Autogipfel okt ps
Bild: Peter Schwierz
HintergrundPolitik

Warum das E-Auto auf der Hauptstraße fährt – und doch alle über Verbrenner reden

Der Bundeskanzler hält 100 % Elektromobilität für technisch ausgeschlossen, die VDA-Präsidentin will Hybride nach China exportieren und die IG Metall den Zulieferern mehr Zeit verschaffen. Die Learnings vom Autogipfel im Kanzleramt.

Das Bundeskanzleramt in Berlin ist an diesem Donnerstag erstmal von E-Autos zugeparkt. Stoßstange an Stoßstange stehen sie in der WIlly-Brandt-Straße. „Mehr Elektro Wagen“ prangt in gelben Lettern auf den Türen der angemieteten Stromer. Damit hat Greenpeace den Ton gesetzt – und den TV-Sendern schöne Bilder zum Thema des Tages serviert.

Drinnen geht’s weniger bunt zu. Und es zieht sich. Beim „Automobildialog der Bundesregierung“, wie die Veranstaltung offiziell heißt, dauert es erstmal länger. Die Pressekonferenz beginnt mit 20 Minuten Verspätung. Vor der versammelten Hauptstadtpresse spricht zunächst VDA-Präsidentin Hildegard Müller. Allein das kann man schon als bemerkenswert bezeichnen. Dann darf IG-Metall-Chefin Christiane Benner ran, danach SPD-Chef Lars Klingbeil und am Schluss der Bundeskanzler. Friedrich Merz setzt dann auch den Ton: „Einen harten Schnitt 2035 darf es nicht geben“, sagt Friedrich Merz zum sogenannten „Verbrenner-Verbot“. Das sei technisch nicht möglich, so der CDU-Politiker. „Einen solchen harten Schnitt im Jahr 2035 wird es, wenn es nach mir geht – und ich werde alles tun, das zu erreichen – nicht geben“, so Merz.

Und damit wären wir bei Learning Nummer 1:

Friedrich Merz traut der Elektromobilität nicht

Der Bundeskanzler setzt, das ist nicht neu, auf Technologieoffenheit. Und dennoch sagt er: „Der Weg zur Elektromobilität ist eröffnet. Dieser Weg wird weitergehen und er wird die zentrale Antriebstechnologie der nächsten Jahre voraussichtlich sein.“ Aha.Voraussichtlich? Hier schränkt der Kanzler weiter ein: „Jedenfalls nach allem, was wir heute technologisch abschätzen können.“

Trotzdem müsse die Automobilindustrie auch andere Lösungen entwickeln. Und so will Merz die Hersteller und Zulieferer „ermutigen, in allen denkbaren Antriebstechnologien weiter zu forschen und zu entwickeln und dafür zu sorgen, dass wir auf unterschiedlichste Weise das Thema Klimaneutralität gemeinsam erreichen.“ Alle möglichen Technologien? Auf unterschiedlichste Weise? In zehn Jahren? Weiß der Kanzler, was das kostet? Vermutlich nicht. Deshalb sagt er auch, Elektromobilität werde „sozusagen die Hauptstraße, auf der gefahren wird“, sein. Fahren die anderen Technologien – mutmaßlich der Verbrennungsmotor, denn konkreter wird Merz nicht – dann künftig nur auf Nebenstraßen? Als Zuhörer hat man nach Merz‘ Rede jedenfalls mehr Fragen als Antworten.

Villeicht wäre es für die Unternehmen aus dem eMobility-Ökosystem mal an der Zeit, dem Kanzler Nachhilfe zu geben. Wie hieß es früher bei den Schaufenstern doch gleich: Elektromobilität muss erfahrbar sein! Vielleicht wäre es gut, Friedrich Merz mal länger in ein E-Auto, in einen Elektro-Truck oder in einen elektrischen Stadtbus zu setzen, damit er seine Scheu vor dieser Technik verliert.

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Bild: Peter Schwierz

Womit wir zum Learning Nummer 2 kommen:

Der Druck kommt von den Zulieferern

Bei den früheren Gipfeltreffen der Bundesregierung mit der Autobranche unter Leitung von Angela Merkel oder auch Olaf Scholz waren meist vor allem die Hersteller zugegen und haben das Wort geführt. Heute aber kommen auch die CEOs der großen Zulieferer aus dem Besprechnungsraum im Kanzleramt, etwa Mahle-CEO Arnd Franz oder der neue Vorstandschef von ZF, Mathias Miedreich.

