
Mercedes-Benz Trucks enthüllt neuen eActros 400
Als Mercedes-Benz Trucks 2024 den eActros 600 vorstellte, lag ein Entwicklungs-Kraftakt hinter dem Unternehmen. Der E-Lkw beherbergte komplett neue Technik – und es gab ihn erstmal nur als Sattelzugmaschine mit Fokus Fernverkehr. Das ändert sich jetzt. Schon im Mai kündigte das Management neue Varianten des E-Lkw für Herbst an. Und die sind nun da: In Form des Ablegers eActros 400 mit einem Batteriepack weniger an Bord, in Form von weiteren Pritschenfahrgestellen, die sich zu den Sattelzugmaschinen gesellen. Und in Gestalt von zusätzlichen Radständen und zwei verschiedenen Fahrerhäusern. Bestellbar sind die neuen Varianten seit dieser Woche („in den EU30-Märkten und in ausgewählten Nicht-EU-Märkten“).
Allen Versionen gemeinsam ist die technologische Basis des eActros 600, sprich: Akkus mit Lithium-Eisenphosphat-Chemie, 800 Volt Bordspannung, die neu entwickelte E-Antriebsachse oder das Multimedia Cockpit Interactive 2. Der Hersteller selbst spricht unter Einschluss des 600ers von der zweiten eActros-Generation, deren neue Varianten zum Teil noch in diesem Jahr im Werk in Wörth am Rhein vom Band rollen werden. Parallel wird die erste E-Lkw-Generation eingestellt: Der Pionier eActros 300/400 läuft zum Jahresende aus. Wichtig: Die Produktion des eEconic – die Variante für den Kommunaleinsatz – bleibt davon unbeeinflusst.
Mercedes schwenkt verstärkt auf den LFP-Pfad ein
Dazu ein kurzer Rückblick: Seit 2021 mischt Mercedes-Benz Trucks im Markt für Elektro‑Lkw mit. Zunächst wurde der eActros 300/400 für den schweren Verteilerverkehr eingeführt, ein Jahr später folgte der Ableger eEconic. Ende 2024 kam dann das neue Flaggschiff eActros 600 mit gänzlich neuer Technologie an Bord heraus. Mit der Ausmusterung des eActros 300/400 zum Jahresende schwenkt Mercedes weiter auf den LFP-Pfad ein, denn die beiden auslaufenden Varianten arbeiten noch mit NMC-Batteriepacks – der 300er hat drei davon an Bord (315 kWh), der 400er beherbergt vier Packs (420 kWh). Ausschlaggebend für den Chemiewechsel ist dabei die Robustheit der LFP-Akkus und die Tatsache, dass diese „im Gegensatz zu anderen Batteriezelltechnologien über 95 Prozent der installierten Kapazität nutzen können“, wie der Hersteller gerne betont.
Auch die Produktion in Wörth unterscheidet sich zwischen den Lkw-Generationen stark: Die eActros 300/400-Baureihe läuft auf dem Verbrenner-Band mit, muss zum Einbau der E-Komponenten aber in eine andere Halle gebracht werden. Der eActros 600 und der nun enthüllte eActros 400 werden dagegen komplett auf einem Band mit Verbrennern gebaut. Dafür haben die Rheinland-Pfälzer in größerem Stil in ihre Linienfertigung eingegriffen. Dieser Aufwand zeugt von den großen Hoffnungen, die das Unternehmen mit den strombetriebenen Schwer-Lastern der zweiten Generation verbindet.
