Auswertung der These: Stromnetz nicht fit für Elektromobilität?!

Ist das deutsche Stromnetz auf die schnelle Verbreitung von Elektroautos nicht vorbereitet? Diese Sorge hatte die Energiewirtschaft in den Autoländern Bayern und Baden-Württemberg geschürt. Wir haben dieses Thema im Rahmen der These des Monats diskutieren lassen. Und die Branche widerspricht entschieden.

Ein Physiker, der als Kabarettist Karriere gemacht hat, brachte das Thema auf. In seiner Kolumne für „Spektrum der Wissenschaft“ hatte Vince Ebert Mitte März behauptet, die Kapazitäten der Stromerzeugung reichten für die Elektromobilität nicht aus. Seine humorvollen Berechnungen dazu („Wir bräuchten eine Photovoltaikanlage von der Größe des Saarlands“) garnierte er, als wolle er damit der Elektromobilität den Todesstoß versetzen, mit dem 100 Jahre alten Zitat eines britischen Biologen: „In der Naturwissenschaft wird jede Hypothese von einer hässlichen Tatsache hingemeuchelt.“

Ungleich sachlicher stellte wenige Wochen später der Verband für Energie- und Wasserwirtschaft Baden-Württemberg (VfEW) seine Verteilnetzstudie vor. Die Ausweitung der Elektromobilität sei wünschenswert, hieß es, „könnte aber zu Engpässen in den Verteilnetzen führen“. Ähnlich differenziert äußerte sich im Juli der Verband der Bayerischen Energie- und Wasserwirtschaft (VBEW), als er in einer Pressemitteilung auf die Herausforderung des steigenden Stromverbrauchs in Bayern hinwies und dabei feststellte: „Neue Anwendungsfelder für Strom sind etwa Elektroautos oder Wärmepumpen, die im Zuge der Energiewende ja sehr wünschenswert sind.“

Zum medialen Aufreger wurde das Thema erst im August, nachdem die Bundesnetzagentur ihren Netzentwicklungsplan Strom publiziert hatte und die Zukunft der Mobilität auf die Agenda des Bundestagswahlkampfs gerückt war. Die Medien beschäftigten sich neben allgemeinen Fragen zu benötigter Strommenge und verkraftbaren Spitzenlasten speziell mit der Situation Süddeutschlands. Denn während im Norden des Landes die Stromproduktion die Nachfrage um mehr als das Doppelte übersteigen könnte, werde man im Süden bis zu 50 Prozent des Stromes importieren müssen. Auf die Fertigstellung der Importtrassen werde man aber nach Abschaltung der letzten Atomkraftwerke 2022 noch mindestens drei Jahre warten müssen.

Vor diesem Hintergrund formulierten wir unsere These des Monats und stellten diese im September zur Diskussion:

„Ein schneller Markthochlauf der Elektromobilität in Deutschland ist nicht möglich, weil das Stromnetz darauf nicht eingestellt ist.“

Mit 283 Beteiligten fand die These eine ziemlich gute Resonanz. Eine kleine Minderheit stimmte der These vorbehaltlos (20) oder teilweise (19) zu, während eine deutliche Mehrheit eindeutig (184) oder mit Einschränkungen (55) die Gegenposition bezog. Neutral äußerten sich nur fünf Diskussionsbeteiligte.

Zeichnet man die Diskussion der These nach, so zeigen sich über die Auszählung der Bewertungen hinaus folgende Positionen. Sie spiegeln ausdrücklich die Auffassung der Diskussionsbeteiligten und nicht die Meinung der Redaktion wider.

Verteilnetz an der Belastungsgrenze

Die eindeutigen Befürworter der These beziehen sich vorwiegend auf den kritischen Status quo der Stromversorgung, vor allem in Ballungsgebieten. „Zu Peak-Zeiten (18 Uhr) sind die meisten Versorgungstransformatoren schon heute an der Auslegungsgrenze. Mit steigendem Elektrifizierungsgrad würde es deshalb zu lokalen Überlastungen kommen“, heißt es in einem Kommentar, „es fehlt Zwischenspeicherung und Durchleitungskapazität“ in einem anderen. Ein stärkeres Verteilnetz sei erforderlich. Intelligentes Laden alleine werde nicht ausreichen, die punktuellen Lasten abzufangen.