Warum, das macht IG-Metall-Chefin Christiane Benner deutlich: „Wir haben hier heute vertreten die Beschäftigten bei den Zulieferern, deren Zukunft an der Zukunft der Verbrennungstechnologie oder alternativer Antriebe hängt.“ Man könnte es so übersetzen: Benner vertritt einerseits Unternehmen, die sich schon voll auf die Elektromobilität eingelassen haben – und jetzt an deren langsamen Hochlauf kranken – und andererseits Zulieferer, die noch voll am Geschäft mit Verbrennern hängen. „Also ein enormes Spannungsfeld“, wie Benner freimütig zugibt.

Sie fordert deshalb: „Wir brauchen von der Politik in Berlin und Brüssel zweierlei. Erstens eine volle Offensive für Elektromobilität und zweitens gleichzeitig eine Flexibilisierung der CO2-Regeln bei Hybridantrieben und auch alternativen Kraftstoffen.“ Genau darauf läuft es – das wird in den Hintergrundgesprächen am Rande der Pressekonferenz deutlich – am Ende wohl hinaus.

Deutschland soll zwar grundsätzlich auf Elektro-Kurs bleiben, aber dem Verbrennungsmotor – mit dem man sich eben gut auskennt und der dort Beschäftigung sichert, wo Alternativen verschlafen wurden – ein Überleben in Range-Extender-Fahrzeugen und Plug-in-Hybriden sichern. Nicht Verbrenner-Verbot, sondern Verbrenner-Erlaubnis – und wenn auch nur als Hilfsaggregat.

Hier, so hört man, sind sich Union und SPD eigentlich auch schon einig. Oder um es mit Christiane Benner zu sagen: „Die Unternehmen sollen mehr Spielraum bekommen, möglicherweise durch die Veränderung der Regulierung.“ Und so verwundert es kaum, dass dann auch SPD-Chef und Vize-Kanzler Lars Klingbeil sagt: „Wir brauchen mehr Flexibilität, wir brauchen Pragmatismus und wir müssen immer wieder in den Fokus nehmen, dass es darum geht, eine starke Industriebranche und Arbeitsplätze hier in unserem Land aufrecht zu erhalten.“

Es gibt allerdings einen Störfaktor. Und der kommt aus Bayern.

Und damit wären wir bei Learning 3:

Klimaneutralität 2035 ist der eigentliche Zielkonflikt

Egal ob eine Aufweichung der aktuellen CO2-Regulierung auf EU-Ebene eine Aussicht auf Erfolg hat (hier müssten die anderen EU-Länder mitziehen) oder nicht: Union und SPD sind sich – so klingt es jedenfalls in den Gesprächen, die man im Kanzleramt am Rande des Gipfels so führen kann – schon einig darin, dass sie Ausnahmen für Range Extender und Plug-in-Hybride erreichen wollen. Aber mit dem Anspruch, dass der Autoverkehr 2035 in Summe dennoch klimaneutral ist. Das könnte über synthetische Kraftstoffe erfolgen oder aber durch die Anrechnung etwa von grünem Stahl für den Autobau. So jedenfalls die Theorie. So richtig durchgerechnet hat das ganz offensichtlich noch niemand.

Deutlich wird aber auch: Markus Söder (CSU) spielt nicht mit. Der bayerische Ministerpräsident will – so berichten es führende SPD-Politiker – die Klimaneutralität des Autoverkehrs als Ziel für das Jahr 2035 loswerden. Und das ist dann natürlich auch eine völlig andere Story als ein paar Ausnahmen für Range Extender und PHEVs. Auch dadurch bleibt bei diesem Autogipfel am Ende offen, was eigentlich die Kernbotschaft ist – und wie Berlin jetzt konkret auf Brüssel einwirken will. Klar ist irgendwie nur, dass nichts klar ist.

