MAN nimmt bei Elektrobus-Entwicklung die Langstrecke ins Visier

Der Stadtbusbereich steht bereits zum Teil unter Strom, jetzt rückt bei Busherstellern international und national der Überland- und Reisesektor ins Visier. Auch bei MAN Truck & Bus arbeiten die Entwickler am Reisebus der Zukunft. Wir haben mit Heinz Kiess, Leiter Produktmarketing Bus bei MAN, über den Antrieb des künftigen MAN-Reisebusses gesprochen – und ihm dabei die ein oder andere Exklusiv-Information entlocken können.

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MAN hat eine elektrische Stadtbusfamilie mit 10, 12 und 18 Meter Länge im Sortiment und erst vor wenigen Monaten ein E-Bus-Chassis für die globalen Märkte vorgestellt. Ebenfalls im BEV-Bereich steht die Premiere eines Überlandbusse kurz bevor. Doch MAN zielt im Personenbeförderungsverkehr auch auf die ganz langen Distanzen. Mitte des Jahrzehnts will der Münchner Hersteller zunächst testweise einen BEV-Reisebus auf die Straße bringen. Mit electrive.net-Autor Rüdiger Schreiber hat MAN-Manager Heinz Kiess über die hauseigene E-Roadmap und die besonderen Ansprüche der Fernstrecke gesprochen. Dabei ging Kiess auch darauf ein, warum Wasserstoff in den Unternehmensplanungen aktuell nur eine nachrangige Rolle spielt.

Der Trend zu Batterie-elektrischen Linienbussen in Europa ist ungebrochen, langsam folgen Überlandbusse. Sie arbeiten zudem an einem BEV-Chassis für Aufbauhersteller, wann folgt etwas Spannendes für die Busreise?

Erklärtes Ziel von MAN ist es, umweltfreundliche Mobilität weiter voranzubringen und den Verkehr in Städten überall auf der Welt – und da, wo gewünscht auch Überland – noch sauberer, leiser und sicherer zu gestalten. Das gilt zukünftig auch für den Reisebus, denn eine Mobilitätswende kann nur mit einem modalen Split stattfinden, der Reisebus ist eine der Säulen.

Den BEV-Linienbus gibt es schon, das eChassis soll jetzt starten. Beim E-Überlandbus steht in Kürze Spannendes bevor, wann fährt der E-Reisebus von MAN vor?

Mit Blick auf die einzelnen Märkte ist folgendes Szenario aus heutiger Sicht denkbar: Einen Verbrennermarkt wird es auch nach Euro 7 geben. Aber: Wie ein Markt für klassische Motoren nach Euro 7 aussieht, ist nicht abzuschätzen. Wir denken, es dürfte technischer werden – aus heutiger Sicht aber sehr herausfordernd. Der Anteil emissionsfreier Fahrzeuge steigt bis 2025 auf 50 Prozent. Dann wird es auch etwas im wahrsten Sinne Spannendes von MAN im Segment der Reisebusse geben.

Das klingt nach konkreten Plänen, was können Sie zum Antrieb des Reisebusses der Zukunft im Hause MAN sagen?

Für 2030 hat MAN prognostiziert, dass der Markt rund 50 Prozent klassische Verbrenner verlangt. 42 Prozent werden BEV-Antriebe und 8 Prozent FCEV-Antriebe sein. Stand heute wird es so sein, dass der Reisebus einen Batterie-elektrischen Antrieb haben wird. Aber dafür muss es auch eine Elektro-Ladeinfrastruktur geben – europaweit.

Die Zahlen legen nahe, dass die Reisebusse doch noch einen Euro VII-Motor bekommen werden?

Ja, im Langstreckenverkehr werden wir noch lange einen Verbrennermotor haben. Und mit den Synergien, die wir konzernübergreifend nutzen können, wird es für Märkte außerhalb Europas weiter Verbrennermotoren geben.

Zurück nach Europa. MAN bleibt unter dem Dach der Traton Group und Volkswagen AG den Batterieantrieben treu?

Studien zeigen schon heute die Wettbewerbsfähigkeit der Batterieantriebe. Vergleicht man den Dieselantrieb mit BEV-, FCEV- und LNG-Antrieben, dann ist die Batterie der eindeutige Gewinner. Und die Technik entwickelt sich so rasant weiter, dass Batterien in den kommenden Jahren die Reichweite liefern, die ein BEV-Reisebus braucht.

Warum schlägt die Batterie den Wasserstoff?

