Daimlers GenH2 Truck: Künftiges H2-Koloss im Fernverkehr

Auf dem Gelände des Mercedes-Benz-Werks in Wörth wird derzeit der im September 2020 vorgestellte und mit Wasserstoff betriebene GenH2 Truck getestet. Unser Autor Domenico Sciurti durfte in einem der Vorserienfahrzeuge mitfahren. Daimler Truck sieht den Einsatz der Technologie vor allem im schweren Fernverkehr.

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Christof Bunz ist leicht zu verstehen. Eine Unterhaltung mit dem Ingenieur ist während der Fahrt im Wasserstoff-betriebenen Lkw von Daimler Truck gut zu führen. Bei der Anfahrt, dem Hochfahren eines Hügels oder auch beim Bremsen – das Anheben der Stimme zur besseren Kommunikation mit dem Gesprächspartner ist nicht notwendig. Es ruckelt kaum in der Fahrerkabine des 40 Tonnen schweren Gefährts.

Auf dem Gelände des Entwicklungs- und Versuchszentrums in Wörth am Rhein wird seit Ende April der neue Prototyp GenH2 Truck getestet. Die Fahrerkabine des Brennstoffzellen-Sattelschleppers ist geräumig. Am Armaturenbrett befinden sich drei Bildschirme, auf dem rechts außen sind die elektrischen Energieströme im Fahrzeug zu beobachten. Hinter dem Lenkrad ist ein kleines graues Gerät befestigt, ein Instrumenten-Panel, das dem Fahrer erlaubt, das Brennstoffzellensystem, die Tankanlage und das HV-System zu bedienen. Während Bunz über die Strecke fährt, erläutert er das Zusammenspiel der einzelnen Komponenten. Ein halbes Jahr plus Planung und Konstruktion im Vorfeld habe es gedauert, den Truck zusammenzubauen.

Ein von Grund auf neu konzipiertes Fahrzeug – Test auf öffentlichen Straßen noch in diesem Jahr

Mit den bisherigen Ergebnissen der Tests zeigt sich Daimler Truck zufrieden. In den ersten Wochen legte das im vergangenen Jahr vorgestellte und nun weiterentwickelte Fahrzeug bereits mehrere hundert Kilometer auf dem Rollprüfstand zurück. In Wörth werden alle Brennstoffzellen-Prototypen zusammengebaut, so auch der GenH2. Dort werden Simulationen durchgespielt und die einzelnen Komponenten sowie das gesamte Fahrzeug auf Funktionalität, Lebensdauer und Festigkeit getestet. Auch die Fahrerdynamik und das Verhalten bei verschiedenen Temperaturen und Windstärken nehmen die Entwickler in den Blick. Für die Anforderungen an den GenH2 Truck orientieren sie sich am konventionellen Mercedes-Benz Actros: 1,2 Millionen Kilometer Laufleistung, zehn Betriebsjahre und insgesamt 25.000 Betriebsstunden.

Das Fahrzeug wird zur Probe auch auf 15 verschiedenen Fahrbahntypen gefahren. Die sind so konstruiert, dass ein Kilometer Teststrecke mit 200 Kilometer echter Straßen zu vergleichen ist. Daimler Truck hat dafür Fahrbahnen aus aller Welt analysiert. „Die Straßen der Welt in die Prüfhallen holen“, umschreibt es Jana Brouwer, Abteilungsleiterin des Bereichs Testing Operations. Noch für dieses Jahr sind Tests auf öffentlichen Straßen vorgesehen, die ersten Kunden sollen den Sattelschlepper 2023 zur Erprobung bekommen.

Der GenH2 ist nach Angaben des Fahrzeugherstellers ein von Grund auf neu konzipiertes Fahrzeug mit völlig neuen Komponenten. Das Brennstoffzellensystem und der vollelektrische Antriebsstrang erhalten bei den Tests besondere Aufmerksamkeit. Ein Kernelement ist auch das Kühl- und Heizsystem, das die einzelnen Komponenten auf Betriebstemperatur halten soll.

Der weiterentwickelte Lkw ist mit zwei E-Motoren ausgestattet – mit je 230 kW Dauerleistung. Das Drehmoment liegt bei zweimal 1.577 Newtonmeter (Nm). Im Peak sind es 330 kW Maximalleistung und zweimal 2071 Nm Drehmoment. Die Brennstoffzellen liefern zweimal 150 kW Strom. Die HV-Batterie unterstützt kurzzeitig – beispielsweise bei Beschleunigungsphasen – mit bis zu 400 kW Energie, die Speicherkapazität beträgt 70 kWh.

Brennstoffzellen-Technologie – Mitarbeiter erhalten interne Schulungen

In das Entwicklungs- und Versuchszentrum hat Daimler 70 Millionen Euro investiert. Mehrere hundert Mitarbeiter beschäftigt das Unternehmen dort und für die Brennstoffzellen-Tests wurden einige von ihnen intern geschult. Der Truck sei wie ein Magnet für die Mitarbeiter, sagt Brouwer. Da einige aus dem Verbrennungssektor kommen, könnten diese nun sehr genaue Vergleiche ziehen.

