
Bring your own power: Was fürs Durchleitungsmodell spricht (und was dagegen)
Für Normalmenschen sind die Strompreise an der öffentlichen Ladeinfrastruktur manchmal unbegreiflich – und ärgerlich: Mal kostet die Kilowattstunde im schnellen DC-Park 39 Cent und mal 89 Cent. Der Grund für diese aus Verbrauchersicht üble Lage ist der Markt- und Machtkampf, der im Hintergrund stattfindet.
Für die Betreiber der Ladestationen, in der Branche meistens Charge Point Operator (CPO) genannt, müssen sich die Investitionen amortisieren. Die Elektroautofahrer rechnen entweder direkt und registrierungsfrei (Ad-hoc) mit dem CPO ab. Oder mit einem Vertrag über die Electric Mobility Provider (EMP). Die EMP wiederum organisieren mit den CPOs das Roaming, also die Funktion einer App oder RFID-Karte in Deutschland sowie in Europa, und zahlen dafür Gebühren.
Dieses Konstrukt wird durch das so genannte Durchleitungsmodell erweitert und zugleich in Frage gestellt: Die Idee ist, dass Pkw- und Lkw-Fahrer mit ihrem eigenen Stromvertrag an jeden beliebigen Ladeplatz kommen können und der CPO dafür ein Entgelt erhält, statt die selbst beschaffte elektrische Energie zu verkaufen. Stichwort: Bring your own power. Kann das klappen?
Ausschreibung an Durchleitungsmodell gekoppelt
Ja, sagt Johannes Pallasch von der Nationalen Leitstelle Ladeinfrastruktur. Pallasch hatte das Durchleitungsmodell im Zusammenhang mit der Ausschreibung von DC-Parks für Lkw befürwortet. Konkret gemeint sind die nicht bewirtschafteten Raststätten, also jene Parkplätze an den Autobahnen, an denen viele Lkws pausieren und die kein Serviceangebot wie Restaurants bieten.
Diese unbewirtschafteten Raststätten sind attraktive Standorte für den Aufbau einer Lkw-Ladeinfrastruktur. Und sie gehören dem Staat, der die Ausschreibung an Bedingungen koppeln kann und einen starken und fairen Wettbewerb im Blick haben muss. Und das ist in diesem Fall die Möglichkeit des Durchleitungsmodells: Lkw-Fahrer sollen mit den Stromverträgen der Spedition laden können, und der CPO erhält ein fixes Infrastrukturentgelt. Die Höhe soll nicht ausgedacht oder willkürlich sein, sondern nachvollziehbar auf Basis der Kosten für die Vergabe dieser Standorte hergeleitet werden.
Wettbewerb zwischen den Zugangsvarianten
Allerdings, erläutert Johannes Pallasch, ist die Einführung der Durchleitung als neue Ladeoption außerhalb der Ausschreibung des Lkw-Schnellladenetzes in der freien Entscheidungsgewalt der einzelnen CPOs. Da es sich beim Lkw-Schnellladenetz um eine Ausschreibung zur Errichtung von Ladeinfrastruktur auf Flächen des Bundes handelt, kann der Bund Anforderungen in Form vertraglicher Bedingungen stellen, welche von interessierten Bietern zu erfüllen sind, um den Zuschlag zu erhalten.
In Bezug auf das Lkw-Schnellladenetz ist das Durchleitungsmodell ein Instrument, das den Energieerzeugungsmarkt besser integriert und bei begrenzten Flächen für Lkw-Ladeinfrastruktur auf den Rastanlagen mehr Wettbewerb ermöglicht. „Das Durchleitungsmodell beim Lkw ist eine Ergänzung zum klassischen Vertragsladen und dem aufwachsenden Ad-hoc Laden ohne Registrierung“, so Pallasch.
Frei verhandeltes Entgelt
So ist es auch an den anderen DC-Standorten für Pkw und Lkw, bei denen der Staat nicht direkt involviert ist: Das Durchleitungsmodell ist eine Alternative zum Laden mit Vertrag und zum Ad-hoc Laden.
Hier können die CPOs und die EMPs also frei und ohne staatliche Regulierung über das Entgelt verhandeln. In dieser Form wird das Durchleitungsmodell meistens diskutiert.
Einer der bekanntesten Befürworter des Durchleitungsmodells ist Sebastian Ewert, Geschäftsführer der Lichtblick eMobility GmbH. Lichtblick betreibt über 8.000 Ladepunkte für Stadtwerke und anderen B2B-Kunden, aber bisher nicht unter eigenem Namen. Noch nicht, denn das wird sich im Jahresverlauf ändern.
