Polestar 2 Single Motor: Ein Motor reicht mehr als aus – meistens

Rund ein Jahr nach dem Marktstart des allradgetriebenen Polestar 2 hat der schwedisch-chinesische E-Autobauer zwei Frontantriebs-Versionen seiner Mittelklasse-Limousine nachgereicht. Die erste Ausfahrt zeigt, ob die Stärken oder Schwächen des Antriebskonzepts überwiegen.

In diesem Fahrbericht liegt der Fokus auf dem neuen Single-Motor-Antrieb und den Software-Updates. Für allgemeinere Eindrücke zu dem Polestar 2 verweisen wir auf unseren Fahrbericht zur Premiere 2020 und unseren ausführlicheren Wintertest, den wir im Februar 2021 veröffentlicht haben – beide Male sind wir die 300 kW starke Allrad-Version (inzwischen als „Dual Motor“ bezeichnet) mit dem optionalen Performance Pack gefahren.

Für die beiden „Single Motor“-Varianten hat Polestar aber nicht den E-Motor an der Vorderachse, sondern jenen an der Hinterachse weggelassen. Für ein einmotoriges Elektroauto ist der Frontantrieb ungewöhnlich – sofern es die Plattform unterstützt, entscheiden sich die Hersteller hier meist für einen Heckantrieb.

Die neuen Varianten setzen weiterhin auf den bekannten permanenterregten Synchronmotor, statt jeweils 2x 150 kW beim Dual Motor steigt die Leistung leicht – auf 165 kW mit der kleineren und 170 kW mit der großen Batterie. Letztere sorgt für eine WLTP-Reichweite von bis zu 540 Kilometern, während die „Standard Range“-Batterie für 440 Kilometer nach WLTP reichen soll. Die fünf Kilowatt Unterschied sollen dafür sorgen, dass beide Single-Motor-Varianten die gleichen Fahrleistungen haben – das „Long Range“-Modell kann also trotz des etwas schwereren Akkus ebenfalls in 7,4 Sekunden auf 100 km/h beschleunigen, die Höchstgeschwindigkeit liegt bei jeweils 160 km/h.

Für die Testfahrt hat uns Polestar eben jenes „Long Range“-Modell zur Verfügung gestellt. Dieses nutzt die gleiche Batterie wie die bekannte „Dual Motor“-Version – der Akku aus LG-Zellen kommt auf 78 kWh brutto und 75 kWh netto. Der neue „Standard Range“-Akku mit 64 kWh brutto verzichtet nicht auf einige Module, sondern nutzt gänzlich andere Zellen – sie werden von CATL zugeliefert.

Bei Übernahme des Testwagens in Köln war der Akku zu 96 Prozent geladen, der Bordcomputer schätzte da die Reichweite auf 430 Kilometer – wohlgemerkt mit dem großen Akku. Schnell den Tageskilometerzähler samt Verbrauch nullen und ab zur Testfahrt!

Bei Temperaturen zwischen acht und zehn Grad und teilweise leicht feuchter Fahrbahn sollte eine Fahrt über die A3 Richtung Süden einen ersten Eindruck von den Verbrauchswerten liefern – der Polestar 2 Dual Motor war nicht gerade als Effizienzwunder bekannt, die PSM an der Vorderachse wird beim Allradler selten gebraucht, läuft aber (anders als bei den E-GMP-Modellen von Hyundai-Kia) immer mit.

Bis zum Wendepunkt in Limburg an der Lahn war der Plan, sofern es die Bedingungen zulassen ein Reisetempo von 130 km/h zu fahren. Nach 113,7 Kilometern standen im Schnitt glatte 100 km/h Durchschnitts-Tempo. Darin waren einige wenige Kilometer durch Köln bis zur A3 enthalten, aber auch jede Menge Baustellen und viel Verkehr. Und der Verbrauch? 22,1 kWh/100km laut Bordcomputer. Über weite Strecken haben wir dabei übrigens den neuen Eco-Modus der Klimaanlage genutzt, der mit dem aktuellen P1.7-Update aufgespielt wurde.

Die Rückfahrt mit 100 km/h (wenn möglich) kam auf ein Durchschnittstempo von 89 km/h und einen Verbrauch von rund 18 kWh/100km. Das zeigt den Einfluss der Aerodynamik, der Polestar 2 hat eine recht hohe und steile Front. Allein darin ist der Mehrverbrauch aber nicht begründet: Da die Fahrt mit 130 km/h dazu führte, dass wir im Verkehr deutlich häufiger verzögern und beschleunigen mussten, war die Rückfahrt gleichmäßiger – und ging tendenziell von Limburg zurück ins Rheinland bergab.