Nomenklatur ließ nur einen neuen eActros 400 zu
Dass es im Zuge der Portfolio-Erweiterung wieder eine E-Lkw-Variante namens eActros 400 geben würde, ließ sich bereits erahnen. Der eActros 600 ist schließlich nach seiner Batteriekapazität von gut 600 kWh benannt (genau: 621 kWh). Eine Variante mit nur zwei statt drei Batteriepacks (ergo: 414 kWh) ist nicht nur für neue Anwendungsfälle, sondern eben auch für die Bezeichnung eActros 400 prädestiniert. Zumal der aktuelle Namensträger am Jahresende ausläuft und bei der Bauma 2025 bereits ein neuer eArocs 400 mit der identischen Batteriekonfiguration (ebenfalls 414 kWh) für den urbanen Bauverkehr vorgestellt wurde.
Bestätigt hat sich die Namenswahl jetzt bei der Premiere, die diese Woche im französischen Molsheim stieg. Mercedes-Benz Trucks präsentierte den Ableger im Rahmen einer Fahrveranstaltung für Journalisten an seinem Standort bei Straßburg. Auch electrive war dort: Wir haben am Rande der Präsentation mit Tobias Jung, dem Projektverantwortlichen für die eActros-Portfolio-Erweiterung gesprochen (Hier geht’s zum Interview). On top sind wir in dem neuen Ableger eine knappe halbe Stunde gefahren. Dazu gleich unsere Eindrücke.
3 Tonnen mehr Nutzlast als beim eActros 600
Zunächst zur Technik: Der 400er übernimmt die E-Achse mit zwei
Elektromotoren und Vier-Gang-Getriebe vom 600er und schafft damit die identische Dauer- und Spitzenleistung von 400 bzw. 600 kW. Auch die LFP-Batterien mit Zellen von CATL sind bekannt. Da nur zwei von drei Packs verbaut sind, ist der eActros 400 gegenüber dem Flaggschiff 600 aber um 1,5 Tonnen leichter und bietet somit mehr Zuladung: Die maximale Sattellast des eActros 400 erhöht sich auf 9,5 Tonnen. In Kombination mit einem Standardauflieger erreicht der eActros 400 laut Herstellerangaben eine Nutzlast von über 25
Tonnen – drei Tonnen mehr als der eActros 600 – und somit „auf das Zuladungs-Niveau von Diesel-Lkw“, wie die Verantwortlichen betonen. Die gegenüber vergleichbaren Dieseln geringere Nutzlast gehörte bisher zu den Punkten, mit der Transporteure in gewissen Logistikbereichen beim 600er noch haderten.










Keine Überraschung gibt’s beim Laden: Mit Strom versorgt werden kann der eActros 400 mit den bekannten 400 kW per CCS – und zwar an der linken Fahrzeugseite. Optional ist ein zweiter CCS-Ladeport auf der Beifahrerseite erhältlich. An einer entsprechend starken Ladesäule soll der E-Lkw in 46 Minuten von 10 auf 80 Prozent SoC aufladen können. Megawattladen ist (zunächst) nicht vorgesehen. Zum Vergleich: Der eActros 600 mit seinem dritten Batteriepaket braucht 70 Minuten, um seinen größeren Akku mit CCS analog zu laden. Hier bietet Mercedes-Benz Trucks aber bald optional auch einen MCS-Port zum Megawattladen an.
„Die eine Reichweite gibt es nicht“
Zur Reichweite schickt das Unternehmen das Statement voraus, dass es durch die neue Variantenvielfalt nicht den einen Reichweiten-Wert gibt. Für einen eActros 400 6×2 mit Trockenkofferaufbau, wie er für den klassischen Einsatz im schweren Verteilerverkehr oft genutzt wird, geben die Stuttgarter aber eine Reichweite von bis zu 480 Kilometern an – wohlgemerkt teilbeladen und bei idealer Temperatur (20 Grad Celsius). Teilbeladen deshalb, weil im Verteilerverkehr in der Regel die Ware nach der Hälfte des Weges abgeladen wird und der Lkw leer zurückfährt.
