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InterviewNutzfahrzeug

„Die Technik ist bereit – jetzt geht es um Kosten und Skalierung“ – Anders Grauers über die Zukunft des E-Lkw

Die Lösung für emissionsfreien Güterverkehr ist da – wir müssen nur etwas geduldiger sein, sagt Anders Grauers von der Chalmers University über die Elektrifizierung des Straßengüterverkehrs. Grauers liefert eine erfrischend pragmatische Einschätzung darüber, wo wir heute stehen, was als Nächstes passieren muss – und warum die Elektrifizierung von Lkw möglicherweise schneller und reibungsloser verläuft, als viele glauben.

Die Chalmers University of Technology in Göteborg zählt zu den führenden technischen Hochschulen Schwedens. Sie ist bekannt für ihre enge Zusammenarbeit mit der Industrie und ihre praxisnahe Forschung zu realen ingenieurtechnischen Herausforderungen – unter anderem in den Bereichen Energiesysteme, nachhaltiger Verkehr, Materialtechnik und Digitalisierung. Ihr Ziel: die Transformation zu einer fossilfreien Gesellschaft zu beschleunigen.

Professor Anders Grauers beschäftigt sich seit vielen Jahren mit Elektromobilität, elektrischen Straßensystemen, Batterieauslegung und Strategien zur Energieeffizienz für Nutzfahrzeuge. Seine Forschung ist stark an der Praxis orientiert und entsteht häufig in Kooperation mit großen Industriepartnern in Schweden und Europa. Besonders bekannt ist er für seine systemischen Analysen elektrischer Verkehrslösungen – technisch, wirtschaftlich und gesellschaftlich.

Im Gespräch mit electrive teilt Grauers seine Sicht auf die Entwicklung Batterie-elektrischer Lkw, die Rolle von Wasserstoff und die tatsächlichen Engpässe in der aktuellen Transformation des Straßengüterverkehrs. Anders als viele erwarten, sieht Grauers die technischen Hürden für Batterie-elektrische Lkw bereits als weitgehend überwunden. Die verbleibenden Herausforderungen seien vor allem wirtschaftlicher und organisatorischer Natur.

Wir haben ihn auf dem lebhaften Messegelände der EVS38 getroffen, wo Optimismus und Realismus rund um die Elektrifizierung dicht beieinanderlagen. Grauers’ Einschätzungen wirken in diesem Spannungsfeld wie ein klarer, pragmatischer Kompass.

Was sind aus Ihrer Sicht die größten technischen Hürden bei der Elektrifizierung des Lkw-Verkehrs?

Die Antwort lautet: Es gibt eigentlich keine technischen Hürden mehr.

Keine?

Wir warten nicht auf neue Technologien. Die Hauptfrage ist die der Kosten – und das ist keine technische Hürde, sondern ein Volumenthema. Kosten sinken mit steigenden Stückzahlen. Was mich oft frustriert: Viele sehen gar nicht, wie weit wir schon gekommen sind und wie viele Probleme längst gelöst wurden.

Vor 20 Jahren war man sich einig: Für schwere Lkw gibt es keine Lösung – entweder technisch unmöglich oder zu teuer. Heute haben wir zwei, vielleicht drei funktionierende Konzepte für den Fernverkehr: Batterie-Lkw mit stationärem Laden, Wasserstoff-Lkw und vielleicht elektrische Straßensysteme. Alle funktionieren. Die Frage ist nur: Welches passt am besten?

Woran merkt man, dass die technischen Hürden verschwunden sind?

Ein Problem ist: Wir wollen die Transformation sehr schnell. Normalerweise verlaufen Transformationen langsam – und wenn sie zu schnell laufen, wird’s schmerzhaft. Ein bisschen Geduld braucht es. Gleichzeitig können wir einiges tun, um sie zu beschleunigen: aufklären, zeigen, was möglich ist. Ich arbeite an Großprojekten mit Spediteuren, OEMs und Ladeinfrastrukturbetreibern. Die zeigen, dass es geht. Aber wir brauchen auch gezielte politische Impulse.

