
Renault Scenic im Test: Ein familienfreundlicher Firmenwagen?
Bis 2023 wurde der Scenic als praktischer, kompakter und preisgünstiger Van gebaut – zwei Generationen des Modells durfte ich selbst erleben. Heute erinnert nur noch die Einordnung des Modells durch das Kraftfahrt-Bundesamt als Mini-Van an vergangene Tage. Wie schon andere Vans – wie der Opel Zafira – musste sich auch der Scenic den Marktgegebenheiten anpassen. Sprich: Zum SUV mutieren.
Mit einer Länge von 4,47 Metern ist der rein elektrische Scenic rund elf Zentimeter kürzer als ein VW ID.4 und sogar 12,5 Zentimeter kürzer als der Ariya der (Ex-)Schwestermarke Nissan, der ebenfalls die Plattform AmpR Medium nutzt. Seine weiteren Abmessungen – 1,57 Meter hoch und 1,86 Meter breit – positionieren ihn in einer Liga mit Modellen wie dem BMW iX1, BYD Atto 3 oder auch dem Ford Explorer. Der Radstand von fast 2,79 Metern rückt ihn hingegen in die Nähe von Audi Q4 e-tron, Cupra Tavascan, Peugeot e-3008 oder auch dem Skoda Enyaq. Wie sich zeigt, ist die Liste der Wettbewerber für den Scenic, der in der Variante Esprit Alpine 220 Long Range in Perlmutt-Weiß zum Test zur Verfügung stand, lang.
Doch nicht nur die Wagenfarbe trägt zur gefälligen Optik des Scenic bei. Auch das bullige, kantige Design trifft den Zeitgeist – die Zeiten der zurückhaltenden Van-Silhouette sind zumindest beim Scenic endgültig vorbei. Schwarze Diffusoren an Front und Heck, Radläufe sowie Schweller in Kombination mit den 20-Zoll-Leichtmetallfelgen verleihen dem Stromer einen sportlich anmutenden SUV-Charakter.
Allerdings orientiert sich Renault beim neu gestalteten Exterieur stark am Wettbewerb. Besonders die Frontgestaltung mit ihrer Voll-LED-Lichtsignatur erinnert auf den ersten Blick an den Peugeot e-3008. Am Heck scheint sich der französische Autobauer wiederum von BMW Inspiration geholt zu haben. Der Scenic hebt sich damit nicht wesentlich von der Konkurrenz ab – was jedoch nicht zwingend ein Nachteil sein muss. Die optische Eigenständigkeit geht aber ein Stück weit verloren. Beim Design ist der Scenic jetzt ein E-SUV unter vielen.
Etwas seltener im Feld sind da schon versenkbare Türgriffe, die beim Scenic Einzug gehalten haben. Sobald man sich dem Fahrzeug nähert, fahren die versenkbaren Türgriffe automatisch heraus – ein Detail, das weniger optische, denn aerodynamische Gründe hat.













Große Überraschungen bleiben auch im Innenraum aus, das Cockpit ist – Renault-typisch – sehr aufgeräumt. Die Ähnlichkeit zum kleineren Plattform-Bruder Megane ist unverkennbar. Es verwundert daher nur wenig, dass das ebenfalls mit zahlreichen Tasten ausgestattete Alpine-Lenkrad auch über einen großen runden Multi-Sense-Button zur Wahl des Fahrmodus verfügt. Über zwei Lenkrad-Paddles lässt sich die Rekuperation einstellen. One-Pedal-Driving stand im Testwagen nicht zur Verfügung. Renault hat jedoch bereits angekündigt, diese Funktion zukünftig anbieten zu wollen. Punktabzug erhält Renault auch für die Anbringung von drei Lenkstockhebeln rechts vom Lenkrad – zu viel, um noch gut bedienbar zu sein.
Besser ist da Renault die Integration der zwei 12-Zoll-Displays in L-Form am Armaturenbrett gelungen. Das in der Mitte des Cockpits vertikal montierte Display verfügt am unteren Ende noch über eine Reihe gut zu bedienender physischer Tasten, womit sich u.a. die Klimatisierung steuern lässt.