Für den eActros 600 gibt der Hersteller im Fernverkehr dagegen die stets genannten 500 Kilometer Reichweite für durchgängig vollbeladene Fahrzeuge an. Erstmals verweisen die Verantwortlichen in Molsbach allerdings darauf, dass der 600er „in der verbrauchsgünstigsten Kombination“ bis zu 560 Kilometer erreichen könne. Schon länger betont das Unternehmen, dass die 500 Kilometer konservativ gerechnet sind und der Truck in der Realität oft weiter kommt. Nun lässt das Management erstmals eine konkrete Zahl folgen. Ohne Zweifel eine Reaktion auf die Mitbewerber, die für ihre (angekündigten) E-Lkw teils bis zu 600 Kilometer Reichweite angeben. Übrigens: Würde man den eActros 400 unter Vollbeladung ebenfalls auf die Fernstrecke schicken, würde er bis zu 330 Kilometer erreichen. Es zeigt sich also: Die Reichweiten-Thematik wird mit der Portfolio-Erweiterung komplexer. Deshalb führt Mercedes-Benz-Trucks nun auch einen Reichweiten-Rechner mit verstellbaren Parametern auf seiner Webseite ein.
Auswahl bei Fahrerhäusern und Radständen
Einfluss auf die Distanzen haben beispielsweise neben der Batteriegröße, der Fahrweise und dem Einsatzprofil auch die zwei verschiedenen Fahrerhäuser, die das Unternehmen nun für mehrere Varianten des 600er ebenso wie den 400er anbietet: Zur Auswahl steht das L-Fahrerhaus im bekannten Actros-Design mit verhältnismäßig niedrigem Ein- und Ausstieg und 2,30 Metern Breite. Oder die ProCabin mit 2,50 Meter Breite, ebenem Boden und „großzügigem Raumgefühl“. Erstere Kabine ist etwas leichter, letztere dafür aerodynamischer. Serienmäßig bei beiden an Bord ist in jedem Fall das Multimedia Cockpit Interactive 2, u.a. mit Sprachsteuerung. Die MirrorCam als Alternative zu klassischen Außenspiegeln bleibt eine aufpreispflichtige Option.
Was Radstände und Achskonfigurationen angeht, präsentiert sich die Auswahl beim eActros 400 wie folgt:
- 4×2-Sattelzugmaschine mit 3.700 mm Radstand
- 4×2-Pritschenfahrgestelle mit 4.000, 5.500, 5.800 und 6.100 mm Radstand
- 6×2-Pritschenfahrgestelle mit sechs verschiedenen Radständen zwischen 4.000 und 5.800 mm.
Auch der eActros 600 wird wie erwähnt variantenreicher: Künftig ist er auch als 4×2-Pritschenfahrgestell mit den Radständen 4.000, 5.500 und 5.800 mm erhältlich. Außerdem gibt es für die 6×2 Pritsche zusätzlich zu den bereits verfügbaren Radständen 4.600 und 4.900 mm vier weitere Radstände analog zum eActros 400 (4.000, 4.500, 5.200 und 5.800 mm).
Rainer Müller-Finkeldei, Leiter Mercedes-Benz Trucks Product Engineering, kommentiert: „Wir haben die zweite Modellgeneration des eActros konsequent modular entwickelt. […] Durch diese Modularität und die kombinierbaren Wahlmöglichkeiten bei Batteriekapazität, Fahrerhaus und Fahrgestell bieten wir über 40 Kombinationsmöglichkeiten des Grundfahrzeugs des eActros.“ In dieser Zählweise sind ergo die Varianten des eActros 600 und des eActros 400 zusammengefasst, die gemeinsam die neue eActros-Familie bilden.