Mit 20,1 kWh/100km über 227,3 Kilometer liegt der Polestar 2 SMLR (die Abkürzung für Single Motor Long Range) etwas unter dem Verbrauch der ersten Ausfahrt mit dem Allradmodell (rund 22 kWh/100km bei deutlich besseren Außenbedingungen) und deutlich unter dem Winterverbrauch von 27,3 kWh/100km (bei wiederum schlechteren Außenbedingungen). Der Vollständigkeit halber: Unser Testwagen stand auf Winterreifen, die auf 20-Zoll-Felgen montiert waren. Der Wagen verfügte über das Standard-Fahrwerk, das Performance Pack mit den Öhlins-Dämpfern gibt es nur für den Dual Motor.

Mit unserem Testverbrauch ergibt sich so eine rechnerische Reichweite von 373 Kilometern. Das ist nach wie vor deutlich weniger als der WLTP-Wert (allerdings mit Sommerreifen ermittelt), dürfte aber im Flotten-Einsatz mit rund 300 Kilometern zwischen zwei Ladestopps vollkommen ausreichend sein – zumal beim Laden mit dem jüngsten Update ein großer Kritikpunkt ausgeräumt wurde.

Software-Update bringt Batterie-Vorkonditionierung

Die maximale DC-Ladeleistung bleibt zwar auch mit dem P1.7-Update bei 155 kW, dank der Batterie-Vorkonditionierung vor geplanten Schnelllade-Stopps soll die bestmögliche Ladekurve (die mit den vorangegangenen Updates ebenfalls verbessert wurde) deutlich öfters und zuverlässiger erreicht werden können – bei unserem Wintertest startete der Ladevorgang nach 50 Minuten Autobahnfahrt und 15 Prozent Ladestand mit gerade einmal 68 kW.

Ein neuerlicher Lade-Test bei unserer Testfahrt musste leider ausfallen – die angesteuerte Schnellladesäule in Köln war bei unserem Eintreffen belegt. Erste Video-Tests aus Norwegen legen aber nahe, dass die Vorkonditionierung sehr effektiv ist und selbst nach zehn bis 15 Minuten Fahrt am Schnelllader bereits die maximale Ladeleistung anliegt. Unser Autor Christoph M. Schwarzer hat den Polestar 2 SMLR in einigen Wochen in einem ausführlicheren Test – und wird dann die Lade-Erfahrung nachreichen. Eine kleine Anmerkung noch zum Laden: Polestar hat auf die anfängliche Kritik reagiert und zeigt im Fahrerdisplay die aktuelle Ladeleistung in kW an – und nicht mehr die weniger aussagekräftige Ladegeschwindigkeit in km/h.

Den neuen Eco-Modus der Klimaanlage haben wir erst nach einigen Minuten Fahrt aktiviert. Da mit der Funktion Leistung und Energieverbrauch der Klimaanlage reduziert werden, dauerte das Aufheizen des Innenraums auf die eingestellten 21 Grad dem ersten Eindruck nach länger, es fühlte sich kühl an. War der Innenraum auf Temperatur, hat auch der Eco-Modus die 21 Grad leise und zugluftfrei gehalten – ob und wie viel er dabei sparsamer war, können wir aber nicht belegen.

In den meisten Situationen reicht ein Motor

Auch das App- und Video-Angebot im Infotainment hat sich seit dem vorangegangenen Test im Februar deutlich vergrößert. Es sind inzwischen einige Info- und Unterhaltungsangebote auf dem Zentraldisplay verfügbar, um etwa während einer Ladepause für etwas Ablenkung zu sorgen. Kleiner Kritikpunkt: Bei unserer Stichprobe haben wir das „Tagesschau“-Angebot gewählt – dabei wird man aber auf eine Art mobile Website geleitet, Optik und Bedienung weichen dann leicht von dem gewohnten Android-Automotive-System des Polestars ab. Die mobile Website selbst lief aber zuverlässig und ruckelfrei.

Geht das Konzept des Frontantriebs mit über 220 PS Leistung auf? Für die meisten Kunden dürfte die Antwort wohl Ja heißen. Die Beschleunigung an der Ampel und der Autobahn-Auffahrt ist natürlich nicht mit den 300 kW und 660 Nm des Dual Motor zu vergleichen – man fühlt sich aber auch nicht untermotorisiert. Bei voll durchgedrücktem Fahrpedal geht es bei Bedarf auch mit dem Single Motor gut, aber nicht rasant voran.

