Der Taycan-Fighter – Audi RS e-tron GT im Fahrbericht

Nicht ganz so sportlich im Design, deutlich gediegener im Fahrkomfort. Ist der Audi RS e-tron GT der bessere Porsche Taycan? Wir konnten einen Prototypen auf der griechischen Insel Rhodos ausprobieren. Und haben uns in den wohligen E-Sound des Power-Stromers verliebt.

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Gerade die weitgehende Abwesenheit von Motorgeräuschen macht das Fahren von Elektroautos zu einem besonderen Erlebnis. Doch was die Toningenieure von Audi Sport im e-tron GT an Klangteppich erschaffen haben, ist die reinste Freude. Als kraftvoll und progressiv verkauft es das Marketing. Dabei ist das eigentlich übertrieben, dringt doch der E-Sound deutlich wohliger in die Ohren, als es beim antriebstechnisch weitgehend baugleichen Porsche Taycan (beide stehen auf der J1-Plattform) der Fall ist. Letzterer lässt bekanntlich keinen Zweifel an seinem Anspruch an einen Sportwagen aufkommen. Der Audi dagegen positioniert sich akustisch als dynamischer Reisebegleiter erster Güte.

Nur akustisch? Mitnichten. Die feine Abstimmung der Federung im Komfortmodus verschluckt die Unebenheiten der griechischen Inselstraßen mühelos. Das Luftfahrwerk unseres Prototypen leistet bei der rund 100 Kilometer langen Ausfahrt hervorragende Arbeit. Und so hat der Fahrer maximale Freude am elektrischen Fahren – ob eigentlich viel zu schnell durch enge Bergkurven oder entspannt auf der Küstenstraße. Und in schwierigen Situationen bieten das elektrische Differential an der Hinterachse und die um bis zu 2,8 Grad einschlagende Hinterradlenkung ihre Hilfe an.

So sehr der Audi RS e-tron GT als Reisebegleiter mit höchster Verarbeitungsqualität überzeugt: Beim Antritt muss er sich auch nicht verstecken! Das Elektroauto ist nämlich das stärkste jemals gebaute RS-Modell von Audi Sport, wie der für das Produktmarketing des Fahrzeugs zuständige Stefan Holischka im Briefing berichtet. An der Vorderachse wirken immerhin 175 kW auf die satten Reifen, hinten packen weitere 335 kW mit an. Und so beschleunigt das über zwei Tonnen schwere Elektromobil in unter 3,5 Sekunden von 0 auf 100 km/h, wobei im Overboost bis zu 475 kW anliegen und ein Drehmoment von 830 Nm erzeugen. Mehr Gran Turismo geht kaum. Bei Tempo 250 ist allerdings Schluss. Wir mussten bei nächtlichen Beschleunigungsversuchen auf einer alten Startbahn leider schon bei 220 wieder bremsen…

Verwehrt blieb uns auf Rhodos noch der Innenraum des Audi RS e-tron GT. Sichtschutz nahm den Blick auf weite Teile der Armaturen. Nur das aus den anderen e-tron-Modellen bekannte Display hinterm Lenkrad war bestens zu erkennen. Es ließ erahnen, dass Audi im Cockpit deutlich weniger progressiv vorgeht als es Porsche mit dem Curved Display im Taycan tut. Offenbar will man hier die klassische Kundschaft von Audi Sport nicht vollends mit der neuen Welt überfordern. Ein Test der Connectivity und Bedienung des RS e-tron GT kann erst zu einem späteren Zeitpunkt mit der Serienversion erfolgen.