Was noch? Nun, die Sportsitze bieten einen bequemen und festen Halt. Das große Aber: Selbst in der höchsten Ausstattung sind diese nicht serienmäßig elektrisch verstellbar. In der von uns getesteten Variante steht die Option erst gar nicht zur Verfügung. Schade, hinterlässt der Scenic doch allein aufgrund der hochwertig verarbeiteten Materialien und Technik im Cockpit den Gesamteindruck eines Fahrzeugs im Premium-Segment. Ein sportlicher Touch wird hingegen, neben den Sitzen und dem Lenkrad, auch durch die blauen Ziernähte, die blauen Dekorelemente an den Türen und über dem Armaturenbrett sowie die in Chrom gehaltenen Pedale vermittelt.
Stärken nicht in der Sportlichkeit
Dabei bleibt es dann allerdings auch beim sportlichen Anspruch. Allein die Daten auf dem Papier zeigen schon, dass der Scenic E-Tech seine Stärken nicht in einer dynamischen Fahrweise hat, auch wenn das Modell bis hierhin den Eindruck erweckt. Renault setzt wie im Megane auch beim Scenic einen fremderregten Synchronmotor ein – diese E-Motoren-Bauart kommt ohne Seltene Erden aus. Bei der von mir getesteten Variante steht die 220 im Namen übrigens für die Angabe in PS. So ganz kann sich Renault von der alten Welt also bisher nicht lösen. In der neuen Währung sind das 160 kW – mehr Leistung bietet Renault nicht an.
Für den Sprint von 0 bis 100 km/h benötigt der Fronttriebler 7,9 Sekunden. Auch andere Werte wie die Beschleunigung von 80 auf 120 km/h in 5 Sekunden oder die Höchstgeschwindigkeit von 170 km/h machen deutlich, dass der Scenic im Vergleich zum Wettbewerb eher Mittelmaß ist. Keine schlechten, aber eben auch keine Top-Werte.
Die Stärken spielt der Stromer dafür an anderer Stelle aus. So ist das Fahrwerk vor allem auf Komfort getrimmt. Schlaglöcher werden souverän abgefangen. Einen schwammigen Eindruck machte das Fahrwerk aber zu keiner Zeit, egal ob in der Stadt, auf der Landstraße oder der Autobahn. Etwas zu leichtgängig wirkte hingegen die Lenkung, hier ist eine direktere Rückmeldung wünschenswert. Geräusche aus den Radkästen treten kaum nach innen. Generell ist der Geräuschpegel sehr gering. Aber nur so lang, wie die Innenraumklimatisierung nicht auf Hochtouren laufen muss. Denn dann wird es unangenehm laut. Offensichtlich scheint die Lautstärkeoptimierung der Klimaanlage nicht oberste Priorität gehabt zu haben.
Eine weitere Stärke soll die Reichweite sein, die mit einer Ladung des 87 kWh großen Akkus erzielt werden kann. Die kombinierte WLTP-Reichweite beziffert Renault mit bis zu 598 Kilometern, für die Innenstadt stehen bis zu 787 Kilometer im Datenblatt. Auch wenn die reale Reichweite natürlich geringer ausfällt: Im Pendler-Einsatz und Familien-Alltag muss man sich um die Reichweite beim Scenic selten Gedanken machen – mit eigener Wallbox zu Hause oder Lademöglichkeit am Arbeitsplatz ohnehin nicht mehr. Für das AC-Laden stattet Renault den Scenic serienmäßig übrigens mit einem 22-kW-Lader aus. Viele Hersteller bieten diese Option nicht mehr an und liefern ihre Fahrzeuge nur mit 11 kW aus.
