
Kia EV4 im Test: Mit Komfort und Charakter gegen den ID.3
Kia startete zwar bereits 2014 mit dem kastigen Kleinwagen E-Soul ins Elektro-Zeitalter, in den vergangenen Jahren konzentrierten sich die Koreaner bei der Elektrifizierung ihrer Modellpalette aber vor allem auf SUV und die gehobenen Segmente. Erst im vergangenen Jahr begab sich der Autobauer mit seinen Stromern wieder in günstigere Gefilde und brachte das Kompakt-SUV EV3 auf den Markt, das auf Anhieb zu einem der beliebtesten Elektro-Modelle des Herstellers avancierte.
Auf derselben technischen Basis schiebt Kia mit dem EV4 jetzt seinen ersten klassischen Kompakten mit Elektroantrieb hinterher. Das Modell wird es in zwei Karosserieformen geben – speziell für den europäischen Markt bietet der Hersteller eine Variante mit Schrägheck an, die als erster E-Kia auch in Europa, genauer gesagt im slowakischen Kia-Werk Zilina, gefertigt wird. Diese Version dürfte hierzulande mit Abstand den Löwenanteil der Verkäufe ausmachen.
Die Limousinen-Version EV4 Fastback wird dagegen aus Südkorea importiert und dürfte in anderen Gefilden deutlich mehr Käufer finden – während klassische Kompakt-Limousinen wie der Toyota Corolla beispielsweise in den USA in der Käufergunst nach wie vor recht weit oben stehen, werden sie hierzulande meist als spießig und unpraktisch angesehen.
Kia zeigt sich beim Design betont selbstbewusst
Das Adjektiv altbacken trifft auf den EV4 aber definitiv nicht zu. Bei dem Kompakten hat die Experimentierfreudigkeit von Kias Designabteilung wohl einen neuen Höhepunkt erreicht. Vor allem die stark abfallende Front mit den hochkant stehenden Scheinwerfern wirkt auf den ersten Blick ungewohnt.
Auch das etwas buckelig geratene Heck des Fastback trifft definitiv nicht jedermanns Geschmack. Eines muss man den Koreaner aber definitiv lassen: Sie bringen mit ihren Designs frischen Wind in die optisch teils doch sehr homogene Autowelt. In Natura wirken die Proportionen des EV4 meiner Meinung nach auch deutlich besser als auf Bildern.
Der Fond bietet Mittelklasse-Platzverhältnisse
Schon der auf Europa zugeschnittene EV4 ist mit seinen 4,43 Metern ganze 17 Zentimeter länger als ein VW ID.3. Die Fastback-Variante streckt sich sogar auf 4,73 Meter und ragt damit schon fast in die Mittelklasse hinein. Auch der Radstand fällt mit 2,82 schon beim Schrägheck mehr als üppig aus. Kaum ein anderer Kompakter übertrifft den EV4 in diesem Detail. So sollen der allgemeine Komfort und die Beinfreiheit im Fond maximiert werden. Laut dem Hersteller soll er das geräumigste Modell im gesamten Konkurrenzumfeld sein.
Und tatsächlich besticht der Elektro-Kompakte vor allem in der zweiten Reihe mit einem luftigen Raumgefühl. Selbst wenn der Vordersitz ganz nach hinten gefahren ist, haben sogar Großgewachsene noch ordentlich Luft vor den Knien. Mit meinen 1,85 Metern hatte ich auch genug Kopffreiheit. Einziger Kritikpunkt: Man sitzt für einen klassischen Kompakten recht hoch und die Füße passen nicht unter den Vordersitz.
Der Kofferraum fasst beim klassischen Fünftürer in der Normalkonfiguration 435 Liter. Wenn man die Rückbank umlegt, sind es 1.415 Liter. In der Kompaktklasse spielt der EV4 damit vorne mit. Der Fastback hat zwar auf dem Papier mit 490 Litern das größere Gepäckabteil, ob er aber wirklich praktischer ist, sei mal dahingestellt – er hat nämlich eine deutlich kleinere Kofferraumöffnung, wodurch das Beladen erschwert wird. Einen Frunk sucht man bei beiden vergebens, denn unter der vorderen Haube sitzt bei dem Fronttriebler der Motor.