Davon ausgehend, nehmen einige Pro-Kommentatoren auch künftige Herausforderungen angesichts der Energiewende in den Blick. „13% der Strommenge ist Kernkraft und Kernkraft schalten wir bis Ende 2022 ab. 54 % sind fossile Energieträger und wir müssen dekarbonisieren“ meint ein Diskussionsbeteiligter, der gleichzeitig auf die Unzuverlässigkeit erneuerbarer Energien, die kaum vorhandene Wasserkraft und die allenfalls grundlastfähige und nicht ausbaubare Energie aus Biomasse verweist. Bezahlbare Speicher aber seien nicht in Sicht. „Die Summe des Energiebedarfs ist sicher kein Problem“, heißt es an anderer Stelle, aber es sei angesichts des Nord-Süd-Gefälles doch kaum vorstellbar „Spitzenlast auf einem einzelnen Strang“ zu leiten. Wie aber solle es anders gehen? „Darauf ist weder das Stromnetz noch das Strommarktdesign eingestellt.“ Wäre da nicht „eine H2-Infrastruktur deutlich billiger und besser“, fragt ein Dritter und plädiert für Brennstoffzellen-Fahrzeuge.

Suche nach adäquatem Marktdesign

Dass das Niederspannungsnetz das Hauptproblem ist, weil es in Wohngebieten noch nicht für hohe Lasten ausgelegt ist und „die Trafos wie auch die Kabel in der Erde” nicht genügend Reserven haben, um die Ladespitze gegen 18 Uhr abzufangen, betonen auch zahlreiche Eher-Pro-Kommentare. Erwähnt wird auch, dass „die Infrastruktur bei der Energieversorgung in den vergangenen Jahren aufgrund des Wettbewerbs eher vernachlässigt“ worden sei. „Wie mir mein Professor für Energietechnik vorgerechnet hat“, schreibt einer, könnten derzeit „nicht mehr als 3 E-Autos pro Straße aufgeladen werden“. Die Herausforderung, präzisiert ein anderer, liege also „nicht im Energiebedarf, sondern in der Leistungsbereitstellung“. Aus technischer Sicht wären „smarte Lösungen“ notwendig, die „aber bei dem aktuellen Marktdesign nicht umsetzbar bzw. wirtschaftlich sind. Daher muss der gesetzliche Rahmen auf die E-Mobilität angepasst werden.“ Zuversichtlich zeigt sich ein Kommentator, der meint, unsere These sei „unglücklich formuliert“. Zum jetzigen Zeitpunkt sei das Grid zwar in der Tat noch nicht bereit. „Das bedeutet jedoch nicht, dass es nicht in den kommenden Jahren mittels sukzessivem Smart Grid-Aufbau und netzbetreibergesteuerter Ladung noch vorbereitet werden kann.“

Vorsicht vor Schnell-Ladern

Die aktuellen Schwächen des Verteilnetzes thematisieren auch die neutralen Kommentatoren. Zum Problem würden diese aber erst dann, wenn man „überall Schnell-Lader errichten“ wolle. Stromanbieter, Netzbetreiber und Ladeinfrastrukturbetreiber müssten sich „auf einheitliche Standards einigen, um den Ladevorgang an allen Ladepunkten zu managen“. Zu empfehlen sei überdies, „dass jeder E-Autokäufer eine PV-Anlage aufs Dach und einen Batteriespeicher in den Keller bekommt“. Ein Kommentator mahnt, man dürfe nicht per se davon ausgehen, dass ein schneller Markthochlauf wünschenswert sei. Besser sei es abzuwarten, wie sich der Markt tatsächlich entwickelt, um dann „die Geschwindigkeit der Veränderung an volkswirtschaftlich sinnvollen Parametern zu orientieren“.

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Bidirektionale Schnellladesäule aus dem Projekt „lokSMART Jetzt!2“ soll Lastspitzen glätten.