Anders sieht es bei Vielfahrern aus, denn da zählt nicht nur die Reichweite an sich, sondern die Reisedauer – also inklusive Ladezeiten. Im Testzeitraum lagen die Temperaturen überwiegend im unteren einstelligen Plusbereich. Die Verbrauchswerte schwankten hier bei Stadt- und Landfahrten zwischen 18 und 21 kWh/100 km, was Reichweiten von rund 480 und 420 Kilometern bedeutet. Auf der Autobahn stieg der Verbrauch zeitweise auf deutlich über 23 bis 25 kWh/100 km an, womit die Reichweite auf 380 bis 350 Kilometer schrumpft. Ein Spitzenwert ist dies zwar nicht, doch in Angesicht der äußeren Bedingungen auch kein Wert, hinter dem sich der Scenic verstecken muss. Jetzt, wo die Temperaturen wieder steigen, nehmen aber auch die erzielbaren Reichweiten deutlich zu.
Lade-Performance nur Mittelmaß
Ob Winter oder Sommer, Renault bietet im Fahrerinformationsdisplay eine Reichweitenanzeige mit unterschiedlichen Szenarien an, die sich als sehr praxisnah herausstellte. Im Zusammenspiel mit der SoC-Anzeige, lässt sich gut erkennen, wann die nächste Ladesäule angefahren werden sollte. Erreicht man den Schnelllader mit einem SoC von 15 Prozent, soll der Ladevorgang auf 80 Prozent mit maximal 150 kW in 37 Minuten erfolgen. Das macht die Konkurrenz – zum Teil deutlich – besser.
Knackpunkt ist im Winter zudem die Batterie-Temperatur – das aber auf nahezu alle Elektroautos zutrifft. Ist diese zu niedrig, regelt das Batterie-Management die Ladeleistung herunter, um dauerhafte Schäden innerhalb der Zelle zu vermeiden. Bedeutet allerdings auch, dass sich die Ladezeit verlängert. Um jedoch auch in der kalten Jahreszeit zumindest den Wert aus dem Datenblatt erreichen zu können, muss eine aktive Routenplanung zum nächsten High Power Charger bestehen. Erst dann arbeitet die Vorkonditionierung, um den Akku auf eine optimale Temperatur zu bringen. Eine manuelle Aktivierung dieser Funktion gibt es im Gegensatz zum Nissan Ariya nicht. Schade.
Erfolgt nun aber eine Routenplanung zum Schnelllader, ist Erfahrung gefragt, wann der Akku optimal temperiert ist. Einen Königsweg gibt es dafür nicht. Andere sind da schon weiter und zeigen dem Fahrer dynamisch an, mit welcher Ladeleistung gerade maximal geladen werden könnte. Und auch, ob die maximale Ladeleistung beim jeweiligen Ladestand erreicht wurde.
Als wir die Ladekurve aufgezeichnet haben, hat zumindest das Zurücklegen einer Strecke von rund 70 Kilometern bei Plus vier Grad gereicht, um mit einem SoC-Wert von acht Prozent anzukommen und so möglichst nah an die optimale Ladekurve herankommen zu können. Die maximale Ladeleistung von 150 kW wurde mit den angezeigten 144 kW am EnBW-Schnelllader zwar nicht erreicht, der Lade-Hub von zehn auf 80 Prozent gelang aber immerhin noch innerhalb von 40 Minuten.

Auf der Langstrecke ist also Geduld gefragt. Um die Reisezeit aber so kurz wie möglich zu halten, plant das auf Google basierende System die schnellstmögliche Route inklusive Ladestopps. In der Praxis hat dies sehr zuverlässig funktioniert. Die Berechnung der SoC-Werte bei Ankunft an den jeweiligen Zielen erfolgt jedoch sehr konservativ. So kann es sein, dass das System eine Ankunft am nächsten Ziel mit sechs Prozent Rest im Akku berechnet, es am Ende dann aber doch 13 Prozent sein können. Mir ist es so aber lieber als umgekehrt. Wer die Suche nach einer geeigneten Ladesäule verfeinern möchte, kann nach Ladeleistung und Bezahldienstleistern filtern, allerdings nicht nach Betreibern.