Transparenz der Kosten
Sein wichtigstes Pro-Argument: „Das Durchleitungsmodell schafft Transparenz.“ Der Endkundenstrompreis setzt sich aus den Produktionskosten, den Steuern und Abgaben, den Netzentgelten und eben dem Durchleitungsentgelt zusammen, und diese vier Faktoren werden offengelegt. „Das Durchleitungsmodell wird genau wegen dieser Transparenz angefeindet“, sagt Ewert.
„Das Durchleitungsmodell ist aber gut für den Wettbewerb, weil die CPOs mit den Durchleitungsentgelten untereinander konkurrieren würden“, so Sebastian Ewert von Lichtblick. Es liege im Interesse des CPOs, ein geringes Durchleitungsentgelt zu verlangen, weil so die Auslastung steige.
Dynamische Stromtarife am Ladepunkt
Dazu komme ein weiteres, schwerwiegendes Argument mit einem großen monetären Hebel: Die Spotpreise am Strommarkt könnten direkt weitergegeben werden. Es wäre also möglich, dynamische Tarife, die in Abhängigkeit von Angebot und Nachfrage schwanken, direkt an den Ladepunkt durchzuleiten. Besonders für den preissensiblen Schwerlastverkehr wäre das ein Effizienzfaktor.
„Wenn ein Netzentgelt zum Beispiel DC-seitig bei circa 20 Cent liegen würde, könnte ein tatsächlicher Ladepreis über negative Börsenstrompreise wegen einer akuten Überproduktion durch Wind und Sonne bei 25 bis 30 Cent pro Kilowattstunde liegen“, ist Ewert zuversichtlich.
Der Staat könne und solle sich heraushalten: „Wegen der Preistransparenz kann das Durchleitungsmodell erfolgreich sein und so die Praxis der Roaminggebühren ersetzen.“ Der Kunde wiederum habe maximale Wahlfreiheit.
Wird das bewährte Roaming rückabgewickelt?
Das sieht Mark Steffen Walcher, Geschäftsführer der Smartlab GmbH, völlig anders. Er verstehe die Grundidee, habe aber erhebliche Zweifel an der realen Umsetzung, sagt Walcher.
„Das Kernproblem ist, dass das funktionierende Roaming faktisch rückabgewickelt werden würde.“ Die Ursache: Damit die Pkw- und Lkw-Fahrer mit ihrem Stromvertag überall abrechnen könnten, müssten zuerst alle CPOs mitmachen. „Dafür aber gibt es keinen finanziellen Anreiz“, ist Walcher überzeugt, weil die Roaminggebühren höher sind als die Durchleitungsentgelte und folglich der Verdienst. Im Ergebnis würde sich das Durchleitungsmodell nicht durchsetzen, wenn es der Staat nicht vorschreibe, was aus Sicht der Befürworter nicht nötig ist. Siehe oben.
Speditionen verhandeln bilateral
Mark Walcher sieht auch keine Perspektive für das Durchleitungsmodell im Schwerlastverkehr: „Die Speditionen fahren nicht irgendwo durch die Gegend und laden, wie es gerade passt. Vielmehr bestimmt ein Disponent, wo der Fahrer halten muss, und hier gibt es häufig bilaterale Verträge zwischen Logistikunternehmen und CPO.“
Aus Marktsicht würde sich das Durchleitungsmodell nicht durchsetzen, weil es keine echten Vorteile biete und schlicht überflüssig wäre, fasst Walcher zusammen.
„Der Staat muss es nicht vorschreiben“
Knut Hechtfischer vom Durchleitungsdienstleister Decarbon1ze und Vordenker des Prinzips, sagt deutlich: „Der Staat muss es nicht vorschreiben. Das Durchleitungsmodell ist am Standort eines CPO ein zusätzliches Feature, das die Auslastung steigert. Und genau das führt dazu, dass die Betreiber mitmachen würden.“
Außerdem, so Hechtfischer, sei das Leitbild des Durchleitungsmodells nicht auf die öffentliche Ladeinfrastruktur beschränkt und biete Use Cases zum Beispiel am Arbeitsplatz oder zu Hause.
„Das Durchleitungsmodell fördert den Wettbewerb.“ Und genau der funktioniert im Moment nicht so, wie er soll.
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