Kein überstürzter Markthochlauf

Die Auffassung, dass der Markthochlauf so moderat verlaufen werde, dass das Stromnetz parallel dazu adäquat mitwachsen könne, teilen viele Dialogbeteiligte, die der These nicht zustimmen. „Was heißt schon schneller Markthochlauf? Wenn wir im Jahr 2019 einen Marktanteil von 10-20 % BEV an den gesamten Neuzulassungen hätten, dann wäre das schon ein schneller Markthochlauf. Damit würde unser Stromnetz sicher fertig werden.“ Ein anderer Kommentator schaut noch genauer hin: „Das Durchschnittsalter eines Autos in Deutschland liegt bei 9,3 Jahren. Wenn wir ab heute nur noch Elektroautos verkaufen würden, wären erst in 18,6 Jahren nahezu alle Autos durch Elektroautos ersetzt. In dem Zeitraum ist es problemlos möglich, erneuerbare Energien auszubauen und Stromtrassen zu schaffen. Und der Gedankenansatz sieht ja vor, ab sofort nur noch Elektroautos zuzulassen, was wegen des geringen Angebots an Fahrzeugen eh nicht realistisch ist.“

Zehn Punkte für die Gegenthese

Die weiteren Argumente der Diskussionsbeteiligten, die der These ablehnend gegenüberstehen, lassen sich in den folgenden zehn Aussagen zusammenfassen:

  • Andere Länder haben kein Problem mit der Stromversorgung von E-Autos. „Wie schon im Vorreiterland Norwegen zu sehen ist, ist die Stromversorgung sicherlich nicht das Problem.“
  • „Wir haben jetzt schon Stromüberschuss.“ Dieses Argument wird mehrfach geltend gemacht. Es bezieht sich auf die aktuellen Zahlen der Übertragungsnetzbetreiber, wonach der deutsche Stromexport 2016 gut acht Prozent des Inlandsverbrauchs entsprochen hat. „Diesen Überschuss könnte man stattdessen zum Laden von Elektroautos verwenden“.
  • „Wir haben eines der besten und stabilsten Stromnetze weltweit!“ Die Skalierbarkeit des Stromnetzes erscheint deshalb als ausreichend. Elektroauto-Quoten von bis zu 50 Prozent der Neuzulassungen könne das Netz in den nächsten Jahren problemlos verkraften, meint ein Kommentator. Ein Ladeinfrastrukturbetreiber betont, er sei in der Lage, ohne Netzertüchtigung innerhalb von sieben Jahren mehr als 4.000 echte Stromtankstellen mit jeweils mindestens vier AC/DC-Säulen zu installieren.
  • Elektrofahrzeuge fallen nicht übermäßig ins Gewicht. Der Anteil des Straßenverkehrs am Gesamtenergieverbrauch ist gering. Selbst wenn alle Pkw in Deutschland elektrisch angetrieben würden, stiege der Strombedarf nur um rund 15 Prozent. Bis es soweit ist, werden Jahrzehnte vergehen, in denen die Netzbetreiber sich leicht darauf einstellen können.
  • Wir müssen die Mobilitätswende mitdenken! Mit dem Markthochlauf der Elektromobilität wird eine Mobilitätswende einhergehen, die durch neue intermodale Konzepte die Gesamtzahl privater Fahrzeuge verringern wird. Deshalb sei es ein „Trugschluss zu glauben, dass man 1 zu 1 BEV anstelle von Verbrennern haben wird.“
  • Elektrofahrzeuge laden meist nachts oder am Arbeitsplatz. Der Großteil der Ladevorgänge kann außerhalb der Spitzenlastzeiten am Arbeitsplatz oder zu Hause stattfinden. „Ich fahre mit meinem Ford Focus Electric rund 22.000 km pro Jahr. Morgens zur Arbeit und abends zurück. Wann lade ich? Immer über Nacht, wenn die Auslastung der Netze gering ist. Dieses Nutzungsverhalten lässt sich auf fast alle Nutzer von E- Fahrzeugen übertragen.“
  • Bei intelligenter Steuerung hat das Stromnetz genügend Reserven. Ein intelligentes Lastmanagement kann die Lastspitzen glätten, die eine zunehmende Zahl von Elektrofahrzeugen mit sich bringt. Denn diese bieten beste Voraussetzungen zur Lastverschiebung, weil sie „die meiste Zeit stehen und – bei einer durchschnittlichen Fahrleistung von 33 km pro Tag täglich nur ca. 8 kWh laden müssen“. Um das zu realisieren, müssen die Energieversorger die Verbraucher aber durch flexible Strompreise für netzgerechtes Laden belohnen.
  • Je dezentraler die Stromerzeugung, desto problemloser die Versorgung. „Wir fahren seit Januar mit Strom. Wir erzeugen 80 % selbst. Unser Bedarf aus dem Netz ist geringer als im Jahr 2016“ – das ist ein typisches Testimonial für dieses Argument. Abstrahiert bedeutet das: „Mit der Schaffung von kleinteiligen, zellulären Strukturen in Form von Smart Grids, die erneuerbare Quellen wie PV-Anlagen mit Batteriespeichern kombinieren, entfallen Belastungen der überregionalen Verteilnetze.“
  • Elektrofahrzeuge haben überwiegend positive Netzeffekte. Bidirektional ladende Elektrofahrzeuge ermöglichen eine Erhöhung der Speicherkapazität. „Damit werden qualitativ neue Möglichkeiten des Lastmanagements eröffnet“. Tatsächlich haben „verschiedene Forschungsprojekte im Rahmen von IKT für EM I bis III gezeigt, dass mit intelligenten Netz- und Lademanagement das Stromnetz entscheidend entlastet wird.“
  • Diese These stammt von Lobbyisten. Als Ausdruck einer „gezielten PR-Kampagne der etablierten Energiewirtschaft“ betrachten nicht wenige Diskussionsbeteiligte unsere These. Diese wolle sich einerseits „zur Erhöhung der Netzentgelte und für staatliche Fördergelder in Stellung bringen“, andererseits nach der „Reichweitenangst“ nun die „Stromangst“ schüren, um an überholten Konzepten festhalten zu können. Wenn das Netz wirklich ein Problem hätte, würde die Energie-Lobby längst smarte Tarife anbieten statt „den freien Strommarkt beim Endkunden zu blockieren“. Ein Diskussionsbeteiligter interpretiert die These gar als „die Ankündigung des würdelosen Versuchs, nach der Bundestagswahl die Laufzeiten der Atomkraftwerke in Bayern und Baden-Württemberg zu verlängern.“
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Das IKT EM III-Projekt Winner untersucht, wie lokal erzeugter regenerativer Strom und Elektromobilität einer breiten Mieterschaft im wohnungswirtschaftlichen Umfeld angeboten werden können.

