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FahrberichtAutomobil

Ausfahrt im Renault 4: Retro-Charme mit Nutzwert

Moderne Technik, verpackt in einer Karosserie, die an alte Zeiten erinnert. Anstatt die Kunden mit futuristischen E-Autos zu verwirren, versuchen einige Hersteller es mit der Retro-Schiene bei ihren Stromern – so auch Renault. Oft bleibt bei dem Lifestyle-Design der Nutzwert auf der Strecke. Das macht der Renault 4 E-Tech Electric anders – nämlich besser.

Beispiele für ein gelungenes Retro-Design gibt es zuhauf. Vorgemacht hat es BMW mit dem wiederbelebten Mini, auch Fiat hat mit dem 500 einen Verbrenner-Kleinwagen gebracht, der bei vielen die Herzen schneller schlagen lässt. Gerade Kleinwagen werden oft mit dem Verstand gekauft. Wenn dann aber auch noch das Herz mitspielt, weil es nicht „nur“ eine fahrbare Kiste mit austauschbarem Design ist, legt man auch für einen Kleinwagen doch etwas mehr Geld hin – oder entscheidet sich überhaupt erst deshalb für genau dieses Modell.

Als Fiat den 500 aufgelegt hatte, war ein gewisser Luca de Meo dort im Top-Management aktiv. Die spätere Elektro-Neuauflage des Fiat 500 ist zwar sehr schick geworden, aufgrund der hohen Preise für die gebotene Technik aber kein Verkaufsschlager mehr – doch da war de Meo schon längst weitergezogen. Als Renault-Chef dürfte er sich aber an die Retro-Erfolge erinnert haben und hat eine ganze Kleinwagen-Familie mit Elektroantrieb in Auftrag gegeben, die sich an ikonischen Modellen der Renault-Geschichte orientieren.

Gründe, sich 2025 von einem Neuwagen im Retro-Design angezogen zu fühlen, gibt es viele. Weil man früher selbst das entsprechende Vorbild gefahren ist. Oder ein solches Auto mal in der Familie genutzt wurde. Oder es war der Traumwagen, den man früher nicht haben konnte – jetzt aber vielleicht die Elektro-Neuauflage? Die emotionale Nähe ist einfach zu schaffen. Aber am Ende muss das Auto auch liefern und darf nicht nur schick aussehen.

Wie schon damals: R4 als praktischer R5-Bruder

Mit dem Renault 5 haben die Franzosen vorgelegt und – in meinen Augen – optisch voll ins Schwarze getroffen. Jede Linie passt, der Bezug zum historischen Vorbild wird klar, und selbst wenn man den alten Renault 5 nicht kennt, ist der „Neue“ einfach ein richtig schickes Auto. Allerdings hat der Renault 5 ein großes Problem: die Platzverhältnisse. Obwohl es ein Fünftürer ist, können kaum zwei Erwachsene hintereinander sitzen, auf der Rückbank wird es dann extrem eng. Schick, aber eben dann im Alltag für viele doch nicht als vollwertiger Viersitzer zu gebrauchen.

Das ist der Auftritt des Renault 4: Der R4 E-Tech Electric nimmt einige optische Anleihen beim in Frankreich „Quatrelle“ genannten Kleinwagen, der zwischen 1961 und 1994 über acht Millionen Mal gebaut wurde. Die Neuauflage knackt mit 4,14 Metern zwar locker die Vier-Meter-Marke, was in den 1960er und 70ern für einen Kleinwagen undenkbar war. Dafür umgeht der R4 E-Tech Electric aber genau das Problem, das ich mit dem Renault 5 habe: Es gibt überall ausreichend Platz, der Kofferraum ist für die Fahrzeuglänge mehr als üppig. Und zuu groß sind 4,14 Meter auch nicht.

Die Technik unter dem Blech ist (fast) die Gleiche: Die Plattform AmpR Small bietet in der Basisvariante einen 40-kWh-Akku, die „große“ Variante hat immerhin 52 kWh. Das ermöglicht 308 bzw. 408 Kilometer Reichweite, wobei für unsere Ausfahrt durch das Bergische Land die „Comfort Range“-Variante mit dem größeren Akku zur Verfügung stand. Diese ist mit einem 110 kW starken Antrieb kombiniert, in der Basis sind es 90 kW. Zur Wahl stehen die aus dem Renault 5 bekannten Ausstattungen Evolution, Techno und Iconic, los geht es zu Preisen ab 29.400 für den kleinen und 32.400 Euro für den großen Akku.

