Audi e-tron im Fahrbericht – Das elektrische Raumschiff

Ist der Audi e-tron wirklich ein Tesla-Fighter? electrive.net-Chefredakteur Peter Schwierz hat den ersten Serienstromer aus Ingolstadt ein Wochenende lang in Berlin und Brandenburg getestet. Und dabei erlebt, was Audi anders macht.

* * *

Vorab: Ich bin kein Freund von SUVs. Für die Stadt sind sie unpraktisch, für die Langstrecke zu ineffizient. Deshalb hat es eine Weile gedauert, bis ich mit dem Audi e-tron, dessen Auslieferungen vergangene Woche endlich begonnen haben, warm geworden bin. Schon die Abholung aus der Tiefgarage der Audi City Berlin war eine räumliche Herausforderung. Übrigens habe ich das Elektro-SUV über das Probefahrten-Programm ergattert. Pressefahrzeuge gibt es noch nicht. Der Wagen kam als antiguablaues Sondermodell mit virtuellen Außenspiegeln, 21-Zoll-Schmiederädern, orangefarbenen Bremssätteln und schwarzen Sportsitzen daher – und gehört somit zur limitierten „Launch Edition“ zum Fixpreis von 105.900 Euro brutto.

Deutlich wohler fühlte ich mich mit dem ersten Großserien-Elektroauto von Audi dann in den unendlichen Weiten Brandenburgs. Dort spielte auch das Fahrwerk des Stromers seine Stärken aus, steckte Bodenwellen nahezu unfühlbar weg. Und auch die Ausmaße des Wagens – immerhin 4,90 Meter Länge und 1,94 Meter Breite (ohne Spiegel) – spielten keine Rolle mehr. Nach zwei Tagen auf dem Land schwante mir, wem dieses Elekto-SUV gefallen dürfte: Landwirten etwa, die viel Platz haben und Strom aus Wind, Sonne oder Biomasse ernten. Einige Touren über Feldwege und schlechte Straßen ließen bauartbedingt jegliche Nackenschläge vermissen, an die ich von meinem BMW i3 oder dem kürzich getesteten Tesla Model 3 gewöhnt bin. Womit wir denn auch beim Thema wären: Ist der Audi e-tron ein Tesla-Fighter oder nicht?

Eine eindeutige Antwort lässt sich nach nur zweieinhalb Tagen mit dem Stromer nicht geben. Zu eilig hatte ich es auf den Fahrten von und nach Berlin, wobei sich der Verbrauch zwischen 28 und 33 Kilowattstunden (bei komfortabler Nutzung) auf 100 km bewegte. Bei der Spurtstärke kann der Audi allerdings nicht mithalten. Jene 300 kW, welche die zwei Asynchronmaschinen vorne und hinten zu mobilisieren in der Lage sind, reichen gerade mal für 5,7 Sekunden. Das ist bei einem solchen Raumgleiter mit knapp 2,5 Tonnen Leergewicht weder entscheidend, noch ein Wunder – aber langsamer als alle verfügbaren Varianten des Tesla Model X (von 3,1 bis 5,2 Sekunden).

Dafür legt der Audi Wert auf maximalen Komfort. Die Verarbeitung ist herausragend. Der Vortrieb und auch die Rekuperation entfalten sich im e-tron äußerst harmonisch. Heftiges Kopfnicken der Insassen wollten die Ingenieure aus Ingolstadt offensichtlich vermeiden. Dafür gibt’s einen turbinenartigen Motorsound: Sowohl beim Beschleunigen als auch beim Verzögern klingt der e-tron wie ein Raumschiff, was im sonst von Außengeräuschen angenehm isolierten Innenraum wohl die an fahrdynamische Akustik gewöhnte Stammkundschaft abholen soll.

Insbesondere bei der Bedienung des maximal digital gestalteten Cockpits wäre weniger mehr gewesen. Hier macht Tesla vor, wie’s geht. Manche Menüs des e-tron führen unnötig in die Tiefe, die Stärke der Rekuperation und selbst der Ladestand der Batterie werden zu kleinteilig angezeigt. Unzählige Ansichten und Einstellungsmöglichkeiten erfreuen vielleicht den erfahrenen Audi-Piloten. Den Neuling dagegen überfordern sie anfangs. An die elektronischen Außenspiegel konnte ich mich gar nicht gewöhnen, die Macht der Gewohnheit lässt den Blick stets nach außen schweifen. Dort sind nur die aerodynamisch wirksamen Kameras. Die kleinen Bildschirme in der Tür, die immerhin stets ein hochpräzises Bild liefern, sitzen schlichtweg zu niedrig.

Überzeugendes Ladekonzept

Erfreulich stark zeigt sich der e-tron dagegen an der Ladesäule. An einer 100-kW-Anlage im brandenburgischen Neuruppin schoss die Gleichstrom-Ladeleistung via CCS trotz noch recht üppigen Füllstandes (67% SOC) auf knapp 90 kW hoch. Die Wärmeableitung hat Audi bei seiner Lithium-Ionen-Batterie mit einem Brutto-Energieinhalt von 95 kWh (nutzbar sind knapp 84 kWh) erkennbar im Griff. Kühlgeräusche wie bei der Konkurrenz sind kaum zu vernehmen. Leider hatte ich keine HPC-Ladestation in der Nähe, um das Laden mit den maximal möglichen 150 kW zu testen.

