Daimler-Vorstand stellt E-Campus in Untertürkheim in Frage

In dem schwelenden Konflikt bei Daimler zwischen Management und Arbeitnehmervertretern wird der Ton rauer. Nachdem der Betriebsrat den Vorstand im Streit um die Zukunft des Stammwerks Untertürkheim stark angegriffen hatte, droht dieser nun mit dem Abzug eines wichtigen Zukunftsprojekts.

In einem internen Schreiben an die Mitarbeiter zog der Vorstand zwei klare Optionen auf: Sollte der Betriebsrat seine Blockadehaltung aufgeben, werde das geplante Kompetenzzentrum für Elektromobilität in Untertürkheim gebaut. Werde aber ein Teil der bisherigen Produktion wie vom Betriebsrat gefordert nicht verlagert, müsse das Zukunftsprojekt an einem anderen Mercedes-Standort entstehen. Die Zukunftsfähigkeit des Stammwerks wäre dann ungewiss, da viele dort gebauten Komponenten im Zuge der Antriebswende nach und nach wegfallen. Im Dezember 2019 hatten sich Betriebsrat und Management zwar darauf geeinigt, Teile des elektrischen Antriebsstrangs (eATS) am Standort Untertürkheim zu produzieren. Die technologische Kompetenz läge künftig ohne den E-Campus aber nicht mehr im Stammwerk.

Im Kern dreht sich der Streit um die konkrete Umsetzung der Sparpläne der Konzernführung um den Vorstandsvorsitzenden Ola Källenius für die Pkw- und Lkw-Werke des Konzerns. Während unter Källenius’ Vorgänger Dieter Zetsche zahlreiche neue Baureihen hinzukamen und Volumen vor Marge ging, schwebt dem Schweden ein kleinerer, aber profitabler Konzern vor, der zunehmend vernetzte und elektrifizierte Fahrzeuge baut, die jeweils am oberen, margenträchtigen Ende des Segments angesiedelt sind.

Für diesen Konzern werden aber weniger Angestellte benötigt. Konkret sollen in den kommenden Jahren im Stammwerk Stuttgart-Untertürkheim 4.000 von 18.500 Stellen gestrichen werden. Dort werden keine Fahrzeuge gebaut, sondern Motoren, Getriebe und Achsen. Um das Werk angesichts wegfallender Komponenten im Zuge der Antriebswende zukunftsfähig zu machen, soll dort ein Kompetenzzentrum für Elektromobilität, auch „E-Campus“ genannt, entstehen. Laut Entwicklungsvorstand Markus Schäfer sollen „mehrere Hundert Millionen Euro“ in ein Kompetenzzentrum für Batterien, eines für elektrische Antriebe und Achsen sowie eines für Motoren investiert werden.

Nur: Um dafür Platz zu schaffen, will das Management die Kurbelwellenproduktion ins polnische Werk Jawor auslagern. Ein Schritt, den der Betriebsrat in dem zunehmend öffentlich ausgetragenen Konflikt nicht mittragen will. Das Management agiere „absolut beratungsresistent“, sagte Betriebsratschef Michael Brecht bereits am Wochenende dem „Handelsblatt“. Der Vorwurf: Der Vorstand überziehe bei den Sparvorhaben. Der Betriebsrat äußerte öffentlich die Befürchtung, dass einzelne Lkw-Standorte sogar um 40 Prozent schrumpfen könnten, was einem „Kahlschlag“ gleich käme.

In der Folge veröffentlichte der Vorstand zwei interne Schreiben an die Belegschaft. In einem wehrte sich Daimler-Truck-Vorstand Martin Daum gegen den Begriff „Kahlschlag“, da das unterstelle, man werde willkürlich Stellen streichen. Der Stellenabbau in Aggregate-Werken sei „leider unvermeidlich“, Daum verwies auch auf das Schicksal von Nokia beim Aufkommen der Smartphones.