Deutlich häufiger wird der große Akku bestellt. Beim „Urban Range“-Akku bietet Renault in Deutschland nur die Basis-Ausstattung Evolution an – wohl auch, um für den Prospekt einen Basispreis von weniger als 30.000 Euro bieten zu können. Wer eine andere Ausstattung will, muss den großen Akku nehmen. „Beim Renault 4 E-Tech sehen wir eine klare Nachfrage nach höheren Reichweiten und konzentrieren dort unser Angebot“, sagt etwa Alexander Albrecht, Brand Manager von Renault Deutschland. Als Techno (ab 34.400 Euro) und Iconic (ab 36.400 Euro) ist der Renault 4 aber schon wieder deutlich teurer.

Kunden statten den Renault 4 gut aus

Dass der Zuschnitt an den Motorisierungen und Ausstattungen nicht in Stein gemeißelt ist, erklärt Albrecht an einem Beispiel des Renault 5: Dort gab es den 52-kWh-Akku zunächst nur mit den beiden teureren Ausstattungen Techno und Iconic, nicht aber als Evolution. Da es aber speziell aus dem Flottenmarkt die wiederholte Anfrage zu der Basisausstattung mit dem großen Akku kam, bietet Renault jetzt auch den 52-kWh-Akku als Evolution an. Dafür wurde aber das angekündigte Modell für 24.990 Euro vorerst aufgeschoben – und den Kunden, die sich für dieses Modell registriert hatten, wurde ein besonderes Angebot für einen anderen R5 gemacht.

Sprich: Wenn sich die Nachfrage verschiebt, kann sich auch das Angebot beim Renault 4 noch ändern und es sind günstigere Versionen mit dem kleinen Akku denkbar. Gemäß der aktuellen Renault-Erwartung wird sich aber jeder zweite der deutschen Kunden für die Techno-Ausstattung und jeder Vierte für die Top-Variante Iconic entscheiden – und damit deutlich über 35.000 Euro für den Renault 4 ausgeben. Unser Testwagen hat sogar 38.850 Euro Listenpreis – zu den 36.400 Euro der Iconic-Ausstattung kommen noch 750 Euro für das Harman-Kardon-System, 750 Euro für das Safety & Advanced Driving Paket, nochmals 750 Euro für die Zwei-Farb-Lackierung und 200 Euro für den V2L-Adapter. Knapp 39.000 Euro für ein 4,14 Meter langes Auto sind eine Ansage!

Bei Abfahrt hat der voll geladene Testwagen immerhin 402 Kilometer Reichweite angezeigt, die unter optimalen Bedingungen wohl auch fast zu erreichen sind. Phasenweise konnten wir den Renault 4 mit einem recht niedrigen Verbrauch von 12,2 kWh/100km durch Köln und auch über die Landstraßen bewegen. Auf der Autobahn stieg der Verbrauch aber spürbar an, die steile Front fordert dann ihren Tribut. Es kommt also sehr stark darauf an, wie man mit dem Auto unterwegs ist und wie das persönliche Einsatzprofil aussieht. Bei überwiegend Kurzstrecken könnte mit dem geringen Verbrauch tatsächlich auch der kleine Akku ausreichen, wenn eine eigene Lademöglichkeit vorhanden ist und selten Langstrecken anstehen.

Am Renault 5 gefällt beim Fahren auch ein Feature, dass es beim zuerst vorgestellten 5er nicht gibt: Die einstellbare Rekuperation über die Schaltpaddels am Lenkrad – bis hin zum One-Pedal-Drive. Keine Frage, für viele Kunden reicht es wahrscheinlich aus, wenn die Stärke der elektrischen Verzögerung einmal im Menü eingestellt wird und dann konstant bleibt. Andere E-Auto-Fahrer freuen sich aber über die Möglichkeit, mit der Rekuperation je nach Fahrsituation spielen zu können – Segeln auf der Autobahn, auf der abschüssigen Landstraße die Reku genau so anpassen, dass das Auto nicht beschleunigt und in der Stadt im Stopp&Go-Verkehr dann auf das neue One-Pedal-Drive wechseln. Und das nicht versteckt über das Menü, sondern mit einem Finger am Lenkrad.