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Was uns zu Learning Nummer 4 bringt:

Dem VDA gehen die Narrative aus

Hildegard Müller ist bei der Elektromobilität schon länger in der Zwickmühle. Die VDA-Präsidentin hat als Ausrede für den schleppenden Hochlauf der Elektromobilität lange die nicht ausreichende Ladeinfrastruktur bemüht. Dieses Narrativ bemüht sie auch an diesem Tag – allerdings etwas abgewandelt. Sie sagt: „Der mangelnde Ausbau der Ladeinfrastrukturen und Stromnetze in Europa kann nicht der Automobilindustrie angelastet werden.“ In Europa also. Hört, hört! Es soll natürlich trotzdem im Gedächtnis bleiben, dass die Rahmenbedingungen nicht stimmen, dass da jemand anderes seine Hausaufgaben nicht gemacht hat. Dass es die deutsche Automobilindustrie ist, die ihr Versprechen von bezahlbaren Elektroautos bisher nicht eingelöst hat, verschweigt sie lieber.

Interessant ist an diesem Tag aber ein ganz neues „Argument“, das sie auf Nachfrage eines Kollegen ins Spiel bringt: „Die Welt fährt verschiedene technische Optionen. In China gehört zum Beispiel zur Elektromobilitätsdiskussion nicht nur der reine BEV, sondern auch der Plug-in-Hybrid und der Range Extender dazu. Das ist der größte Einzelmarkt der Welt. Wenn wir unsere Absatzzahlen und damit auch Beschäftigtenverhältnisse hier halten wollen, müssen wir allein aus dem Grund heraus schon an der Lage sein, klimaneutrale Technologien verschiedener Art anzubieten“, sagt Müller.

Das muss man sich kurz mal auf der Zunge zergehen lassen: Die deutsche Automobilindustrie soll ihre Marktanteile in China, die aufgrund des eklatanten Mangels an rein elektrischen Fahrzeugen gerade wegbröseln wie trockener Mörtel von einer alten Mauer, durch Verbrenner-Hilfsaggregate retten? Um die Beschäftigung in Deutschland muss einem spätestens jetzt Bange werden.

5 Kommentare

zu „Warum das E-Auto auf der Hauptstraße fährt – und doch alle über Verbrenner reden“
SepulNation
09.10.2025 um 22:01
Es ist wohl zu viel verlangt, aber wie cool wäre da mal ein: "Ja wir haben es versemmelt, aber hey, jetzt drehen wir richtig auf!". Aber ich höre nur mimimi China mimimi EREV, ... Es geht ja auch um die Unabhängigkeit von den Fossilen, die ja eben NICHT in Deutschland produziert werden... Wieso können sie den ganzen EE-Strom nicht als Geschenk sehen, um damit die ganze Flotte zu versorgen? Was soll das mit der Ladeinfrastruktur...? Die meisten Ladesäulen sind ja dauernd frei... die meisten laden ZUHAUSE und/oder auf ARBEIT! Wissen die das nicht? Naja, was rege ich mich auf... ist nicht mein Land :P
Constiller48
09.10.2025 um 22:27
Super Artikel! Vielen Dank
Émile
09.10.2025 um 22:32
WTF .. Deutschland kann echt einpacken und in die Vergangenheit reisen. Ganz Europa lacht sich über diese Pappnasen. Wäre uns (Frankreich) eigentlich egal, würde nicht die deutsche Lobby-Gurkentruppe in Brüssel und Straßburg versuchen unsere gemeinsame Zukunft zu manipulieren (besser sabotieren). Alternative Kraftstoffe sind komplett am Arsch, dass ist einfach Bullshit. Soviele Pflanzen können überhaupt nicht angebaut werden. Ich kann Peter Schwierz nur zustimmen: Eure Industriellen scheinen so stubborn zu sein, dass sie lieber die letzten Verbrennergewinne abräumen und die konventionelle Automobilindustrie in den 30ern crashen.
M.
09.10.2025 um 23:03
Was ein armseliges Schmierentheater!
Jens
09.10.2025 um 23:10
Ein schlechter Scherz vom Kanzler. Was erwartet er? Das E-Autos plötzlich teurer und schlechter werden? Der gute Mann hat doch mal in der freien Wirtschaft bei einem Vermögensverwalter gearbeitet. Hat er da den Boden feucht aufgenommen? Aber selbst dann sollte er mal was von Skaleneffekten gehört haben. Wer so naiv ist und denkt 2030 werden noch Hybride oder gar Verbrenner im grossen Stil verkauft, der sollte wohl besser nicht Bundeskanzler sein...

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