Für Elektroautos so wichtige Attribute wie das Ladeverhalten konnten wir auf Rhodos ebenfalls noch nicht erproben. Da jedoch das 800-Volt-Gesamtbatteriesystem jenem des Taycan entspricht und aus derselben Dräxlmaier-Fabrik in Sachsenheim bei Stuttgart entstammt, wird die Ladekurve dank aktuell bis zu 270 kW an entsprechender HPC-Infrastruktur nahezu identisch sein. Bei einer Brutto-Kapazität von 93,4 kWh bleiben 83,7 kWh netto für tolle Touren. Für entsprechende Ausdauer bei der Leistungsabgabe sorgt bekanntlich das ausgeklügelte Thermomanagement: Zwei Kühlmittelkreisläufe für die Technikkomponenten – ein kühlerer für die Hochvolt-Batterie und ein wärmerer für die E-Maschinen und die Leistungselektroniken – sorgen für den schnellen Abtransport der entstehenden Wärme.

Auslieferungen sollen 2021 starten

Die Reichweite ist übrigens noch nicht homologiert. Zu erwarten sind rund 400 WLTP-Kilometer. Auf das vielleicht erwartbare One-Pedal-Driving haben die Audi-Ingenieure übrigens verzichtet. Der RS e-tron GT rekuperiert von allein nur zaghaft, wobei die Rekuperationsleistung mit Schaltwippen am Lenkrad etwas höher dosiert werden kann. Wer mehr will, muss bremsen. Damit unterscheidet sich der Audi vom Technik-Spender Taycan, bei dem die Rekuperation nicht über die Schaltwippen reguliert werden kann.

In Serie produziert wird der Power-Stromer ab Ende des Jahres in den Böllinger Höfen bei Neckarsulm – übrigens mit dem konventionellen R8 im Mix auf einer Linie. Erste Lieferungen an Kunden werden Anfang 2021 erfolgen. Der finale Preis steht noch nicht fest, aber mit etwa 100.000 Euro wird zu rechnen sein.

Die versprochene „sportliche Speerspitze“ im Elektro-Portfolio von Audi wird vermutlich nicht die Stückzahlen des Taycan erreichen. Doch für finanziell entsprechend ausgestattete KäuferInnen ist das Elektroauto gewiss eine Überlegung wert. So viele rein elektrische Gran Turismos gibt es ja noch nicht auf dem Markt.

5 Kommentare

zu „Der Taycan-Fighter – Audi RS e-tron GT im Fahrbericht“
Je
05.11.2020 um 14:32
Warum kein One-Pedal-Driving (oder wenigstens was in die Richtung geht) ... wer einmal damit gefahren ist, will nichts anderes mehr. Audi und Porsche verprellen sich da unnötig Kunden, die bereits Elektroautos fahren. Etron GT und Taycan wären ansonsten absolut mein Geschmack. Und nach 5 Jahren Tesla könnte auch mal wieder was anderes bei mir in Frage kommen.
fox
06.11.2020 um 22:23
positiv: ein protopyp und keine studie technik: too little, too late einfach von gestern: toningenieure, die lärm machen fazit: audi hats hinter sich
Christian
11.11.2020 um 16:37
Was genau soll denn da "too little, too late" sein?Das der Lack nicht in der ersten Woche abfällt, so wie bei der Ami-Elektrokarre Tesla3?
Hans Herbert
07.11.2020 um 07:48
Ist eine konsequente und konsequent gute Idee, den Erfolg des Taycan auszubauen und fortzuführen mit Varianten in anderen Marken. Meinem Vorredner muss ich recht geben: das 1-Pedal-Driving mit seinen 2 wesentlichen Eigenschaften sollte in einem Wagen dieser Qualitätsordnung zur Verfügung stehen. Als Fahrer hätte ich gern die Auswahl, welche Art der Verzögerung automatisch eintritt und auch, ob es eine automatische Feststellbremse gibt (2. Eigenschaft des 1-Pedal-Driving). Da empfehle ich doch, nachzubessern.
Thomas
13.11.2020 um 11:52
Naja, so pauschal kann man das wohl nicht sagen.Ich finde es eigentlich absolut genial, mit meinem Passat GTE über weite Strecken zu rollen, und nur zu bremsen/rekuperieren, wenn ich das will. Ich erziele damit deutlich höhere Reichweiten als im B-Modus, bei dem er sofort bremst wenn ich vom Gas gehe.One-Pedal-Driving ist gar nix für mich.

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