Beim Laden selbst bietet die Plattform der Renault-Kleinwagen (und der kommenden japanischen Ablegern von Nissan und Mitsubishi) den erwartbaren, marktüblichen Standard – nicht mehr, nicht weniger. Das AC-Laden ist mit bis zu 11 kW möglich, was angesichts der Akku-Größe in Ordnung ist. Natürlich, 22 kW wären für so manchen Kunden besser, aber eben auch teurer. Die DC-Ladeleistung ist so gewählt, dass beide Akkus in 30 Minuten von zehn auf 80 Prozent laden können. Während das bei dem 52-kWh-Akku mit grob gesagt 300 Kilometern Autobahn-Reichweite noch für ein einigermaßen zügiges Vorankommen genügt, stößt hier der Basis-Akku bei häufigeren Langstrecken an seine Grenzen – alle 200 Kilometer halbstündige Ladestopps einzuplanen ist nicht mehr der Stand der Technik im Jahr 2025. Die kommenden Elektro-Kleinwagen aus dem VW-Konzern versprechen hier etwas bessere Ladezeiten, es sind aber natürlich noch keine Real-Verbräuche und Reichweiten für die wohl 38 kWh große LFP-Batterie bekannt.

Viele, nette Details im R4 innen und außen

Zu dem „marktüblichen“ Standard gehört bei Renault zum Glück aber auch, dass die Batterie über die Routenführung mit geplanten Ladepausen automatisch vorkonditioniert werden kann – ein besonders im Winter wichtiges Feature, das zum Beispiel bei vielen Modellen von Stellantis nach wie vor fehlt. Über den derzeitigen Markt-Standard hinaus gehen einige Details: So hat Renault etwa am Ladeanschluss auch eine Stopp-Taste verbaut, über die der laufende Ladevorgang schnell und einfach beendet werden kann und das Ladekabel entriegelt wird. Das kann in der Praxis auf Dauer viel Zeit sparen, wenn etwa nicht über den Touchscreen im Auto oder die Ladesäule alles beendet werden muss. Wer schonmal in einem Platzregen an einer nicht überdachten Säule warten musste, bis die Software der Ladesäule das Signal zum Freigeben des Steckers gesendet hat, wird sich über diesen kleinen Knopf freuen – solche Details werden in der 30.000-Euro-Klasse schnell weggespart.

Und auch beim Design hat Renault viele, nette Details in das Serienmodell gebracht – zumindest an unserem teuren Testwagen mit der Iconic-Ausstattung. Die Tricolore auf dem Ladedeckel, die dreidimensional ausgeformten Rücklichter, die praktischen Gummi-Bänder zur Gepäck-Organisation oder für das Ladekabel im Kofferraum, auch hier mit blau-weiß-rotem Akzent. Wer auf solche Design-Details steht, wird am R4 seinen Spaß haben.

Aber auch der Nutzwert kommt nicht zu kurz. Überall gibt es praktische Ablagen, die sich durch Accessoires aus dem 3D-Drucker teils noch weiter unterteilen lassen können. Und es gibt – für das französische Flair – einen Baguette-Halter, den ich persönlich aber entfernen würde. Nennt mich deutsch und langweilig, aber im Beifahrer-Fußraum hat der Baguette-Halter mehr gestört als Vorteile gebracht. Die Einkäufe landen bei mir eher im Kofferraum oder in einer Tasche im Fußraum. Und beim Bäcker bin ich nur ganz selten mit dem Auto. Die Anwendungsfälle sind also begrenzt.

Der Kofferraum ist größer als im ID.3

Richtig praktisch ist dagegen der Kofferraum! Mit 420 Litern ist er auf dem Papier größer wie der des VW ID.3, der eigentlich eine halbe Klasse höher angesiedelt ist. Unter dem Kofferraumboden gibt es noch ein 35 Liter großes Fach, etwa für das Ladekabel. Oder das Kabel wird – bei häufigem AC-Laden – mit einem der erwähnten Gummibänder an der Seite befestigt. Mit der nur 61 Zentimeter hohen Ladekante ist der Kofferraum auch sehr gut nutzbar. Eine vierköpfige Familie kann also auch in dem Kleinwagen locker einige Tage verreisen, dafür reichen die 420 Liter allemal. Und da nicht nur die Rückbank, sondern auch der Beifahrersitz umgeklappt werden kann, können bei Bedarf auf 2,20 Meter lange Gegenstände transportiert werden.

Und dabei bleibt auch für die Passagiere recht viel Platz. Anders als im R5, wo zwei Erwachsene jenseits der 1,80 Meter kaum bequem hintereinander sitzen können, ist das im Vierer gut möglich. Vorne geht es bequem und klassenüblich zu, auf der Rückbank bietet das Auto erstaunlich viel Beinfreiheit! Natürlich können aber auch die Renault-Experten nicht zaubern: Aufgrund der Batterie im Unterboden ist die Sitzfläche hinten recht tief, die Knie im Gegenzug eher hoch. Da die Füße aber unter den Vordersitz geschoben werden können, ergibt sich in Summe auch für Erwachsene hinten eine akzeptable Sitzposition – wir reden immer noch über ein 4,14 Meter langes Auto. Dass es auf allen drei Plätzen der Rückbank ISOFIX-Punkte gibt, dürfte bei Familien gut ankommen.