Der etwas niedrigere Verbrauch und vor allem die geringeren Kosten sprechen ganz klar für die Single-Motor-Versionen. Ob die 3.000 Euro Mehrpreis für die größere Batterie gerechtfertigt sind, hängt wohl vom Einsatzzweck ab. Wer eher Kurzstrecke fährt und planbaren Zugang zu einem AC-Ladepunkt hat, kann sich dieses Geld wohl sparen. Wer auf der Langstrecke unterwegs ist, wird sich über die zusätzlichen Kilometer und kW am Schnelllader freuen.

Bei wenig Haftung und/oder viel Last hilft der Allrad

Doch warum geht das Konzept nur für die meisten Kunden auf? Zumindest mit den montierten Winterreifen musste die Traktionskontrolle beim Ampelstart-Test deutlich spürbar eingreifen – mit 330 Nm an der Vorderachse sind die Reifen leicht an die Haftungsgrenze zu bringen. Je nach Einsatzzweck – etwa in schneereicheren Gebieten oder als Zugfahrzeug mit der klappbaren Anhängerkupplung (1.500 Kilogramm Anhängelast) – bietet der Allradler (+5.470 Euro) sicher das souveränere Fahrverhalten.

A propos Fahrverhalten: Ohne das Perfomance Pack unserer bisherigen Testwagen rollt der Polestar 2 deutlich ruhiger ab, bleibt aber im Grundsatz ein sportlich abgestimmtes Auto. Gerade kurze Stöße wie etwa Querfugen werden bei Autobahn-Tempo spürbar an den Innenraum weitergegeben. Die 19-Zöller, die wir im Anschluss kurz auf einer Runde durch Köln fahren konnten, rollen etwas weicher ab, es bleibt aber bei der Polestar-typischen Federungs-Charakteristik.

An der Hardware sind die Änderungen bisher minimal. Je nach Lackfarbe wird der Kühlergrill leicht angepasst, zudem ist nun eine Wärmepumpe als Teil des „Plus“-Pakets verfügbar. Dieses Paket für 4.500 Euro enthält auch das Panorama-Glasdach mit dem illuminierten Polestar-Logo, das Harman-Kardon-Soundsystem, Sitze mit veganem „WeaveTech“-Bezug sowie die induktive Ladeschale für Smartphones. Das „Pilot“-Paket für 3.500 Euro enthält den Pilot Assist, Park Assist, Adaptive Cruise Control, Pixel-LED-Scheinwerfer und die 360-Grad-Kamera – deren Darstellung wurde auch deutlich verbessert.

Polestar ist nach eigenen Angaben lieferfähig

Die einst vor dem Marktstart angepeilten 40.000 Euro Basispreis schafft der Polestar selbst mit den Frontantriebs-Versionen nur nach Abzug der derzeitigen Förderung. Für den Standard Range sind das 45.500 Euro vor oder 35.930 Euro nach Abzug der Förderung – beim Long Range sind es 48.500 bzw. 38.930 Euro. Für den Dual Motor wurden die Preise (50.970 Euro vor und 41.400 Euro nach Förderung) übrigens inzwischen so angepasst, dass selbst mit den beiden Paketen der Brutto-Listenpreis bei 58.970 Euro liegt. Damit können die Kunden selbst bei dieser Ausstattung noch eine der aufpreispflichtigen Lackierungen wählen, ohne die für die Dienstwagen-Versteuerung wichtige Marke von 60.000 Euro zu reißen – zwischenzeitlich war das nur mit dem schwarzen Standard-Lack „Void“ möglich.

Neben dem Preis-Update gibt Polestar zudem an, auch in Zeiten der Halbleiter-Knappheit lieferfähig zu sein – vorkonfigurierte Fahrzeuge sollen teilweise in drei Wochen verfügbar sein, individuell zusammengestellte Wunsch-Fahrzeuge in drei Monaten. Der Grund ist simpel: Als die Corona-Krise im Frühjahr 2020 aufkeimte, befand sich Polestar gerade im Aufbau seiner Produktion – hätte man zu diesem Zeitpunkt Halbleiter-Bestellungen wie andere Autobauer storniert, hätte man die Produktion gar nicht starten können. Polestar wurde quasi von dem Umständen dazu gezwungen, die Bestellungen laufen zu lassen – was rund anderthalb Jahre später ein großer Wettbewerbsvorteil ist.

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