Der GenH2 hat nun seine Abendgarderobe abgelegt und das Arbeitsoutfit angelegt, heißt es bei Daimler Truck. Das äußere Erscheinungsbild werde sich nicht mehr großartig verändern. Die Technologie muss aber noch angepasst werden. An die Tests knüpft das Unternehmen hohe Erwartungen.

Daimler Truck fährt bei der Elektrifizierung seiner Lkws zweigleisig. Der Lkw-Hersteller ist der Ansicht, dass sich Batterie-elektrisch angetriebene und wasserstoffbasierte Brennstoffzellen-Lkw je nach Kundeneinsatz ergänzen. „Je leichter die Ladung und je kürzer die Distanz, desto eher wird die Batterie zum Einsatz kommen. Je schwerer die Ladung und je länger die Distanz, desto eher wird die Brennstoffzelle das Mittel der Wahl sein.“

Im kommenden Jahr geht der eActros in Europa in Großserie. Ab 2022 soll das Portfolio in den Hauptabsatzregionen Europa, USA und Japan Serienfahrzeuge mit Batterie-elektrischem Antrieb umfassen. Für 2027 ist die Serienproduktion des neuen GenH2 Truck vorgesehen. Bis 2039 will das Unternehmen in Europa, Japan und Nordamerika nur noch Neufahrzeuge anbieten, die im Fahrbetrieb CO2-neutral sind.

Mit einem Joint Venture in die Brennstoffzellen-Zukunft – Cellcentric soll führender Hersteller werden

Für Fernverkehr-Lkw bekennt sich Daimler Truck zu wasserstoffbetriebenen Brennstoffzellen. Ende April wurde die Strategie des am 1. März gemeinsam mit dem Konkurrenten Volvo gegründeten Joint Venture Cellcentric vorgestellt, das Brennstoffzellensysteme entwickeln, produzieren und vermarkten soll. Ambition ist, das Unternehmen zu einem der weltweit führenden Hersteller von Brennstoffzellensystemen zu machen. Noch befinden sich diese im Prototypen-Stadium, der Start für „eine der größten Serienproduktionen von Brennstoffzellensystemen in Europa“ ist für 2025 vorgesehen.

Das Unternehmen bevorzugt flüssigen Wasserstoff, da der im Gegensatz zu gasförmigem Wasserstoff eine höhere Energie­dichte aufweise und ein Lkw auf diese Weise unter anderem mit kleineren und leichteren Tanks auskomme. Der GenH2-Prototyp fährt derzeit noch mit vier Tanks, die mit gasförmigem Wasserstoff befüllt werden. Eine Betankungslösung für flüssigen Wasserstoff gibt es noch nicht. Bis Ende des Jahres soll dies aber möglich werden. Um bei der Flüssigwasserstoff-Betankungstechnologie voranzukommen, hat Daimler Truck kürzlich eine Vereinbarung mit dem Konzern Linde unterzeichnet. Im Fokus der Kooperation steht ein Verfahren („subcooled“ liquid hydrogen, „sLH2-Technologie“), das mehr Reichweite, eine zügigere Betankung sowie eine höhere Energieeffizienz ermöglichen soll. Für die GenH2-Serienproduktion plant Daimler Truck, zwei Flüssigwasserstoff-Edelstahltanks mit je 40 Kilogramm Fassvermögen zu verbauen.

5 Kommentare

zu „Daimlers GenH2 Truck: Künftiges H2-Koloss im Fernverkehr“
Frank
22.06.2021 um 14:42
Gibt es auch ein Video von der Probefahrt?
Frank
23.06.2021 um 09:37
Mich würde mal interessieren was der Lkw bei voller Ausladung im Verhältnis zum Diesel verbraucht an Kosten? Denn das lese ich nirgends und vorallem was die Zugmaschine für eine Leermasse hat!
Ludwig
24.06.2021 um 14:58
Das vollbeladene Fahrzeug wird ca. 10kg Wasserstoff auf 100km benötigen. Beim derzeitigen Preis von 9,5€ macht das 95€. Mit dem 80kg Tank wird es eine Reichweite von 800km haben. Für Flüssigwasserstoff gibt es derzeit keine einzige Tankstelle. Die Spediteure warten sehnsüchtig auf sowas.
Sebastian
22.06.2021 um 18:03
1. youtube . de 2. "Daimlers GenH2 Truck" in die Suchleiste einfügen;-)
XY
22.06.2021 um 14:57
Dass das Fahrzeug zu großen Teilen im Kompetenzcenter Emissionsfreie Mobilität (KEM) in Mannheim aufgebaut und in Betrieb genommen wurde erzählt natürlich keiner .. :)

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