Kia-Fahrer finden sich im Cockpit schnell zurecht
Vorne bietet sich ebenfalls ein großzügiges Platzangebot, was auch an der Breite von 1,86 Metern liegt. Ein VW ID.3 ist rund sechs Zentimeter schmaler. Insgesamt fühlt sich der EV4 von innen eher nach Mittelklasse an.Wenn man schon einmal in einem von Kias EV-Modellen saß, findet man sich im Cockpit schnell zurecht.
Vor dem Fahrer baut sich eine Bildschirmwand auf, die hauptsächlich aus einem 12,3 Zoll großen Display für die Fahrinformationen und einem gleich großen Infotainment-Touchscreen besteht. Verbunden wird das Ganze durch einen kleinen 5,3 Zoll-Bildschirm für die Klimasteuerung. Mit dem EV4 debütiert ein KI-gesteuerter Sprachassistent, der beim ersten Check aber noch etwas begriffsstutzig war. Software-Updates kommen „over the air“, wodurch die Fahrten zum Servicepartner selten sein dürften.
Kia verbaut zwar an der ein oder anderen Stelle auch härtere Kunststoffe, im Großen und Ganzen überzeugt der Materialmix im Innenraum aber. Es geht zudem recht hell zu, was angesichts des doch eher klein geratenen optionalen Schiebedachs sehr angenehm ist.
Mir persönlich hat die mittlere „Earth“-Ausstattung mit den hellen Kunststoffen und grünen Akzenten deutlich besser gefallen als die höher positionierte, aber ziemlich grau geratene GT-Line. Insgesamt ist es erfreulich, dass die Unterschiede im Innenraum dezent ausfallen und der EV4 Earth im direkten Vergleich trotz der fast 3.000 Euro Preisunterschied alles andere als abgespeckt wirkt. Beim Exterieur verhält es sich ähnlich: Die 17 bis 19 Zoll großen Räder des EV4 sind durch die Bank echte Hingucker.
Der Fokus liegt ganz klar auf dem Komfort
Hat der EV4 erstmal Fahrt aufgenommen, stellt sich schnell ein harmonisches Gesamtbild ein. Kia hat seinen Elektro-Kompakten konsequent auf Komfort getrimmt. Dazu passt auch die für dieses Segment sehr gute Geräuschdämmung und die Abstimmung der Federung: Der koreanische Hersteller verzichtet bei dem Modell zwar auf adaptive Dämpfer, verbaut stattdessen aber einfachere frequenzselektive Stoßdämpfer.
Diese passen ihren Härtegrad mechanisch statt elektronisch an die Fahrbahnbeschaffenheit an. Unter dem Strich machen sie ihre Sache richtig gut. Das Fahrwerk macht mit seinen recht kurzen Federwegen einen recht straffen Eindruck. Unkomfortabel ist es deswegen aber noch lange nicht, stattdessen verwöhnt es die Insassen mit einem flauschigen Abrollverhalten.
Vor allem längere Unebenheiten werden zuverlässig ausgebügelt, was für einen Komfort sorgt, den man normalerweise eher aus höheren Segmenten kennt. Lediglich kurze Stöße, wie beispielsweise Speedbumps, werden recht herb ins Cockpit durchgegeben. Auch der außergewöhnlich lange Radstand dürfte in Sachen Komfort eine Rolle spielen.




Souverän motorisiert, aber keine Rakete
Die Lenkung passt gut zur Fahrwerksabstimmung, sie animiert den Fahrer nämlich nicht dazu, über die Stränge zu schlagen. Trotzdem bietet der Kompakte dem Fahrer ein sicheres Gefühl und lädt zum entspannten Dahingleiten ein. Selbst im Normal- und Eco-Modus ist sie nicht zu leichtgängig. Wenn man auf Sport umschaltet, verhärtet sie sich deutlich – besonders kommunikativ und exakt wird sie deswegen aber trotzdem nicht. Da Kia auf die adaptiven Dämpfer verzichtet hat, beeinflussen die verschiedenen Fahrmodi auch nur die Lenkung und das Ansprechverhalten des Antriebsstrangs, am Fahrwerk ändert sich nichts.
