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„Der Hochlauf geht zu langsam” – Interview mit Lars Stenqvist über die Lkw-Elektrifizierung

16.000 Ingenieure, 3 Milliarden Euro für Entwicklung pro Jahr und 5.000 ausgelieferte E-Trucks: Die nackten Zahlen der Volvo Group sprechen für sich. Und doch ist der CTO des schwedischen Nutzfahrzeug-Herstellers mit der Transformation unzufrieden. Wir haben darüber mit Lars Stenqvist am Rande der EVS38 in Göteborg gesprochen und konnten ihm auch eine Botschaft an die Politik entlocken. Sein Wunsch: „Definiert die Ziele, überlasst uns die Lösung!”


„Alle müssen anpacken, damit die Transformation gelingt.” Mit diesem leidenschaftlichen Appell in seiner Keynote hat Lars Stenqvist, Technik-Vorstand der Volvo Group, vergangene Woche in Göteborg die EVS38 mit eröffnet. Das Electric Vehicle Symposium ist eine Art Wanderzirkus der Vordenker und Pioniere der Elektromobilität. Die Konferenz (und ihre begleitende Messe) ziehen schon seit Jahrzehnten von Kontinent zu Kontinent. Es treffen sich vor allem Ingenieure, Wissenschaftler und Techniker, also Menschen wie Lars Stenqvist.

Die in Göteborg beheimatetet Volvo Group nutzte ihr Heimspiel bei der EVS38 für einen Großaufschlag in Sachen eMobility-Kommunikation. Und das nicht ohne Grund: Mit 5.000 ausgelieferten Elektro-Lkw ist der global agierende Nutzfahrzeug-Hersteller der Konkurrenz weit voraus. Selbst schwere Baumaschinen wie Bagger und Dumper der Tochter Volvo Construction Equipment werden Batterie-elektrisch längst in nennenswerter Stückzahl ausgeliefert. Doch Lars Stenqvist ist damit nicht zufrieden. Ihm geht die Transformation zu langsam. „Die E-Fahrzeuge sind da”, sagte er in seiner Keynote. Aber es könne nicht Aufgabe eines Herstellers sein, die Nachfrage anzukurbeln. Alle Player entlang der Wertschöpfungskette müssten mit anpacken und erfolgreiche Business Cases etablieren. Und die Politik die nötigen Rahmenbedingungen dafür schaffen. Nur dann könne Elektromobilität – egal ob auf der Baustelle oder auf der Straße – wirklich abheben.

Wir von electrive haben in Göteborg die Gunst der Stunde genutzt und mit den verschiedenen elektrischen Lkw der Volvo Group ein paar Testrunden gedreht. Vom Müllsammler bis zum Sattelschlepper, vom kleinen bis zum großen Bagger. Selbst eine (beeindruckende) Probefahrt im vollautonomen Stadtbus war in dem abgesperrten Areal des Volvo Trucks Customer Experience Center möglich. Und wir haben natürlich auch mit dem ungeduldigen Lars Stenqvist gesprochen:

Volvo Trucks hält einen Marktanteil von 60 Prozent im europäischen Markt für Elektro-Lkw. Als CTO des weltweit führenden Anbieters von Transportlösungen – welche Technologien sehen Sie als die transformativsten für die Zukunft des Schwerlastverkehrs?

Wir müssen den Straßentransport und die Infrastruktur dekarbonisieren. Dabei ist klar: Es reicht nicht, sich auf eine einzige Technologie zu konzentrieren. Es gibt keine Wunderwaffe zur Dekarbonisierung unserer Branche. Pkw können fast vollständig batterie-elektrisch werden – in unserem Segment funktioniert das nicht. Deshalb arbeiten wir an batterie-elektrischen und Brennstoffzellen-Fahrzeugen, die mit Wasserstoff betrieben werden. Gleichzeitig entwickeln wir weiterhin den Verbrennungsmotor weiter, der dann natürlich mit fossilfreier, erneuerbarer Energie betrieben wird. Wir verfolgen also alle drei Technologien parallel und investieren stark in jede davon.


Der Schwerpunkt liegt aber auf dem E-Antrieb…

Wir haben relativ früh im Bereich der batterie-elektrischen Nutzfahrzeuge angefangen und gelten sowohl in Europa als auch in Nordamerika als Pionier. Die Volvo Group hatte zunächst elektrische Stadtbusse im Angebot – die Nachfrage von der Lkw-Seite kam aber später. Die Komponenten aus den Bussen waren jedoch sehr modular aufgebaut, sodass wir sie recht einfach in Lkw integrieren konnten. Das ist einer der Gründe, warum wir im Bereich E-Lkw als Vorreiter gelten.

Wäre es nicht effizienter, sich auf eine Technologie zu konzentrieren, statt Geld in verschiedene Antriebsarten zu stecken und abzuwarten, welche sich durchsetzt?