Auf das Google-Betriebssystem – nicht nur bei der Navigation – zu setzen, konnte schon so manchem Hersteller (neben Renault und Nissan u.a. auch Polestar, Volvo oder Ford) Pluspunkte einbringen. Schnell findet man sich im flüssig laufenden Infotainmentsystem des Scenic E-Tech zurecht. Auch die Sprachsteuerung funktioniert zuverlässig. Eventuell noch schnell die Öffnungszeiten des Supermarkts im Nachbarort erfragen? Kein Problem. Und wer lieber das eigene Smartphone nutzen möchte, für den hält der Scenic die Möglichkeit bereit, ein Android- oder Apple-Gerät kabellos zu verbinden.
Licht und Schatten bei den Assistenzsystemen
Ohnehin bietet das System zahlreiche Funktionen und Assistenten, die einige Wettbewerber vermissen lassen. Das akustische Warnsignal bei Geschwindigkeitsüberschreitung ist angenehm zurückhaltend und lässt sich mit einem doppelten Tastendruck links vom Lenkrad deaktivieren. Weniger gelungen ist hingegen die adaptive Geschwindigkeitsanpassung: Sie reagiert erst, nachdem ein Tempolimit-Schild erkannt wurde. Das sanfte Abbremsen ist zwar angenehm, doch das Auto verzögert erst nach dem Schild – was in manchen Situationen, etwa vor Blitzern, problematisch sein kann. Erst mit aktiver Routenführung wird vor dem Tempolimit abgebremst. Andere Hersteller lösen das eleganter und passen die Geschwindigkeit bereits vor einem Tempolimit an – auch ohne aktiven Routenplaner. Auf der Autobahn erwies sich die sanfte Be- und Entschleunigung in Kombination mit dem zuverlässig arbeitenden Spurhalteassistenten jedoch als angenehme Unterstützung auf langen Fahrten. Auch der Querverkehrswarner griff zuverlässig ein – besonders hilfreich beim Rückwärtsrangieren aus unübersichtlichen Parklücken, um mögliche Kollisionen zu vermeiden.












Während es bei den Assistenten Licht und Schatten gibt, sieht dies beim Platzangebot anders aus. Das Kompakt-SUV bietet nicht nur im Cockpit großen Menschen viel Platz, auch im Fond können diese bequem längere Reisen überstehen. Zu wenig Bein- und Kopffreiheit? Fehlanzeige. Der Scenic ist durchzogen von kleinen Raffinessen. Besonders deutlich wird dies an der ausklappbaren Mittelarmlehne im Fond. Dort warten Halterungen für Handys, Tablets oder Getränkeflaschen auf die Passagiere. Auch an USB-C-Anschlüsse sowie weitere Staumöglichkeiten hat Renault gedacht.
Apropos Staumöglichkeiten, ob nun Familienurlaub oder geschäftliche Reisen, überall befinden sich Taschen oder Fächer. Das größere Gepäck oder auch gut fünf Getränkekisten können hingegen im 545 Liter fassenden Kofferraum untergebracht werden – ID.4-Niveau. Noch mehr Stauraum befindet sich unter dem Kofferraumboden, der ganze 36 Liter fassen soll. Als zulässige Anhängelast lässt Renault jedoch nur bis zu 1.100 kg (gebremst, 750 kg ungebremst) zu.
Fazit
Der Renault Scenic E-Tech entpuppt sich als praktischer Wegbegleiter für den Alltag – nicht nur für Familien, sondern auch als Dienstwagen. Die Franzosen haben mit dem Scenic ein hochwertiges und komfortables Elektroauto auf die Beine gestellt, das in seiner Klasse zudem mit seiner elektrischen Reichweite punktet. Abstriche müssen allerdings unter anderem bei der Lade-Performance gemacht werden. Ob man sich die Zeit an der Ladesäule nehmen will oder doch lieber auf Modelle wie von Kia oder Hyundai mit der 800-Volt-Technik setzt, die deutlich schneller laden, muss am Ende jeder selbst entscheiden. Meist fällt diese Entscheidung über den Preis. Für den Scenic Esprit Alpine 220 Long Range ruft Renault einen Basispreis von 50.700 Euro auf. Ein Schnäppchen ist das Modell somit nicht.
7 Kommentare