf Augenhöhe mit den stärksten Porsche-Modellen fährt und sogar zu Bugatti, Ferrari oder Rimac aufschließt, kostet er mit 529.900 Yuan für die Standard-Version und 814.900 Yuan für die Nürburgring-Edition oder umgerechnet 64.000 Euro bzw. 98.000 Euro weniger als bei Porsche ein Taycan, vom Topmodell Turbo GT ganz zu schweigen. Und da ist das Xiaomi-Logo aus 24 Karat Gold auf der Bughaube schon inklusive.

Mittlerweile sind die ersten Autos ausgeliefert, und während die Rennfahrer in der Eifel um die letzten Hundertstel gerungen haben, waren wir in Peking mit dem Spitzensportler für eine erste Testfahrt unterwegs. Dabei gibt sich der SU7 Ultra, der mit seinen vielen Zuffenhausener Designanleihen auch als Taycanera durchgehen würde, erstaunlich zahm und alltagstauglich. Zwar trägt er markante Spoiler, Splitter und Finnen, und um das Gewicht auf respektable 2,4 Tonnen zu drücken, ist die gesamte Karosserie aus Karbon gebacken. Und drinnen sitzt man freilich in etwas engeren Schalen und blickt auf ein Dekor, das mit Kontrastfarben, Karbonfasern und im Lenkrad einer 12-Uhr-Markierung in Wagenfarbe ebenfalls einen dynamischen Anspruch hat.

Doch fühlt sich der Spitzensportler nicht an wie ein mühsam zur Ruhe gezwungenes Biest, das ständig an der Kette reißt. Sondern er gleitet ganz gelassen und mit einem erstaunlichen Maß an Restkomfort über die Ringstraßen der chinesischen Hauptstadt. Selbst die Hinterbänkler in dem bei drei Metern Radstand vergleichsweise geräumigen Fond haben da keinen Grund zur Klage. Und das liegt nicht nur daran, dass Xiaomi die Leistung auf auch schon ganz ordentliche 662 kW limitiert, wenn das Navi den Ultra nicht auf der Rennstrecke sieht oder die Restreichweite unter 300 Kilometer fällt. Sondern das liegt vor allen Dingen am fein ausbalancierten Fahrwerk mit der Doppelkammer-Luftfederung, der guten Lenkung und den sauber programmierten Fahrprofilen.

Doch schon im luftigen Verkehr am Stadtrand spürt man eine gewisse Präsenz und Präzision, die vielen anderen Chinesen fremd ist. Wo uns Nio & Co. mit komfortabler Gleichgültigkeit von A nach B kutschieren, wirkt der SU7 Ultra engagiert und leidenschaftlich, vermittelt ein gutes Gefühl für die Fahrbahn, federt die kleinen Unebenheiten sauber weg und hält präzise Kurs. Und selbst wenn man sich ganz lässig an eine rote Ampel heran bremst, spürt man schon den Biss der mächtigen Zangen an den 430 Millimeter Carbon-Scheiben und ahnt, mit welchem Engagement diese Bremsen dem E-Racer im Ernstfall Einhalt gebieten können. Von 100 auf 0 in 30,8 Metern und zehnmal hintereinander aus 180 km/h in den Stillstand ohne Fading – das ist eine Kampfansage, bei der viele andere E-Modelle kapitulieren müssen. Und ein paar klassische Sportwagen gleich mit.

Und dann sagt dir der Beifahrer plötzlich, dass es auf dem nächsten Stück weder Kameras gibt noch viele Polizeistreifen und du ruhig mal ausprobieren kannst, was in dem Auto steckt. Und das ist selbst mit zwei Dritteln der Leistung mehr als genug. Der Wumms beim Kavalierstart mit Kickdown, der dich in weniger als zwei Sekunden auf Tempo 100 katapultiert, trifft dich wie ein Blitz aus heiterem Himmel und bringt die Auffassungsgabe des Fahrers an ihre Grenzen, so explosiv ist die Beschleunigung. Und kaum hat man sich wieder gesammelt und realisiert, dass da weder ein Lucid Air Sapphire mithalten kann, noch ein Tesla Model S Plaid oder ein Porsche Taycan Turbo GT, sind nach 5,86 Sekunden Tempo 200 erreicht und man schneidet mit einer Verve und einer Souveränität durch die Kurven, dass einem Angst und Bange wird. Nicht um Leib und Leben, sondern um den Führerschein. Und da reden wir noch gar nicht von den unerreichten 350 km/h Top-Speed, die in China wahrscheinlich für „Lebenslänglich“ reichen. Denn anders als so viele vermeintliche Super- oder Hypersportwagen aus China ist der Xiaomi nicht nur auf der Geraden schnell, sondern vermittelt ein mindestens so gutes Gefühl für die Fahrbahn und ihren Verlauf wie ein Taycan, ist ähnlich präzise, vorhersehbar und beherrschbar. Chapeau China, da haben die Entwickler einen guten Job gemacht.

Zum fahrdynamischen Feinschliff in den traditionellen Disziplinen der Petrolheads gibt es natürlich – so viel sind die Chinesen der Generation Smartphone schon schuldig – auch jede Menge digitales Gedöns. Wer bei all der Raserei oder zumindest später im Feierabendverkehr der Hauptstadt über den großen Touchscreen scrollt, findet dort deshalb mehr Telemetriedaten als am Kommandostand eines Formel-Teams und auch das Layout für über ein Dutzend Rennstrecken dieser Welt – den Nürburgring natürlich inklusive.

So schnell Xiaomi auf der Nordschleife war, so viel Zeit lassen sich die Chinesen mit ihren Expansionsplänen – erst 2027 wollen sie im Ausland starten, hat Präsident Lu Weibing kürzlich angekündigt und dabei noch völlig offen gelassen, welche Märkte sie dann bedienen wollen. Das mag auch daran liegen, dass sie mit dem SU7 in einem Segment antreten, das für die Elektrifizierung offensichtlich nicht das aussichtsreichste ist. Nicht umsonst gilt etwa der Porsche Taycan mittlerweile als Ladenhüter und hat sich für die Schwaben vom Vorreiter zum Sorgenkind entwickelt. Aber der flotte Viertürer muss sich den Weg nach Westen ja auch nicht alleine bahnen. Sondern vor ein paar Wochen hat Xiaomi als zweites Modell den YU7 vorgestellt (und dieser Tage auch eingepreist), der als betont dynamisches SUV gegen Porsche Macan, Audi Q6 und die stärkeren Versionen des Model Y positioniert ist, auch bei uns sicher die besseren Chancen hätte.

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