Sie haben die Kosten angesprochen. Wie adressiert Ihre Forschung den Zielkonflikt zwischen Batteriegröße, Reichweite und Wirtschaftlichkeit?

Bei Nutzfahrzeugen ist das anders als bei Pkw. Die Batterie ist kein Kostenproblem, sondern ein Gewichtsproblem. Wenn es nur um Kosten ginge, könnten wir heute schon Akkus kaufen, die eine komplette Tagesfahrt abdecken – zu vertretbaren Preisen. Aber das Gewicht ist die Hürde.

Für viele Lkw ist Gewicht kein Thema, weil sie nur 300 Kilometer am Tag fahren. Da kauft man einfach eine Batterie für genau diesen Einsatz. Viele denken auch, dass man die Batterie möglichst klein halten muss, um Kosten zu sparen – das ist ein Irrtum. Kleinere Akkus halten kürzer. Etwas größere Akkus sind unterm Strich günstiger, weil sie länger halten. Die 20 bis 25 Prozent Reserve kosten kaum extra – wenn das Gewicht passt.

Das fließt alles in die TCO-Betrachtung ein.

Genau. Die größere Herausforderung sind kluge Ladestrategien, die die Produktivität nicht beeinträchtigen. Für die meisten Spediteure ist das einfach: Sie laden täglich am Betriebshof, plus gelegentlich an öffentlichen Ladepunkten, wenn sich Pläne ändern. Beim Fernverkehr ist es komplizierter – da müssen täglich 40 bis 50 Prozent der Energie unterwegs geladen werden. Und das muss günstig sein.

Unsere Studien zeigen: Das wird kommen. Aber der Strompreis muss etwa halbiert werden, bevor sich Investitionen in Fernverkehrs-Lkw rechnen. Ladepunktbetreiber tun sich allerdings schwer, in dieser Übergangszeit wirtschaftlich zu arbeiten. Später ist das kein Problem – aber der Aufbau neuer Ladeinfrastruktur ist in den ersten Jahren finanziell anspruchsvoll.
Das öffentliche Schnellladen für Pkw oder Zusatzladen für Lkw lässt sich leichter umsetzen, weil höhere Preise akzeptiert werden. Da läuft die Transformation bereits gut. Für Pkw ist Laden heute schon günstig genug – auch wenn es noch günstiger werden darf.

Öffentliches Laden für Fernverkehrs-Lkw muss also auf rund 25 Cent pro Kilowattstunde sinken?

Genau. Sonst wird Wasserstoff zur günstigeren Alternative. Wenn Laden zu teuer bleibt, wird der Wasserstoffweg attraktiver. Ist es billiger – brauchen wir keinen Wasserstoff.

Was sagen Ihre Studien dazu, wann dieser Preis erreichbar ist?

Das ist der Knackpunkt – ich kann es nicht genau sagen. Es hängt allein von der Auslastung der Ladepunkte ab. Sobald diese bei etwa 20 Prozent liegt, erreichen wir das Ziel. Auch der Wettbewerb wird die Preise drücken. Der Markt wird hart umkämpft sein.

Welche Rolle wird Wasserstoff Ihrer Meinung nach im europäischen Lkw-Markt spielen?

Ich denke, Wasserstoff wird ein Nischenthema bleiben. Ich kenne mich mit Batterie-Lkw gut aus und vergleiche sie mit Wasserstoff nur am Rande. Die Kosten für Wasserstoff-Lkw liegen derzeit etwa auf Diesel-Niveau – das ist gut. Aber Batterie-Lkw werden das unterbieten. Wasserstoff passt vielleicht dort, wo selbst Schnellladen nicht ausreicht oder bei besonders schweren Gütern. Also: Ja, es wird Nischen geben – aber Batterie-Lkw werden dominieren. Auch im Fernverkehr.

Warum investieren OEMs dann weiterhin in Wasserstoff-Lkw?

Weil es ein enges Rennen ist. Wenn Wasserstoff nur etwas günstiger ist, gewinnt er. Es ist eine Frage der Annahmen. Viele wissen auch gar nicht, wie viele Probleme bei Batterie-Lkw schon gelöst sind. Es gibt Missverständnisse – etwa, dass Megawatt-Lader unbezahlbar wären. Pro Gerät ja, aber pro Kilowattstunde sind sie nicht teurer als andere Schnelllader.