Wir sind überzeugt, dass wir zukünftig große Stückzahlen bei allen drei Technologien sehen werden. Es werden nicht meine Ingenieure sein, die entscheiden, welche Technologie sich durchsetzt – das hängt vielmehr von der Verfügbarkeit, Form und dem Preis von Energie in den jeweiligen Regionen ab. Batterie-elektrische Nutzfahrzeuge sind ideal, wenn es eine gut ausgebaute Ladeinfrastruktur gibt. In bestimmten Regionen ist das aber nicht so einfach. Und wenn man nicht laden kann, ist diese Technologie plötzlich außen vor. Daher glauben wir, dass es dieselbe Transportanwendung geben wird, aber Kunden in Region A setzen, zum Beispiel, auf batterie-elektrische Lkw, in Region B auf die Wasserstoff-Brennstoffzelle, und in Region C auf Verbrennungsmotoren mit Biogas.

Volvo Trucks hat bereits 5.000 Elektro-Lkw ausgeliefert. Dennoch sagen Sie, der Markthochlauf gehe nicht schnell genug. Welche politischen Maßnahmen wünschen Sie sich, um diesen zu beschleunigen?

Ich fordere nicht mehr Gesetze oder neue Regulierungen – ich wünsche mir Anreize, um die Nachfrage zu stimulieren. Ich bin gleichzeitig optimistisch und pessimistisch. Wenn ich mir die Lkw-Neuzulassungen in Europa anschaue, liegt der Anteil von E-Lkw im ersten Quartal dieses Jahres nur bei 1,5 Prozent – das ist fast nichts. Wenn man sich die Zahlen in einzelnen Ländern ansieht, gibt es aber Grund zur Hoffnung: In der Schweiz liegt der Marktanteil bei elf Prozent, in Norwegen bei rund neun Prozent, und auch die Niederlande sind nicht weit dahinter. Es passiert also definitiv etwas.


Was macht den Erfolg aus?

Diese Länder sind erfolgreich, weil sie langfristige, verlässliche Fördermodelle haben. Das beste Beispiel ist die Schweiz, wo emissionsfreie Fahrzeuge keine Straßensteuer zahlen müssen. Das bedeutet, dass umweltverschmutzende Technologien für die Umstellung auf neue Technologien bezahlen. Wir begrüßen solche nutzungsbasierten Anreize, denn wenn ein Unternehmen einen E-Lkw kauft, hat es einen Grund, ihn möglichst viel zu nutzen und Kilometer zu machen.

Was die Technologie betrifft – wäre es nicht wünschenswert, wenn Brüssel klar sagen würde, welche Technologien künftig gefördert werden, um Ihre Investitionen zu fokussieren?

Auf keinen Fall. Ich bin da ganz klar: Ich möchte, dass unsere Politiker und Gesetzgeber definieren, was sie erreichen wollen. Ich habe die besten Ingenieure der Welt – die finden dann die technischen Lösungen. Nehmen Sie die Diskussion um das Verbot von Verbrennungsmotoren. Das ist ein Beispiel für politische Entscheidungen ohne echtes Verständnis der Folgen. Sie sollen bitte klar definieren, was ihr Ziel ist: Geht es um Luftqualität? Lärmreduktion? Oder eine Kombination? Meine Ingenieure finden die beste technische Lösung für diese Ziele. Ich bin jedoch sehr skeptisch, wenn eine Technologie verboten wird, nur weil man ihr zukünftiges Potenzial nicht versteht.

Sie haben Ihre Rolle als Pionier der Elektrifizierung im Schwerlastverkehr in Europa und Nordamerika angesprochen. Wie wollen Sie diese Vorreiterposition behalten?

Wir haben 16.000 Ingenieure und investieren drei Milliarden Euro pro Jahr in Forschung und Entwicklung. Das ist notwendig, um den Wandel voranzutreiben. Dafür muss man auch finanziell gut aufgestellt sein. Und ich bin mir nicht sicher, ob alle diesen Wandel auch finanziell durchstehen werden. Vielleicht sieht das Wettbewerbsumfeld nach der Transformation ganz anders aus.

Volvo Trucks will bis 2040 klimaneutral sein und bis 2050 seine gesamte Flotte durch emissionsfreie Fahrzeuge ersetzen. Wie gelingt Ihnen dieser Übergang beim Personal – insbesondere mit Hinblick auf die 16.000 Ingenieure?

Wir stellen die Entwicklung des Verbrennungsmotors ja nicht ein. 2024 war sogar ein Rekordjahr: Noch nie haben wir so viel Geld in die Weiterentwicklung von Verbrennern investiert wie im vergangenen Jahr. Diese Technologie verschwindet also nicht. Gleichzeitig rekrutieren wir viele neue Ingenieure – direkt von der Uni oder mit Erfahrung in Batterien, E-Motoren, Software etc. Aber auch viele unserer Verbrenner-Ingenieure wechseln in die Elektromobilität und erlernen neue Fähigkeiten. Ich habe so viele Beispiele dafür. Und ich behaupte: Ein Ingenieur, der nicht neugierig ist, ist keiner.