Hohe Kosten, geringe Energieeffizienz und wenig Tankstellen sind wichtige Punkte, die aus heutiger Sicht gegen den Wasserstoff sprechen. Und die fehlende Verfügbarkeit von grünem Wasserstoff sowie die Kosten der Brennstoffzelle sind für eine flächendeckende Einführung nicht förderlich.

Sie blicken beim BEV-Reisebus auf einen europaweiten Einsatz, wie sehen Sie die regionalen Unterschiede und den Ausbau den Tankstellen für BEV- und FCEV-Reisebusse?

Der Ausbau der Infrastruktur in Europa ist vor dem Hintergrund unterschiedlicher Energiepreise zu sehen. Günstige Strompreise führen in einigen Ländern zu einer frühen TCO-Parität beim Vergleich zum Dieselantrieb, wie das Beispiel Norwegen zeigt. Und auch in Schweden ist das Potential für Wasserstoff für Mobilität vergleichsweise gering. In Spanien oder Italien und Griechenland wird diese TCO-Parität eher spät erwartet.

Wasserstoff ist keine oder nur eine kleine Alternative?

Wasserstoff ist, das zeigt sich gerade in Deutschland, in der Übergangsphase attraktiv. Politisch gewollt und gestützt tritt dann die TCO-Parität für BEV etwas später ein, sie wird aber kommen. Auch deshalb, weil sich die Batterietechnik immer weiter verbessert. Die Uhr tickt und die Investitionen und Förderungen für H2 müssten schon heute angeschoben werden, damit diese in 10 Jahren verfügbar wären.

Mit Blick auf den Wirkungsgrad und die Well-to-Wheel-Betrachtung schlägt die Batterie auch die Brennstoffzelle!

Ja, Wasserstoff hat einen deutlich schwächeren Wirkungsgrad, beim Strom haben wir eine hohe Wirkungsgradeffizienz, rund 75 Prozent sind es. Beim Wasserstoff hingegen sind es nur maximal 25 Prozent in der Well-to-Wheel-Betrachtung. Nicht vergessen sollte man beim Vergleich Batterie – Wasserstoff, dass einige Länder wie beispielsweise in Skandinavien gar keine entsprechende Infrastruktur aufbauen. Mit Blick auf die eRoadmap und die Entwicklung im Bereich Reisebus auch ein wichtiger Punkt!

Es spricht also Vieles für einen BEV-Reisebus, wie wird das Laden aussehen, wenn erste Fahrzeuge zu Kunden für die Fahrerprobung gehen?

Da erlauben uns die Lkw-Kollegen im Konzern interessante Ausblicke. Sie tendieren zum Megawatt-Charging mit kurzen Andockstationen, die es überall entlang der Autobahnen geben wird. Wir könnten das 1:1 für den BEV-Reisebus adaptieren.

Mit welchen Reichweiten eines BEV-Reisebusses unter Berücksichtigung von Fahrerpausen rechnen Sie?

Mit einer Ladeleistung von 350 bis 375 kW kann das Einsatzprofil eines Diesel-betriebenen Reisebusses bereits heute mit einem BEV-Reisebus nahezu nachgebildet werden, gute 400 km Reichweite und damit das Erreichen der gesetzlich vorgeschriebenen Pause sind darstellbar.

Und wo lädt der Busfahrer den elektrischen Reisebus dann in der Pause?

An einer der dann hoffentlich zahlreich vorhandenen Ladesäulen in Deutschland und Europa. Dies geht nicht ohne staatliche Unterstützung, vor allem bei der Schaffung der Ladeninfrastruktur, hier ist auch die Politik gefragt – europaweit. Gerade beim Bus, der auch abseits der Autobahnen fahren wird und nachts vor Hotels oder auf Busparkplätzen in der Stadt geladen werden muss, ist jetzt mehr denn je die Politik gefordert.

Was bietet der Reisebus der Zukunft denn neben einem Batterie-elektrischen Antrieb noch?

Natürlich ist der Antrieb nicht die einzige Stelle, an der MAN aktuell arbeitet. Auch das Entlasten der Fahrerinnen und Fahrer hinter dem Steuer ist ein Thema, das in Projekten erforscht wird. Dazu gehören beispielsweise weitere Assistenzsysteme, die das Fahren erleichtern werden. Wir sehen aber auch hier den Ansatz, unabhängig der Technologie, dass wir uns schon Sorgen um die Fahrer machen, da wir zwar weiter eine Erleichterung durch Assistenzsysteme für den Fahrer sehen, aber wir nicht davon ausgehen, dass Autonomes Fahren in den nächsten zehn Jahren für Reisebusse zu erwarten ist. Ich persönlich kann mir nicht vorstellen, dass wir fahrerlos über die Autobahn vor 2040 fahren. Der (Bus-)Fahrer ist ein weiter wichtiger Faktor!

