
VWs MEB ist cool geworden: Cupra Tavascan VZ im Test
Einst als großer Hoffnungsträger gestartet und im Tal der Software-Tränen gelandet – Volkswagens modularer Elektrobaukasten (MEB) löst bis heute bei vielen Menschen gemischte Gefühle aus. So weitsichtig die strategische Entscheidung für eine reine Elektroplattform war (zu einem Zeitpunkt, als viele Wettbewerber sich noch mit Mischplattformen durchgemogelt haben), so durchwachsen war die praktische Umsetzung.
Schlechte Materialqualität und Software-Probleme haben bei vielen Kunden die Freude auf die elektrische Zukunft getrübt. Jetzt schickt sich Cupra an, alles besser zu machen. Mit einem Auto, das unverkennbar MEB ist, aber doch viel cooler, schöner und ausgereifter als so manches Schwestermodell daherkommt.
Wir haben den Cupra Tavascan intensiv getestet und uns gefragt: Warum ging das eigentlich nicht gleich so?
Spanischer Schönling
Der Tavascan hat trotz ähnlicher Abmessungen wenig von der ambitionslosen Weichgespültheit eines ID.5. Klare Linien, ein kantiges Gesicht, stylische Außenbeleuchtung – der sieht richtig gut aus. Regelmäßig drehen sich die Köpfe nach dem Wagen um und auf der Autobahn machen andere Verkehrsteilnehmer die linke Spur zuverlässig frei, wenn sie das böse Grinsen im Rückspiegel sehen.





Auch innen hat er so gar nichts mit der gähnenden Leere der ID.-Reihe gemeinsam, sondern ist eine spannende Kreuzung aus Raumschiff und Batmobil. Die Bronze-Akzente, die metallische Optik, die Designelemente in den Türen und die sportlicher gestalteten Sitze negieren jede Verwandtschaft zu den VW-Schwestermodellen. Die Verarbeitungsqualität ist tadellos, es klappert und knarzt nichts, an Dämmung und Unterschäumung wurde nicht gespart – dafür aber an der Haptik. Das Cockpit sieht zwar gut aus, fasst sich aber nicht gut an. Auch gutaussehendes Plastik bleibt eben Plastik.
Es stimmen aber die Details: Am Blinkerhebel ist auch die Scheibenwischer-Regelung untergebracht – wer diese aufgeräumte Anordnung einmal in einem Mercedes oder den älteren Tesla-Modellen schätzen gelernt hat, will nichts anderes mehr.
Cupra kann Software
Der Direktstart über einen Tritt aufs Bremspedal – ohne Umweg über einen Startknopf – fühlt sich richtig an, die einzig logische Option für Autos mit Elektromotor. Dabei fällt uns auf, dass der „Kaltstart“ mittlerweile so blitzschnell läuft: Das Infotainment ist sofort wach, die Kamera sofort da, das Radio sofort an.
Ganz generell ist die Software mittlerweile nahezu perfekt. Alles läuft sehr flüssig und responsiv, Navi und Ladeplaner arbeiten schnell und korrekt, alles ist aufgeräumt und man findet sich leicht zurecht. Abzüge gibt es für das fehlende integrierte Musikstreaming und die immer noch etwas beschränkte Sprachsteuerung.
Erfreuliche MEB-Stärken
Von der sportlichen Optik abgesehen kann der Tavascan die Verwandtschaft und seine Baukasten-Wurzeln dann doch nicht ganz kaschieren – was wir aber größtenteils positiv bewerten. Das Platzangebot ist für die Größenklasse üppig, gerade das Level an Beinfreiheit im Fond sucht man bei vielen Wettbewerbern ähnlicher Größe vergeblich. Das Fahrwerk ist gewohnt angenehm, Windgeräusche sind auch bei hohen Geschwindigkeiten leise, die Lenkung ist präzise und die Fahrmodi sind ein nettes Gimmick.
Die Rekuperation ist mit verschiedenen Stufen, B-Modus und Automatik-Option Benchmark: Egal ob man nun One-Pedal-Drive, Segeln will oder lieber eine variable, Radar-basierte Verzögerung hat – es ist für jeden etwas dabei.
Eine bequeme Ergänzung sind dafür die Schaltwippen und zwei Knöpfe für die Fahrmodi am Lenkrad. Bei Letzteren gibt es die Auswahl zwischen „Range“, „Normal“, „Performance“ und „Cupra“. Die ersten beiden machen genau das, was man erwartet, in „Performance“ geht alles etwas flotter und auf „Cupra“ wird das Auto richtig giftig, spricht flink auf Stromstöße an und hängt sich danach wieder bissig in die Rekuperation.
Assistenzsysteme überzeugen
Ein weiterer Vertreter der soliden Wolfsburger Hausmannskost ist der Travel Assist, ein absolut unterschätztes Feature, das der VW Konzern markenübergreifend viel zu wenig bewirbt. Kritiker mögen einwerfen, dass es sich nur um ein Level-2-System handelt und VW auf jegliche Level 3 Spielereien verzichtet – aber dafür ist die Umsetzung hervorragend. Egal ob durch den Stau kriechen oder auf der Autobahn flott mitschwimmen, er hält Spur und Abstand perfekt. Dabei lässt er behutsame Fahrereingriffe zu, ohne sich abzuschalten. Im Stau ist es praktisch, dass man ihn mit sanftem Druck überzeugen kann, eine Rettungsgasse zu bilden. Im Head-up-Display wird mit bunten Linien klar verständlich angezeigt, ob das System die Spur erkennt und Spurwechsel laufen zügig und zuverlässig.