In einem zweiten Schreiben äußerten sich Schäfer und Produktionschef Jörg Burzer zu der Lage in Untertürkheim. Das Stammwerk müsse entschlossen in Richtung Elektromobilität marschieren. „Wenn wir das nicht tun, gefährdet das Untertürkheim, aber auch das gesamte Unternehmen und seine Beschäftigten“, schreiben die beiden Manager in dem Flugblatt, aus dem unter anderem das „Handelsblatt“ zitiert.

„Festhalten am Status quo ist keine Option“

Die Arbeitnehmervertreter berufen sich bei ihrer Blockade auf bestehende Vereinbarungen zur Beschäftigungssicherung. Der Vorstand argumentiert, die Lage habe sich seitdem verändert, „Festhalten am Status quo ist daher keine Option“, so Schäfer. Einen Kompromiss, einen Teil der Kurbelwellenproduktion im Neckarteil zu halten, was von Schäfer als „kostenintensiveres Konzept“ bezeichnet wurde, hat der Betriebsrat ebenfalls abgelehnt.

Daher droht Schäfer nun offen, das Zukunftsprojekt E-Campus an einem anderen Mercedes-Standort zu errichten. „Klar ist: Kommt die neue Kurbelwellenfertigung in vollem Umfang nach Untertürkheim, müssen wir für den Campus Mercedes-Benz Drive Systems alternative Szenarien prüfen“, sagt der Entwicklungsvorstand. „Denn eine Bündelung von Zukunftstechnologien ist dann aus Platzgründen in Untertürkheim nicht mehr möglich.“

Damit liegt der Ball nun in der Hälfte des Betriebsrats – blockiert dieser weiter, wird der Vorstand die Arbeitnehmervertreter für den Verlust des Elektro-Projekts verantwortlich machen. Das letzte Wort scheint noch lange nicht gesprochen. Offen ist noch, wann die Parteien wieder hinter verschlossenen Türen verhandeln: Die Gespräche sind wegen der unterschiedlichen Vorstellungen derzeit unterbrochen.
handelsblatt.com, kfz-betrieb.vogel.de, stuttgarter-nachrichten.de

1 Kommentar

zu „Daimler-Vorstand stellt E-Campus in Untertürkheim in Frage“
Hans Herbert
27.11.2020 um 09:02
Braucht man Kurbelwellen für den Aufbau eines Elektro-Lkw? Ich glaube nicht. An der Beschäftigung an Standorten festzuhalten, ist das gute Recht eines Betriebsrats. Dies allerdings an alter Technologie festmachen zu wollen, ist ein unkluges Unterfangen. In den nächsten 5 Jahren wird sich auch die Welt der Lkw drastisch ändern, denn gerade im Transport ist der Kostenvorteil der Elektroantriebe klar erkennbar. Bei batterieelektrischen Lkw erkennt E. Musk eine Effizienzschwächung von 2,5 % durch das Gewicht. Dem stehen aber Berichte von 20-30 % Gewinn bei den Betriebskosten gegenüber. Damit dürfte die Dynamik beschrieben sein.Die Parteien sollten sich an einen Tisch setzen und nach Konzepten suchen, die sich an neuer Technologie orientieren. Diese bietet auch neue Beschäftigungschancen, die sich zum Teil erst noch herausschälen. Das Unternehmen könnte sich verpflichten, nach Feldern zu suchen, in denen möglichst viel neue Technologie im eigenen Haus hergestellt wird. Es könnte auch sein, dass sich neue Betätigungsfelder ergeben, z.B. das Mercedes Batterie-Pack. Warum sollte man die unbedingt fortschreitende Kreativität alleine Tesla überlassen? Hier muss sich der Betriebsrat auf unternehmenspolitische Ziele einlassen und auch eine schwierige Übergangszeit akzeptieren. Er kann nur versuchen, das Beste daraus zu machen, andernfalls gefährdet er das ganze Unternehmen.

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