Auf größere dynamische Ambitionen ist der EV4 auch motorseitig nicht ausgelegt. An der Vorderachse sitzt immer ein 150 kW und 283 Newtonmeter starkes E-Aggregat – so wie im EV3. Damit ist der Wagen souverän motorisiert, mehr aber auch nicht. Von Null auf Hundert geht es bei der 1,8 Tonnen schweren Basisvariante mit dem kleinen Akku in 7,4 Sekunden. Die Versionen mit der großen Batterie (81,4 kWh) und mehr Ausstattung bringen rund 150 Kilo mehr auf die Waage und sind drei Zehntelsekunden langsamer. Bei 170 km/h wird der Vortrieb generell immer begrenzt.
Die eher brave Auslegung des Antriebs passt gut zum Konkurrenzumfeld. Kia hat es mit dem Neuling vor allem auf etablierte europäische Modelle abgesehen. Allen voran den VW ID.3 als auch Opel Astra Electric und Peugeot e-308. Die beiden Technik-Brüder aus dem Stellantis-Konzern rollen sogar mit „nur“ 115 kW dahin, während Volkswagens kompakter Stromer mit Heckantrieb je nach Baujahr ebenfalls mit 150 oder in der überarbeiteten Version mit 170 kW vorfährt. Allerdings gibt es den ID.3 auch als GTX mit elektrischem Allradantrieb und 240 kW. Kia hat bereits angekündigt, dass die Antriebspalette des EV4 später auch noch um eine Allrad- und eine leistungsstarke GT-Version erweitert werden soll.
Die Assistenzsysteme machten bei der Testfahrt einen guten Job. Allen voran der aus den anderen EV-Modellen von Kia bekannte aktive Spurhalteassistent funktionierte selbst auf einer kurvigen Landstraße zuverlässig. Es war sogar möglich, die Hände einige Sekunden vom Lenkrad zu lassen, ohne dass einen das System ermahnt. Auch das Pedalgefühl überzeugt und wirkt nicht allzu künstlich. Egal, ob es um das Strom- oder das Bremspedal geht. Letzteres kommt ohnehin selten zum Einsatz. Die Rekuperation kann über Schaltwippen in drei Stufen eingestellt werden und fällt mitunter sehr stark aus. Wenn man “i-Pedal” auswählt, beherrscht der Kompakte auch das One Pedal-Driving, er kommt also allein durch die Rekuperation zum Stehen. Ein Feature, das Kias neuestes Familienmitglied dem VW ID.3 voraus hat.
EV4 Standard Range | EV4 Long Range | |
---|---|---|
Antrieb | FWD | RWD |
Leistung | 150 kW | 150 kW |
Drehmoment | 283 Nm | 283 Nm |
Beschleunigung | 7,5 s | 7,8 s |
Höchstgeschwindigkeit | 170 km/h | 170 km/h |
WLTP–Reichweite | 440 km | 625 km |
Batteriekapazität | 58,3 kWh | 81,4 kWh |
Ladeleistung DC | 101 kW | 128 kW |
Ladezeit DC 10-80% | 29 min | 31 min |
Preis | 37.590 Euro | 43.240 Euro |
Reale Reichweite von knapp unter 500 Kilometern
Bei der Testfahrt rund um Marbella, mit einem hohen Autobahn-Anteil und Außentemperaturen um die 25 Grad, zeigte der Bordcomputer an, dass eine Kilowattstunde Strom für sechs Kilometer reicht. Umgerechnet bedeutet dies einen Durchschnittsverbrauch von rund 17 kWh auf hundert Kilometer. Damit lag die mittlere Ausstattung Earth mit der großen 81,4-kWh-Batterie und den 19 Zoll-Felgen dezent über der Werksangabe von 14,4 kWh. Bei diesem Fahrprofil und ähnlichen Witterungsbedingungen dürfte die reale Reichweite also bei rund 490 Kilometern liegen.
Den WLTP-Radius gibt Kia beim aerodynamischeren Fastback mit bis zu 633 Kilometern an. Beim für Europa bestimmten Schrägheck-Fünftürer sind es immerhin 625 Kilometer. Damit ist der EV4 nicht nur der reichweitenstärkste Elektro-Kia, er sticht in dieser Disziplin auch alle EV-Rivalen im C-Segment aus. Beim ID.3 sind es zum Beispiel maximal 604 Kilometer. Der kleinere 58,3 kWh-Akku soll laut Kia immerhin noch 440 WLTP-Kilometer ermöglichen.