Wenn man den Abstand auf die niedrigste Stufe stellt, kann das System sogar richtig dynamisch fahren, flott beschleunigen oder bestimmt bremsen – beides aber nie zu hart. In der Stadt tut sich der Spurhalteassistent zwischen Radwegen, Falschparkern und Abbiegespuren meist schwer, der Abstandsregeltempomat bleibt aber zuverlässig: Das Schleichen durch die Rush Hour geht ohne ein einziges Mal die Pedalerie zu berühren, trotzdem gibt es keine Ruckler, kein zu dichtes Auffahren aber auch keine zu großen Lücken.
Enjoy the silence
Im Vergleich zu chinesischen und koreanischen Fahrzeugen lernt man die himmlische Ruhe schätzen: Nichts bimmelt, piept oder meckert. Der Tavascan macht etwas, was vielen modernen Autos abhandengekommen ist: Er nervt nicht.
Der Geschwindigkeitspflichtpiepser meldet sich nur zweimal ganz sanft und ist angenehm leicht zu überhören, kein Vergleich zum penetranten Pfeifkonzert anderer Fabrikate. Wir haben ihn nicht ein einziges Mal abgeschaltet, weil er schlicht nie gestört hat.
Das Augmented-Reality-Head-up-Display mit den auf der Kreuzung stehenden Abbiegepfeilen ist immer noch eine wahre Freude, wie ein guter Beifahrer, der einem genau im richtigen Moment präzise beschreibt, wann man wohin abbiegen muss. Zusätzlich weiß das Navi immer, auf welcher Fahrspur einer Autobahn man sich befindet und signalisiert via Headup-Display und LED-Leiste unter der Frontscheibe, wann man die Spur wechseln muss.






Alte Bekannte: MEB-Schwachstellen
Leider sind auch einige bekannte MEB-Schwächen wieder mit an Bord: Das Lenkrad des Grauens voller fettglänzender Touchbuttons und die Fensterheber mit einem ebenso sinnlosen Touchbutton zum Wechseln zwischen vorderen und hinteren Fenstern. Das simple wie geniale Konzept, vier Fensterknöpfe zu verwenden (für jedes Fenster einen!) wurde hier ohne Not kaputtoptimiert. Den „REAR“-Touchbutton aktiviert man zuverlässig jedes Mal ungewollt und lässt an jeder Parkhaus-Schranke wie ein überforderter Fahranfänger immer das hintere Fenster herunter. Wenn hinten ein freundlicher Mitfahrer sitzt, der das Parkticket entgegennehmen kann, mag das sinnvoll sein – für 90 Prozent der Nutzer ist es einfach nur Murks.
Ladeleistung: Je nach Fahrprofil ein Manko
Ebenfalls ernüchternd sind die 140 kW DC-Ladeleistung. Zwar wird diese durch eine sehr hohe Durchschnittsladeleistung relativiert, der 10-auf-80-Prozent-Ladehub vergeht in 30 Minuten mit einem Durchschnitt von 120 kW. Aber nichtsdestotrotz gibt es z.B. bei Xpeng oder Kia-Hyundai in dieser Preisklasse eben auch schon seit geraumer Zeit potente 800-Volt-Systeme, die deutlich flotter sind. Für Familienurlaube geht die Ladezeit des Tavascan in Ordnung, jede Pause mit Kindern dauert länger. Für eilige Geschäftsreisende könnte es aber manchmal etwas zäh werden.
Entschärft wird die Thematik durch eine Ladeleistungsprognose samt Heizungsbutton: Auf Knopfdruck wird die Batterie auf vorkonditioniert, dabei teilt das System mit, was die maximal mögliche Ladeleistung ist und wie viele Minuten es brauchen wird, um die Akkus auf Wohlfühltemperatur zu bringen.
WLTP-Verbrauch im Stadtverkehr unterschritten
Verbrauchsarm waren die MEB-Fahrzeuge schon immer, mit dem neuen Motor AP550 ist die Effizienz aber nochmal gesteigert worden. Im Stadtverkehr bewegt sich der Tavascan mühelos mit 13 kWh auf 100 Kilometern und kratzt damit an 600 Kilometern realer Reichweite. Bei 120 km/h auf der Autobahn stehen 18 kWh/100km auf der Uhr und selbst bei sportlicher Fahrweise überschreiten wir die 25 kWh/100km kaum. Der Gesamtschnitt zum Testende lag bei 20,5 kWh/100km, was mit dem 77-kWh-Akku 375 Kilometern Alltagsreichweite entspricht – wohlgemerkt bei meist sportlicher Fahrweise im Cupra Mode. Mit ein bisschen mehr Zurückhaltung sind im Sommer 400 bis 450 Kilometer problemlos mit einer Akkuladung machbar.
Fazit: Cupra als Vorbild für den ganzen VW-Konzern
Der Tavascan ist das, was alle MEB-Derivate eigentlich 2019 schon sein wollten: Ein ausgereiftes Elektroauto, das die Vorteile seiner Plattform gut ausspielt und jeden Verbrenner alt aussehen lässt. Die Kinderkrankheiten sind passé, in vielen Bereichen ist der Wagen überdurchschnittlich gut, Sparkompromisse macht er an den richtigen Stellen und über kleinere Fehlerchen kann man gut hinwegsehen. Die Assistenzsysteme und das Head-up-Display sind echte Premiumfeatures zum Mittelklassepreis.
Nach Jahren von Spott und Hohn für Software-Probleme und technische Zipperlein besinnt der VW Konzern sich auf seine Kernkompetenzen zurück und zeigt, dass sie auch elektrisch richtig gute Autos bauen können – sie müssen nur wollen.
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