
Aion V im Fahrbericht: Üppig ausgestattetes Spar-SUV aus China
Der chinesische Staatskonzern GAC (Guangzhou Automobile Group) gehört zu den größten und ältesten Autobauern Chinas. Die Firmengeschichte reicht bis in das Jahr 1955 zurück – auch im Nahen Osten, Afrika und in Südostasien hat sich das Unternehmen einen Namen gemacht. Hierzulande ist das Kürzel dagegen noch weitestgehend unbekannt.
Dabei hat GAC bereits im Rahmen des Pariser Autosalons 2024 angekündigt, dass Europa bei der Expansion des Konzerns im Zentrum steht und man auch auf dem deutschen Markt ein Wörtchen mitreden möchte. Konkret wagt der Autobauer mit der Marke Aion den Sprung in den Westen.
Den Anfang macht das Mittelklasse-SUV Aion V, das mit einem vergleichsweise günstigen Preis von 35.990 Euro, einer umfangreichen Serienausstattung und viel Platz punkten soll. Auch die kastige Optik mit dem Cartoon-artigen Gesicht ist überraschend eigenständig geraten. Entworfen wurde das Modell in GACs europäischem Design-Zentrum in Mailand.
Der Konzern lässt es in Europa eher gemächlich angehen
Besonders eilig hat es das Unternehmen mit der Markteinführung aber anscheinend nicht – in anderen EU-Ländern, wie beispielsweise Polen, Portugal und Finnland hat GAC im vergangenen September tatsächlich den Marktstart vollzogen. In der Bundesrepublik sind die Fahrzeuge des Autobauers aber immer noch nicht verfügbar.
Es scheint ganz so, als ob der Autobauer mit seiner vorsichtigen Herangehensweise die Fehler vermeiden möchte, die die chinesische Konkurrenz bei ihren deutschen Marktstarts begangen hat. Sei es, wenn es um die Vertriebsstrategie, das Marketing oder den Service geht. Der Konzern weiß um die Wichtigkeit eines gut ausgebauten Händler- und Servicenetzes und ist deshalb aktuell dabei, Kooperationen mit etablierten europäischen Händlergruppen zu schließen.
Während es bei anderen chinesischen Herstellern in der Anfangszeit ellenlange Wartezeiten auf wichtige Ersatzteile gab, möchte GAC dies mit einem zentralen Lager in Rotterdam verhindern. All diese Punkte beinhaltet der „europäische Marktplan“, den der chinesische Staatskonzern im Rahmen auf der IAA Mobility vorgestellt hat. Im Rahmen der Messe hatte ich Gelegenheit, den europäischen Erstling von GAC im Münchner Umland Probe zu fahren.






Das Gepäckabteil ist eher durchschnittlich bemessen
Der Autobauer stellt vor allem die üppigen Platzverhältnisse im 4,60 Meter langen, 1,85 Meter breiten und 1,69 Meter hohen Aion V heraus, das ihn als ideales Familienauto prädestinieren soll. Noch bevor ich mich dem Fahren widme, nehme ich also erstmal den Kofferraum in Augenschein.
Hinter der großen Heckklappe verbirgt sich ein großzügig geschnittenes Gepäckabteil, das standardmäßig ein Volumen von 427 Litern bietet. Wenn man die Rückbank umklappt, stehen bis zu 978 Liter zur Verfügung. Zum Vergleich: Ein abmessungstechnisch sehr ähnlicher VW ID.4 bietet mit 543 bis 1.575 Litern dann doch deutlich mehr Stauraum, selbst im kleineren ID.3 sind bei umgeklappten Rücksitzlehnen deutlich über 1.200 Liter drin.
Auf der Rückbank machen sich das kantige Aussendesign und vor allen Dingen der üppige Radstand von 2,77 Metern positiv bemerkbar. Den Passagieren in der zweiten Reihe mangelt es weder an Bein- noch an Kopffreiheit. Dank der großen Fensterflächen geht es hinten hell zu.