Wenn Sie fünf Jahre in die Zukunft blicken – was sind aus technologischer Sicht die größten Herausforderungen bei E-Fahrzeugen und Infrastruktur, die Ihre Ingenieure lösen müssen?

Wenn ich außerhalb unseres Unternehmens schaue, liegt die größte Herausforderung in der Infrastruktur. Aus europäischer und nordamerikanischer Sicht läuft der Ausbau der Ladeinfrastruktur viel zu langsam. Um den aktuellen CO2-Vorgaben gerecht zu werden, brauchen wir bis 2030 einen Elektrofahrzeug-Anteil von 35 Prozent. Das bedeutet, wir müssten in Europa bis dahin rund 35.000 bis 40.000 Schnelllader speziell für Nutzfahrzeuge haben. Derzeit gibt es etwa 1.000. Wir müssten also ab jetzt 500 Schnelllader pro Monat installieren, um das Ziel zu erreichen. Leider kann ich sagen: Im letzten Monat lag der Ausbau deutlich unter dieser Zahl.

Deshalb ist ein Marktanteil von zehn bis zwölf Prozent, wie ich ihn vorher erwähnt habe, so wichtig. Wenn die Branche diese Schwelle erreicht, erkennen Investoren, dass der Wandel wirklich stattfindet – und fangen an, Ladeinfrastruktur zu bauen. Genau hier müssen Gesetzgeber in Brüssel aktiv werden und den Ausbau frühzeitig überwachen. Denn sie können uns keine Ziele für 2030 setzen, ohne sicherzustellen, dass die Ladeinfrastruktur bis dahin da ist. Wir fordern keine weniger strengen Vorgaben – wir fordern, dass der Infrastrukturausbau eng begleitet wird.

Trotz der aktuellen Schwierigkeiten bei Northvolt wollen Sie eine eigene Batteriezellfertigung aufbauen. Was macht Sie so zuversichtlich, dass Sie erfolgreich werden?

Wir haben von Anfang an gesagt, dass wir so etwas niemals alleine machen würden. Wir werden definitiv mit einem echten Experten für Batteriezelltechnologie zusammenarbeiten. Dieses Modell haben wir von Anfang an verfolgt.

Sie haben bereits mehrere Kooperationen mit Daimler Truck – etwa Cellcentric für Brennstoffzellen, Milence für Ladeinfrastruktur oder nun Coretura für Software-definierte Fahrzeugplattformen. Werden Sie auch bei der Batterieproduktion mit Daimler kooperieren?

Wir schauen uns verschiedene Technologien an und befinden uns hier noch in einem frühen Stadium. Aber wenn die Stückzahlen noch niedrig sind, macht Partnerschaft Sinn. Unser CEO und Präsident Martin Lundstedt sagt immer: „Zusammenarbeit ist das neue Führen“ – und das trifft absolut zu in dieser Umstellung. Wir prüfen also ständig, in welchen Bereichen wir mit anderen Akteuren kooperieren können – etwa beim Laden, bei Brennstoffzellen und nun auch im Bereich Software-definierter Fahrzeuge. Wir sind jederzeit offen für weitere Partnerschaften. Mal sehen, wann wir neue Geheimnisse verraten können.

Herr Stenqvist, vielen Dank für das Gespräch!

Interview: Carla Westerheide
Redaktionelle Mitarbeit: Peter Schwierz

3 Kommentare

zu „„Der Hochlauf geht zu langsam” – Interview mit Lars Stenqvist über die Lkw-Elektrifizierung“
Jörg
26.06.2025 um 12:57
„Alle müssen anpacken, damit die Transformation gelingt.”Und alle WOLLEN mit anpacken, außer die Politik und ein paar Zurückgebliebende.....
Simon
26.06.2025 um 13:37
Finde es auch gut, her mit einer Maut für den Verbrenner und höhere Maut für Verbrenner LKWs sowie Ausnahmen für Nachfahrverbot für den elektrischen LWK. Der leisere elektrische LKW darf fahren. Besser als Förderung die sich nur der Hersteller behält. Nicht nur gute Technologie ist wichtig, sondern auch Masse. Das kann China extrem gut
Nana
26.06.2025 um 16:45
Es wäre super wenn es ohne neue Gesetze geht, denn die bedeuten meist Subventionen und Förderungen aus der Tasche des Steuerzahlers. Leider verstehe ich nicht, wie Herr Stenqvist den Hochlauf beschleunigen will, wenn der Staat sich komplett heraushält - und das tut er ja, wenn er keine Gesetze beschließt.

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