Kein Turbo an der Ladesäule
Bei der maximalen Ladeleistung glänzt der EV4 dagegen nicht gerade: Mit dem kleinen Stromspeicher liegt sie bei nur 101 kW, bei der größeren Batterie sind es immerhin 128 kW. Doch auch das ist nicht die Welt. Die Konkurrenten aus dem Hause Stellantis, die ihren Strom mit höchstens 100 kW zapfen, mag er damit übertrumpfen. Der Renault Mégane E-Tech liegt auf einem ähnlichen Niveau, es gibt aber Konkurrenten, die deutlich mehr bieten.
VW hat im Zuge des Facelifts die Ladeleistung des ID.3 beispielsweise deutlich nach oben geschraubt. Der Elektro-Kompakte aus Zwickau lädt mittlerweile schon in der Basis mit 145 kW, während die Ladekurve der Topversion ID.3 GTX zumindest in der Theorie erst bei 185 kW ihren Höhepunkt erreicht.
Kia wird nicht müde zu betonen, dass es eben nicht nur auf die Peak-Ladeleistung, sondern auch auf den Verlauf der Ladekurve ankommt. Und diese soll besonders gleichmäßig verlaufen. Das stimmt, im Rahmen der Fahrveranstaltung konnten wir das aber nicht überprüfen. Der EV4 muss sich noch bei einem ausführlichen Test inklusive Ladekurven-Check beweisen. Der EV3, in dem dieselbe Batterie steckt, hat diesen bereits absolviert. Und tatsächlich blieb die Ladeleistung fast den ganzen Vorgang über hoch.
Laut dem Hersteller soll der Ladevorgang von 10 auf 80 Prozent bei der kleinen Batterie 29 Minuten in Anspruch nehmen, während bei der Long Range-Variante zwei Minuten obendrauf gerechnet werden müssen. Eine halbe Stunde Wartezeit lässt sich bei gelegentlichen Langstrecken schon verkraften, ein Traumauto eines jeden Außendienstlers wird der Kompakte so aber nicht. Gerade von Kia würde man aber etwas mehr erwarten. Schließlich gehörten die Koreaner zu den 800-Volt-Pionieren, die sich mit Modellen wie dem EV6 gerade mit den vergleichsweise kurzen Ladestopps von der Konkurrenz abgesetzt haben.
Angesichts der Preispolitik wäre ein gewisser technischer Vorsprung auch drin gewesen. Zugegeben, der EV4 ist durch die Bank ordentlich ausgestattet. In der Basis kostet er aber auch 37.590 Euro. Damit ist er teurer als seine Konkurrenten von Stellantis, Renault und VW. Nur der Listenpreis des Cupra Born liegt noch höher. Außerdem gibt es beim EV4 preislich viel Luft nach oben. Der EV4 GT-Line Long Range kratzt stark an der 50.000-Euro-Marke. Zu Gute halten muss man den Koreanern aber, dass sie auf das Fahrzeug sieben Jahre Garantie geben, während die Wolfsburger auf den ID.3 standardmäßig nur zwei Jahre gewähren.
Fazit
Mit dem EV4 hat Kia einen gelungenen Kompakten mit prägnantem Design auf die Räder gestellt, der vor allem mit seinem guten Platzangebot, seiner hohen Reichweite und einem klaren Fokus auf Komfort überzeugt. In Zeiten, in denen jedes noch so brave Modell einen auf Sportwagen macht, ist seine flauschige Fahrwerksabstimmung eine echte Wohltat.
Unverständlich ist dagegen, warum Kia bei der Ladeleistung nicht eine Schippe draufgelegt hat – vor allem angesichts des aktuellen Wettrüstens in dieser Disziplin. Der EV4 hat noch seine gesamte Karriere vor sich, es gibt aber schon jetzt Konkurrenten, die ihn in Sachen Peak-Ladeleistung in den Schatten stellen. Preislich ist der Stromer ebenfalls kein Schnäppchen. Es muss sich also noch beweisen, ob er den Erfolg seines Technik-Bruders EV3 wiederholen kann.
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