Fazit

Die von den Verbänden der süddeutschen Energiewirtschaft vorgetragenen Bedenken sind nicht von der Hand zu weisen, wenn man dazu neigt, den Status quo sowie die Schwierigkeit überzubewerten, die Nord-Süd-Kluft bezüglich der Verfügbarkeit von Windenergie zu schließen. Noch reicht die Leistungsfähigkeit des deutschen Stromnetzes tatsächlich nicht für alle zukünftigen Elektroautos aus. Auch stellt die Energiewende in Deutschland besondere Anforderungen. Das Stromnetz wird aber bei entsprechenden Investitionen und Reformen des Marktdesigns den allmählichen Markthochlauf der Elektromobilität verkraften können. Erleichtert werden wird dieses „Miteinander wachsen“ durch die bidirektionale Netzdienlichkeit von Elektrofahrzeugen, neue Mobilitätskonzepte und wahrscheinlich auch durch technologische Fortschritte in der Energietechnik, die heute noch gar nicht abzusehen sind.

 

2 Kommentare

zu „Auswertung der These: Stromnetz nicht fit für Elektromobilität?!“
Julian Affeldt
25.10.2017 um 10:38
Ich frage mich ernsthaft, ob und in wie weit die Stromnetzbetreiber, insb. die Verteilnetzbetreiber, ein Interesse daran haben, netzdienliches Laden voranzutreiben. In meinem Beispiel musste ich sehr lange darum kämpfen, für meine Wallbox (immerhin 22 kW für die ZOE) einen separaten Zähler mit Tarifsteuergerät zu bekommen. Dies wurde mehrfach durch die e.dis abgelehnt, bis zuletzt. Nur die Androhung einer Klage wegen Verletzung §14a EnWG brachte dann den Erfolg. Seit ca. 4 Woche lade ich nun außerhalb der Höchstlastzeiten zu reduzierten Tarifen. Eigentlich eine Win-Win-Situation; warum aber wehren sich die Netzbetreiber und bieten soetwas nicht proaktiv an? Liegt es an den finanziellen Verlusten durch reduzierte Netzendgelte?
Uwe Sill
27.10.2017 um 12:40
Wenn die Schnellladesäulen mit einem oder mehreren starken Akku bestückt werden, welcher das Laden mit GS übernimmt, kann dieser parallel oder ohne Abnahme langsam aus dem Netz geladen werden. Es würde dann ein kleiner Dauerstrom (3phasen Wechselstrom) fließen und das 1kV Netz nicht mit Spitzen belastet werden. Wartung der Ladesäule muss vom Betreiber dieser kommen.

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