Wenn man einem Netzbetreiber sagt: „Wir wollen 50 Megawatt Ladeleistung auf einem Gelände aufbauen“, wird er nervös, weil es Neuland ist. Aber technisch ist das kein Problem. Große Netze sind billiger als viele kleine. Es ist einfacher, eine 50-Megawatt-Anlage zu bauen als 50 Anlagen mit je einem Megawatt.

Und die Netzkapazität – reicht die aus?

Das ist, als würde man sagen: „Wir können keine Häuser bauen, weil es keine Straßen gibt.“ Natürlich baut man Straßen! Es ist Infrastruktur – die wird bezahlt. Das eigentliche Problem ist der Zeitfaktor. Netze brauchen Zeit. Ein weiteres Missverständnis: Die Netze werden pro Kilowattstunde teurer – aber das liegt daran, dass in alte Systeme investiert wird, ohne neue Einnahmen. Neue Ladeinfrastruktur bringt neue Einnahmen – das finanziert den Ausbau. Ja, wir müssen mehr bauen. Smart Charging kann 10 bis 20 Prozent der Kosten einsparen, aber den Bedarf nicht ersetzen.

Man hört oft: „Das kostet 100 Millionen Euro“ – und dann ist das Thema durch. Dabei wird vergessen: Das Transportsystem, das damit versorgt wird, hat einen Jahreswert von zwei bis drei Milliarden Euro. Gleiches bei Batterien: Etwas mehr zu zahlen, spart am Ende oft Geld. Es geht um den Blick aufs Ganze.

Sie haben Politik als Hebel genannt. Ist das entscheidend?

Es wird auch ohne neue Politik passieren – aber langsamer. Wer es schneller will, sollte die Anschaffung von E-Lkw direkt fördern. Ladeinfrastruktur oder Netze zu subventionieren, halte ich für weniger effektiv – diese Preise sind in Ordnung und sorgen für effiziente Nutzung. Aber wenn wir Lkw fördern, erzeugen wir Nachfrage, und das rechtfertigt den Ausbau der Infrastruktur.

Sollten Förderungen auf EU- oder nationaler Ebene geschehen?

EU-weit wäre gut. Aber ich finde es schade, dass Schweden kürzlich geplante Dieselpreiserhöhungen zurückgenommen hat – dabei hilft ein hoher Dieselpreis der Elektrifizierung. Ich will marktgetriebene Transformation. Wenn der Markt einmal in Bewegung ist, läuft es fast von selbst. Wir müssen nur die richtigen Anreize setzen.

Hat Norwegen alles richtig gemacht?

Wir können Norwegen dankbar sein. Sie haben gezeigt: Es funktioniert. Das Problem sind nicht die Nutzer – sondern die Kosten. Als die sanken, ging es los. Aber wir müssen ihren Ansatz nicht eins zu eins kopieren.

Was wird in den nächsten zehn Jahren in der E-Mobilität viele überraschen?

Ich erwarte keine radikalen Durchbrüche – brauchen wir auch nicht. Kontinuierliche Verbesserungen reichen. In zehn Jahren werden viele zurückblicken und sich fragen, was eigentlich das Problem war. Bei Pkw ist das Laden kein Thema mehr, wenn man einmal Routine entwickelt hat.

Für Unternehmen wird die Umstellung anstrengend – aber das Ergebnis ist positiv und profitabel. Spediteure sind Profis. Laden wird einfach Teil ihrer ohnehin komplexen Planung. Sie werden es gut integrieren. Wir sollten sie dabei unterstützen und gute Beispiele zeigen.

Vielen Dank für das Gespräch, Herr Grauers – das war wohl die optimistischste Einschätzung seit Langem.

1 Kommentar

zu „„Die Technik ist bereit – jetzt geht es um Kosten und Skalierung“ – Anders Grauers über die Zukunft des E-Lkw“
Herbert Wertig
07.08.2025 um 12:49
In Schweden scheint es wundersam billigen Wasserstoff zu geben.

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