Ist die Busbranche mit den vielen mittelständischen Unternehmen bereit für den BEV-Reisebus?

Auf die Vorträge, die ich bei Verbandstagungen zu diesem Thema halte, bekomme ich viele Rückmeldungen. Immer wieder ist es der Preis, der die Busunternehmen bewegt. Unser Ziel ist es, dass die Kilometerkosten des BEV-Reisebusses mit denen eines konventionell angetriebenen Reisebusses vergleichbar sind.

Der Reisebus der Zukunft bietet für den Fahrgast…

…etwas Neues. MAN hat den Reisebus neu gedacht, unsere Designer sind hoch motiviert. Nicht nur das äußere Erscheinungsbild, auch der Fahrgastraum bricht mit Traditionen und verspricht eine spannende Zukunft für und mit dem Reisebus! Vieles wird auf Nachhaltigkeit gehen: Materialien oder ein Solardach. Aber auch mehr Komfort für den Fahrgast wird es geben, mit flexibler Innenraumgestaltung, seien Sie gespannt, der Bus wird zur Großraumlimousine mit bester CO2-Bilanz.

Der BEV-Reisebus bekommt einen ganz neuen optischen Auftritt?

Ja, denn mit Blick auf dessen Antrieb steckt in der Aerodynamik viel Potential, also werden BEV-Reisebusse sicherlich mit Spiegelersatzsystemen, einer anderen Karosserieform, vielleicht sogar mit Spoilern und anderen raffinierten Lösungen vorfahren. Natürlich werden wir Geodaten nutzen und mittelfristig ein bestimmtes Level beim automatisierten Fahren.

Wann wird der Reisebusmarkt die elektromobile Wende vollzogen haben?

Ganz realistisch nicht vor 2028. Es fehlen die infrastrukturellen Rahmenbedingungen. Noch wissen wir nicht, wie die Ladeinfrastruktur der Zukunft aussehen wird. Und unsere Ingenieure arbeiten intensiv an einem Thermomanagement für den BEV-Reisebus, der im Vergleich zum BEV-Linienbus ganz andere Parameter erfüllen muss.

Zusammenfassend klingt es so, als sei der BEV-Reisebus im Hause MAN zum Greifen nahe. Wann und wie wird etwas Spannendes zum Einsatz kommen?

Wir werden 2026 erste BEV-Reisebusse auf die Straße bringen. Es werden Vorserienfahrzeuge sein, die wir gemeinsam mit unseren Kunden erproben werden. Und ohne zu viel zu verraten, wir werden mit einem Dreiachser starten!

Das ist spannend, ein Dreiachser wurde mit Blick auf das Batteriegewicht gewählt?

Ja, die Batterien werden mit guten zwei Tonnen zu Buche schlagen, da macht ein Dreiachser durchaus Sinn. Aber auch hier werden wir die Fahrzeuge bedarfsorientiert bestücken, wir bleiben dem modularen Prinzip treu – je nach Einsatzzweck kann der Kunde die Anzahl der Batteriepakete variieren.

Und wo werden die Batterien beim BEV-Reisebus zu finden sein?

Das Dach des BEV-Reisebusses werden wir nicht nutzen, das Fahrzeug wurde ja neu gedacht. Wenn man es ganz klassisch betrachtet, dann gibt es Bauräume, die dafür bestens geeignet sind – ob der ehemalige Motorraum oder der Kofferraum. Da haben unsere Ingenieure zusammen mit den Designern eine clevere Lösung gefunden, wie ich finde. Und bevor Sie fragen, auch für die Achslastgewichtsverteilung vorne gibt es eine solche. Mehr Details werde ich aber heute nicht preisgeben!

Noch stehen ja auch die Elektrobusse für die Stadt im Fokus. Und dann gibt es zwischen Stadt- und Reisebus ja noch ein weiteres Segment!

Bei MAN Truck & Bus gibt es eine echte Elektro-Offensive, wir haben das Stadt- und Überland-Portfolio im Blick, das stimmt. Und mit dem Reisebus blicken wir in eine im wahrsten Sinne spannende Zukunft! Unsere E-Roadmap ist fixiert und Elektrobusse nehmen immer mehr Fahrt auf.

Herr Kiess, vielen Dank für das Gespräch!

Autor: Rüdiger Schreiber

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