Achim Puchert, CEO Mercedes-Benz Trucks, betonte bei der Fahrzeug-Premiere unterdessen, dass sein Haus den Wandel im Güterverkehr seit 2021 aktiv mitgestalte und praxistaugliche Lösungen liefere, dass die Transformation aber nur gelingt, wenn der Ausbau der Ladeinfrastruktur mit den Fahrzeugen Schritt hält und der Betrieb für die Kunden profitabel ist. „Um es klar zu sagen: Die Politik muss jetzt schnell und entschlossen handeln, sonst werden wir europäischen Hersteller nicht mehr wettbewerbsfähig sein“, so Puchert vor Journalisten. Dass Mercedes-Benz Truck bereit sei, in Vorleistung zu treten und so in der Branche voranzugehen, zeigt die Zulassungsstatistik. Puchert verweist darauf, dass sein Unternehmen im zweiten Quartal 2025 bei den Zulassungen schwerer E-Lkw in der Europäischen Union (EU-30) Spitzenreiter war und im August knapp jeder zweite neue schwere E-Lkw in der EU ein E-Truck mit Stern gewesen sei. Kein Geheimnis ist jedoch, das der junge Markt an sich noch recht klein ist.
Erste eigene Fahreindrücke vom Neuling
Der eActros 400 soll die Statistikkurve mit seinem Produktionsstart ab Jahresende in Wörth in neue Höhen befördern. Wie sich der E-Lkw präsentiert, konnte electrive diese Woche auf einer kurzen 26-Kilometer-Runde ab Molsheim erproben. Zur Verfügung gestellt wurde uns ein in seinem Leben erst 588 Kilometer weit gereister E-Lkw – nebst Fahrer. In der 4×2-Sattelzugmaschine mit L-Führerhaus surren wir geschmeidig und leise vom Werksgelände in den Straßenverkehr. Im Auflieger: Gitterboxen mit Steinen, die unsere Gesamtmasse auf 41 Tonnen befördern. Wenn schon, denn schon.
Das Cockpit ist uns aus dem eActros 600 vertraut. Auch im neuen Ableger kann man fünf Rekuperationsstufen und drei Fahrmodi einstellen. Mit dem Modus „Economy“ und Rekuperationsstufe 2 schlängeln wir uns unauffällig durch den Landstraßen-Verkehr. Auch der aus dem 600er bekannte Boost, mit dem eine temporäre Leistungssteigerung von 400 auf 600 kW abgerufen werden kann, ist an Bord und beschleunigt merklich, wenn der Lkw im fließenden Verkehr zum Hindernis zu werden droht. Oft gedrückt, macht sich der Boost allerdings auf der Batterie-Anzeige bemerkbar. Wir haben’s bei einem „Lkw-Kurzsprint“ belassen.




Die volle Daimler-Truck-Klaviatur kann der eActros 400 bei den intelligenten Fahrassistenten spielen. Und auf ein „Hey Mercedes“ und die Aufforderung, die Kabinen-Temperatur auf 22 Grad zu regeln, stellt sich die nun serienmäßige Sprachsteuerung vor. Und die MirrorCam warnt in 25 Minuten bestimmt ein halbes Dutzend Mal vor Pkw im toten Winkel. Ohne Rüttel-Alarm und mit ordentlich Zug kommen wir aus jedem Kreisverkehr – und davon gibt’s bei unserem rechtsrheinischen Nachbarn bekanntlich jede Menge. Mit einem Kilometerstand von 616 Kilometern kommen wir wieder auf dem Werksgelände in Molsheim an. Der Batterie-Ladestand ist von 58 Prozent und noch 175 angezeigten Kilometern auf glatt 50 Prozent und noch 155 Kilometer gesunken. Die Bedingungen waren mit 21 Grad Celsius nahezu ideal.
Der Hersteller selbst unterstreicht, dass die neuen eActros-Modelle über ihren Lebenszyklus hinweg mit deutlichen CO2-Einsparpotentiale gegenüber den vergleichbaren Actros mit Dieselmotor aufwarten. Unter Rückgriff auf den durchschnittlichen EU-Strommix sollen binnen zehn Jahren 40 Prozent weniger CO2-Emissionen anfallen, bei Strom aus erneuerbaren Energien sogar mehr als 80 Prozent.
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