
Mut zur Umrüstung: Scharf OHG betreibt einen der ersten E-Reisebusse Deutschlands
Die Zwillingsbrüder Martin und Andreas Scharf führen den Familienbetrieb Scharf OHG Omnibus & Reisebüro in dritter Generation und verantworten u.a. die Unternehmensstandorte in Maria Thalheim, Tittenkofen und Erding. Sie sind sowohl im Stadtbusverkehr als auch in der Bustouristik aktiv – und sehen nun mit dem ersten E-Reisebus im Regelbetrieb ihre schon seit 2016 verfolgte Vision eines emissionsfreien Personentransports fast am Ziel. Denn von Flotten-Pkw über Midi-Busse bis zu ausgewachsenen Stadtbussen fährt bei Scharf OHG schon heute das Meiste elektrisch. Dazu haben die Brüder ein komplettes Ökosystem mit Ladeanlage inklusive intelligentem Lade- und Lastmanagement, Photovoltaik und Speicher realisiert – flankiert von weiteren Gebäude-technischen Maßnahmen, um den ökologischen Fußabdruck zu reduzieren.
Zur Einordnung: Strombetriebene Reisebusse sind noch sehr selten, denn der Markt gilt in der Branche als schwierig zu elektrifizieren. Der wichtigste Grund: Speziell bei Fernbussen geht es im Gegensatz zu den inzwischen schon recht weitläufig elektrifizierten Stadtbussen nicht nur um die TCO, da sie nicht auf planbaren Routen unterwegs sind und nachts an der eigenen Ladestation im Depot ihren Strom für den nächsten Tag beziehen. Reisebusse müssen flexibel sein und benötigen an unterschiedlichsten Orten eine entsprechend schnelle Ladestation. Ihr Use Case ähnelt eher dem von elektrischen Fernstrecken-Lkw, die ja auch gerade erst dabei sind, Marktakzeptanz zu erlangen.
Marktlücke für Umrüster
Auf den Zettel haben den E-Reisebus aber früher oder später alle: Unter den großen deutschen Herstellern will MAN etwa 2026 mit einem E-Reisebus antreten. Daimler Truck schwebt vor, bis 2030 nachzuziehen. Parallel wollen und müssen sie auch das Überlandsegment bedienen. Für Umrüstfirmen ergibt sich so eine Marktlücke – vorausgesetzt es gibt mutige und investitionsfreudige Auftraggeber wie die Scharf OHG. Ihren am Dienstag erstmals präsentierten E-Reisebus mit dem Namen TZ-S eCoach hat die Retrofitting-Firma To Zero umgerüstet. Der ausgebaute Diesel schaffte dabei Platz für einen neuen Voith-Elektroantrieb und Batterien von VW-Partner Gotion High-Tech. Als Basis diente ein neuer Setra S 516 HD/2 mit zwei Achsen und 19 Tonnen zulässigem Gesamtgewicht.
„Für uns ist Elektromobilität keine Zukunftsmusik, sondern gelebter Alltag“, betont Hauptinitiator Martin Scharf vom gleichnamigen Busunternehmen. „Nachhaltige Mobilität ist machbar, das beweisen wir jeden Tag. Der elektrische Reisebus ist wirtschaftlich, zukunftsweisend – und macht einfach Spaß. Er fährt sich souverän, ist dem Diesel technisch überlegen und bringt uns beim Klimaschutz wirklich voran.“ Auch wenn die Familienfirma in Oberbayern gleichermaßen im Stadtbusverkehr aktiv ist, bezeichnet das Unternehmen Busreisen als Herzstück des Familienbetriebs – und unterhält selbst ein Dutzend Reisebusse. Insofern ist die Einführung eines Elektro-Exemplars für die Scharf-Brüder nur konsequent. Es handele sich um eines der ersten Retrofitting-Projekte dieser Art in Deutschland, betonen sie.
Elektromotor ist leistungsstärker als Original-Diesel
Umrüster To Zero gibt seinerseits an, dass der Umbau des Reisebusses ohne die Erfahrungen aus dem Stadtverkehr nicht denkbar gewesen wäre. Seit 2019 elektrifizieren die Gründer der Retrofitting-Firma Stadtbusse für den ÖPNV – unter anderem in Schleswig-Holstein und Schwäbisch Hall, bald auch in Köln und Hanau. Die dabei entwickelten technischen Lösungen bildeten nun auch die Grundlage für den E-Reisebus. Der 20-Tonner beherbergt einen Voith-Elektroantrieb („VEDS-HD“), ein Synchron-Zentralmotor mit 410 kW und 3.100 Nm Drehmoment, der damit mehr Leistung liefert als der Original-Dieselmotor. Die ebenfalls neu verbaute Lithium-Eisenphosphat-Batterie von Gotion High-Tech kommt auf eine Kapazität von 420 kWh, was für bis zu 500 Kilometer Reichweite sorgen soll.






Die insgesamt zwölf nachträglich verbauten Batteriepacks sind dabei an zwei verschiedenen Stellen im Bus untergebracht: Acht finden im ehemaligen Motorraum Platz, vier im Kofferraum. Laut Michael Pfeffer, CEO und Gründer von To Zero, wurde dabei das Packaging so optimiert, dass weder der Fahrgastraum beeinträchtigt wird noch das Gepäckvolumen drastisch sinkt. „Sowohl die Sitzplätze als auch die Zuladung bleiben dementsprechend nahezu vollständig erhalten“, so Pfeffer. Laden können die Batterien theoretisch mit einer maximalen Leistung von 250 kW. Im Fall des TZ-S eCoach ist die Ladeleistung aber auf 200 kW begrenzt. Damit könne trotzdem in weniger als einer Stunde für 300 Kilometer nachgeladen werden, heißt es. Als AC-Ladeleistung werden 22 kW genannt.
