Nissan Townstar EV: Der Star in der City-Logistik?

Nicht nur mit dem Leaf war Nissan einst Vorreiter, auch mit dem e-NV200 hatten die Japaner früh einen Elektro-Kastenwagen im Angebot. Daran knüpft der neue Townstar EV an, wenn auch unter gänzlich anderen Bedingungen. Ob der Townstar EV so einzigartig ist wie sein Vorgänger oder doch nur einer unter vielen, zeigt unser Fahrbericht.

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Die erste Generation des Leaf war seinerzeit bekanntlich auch der Ausgangspunkt für den e-NV200: Ab 2013 wurden einige der in Sunderland hergestellten Leaf-Akkus mit gerade einmal 24 kWh ins Nissan-Werk nach Barcelona verschifft und dort in den Kastenwagen NV200 sowie die Pkw-Variante Evalia eingebaut. Zum Modelljahr 2018 gab es immerhin ein Update auf 40 kWh (für theoretisch 275 Kilometer im Stadtverkehr), das Nissan-eigene Modell aus Spanien blieb aber ein Exot. Wohl aufgrund seines Preises, aber auch wegen der Tatsache, dass das (öffentliche) Laden mit Typ-1-Anschluss und CHAdeMO in Europa komplizierter als nötig war.

Mit dem Townstar EV vollzieht Nissan nun die Kehrtwende: Der neue Elektro-Kastenwagen ist keine Eigenentwicklung mehr, sondern basiert auf dem Kangoo E-Tech Electric von Allianz-Partner Renault und wird auch gemeinsam mit dem Kangoo im Renault-Werk Maubeuge gebaut. Denn das Barcelona-Werk hat Nissan bekanntlich geschlossen.

Bei dem Townstar EV, den Nissan für unseren Test gestellt hat, handelt es sich um einen weißen Kastenwagen in der Transporter-Konfiguration – hinter den beiden Vordersitzen trennt eine stabile Wand den Laderaum ab, hinten gibt es durchgängiges Blech anstelle von Seiten- und Heckfenstern. Also ein Fahrzeug, wie es von Logistik-Dienstleistern, Handwerkern oder anderen Gewerben genutzt wird. Derzeit ist der Townstar EV nur in der Länge L1 verfügbar, die Langversion L2 (mit bis zu 4,9 Kubikmetern Laderaum) soll im Laufe des ersten Halbjahres folgen.

Wir hatten also den 4,48 Meter langen L1 mit 3,3 Kubikmetern Laderaum im Test. Dank der Nutzfahrzeug-Plattform reicht der Abstand zwischen den Hinterrädern aus, um eine Europalette quer laden zu können – dank dieser Eigenschaft passen sogar in den L1 zwei Paletten quer. Der Laderaum ist durch die Schiebetüre auf der Beifahrerseite und im Falle unseres Testwagens durch die zweiteilige Hecktüre gut zugänglich. Alternativ gibt es auch eine nach oben öffnende Heckklappe. Im Laderaum war der Testwagen in der Basis-Konfiguration gehalten: Neben dem rutschhemmenden Boden gab es sechs Verzurrösen zur Ladungssicherung. Profis werden die Fahrzeuge hier wohl auf ihre Bedarfe anpassen.

Um den Laderaum soll es in unserem electrive-Test auch gar nicht gehen, sondern um den Elektroantrieb und das andere Lade-Thema: die Batterie. Den Antrieb hat Nissan 1:1 übernommen, er kommt so auch in dem erwähnten Kangoo sowie in dem dritten Kastenwagen im Bunde, dem Mercedes e-Citan, zum Einsatz. Der Elektromotor gibt seine 90 kW und 245 Nm Drehmoment an die Vorderräder ab, die 45-kWh-Batterie soll für 304 Kilometer nach WLTP genügen. Dieses Mal aber im kombinierten Zyklus, nicht wie bei den 275 Kilometern des e-NV200 im WLTP-City.

90 kW Leistung klingt nicht nach viel, hat in unserem Test aber in allen Situationen ausgereicht. Aber es ist klar, dass sich bei der Batteriegröße und Reichweite (gleich mehr dazu) der Einsatz größtenteils auf die Stadt und das Umland beschränkt. Längere Autobahn-Etappen sind auch wegen der Höchstgeschwindigkeit von 132 km/h nicht gerade die Stärke des Elektro-Kastenwagens. Durchzug bietet der Motor auch über 100 km/h eigentlich genug – aufgrund der Aerodynamik der Karosserie steigt der Verbrauch aber bei dreistelligen Geschwindigkeiten enorm.