In der Topversion serienmäßig mit Kühlfach
Wenn man die Fahrertür öffnet, blickt man auf ein angenehm reduziertes Cockpit mit einem hoch aufragenden Armaturenträger, auf dem der 14,6 Zoll große und horizontal stehende Touchscreen thront. Das Display überzeugt mit einer ordentlichen Reaktionszeit. In den verschiedenen Menüs, die an sich intuitiv strukturiert sind, finden sich aber noch ein paar Übersetzungsfehler.
Dasselbe gilt für den Sprachassistenten, der bei den Passagieren zudem ein gewisses Maß an Fremdscham hervorruft. Er möchte nämlich mit „Hey Baby“ angesprochen werden, was vielleicht witzig sein soll, in einem Familien-SUV aber mehr als befremdlich wirkt. Einige Befehle, wie beispielsweise die Erhöhung der Temperatur, setzt der Assistent ohne Probleme um.
Bei anderen zeigt er sich aber begriffsstutzig. Wie bereits erwähnt, gehört die englische Sprache nicht zu den Stärken des Aion V. Statt „Sunblind closed“ sagt der Assistent beispielsweise „Sunblind turned off“. Gut möglich, dass GAC in der Zwischenzeit mithilfe eines Software-Updates nachgebessert hat.
Verarbeitungstechnisch gibt es im Innenraum wenig auszusetzen. Auch die Materialauswahl geht in der von uns gefahrenen Topausstattung „Luxury“ in Ordnung. Der Aion V ein echtes Party-Feature an Bord – in Form eines Kühlschranks in der Mittelkonsole, der auf bis zu Minus 15 Grad herunterkühlt. So kann man während der Fahrt eine eiskalte Cola genießen, oder die ein oder andere schnell verderbliche Delikatesse aus dem Urlaub mitbringen. Die Vordersitze können zudem komplett umgelegt werden. So ist das SUV für das Car Camping geeignet.
Fahrdynamik gehört nicht zu seinen Stärken
Ein Head-up-Display ist dagegen nicht einmal gegen Aufpreis verfügbar. Ganz so minimalistisch wie Tesla gibt sich GAC bezüglich der Cockpit-Struktur aber nicht. Direkt im Blickfeld gibt es ein weiteres kleines Display, auf dem die Fahrinformationen angezeigt werden. Apropos Fahren: Bei unserer Testrunde, die sowohl über die Autobahn, durch Ortschaften und über die Landstraße führte, machte das Mittelklasse-SUV einen ausgereiften Eindruck.
Die Fahrwerksabstimmung kann als harmonisch und ausgeglichen bezeichnet werden. Der Fokus liegt ganz klar auf Komfort, sportliche Ambitionen sind dem Aion V dagegen fremd. Das Chassis-Konstruktion wirkt teils etwas altmodisch – während eine Einzelradaufhängung rundum und eine Mehrlenkerachse in der Mittelklasse mittlerweile üblich ist, setzt GAC beim Aion V hinten auf eine halbunabhängige Hinterachse, bei der die beiden Räder über einen Querträger miteinander verbunden sind.
Angesichts der Positionierung als familienfreundliches SUV ergibt die Komfort-betonte Auslegung voll und ganz Sinn. Teilweise wirkt das Ganze aber auch etwas zu weich – bei schnellen Lenkbefehlen neigt das 1,8 Tonnen schwere Fahrzeug zu spürbaren Wankbewegungen. Die Lenkung gibt insgesamt recht wenig Rückmeldung und fordert dem Fahrer kaum Kraft ab. Zudem wird der Geräuschkomfort durch die bei höheren Geschwindigkeiten deutlich wahrnehmbaren Abroll- und Windgeräusche geschmälert.
| GAC Aion V | |
|---|---|
| Antrieb | FWD |
| Leistung | 150 kW |
| Drehmoment | 210 Nm |
| Beschleunigung | 7,9 s |
| Höchstgeschwindigkeit | 160 km/h |
| WLTP–Reichweite | 510 km |
| Batteriekapazität | 75,3 kWh |
| Ladeleistung DC | 180 kW |
| Ladezeit DC 10-80% | 24 min |
| Preis | 35.990 Euro |
Der V reißt nicht gerade Bäume aus
Der Antrieb passt zum gemütlichen Gesamtbild. Der an der Vorderachse sitzende E-Motor leistet bei der europäischen Version immer 150 kW und 210 Newtonmeter Drehmoment. Damit ist das chinesische SUV alles andere als eine Rakete, aber adäquat motorisiert. Von Null auf Hundert geht es aus dem Stand in 7,9 Sekunden, während die Höchstgeschwindigkeit auf 160 km/h begrenzt ist.