Sonderwunsch: Innenliegendes Verlängerungskabel
Ebenfalls wichtig: Die bestehenden Assistenz- und Sicherheitssysteme des
TZ-S eCoach Elektrobus – von ABS und Spurhalte-Assistent bis zum Notbrems- und Abbiegeassistenten – bleiben nach dem Umbau voll funktionsfähig
erhalten. Und: Als „Sonderwunsch“ von Scharf hat To Zero ein „innenliegendes Verlängerungskabel“ realisiert. Die Idee dahinter ist, auch an Pkw-Ladesäulen Strom nachladen zu können, ohne andere Ladeplätze zu blockieren. So lässt sich die Ladebuchse am Bus herausziehen und man gewinnt durch ein innenliegendes Kabel noch einmal vier Meter Länge – zuzüglich zum eigentlichen Ladekabel der jeweiligen Säule. So soll der Bus etwas abseits stehen und trotzdem laden können.
Testfahrt über die Alpen
Im Namen TZ-S eCoach steht übrigens das TZ für „To Zero“ und das S für „Scharf“, als Zeichen der gemeinsamen Kraftanstrengung. Vor seiner Premiere ging der umgerüstete E-Bus laut den Verantwortlichen schon auf eine größere Testfahrt: Von Erding in Oberbayern fuhr das Modell nach Bozen in Südtirol – also einmal quer über die Alpen. Die Reise führte über lange Autobahnetappen und den Brennerpass – über Serpentinen und Passstraßen mit Steigungen von bis zu 14 Prozent auf mehr als 1.700 Meter. „Die Fahrt war unser Härtetest“, sagt Martin Scharf. „Der Bus hat unsere Anforderungen mit Bravour erfüllt. Elektromobilität funktioniert auch im Reiseverkehr – und zwar heute schon, nicht erst in ein paar Jahren.“
Martin Scharf ist im Betrieb der Motor hinter der Elektrifizierung. Er gibt an, sich schon seit 2016 für die Elektromobilität zu interessieren und sich seitdem intensiv in diese Technologie eingearbeitet zu haben. Seinen Zwillingsbruder und gleichberechtigten Geschäftsführer überzeugte er mit seiner Vision schnell. Zum Fahrplanwechsel Mitte Dezember 2021 schickte Scharf OHG daraufhin erstmals zwei Midi-Busse mit elektrischem Antrieb in den städtischen Linienbetrieb Erdings. Schon bei diesen beiden handelte es sich um umgerüstete Mercedes-Benz Sprinter (damals war Orten Electric Trucks der Umrüstpartner) – wegen des seinerzeit noch fehlenden Angebots an E-Midibussen, wie die beiden schildern.
Scharf verantwortet auch Erdinger Stadtverkehr
2022 gesellte sich erstmals ein ausgewachsener E-Stadtbus hinzu: ein MAN Lion’s City 12 E. Das Modell hielt, was er verspricht, woraufhin die Kreisstadt Erding bei ihrer anschließenden Ausschreibung des Buslinienbetriebs die Umstellung auf einen emissionsfreien ÖPNV zur Vorgabe machte. Die Scharf OHG erhielt in der Folge den Zuschlag, woraufhin sie zum Fahrplanwechsel Mitte Dezember 2024 in Erding auf Anhieb zu 100 Prozent E-Busse einsetzte. Seitdem sind dort zehn Mercedes-Benz eCitaro und drei Tremonia Sprinter City 45 electric, eine Photovoltaik-Anlage mit 749 kWp, zwei große Carports mit in Summe 17 Ladepunkten und eine separaten E-Bus-Werkstatt in Betrieb.





Was den benötigten Strom zum Betrieb des E-Bus-Ökosystems angeht, spricht Scharf von rund 800.000 kWh, die im Jahr benötigt werden. Der Anspruch: „So viel wie möglich soll grün sein, am besten selbst produziert.“ Zum Großteil erzeugen tatsächlich die Photovoltaik-Anlagen auf dem Scharf-Betriebshof in Tittenkofen diesen grünen Strom. Und: „Um möglichst viel des Stroms der PV-Anlagen nutzen zu können, sind für den Betrieb des Stadtverkehrs zwei E-Busse mehr beschafft worden“, schildern die Initiatoren. „So können tagsüber Busse geladen werden, die gerade nicht im Einsatz sind. Sind die Akkus aller Fahrzeuge voll, kann zudem eine Kapazität von 600 kWh in einen stationären Speicher gepuffert werden.“
Umrüstungen werden vom Bund wieder gefördert
Der E-Reisebus soll sich nun ebenfalls im Regelbetrieb beweisen. Wie zufrieden alle Seiten mit der Umrüstung und den bisherigen Tests sind, zeigt aber die bereits laufende zweite Auftragsvergabe: To Zero rüstet für Scharf OHG bereits einen weitere Setra-Bus um. Für To-Zero-Geschäftsführer Andreas Pfeffer ist das Projekt ein Aushängeschild: „Retrofitting ist gut fürs Klima, schont Ressourcen und senkt sowohl Investitions- als auch die Betriebskosten, besonders für mittelständische Verkehrsunternehmen“, so der Fachmann. „Denn die Umrüstung kostet mit Förderung nur etwa ein Viertel eines neuen E-Busses. Und im Betrieb lassen sich im Vergleich zu einem Dieselbus bis zu 50 Prozent der laufenden Kosten und rund eine Million Kilogramm CO2 einsparen. Nachhaltiger geht es kaum.“ Auf die Förderung kommt er zu sprechen, da die Bundesregierung wieder ein Subventionsprogramm aufgelegt hat – und in diesem Zuge auch Umrüstungen wieder bezuschusst werden.
Quelle: Infos per E-Mail
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