Hochwertiger Innenraum, teils fragwürdige Bedienung

Während man in vielen Elektroautos für 40.000 Euro oder mehr oft in einer regelrechten Plastik-Landschaft sitzt, geht es im Renault 4 erfrischend anders zu. Das Armaturenbrett vor dem Beifahrer ist mit Stoff bezogen und greift das Muster der Sitze auf. Die Kunststoffe sind größtenteils aufgeschäumt und fassen sich gut an, die Ambientebeleuchtung sorgt für – nunja – ein angenehmes Ambiente. Wer will, kann seinen Renault 4 richtig hochwertig ausstatten!

Auf die langjährige Mode mit Hochglanz-schwarzen Oberflächen hat Renault dankenswerterweise weitgehend verzichtet – bis auf die Tasten am Lenkrad. Also genau dort, wo man regelmäßig zur Bedienung der Systeme drücken muss, ist noch das Material verbaut, das Fingerabdrücke anzieht wie kein anderes. Wenn wir schon bei der Bedienung sind: Mit insgesamt vier Lenkstockhebeln und 15 Tasten ist das Lenkrad doch etwas überfrachtet. So hat sich Renault zwar dafür entschieden, den Fahrstufen-Wählhebel von der Mittelkonsole ans Lenkrad zu versetzen, um unten Platz für größere Ablagen zu schaffen. Da man allerdings auch an der Tradition des eigenen Lenkstockhebels für die Audio-Systeme festhält, gibt es an der rechten Seite des Lenkrads gleich drei Hebel. Mit der Folge, dass es nicht nur unübersichtlich wird, sondern der Wählhebel für die Fahrstufe (wieder mit nettem Tricolore-Detail) unnatürlich weit oben sitzt. Aber: Mit etwas Übung dürfte das gehen.

Die Bedienung des Android-basierten Infotainment-Systems gibt an sich keine größeren Rätsel auf. Die Struktur ist logisch aufgebaut, sich einzelne Menüpunkte zu merken wird nicht lange dauern. Ganz perfekt ist die Nutzeroberfläche aber nicht: Zwar ist es angenehm, dass die Sitz- und Lenkradheizung mit separaten Icons am unteren Rand des Bildschirms bedient werden können und sich etwa die Lenkradheizung nicht hinter einem Popup versteckt. Dennoch ist fraglich, warum die Icons von links nach rechts für die Fahrer-Sitzheizung, die Beifahrer-Sitzheizung und erst dann die Lenkradheizung angeordnet sind. Die Lenkradheizung, die den Fahrer betrifft, ist am nächsten beim Beifahrer platziert. Und das Icon für dessen Sitzheizung ist nicht an seinem Bildschirmrand, sondern in der Mitte. Wenn das die größten Kritikpunkte sind, gibt es im Großen und Ganzen aber wenig zu meckern!

Um den hohen Nutzwert abzurunden, gibt es für den Renault 4 E-Tech Electric optional auch eine Anhängerkupplung. Auch mit gebremsten Anhängern sind zwar nicht mehr als 750 Kilogramm Anhängelast drin, aber besser als nichts. Für den Fahrradträger reicht die Kupplung ebenfalls aus.

Fazit

Ja, ganz so schick wie der Renault 5 ist der Vierer nicht geworden – meine Meinung. Der Retro-Charme ist zweifelsohne da, aber vor allem nicht zulasten des Nutzwerts. Wer ein richtig praktisches E-Auto sucht, das kleiner ist als die üblichen Kompakt-Stromer, sollte sich den Renault 4 genau anschauen.

Unser Testwagen war zwar nicht günstig, dafür aber auch hochwertig gemacht. Verzichtet man mit den günstigeren Ausstattungen auf ein paar Details, sinkt der Preis zwar, ein ID.3 mit der kleinsten Batterie bleibt beim Listenpreis aber immer noch günstiger. Dafür ist der ID.3 auch spürbar länger – was nicht für jeden passt. In Summe bietet der Renault 4 ein mehr als ordentliches Gesamtpaket, auch wenn sich die Franzosen den Retro-Charme gut bezahlen lassen.

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