Den Normverbrauch gibt GAC im Mix mit 16,7 kWh nach WLTP an. Nach unserer Autobahn-lastigen Testrunde stand ein Durchschnittsverbrauch von passablen 19,5 kWh auf dem Display. Während der V auf seinem Heimatmarkt mit drei verschiedenen Batteriegrößen erhältlich ist, wird ihn GAC in den hiesigen Gefilden nur mit einem Stromspeicher anbieten. Bei diesem setzt der Konzern auf eine LFP-Chemie und gibt die Kapazität mit 75,3 kWh an. So soll eine WLTP-Reichweite von 510 Kilometern drin sein.
Wie realistisch diese Angabe ist, konnten wir bei unserer kurzen Testfahrt leider nicht überprüfen. Gleiches gilt für das Ladeverhalten. Bis zu einem ausführlicherem Test müssen wir uns mit den Werksangaben zufriedengeben. Die Peak-Ladeleistung liegt bei 180 kW – im Idealfall soll der Ladezustand der Batterie innerhalb von flotten 24 Minuten von 10 auf 80 Prozent gebracht werden können.
An AC-Säulen zapft der Aion V mit höchstens 11 kW Strom. So dauert es behäbige achteinhalb Stunden, um die leere Batterie wieder zu füllen. GAC verspricht, dass sie schussfest sein soll. Und damit meinen die Chinesen nicht die gängige Nagelprobe – der Akku soll wohl selbst einem Pistolen-Beschuss Stand halten. Dabei dürfte es sich aber um eine typische PR-Übertreibung handeln.





In Sachen Sicherheit überzeugt das Familien-SUV
Die Assistenzsysteme hinterließen insgesamt einen ordentlichen Eindruck. Vor allem der serienmäßige Abstandstempomat und der Spurhalteassistent machten einen guten Job. Sicherheit scheint bei der Entwicklung des SUV ohnehin ein großes Thema gewesen zu sein. Er erreichte beim Euro NCAP Crashtest die Bestwertung von fünf Sternen. Ein weiterer Beweis dafür, dass die Zeiten, in denen chinesische Autos an den europäischen Crash-Vorschriften scheiterten, längst vorbei sind.
Der Aion V soll im Segment der elektrischen Mittelklasse-SUV, in dem es definitiv nicht an Konkurrenz mangelt, vor allem mit einem guten Preis-Leistungs-Verhältnis und einer üppigen Serienausstattung überzeugen. Schon bei der Basisversion „Premium“ für 35.990 Euro sind Features wie beheizte und belüftete Sitze mit elektrischer Verstellung, das Panoramadach, eine Wärmepumpe, LED-Beleuchtung und eine Ambiente-Beleuchtung für den Innenraum serienmäßig an Bord.
Fazit
Mit dem Aion V ist GAC ein ordentlicher erster Aufschlag auf dem europäischen Markt gelungen. Das SUV bietet eine weitestgehend zeitgemäße technische Basis, einen guten Komfort und ein brauchbares Qualitätsniveau. Im Segment der elektrischen Mittelklasse-Hochsitze mangelt es aber definitiv nicht an starken Konkurrenzmodellen.
Da der Aion V mit seinen Eigenschaften kaum aus der Masse heraussticht, muss es auf dem hiesigen Markt vor allem über den Preis funktionieren. Tatsächlich bietet er im Vergleich zur Konkurrenz viel Auto fürs Geld.
Gleichzeitig ist die Marke hierzulande in der breiten Masse noch gänzlich unbekannt, der Hersteller kommt also nicht drum herum, ordentlich die Werbetrommel zu rühren. Wenn GAC auch wie versprochen ausreichend in das Händler- und Servicenetz investiert, könnte den Chinesen mit dem V ein Achtungserfolg gelingen.




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