Zwischen 150 und 250 Kilometer Reichweite ist alles möglich

Mit moderatem Tempo (und zugegeben geringer Zuladung) hielt sich der Verbrauch im Test-Schnitt bei 20,5 kWh/100km, was rechnerisch 219 Kilometer Reichweite entspricht. Auf der Autobahn sind aber schnell 27 kWh/100km oder mehr möglich, womit die Reichweite (bei frühlingshaften Temperaturen wohlgemerkt) eher in Richtung 150 als 200 Kilometer geht. Bei einer Stadt-Fahrt im Eco-Modus waren aber auch 18 kWh/100km möglich. Und das würde trotz der überschaubar großen Batterie immerhin 250 Kilometer bedeuten.

Im Townstar EV dürfte wirklich das Fahrprofil den Verbrauch und die Reichweite diktieren. Für schwerere Transporte ist das Fahrzeug mit gerade einmal 537 Kilo Zuladung ohnehin nicht geeignet, die immerhin 1,5 Tonnen Anhängelast sind bei einem Elektroauto mit 45-kWh-Akku ebenfalls nur bei Kurzstrecken denkbar. Bei der Zustellung kleinerer Sendungen oder der unternehmens-internen Logistik für die Versorgung eigener Filialen ist ein Tages-Einsatz ohne Nachladen in den allermeisten Fällen möglich. Längere Etappen über Autobahnen oder mehrspurig ausgebaute Bundesstraßen lassen den realistischen Aktionsradius aber deutlich sinken.

Geht es an das Nachladen, bietet der Townstar EV einige Optionen. Das Nachladen per Schuko-Steckdose dürfte mit 23 Stunden für einen vollständigen Ladevorgang eher die Ausnahme bleiben, realistischer ist da das AC-Laden mit 11 oder im Townstar EV eben auch mit 22 kW (was Serie ist, nur in der Ausstattung „Acenta“ kann der 22-kW-Lader abbestellt werden). Mit 11 kW ist die Batterie in rund fünf Stunden komplett geladen. Für das AC-Laden mit 22 kW gibt Nissan gar nicht die Ladedauer von 0 auf 100 Prozent an (was beim AC-Laden eigentlich üblich ist), sondern das eher beim DC-Laden übliche Fenster von 15 auf 80 Prozent: Das soll rund anderthalb Stunden dauern.

Das DC-Laden erfolgt nun zum Glück per CCS und nicht mehr über CHAdeMO, was es deutlich einfacher macht, in Europa eine geeignete Ladesäule zu finden. Wird das Ladekabel an der Front in den hinter dem Nissan-Logo verborgenen Ladeanschluss eingesteckt, dauert es in der Theorie 37 Minuten, um von 15 auf 80 Prozent zu laden. Die Ladeleistung liegt laut Herstellerangaben bei bis zu 80 kW.

Im Test haben wir aber nur einen dieser Werte erreicht: 80 kW haben wir nie an der Ladesäule gesehen, auch wenn 150 oder 300 kW zur Verfügung standen. Wir haben es aber geschafft, in genau jenen 37 Minuten von 15 auf 80 Prozent zu laden, aber dabei lag der Peak nie höher als 55 kW. Wenn überhaupt, liegen die 80 kW also nur für einen sehr kurzen Zeitraum bei einem Ladestand von weniger als 15 Prozent an. Um das zu erreichen, müssen Ladevorgänge im Townstar EV gut geplant sein: Gehen wir von unserem Test-Verbrauch von 20,5 kWh/100km aus, bedeuten 15 Prozent Ladestand eine Rest-Reichweite von rund 33 Kilometern. Viel Puffer ist da nicht mehr, sollte einmal die geplante Ladesäule belegt, zugeparkt oder defekt sein.

CCS-Laden kostet extra

Obwohl bei einer realistischen Ladeleistung um die 55 kW die Belastung auf den Akku nicht allzu groß sein dürfte, lag in unserem Test nur bis zu einem Ladestand von rund 55 Prozent eine Leistung von mehr als 50 kW an. Ab dann sank die Leistung relativ linear, bei 80 Prozent State of Charge flossen nur noch 24 kW in den Akku – die restlichen 20 Prozent hätten laut der Anzeige im Fahrzeug noch 46 Minuten gedauert. Sprich: Soll das Auto in einer Mittagspause nachgeladen werden, sind 80 Prozent gut möglich. Darüber wird es aber eher zäh. Eine Ladekurve wie bei einem BMW i3, der mit seinem 42-kWh-Akku auch bis rund 90 Prozent die 50 kW halten konnte, hat der Nissan-Kastenwagen also nicht.

Das große Aber: In der Basis-Ausstattung MY22 ist die CCS-Ladeoption gar nicht verfügbar, in den anderen drei Ausstattungen kostet sie 840 Euro netto (999,60 Euro brutto) Aufpreis. Somit muss man genau gegenrechnen, ob sich bei dem geplanten Einsatz diese Mehrkosten lohnen. Wenn das Auto ohnehin über Nacht im Depot lädt und die Tagesrouten 100 Kilometer nicht überschreiten, reicht auch die serienmäßige AC-Ladefunktion.

Im Innenraum wird übrigens die Verwandtschaft zum Renault Kangoo besonders deutlich – und auch den anderen Ansatz, den Nissan beim Townstar gewählt hat. Hier handelt es sich um klassisches „Badge Engineering“ – abseits vom Markenlogo werden die Änderungen so minimal wie möglich gehalten, um die Kosten zu senken. Eine eigene Frontschürze mit Nissan-eigenen Scheinwerfern war im Budget, innen entspricht der Townstar aber dem Kangoo. Das geht sogar so weit, dass etwa die Bedientasten für den Tempomaten an der linken Seite des Lenkrads sitzen (wie bei Renault) und nicht rechts wie bei anderen Nissan-Modellen. Auch den Renault-typischen Lenkstockhebel mit der Infotainment-Steuerung haben die Japaner 1:1 übernommen. Mercedes hat etwas mehr in seinen Kangoo-Ableger investiert, im eCitan gibt es etwas mehr Mercedes-Optik und schwarzen Hochglanz-Kunststoff. Im Kern sind Bedienung und Armaturenträger aber bei allen Modellen gleich.

Und in diesem Fall ist es nicht schlecht, dass Nissan hier kein Entwicklungs- und Einkaufsbudget in den Innenraum investiert hat. Denn das Auto ist durchdacht, es gibt viele praktische Ablagen bis hin zur gut erreichbaren Smartphone-Halterung. Wegen einer geänderten, aber aufgrund der geringeren Stückzahlen dann teureren Blende greift in diesem Fahrzeugsegment kein Kunde zum Nissan. Dass sich Mercedes hier ein wenig abheben will, ist der anderen Ausrichtung der Marke geschuldet.

Bei den Ausstattungen und Assistenzsystemen lässt sich der Townstar EV mächtig aufrüsten. Bei unserem Testwagen handelte es sich um die Top-Ausstattung „Tekna“, die allerdings auch 41.750 Euro netto (49.682,50 Euro brutto) kostet. Dafür gibt es das volle Programm, etwa ein zehn Zoll großes Tacho-Display anstelle von Rundinstrumenten, einen Fernlichtassistent, Einpark-Assistent, NissanConnet, das Nissan-eigene Navi, eine 360-Grad-Kamera und Spurhalte- sowie Totwinkel-Assistenten.

Empfehlenswert sind eher die beiden mittleren Ausstattungen „Acenta“ (ab 36.700 Euro netto) oder „N-Connecta“ (ab 39.200 Euro netto). „Acenta“ bietet eine Einparkhilfe hinten (beim Kastenwagen sicher hilfreich), einen einfachen Tempomaten und eine Klimaautomatik. „N-Connecta“ bietet den acht Zoll großen Tocuhscreen (mit Apple CarPlay und Android Auto, aber ohne Nissan-Navi), eine Rückfahrkamera, die erwähnte Smartphone-Halterung, weitere Einstellmöglichkeiten bei den Sitzen sowie erste Assistenzsysteme.

Fazit

Wer auf das „Open Sesame“-Feature des Renault Kangoo verzichten kann (also die extrabreite Seiten-Öffnung ohne B-Säule auf der Beifahrerseite), erhält mit dem Nissan Townstar EV eine ebenbürtige Alternative. Statt auf das Markenlogo kann man dann getrost auf den Service der nächstgelegenen Werkstatt oder ein gutes Leasing-Angebot achten, ohne Abstriche beim Fahrzeug.

Eines ist aber auch klar: Ein 1:1-Ersatz für Verbrennerfahrzeuge dieser Klasse ist auch der Townstar EV nicht. Er kann die City-Logistik lokal emissionsfrei machen, indem er kein CO2, NOx oder Lärm in den Städten ausstößt, den Stadt-Betrieb bewältigt der Townstar EV sehr gut. Die (Autobahn)-Reichweite, zum Teil die Zuladung und der im Vergleich zu Verbrennern höhere Anschaffungspreis sorgen aber dafür, dass der Elektro-Kastenwagen noch nicht die gleichen Aufgaben übernehmen kann.

4 Kommentare

zu „Nissan Townstar EV: Der Star in der City-Logistik?“
Herbert Wertig
18.04.2023 um 12:41
Jetzt fehlt nur noch ein Fahrbericht vom E-Berlingo zum Vergleich.
Sebastian Schaal
18.04.2023 um 15:00
Lieber Herr Wertig,hierzu haben wir einen Fahrbericht des Schwestermodells Opel Combo-e: https://www.electrive.net/2021/10/21/erste-ausfahrt-mit-dem-opel-combo-e-life-cargo/Viele Grüße Sebastian Schaal
Herbert Wertig
18.04.2023 um 17:06
Danke!
Stefan
23.04.2023 um 10:17
Schade Nissan! Vor einem Jahr bereits sollte der Townstar EV als 5-sitzer Personenwagen kommen für den env200. Seitdem wird der Termin ständig verschoben. Inzwischen kommen andere Hersteller mit ihren Modellen. Ich hab einfach keine Lust, noch länger zu warten..

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