Die Position der Ladebuchse zwischen dem linken Vorderrad und der Fahrertür ist für rückenschwache Zeitgenossen vermutlich zu niedrig. Gut gelöst dagegen: Ein zweiter AC-Anschluss auf der rechten Fahrzeugseite ist als Sonderausstattung bestellbar. Das Onboard-Ladegerät mit 11 kW ist praxistauglich, optional verdoppelt ein zweites den Wechselstromfluss auf 22 kW.

Neue Wege bei der Stromrückgewinnung

Kommen wir zu den beiden Rs – also Reichweite und Rekuperation. Erstere wird nach WLTP mit bis zu 417 Kilometern angegeben. Ich habe den e-tron allerdings ohne Rücksicht auf Effizienz bewegt, was vermutlich auch Audi-Stammkunden tun würden. Viel mehr als 300 Kilometer wurden mir nach Vollladung bei winterlichen Temperaturen deshalb nicht angezeigt. Weiter zur Rekuperation, die zunächst ungewöhnlich mild wirkt und über Schaltwippen am Lenkrad in drei Stufen justiert werden kann. Erst nach einigen Touren ist mir aufgefallen, wie dynamisch die automatische Schubrekuperation den Stromgewinn regelt. Hier haben die Entwickler ein feines System erdacht. Sie bezeichnen es als einen prädiktiven Effizienzassistenten. Die Praxis sieht so aus: Geht man vor einer Ortschaft rechtzeitig vom Strompedal, segelt der e-tron zunächst, um dann immer kräftiger zu rekuperieren und so rechtzeitig die zulässige Geschwindigkeit innerorts zu erreichen. Ähnliches passiert, wenn man sich vorausfahrenden Fahrzeugen nähert. Was erfahrene Elektroautofahrer mit dem One-Pedal-Driving steuern, regelt hier das Auto selbst. An diese Art des elektrischen Bremsens – übrigens mit bis zu 300 Nm Drehmoment und 220 kW elektrischer Leistung – gewöhnte ich mich schnell und gern.

Fazit mit Vorsicht

Alles in allem waren die zweieinhalb Tage im Audi e-tron nur eine erste Annäherung. Für valide Verbrauchsmessungen bei unterschiedlichen Straßen und Temperaturen bräuchte es einen Langzeittest. Nach rund 400 Kilomtern ergibt sich als eine Art Zwischenfazit, dass die Marke mit den vier Ringen mit dem e-tron den Vorsprung von Tesla deutlich verringern kann.

Das Elektro-SUV ist erkennbar für Audi-Stammkunden entwickelt worden und holt erfahrene Elektro-Piloten daher nicht in allen Punkten ab. Der e-tron überzeugt beim Ladekonzept und der Rekuperation, weniger bei Effizienz und Reichweite. Sehen wir es positiv: Wenn dieses Auto markentreue Audikäufer für Elektromobilität gewinnen kann, ist schon viel gewonnen.

Weiterführende Links:

>> Technische Details haben wir hier zusammengetragen
>> Alle Infos zum e-tron auch auf dieser Audi-Seite

7 Kommentare

zu „Audi e-tron im Fahrbericht – Das elektrische Raumschiff“
L. Roth
24.03.2019 um 17:36
Auch wenn der e-Tron einen viel zu hohen Verbrauch gegenüber z.B. dem e-Niro von KIA hat (23KWh zu 16KWh auf 100km), so ist er in einem Voraus: Er ist (wohl) lieferbar! Den e-Niro habe ich nämlich mit Ausliferung im Juni bestellt und KIA hat alle Ausliferungen in 2019 für Endkunden gestrichen und spricht nur noch von 12 Monaten + x, d.h. ich bekomme mein Auto vermutlich ein Jahr (!) später als vertraglich vereinbart.Also Vorsicht mit Lieferzeiten bei e-Autos!!!
KarlYoda
26.03.2019 um 21:10
Ja aber der e-Niro kostet weniger als die Hälfte. Die geringere Reichweite und dieses aus meiner Sicht antiquierte, wenig übersichtliche Schnörkelcockpit überzeugen mich nicht. Eine entsprechende Verarbeitung hat auch der viel kritisierte TESLA. Die mangelnde Ladeinfrastruktur sehe ich auch als Problem. Außerdem weiß niemand wie haltbar die Batterien sind und wie sie auf oftmaliges Schnellladen reagieren. Der e-Tron spricht offenbar die Audi-Fans an, die sich mit geringerer Reichweite und höheren Preis abfinden. Übrigens den Praxistest gibt es auf YT von Nextmove...
Bartholomäus Steiner
27.03.2019 um 09:20
"Außerdem weiß niemand wie haltbar die Batterien sind und wie sie auf oftmaliges Schnellladen reagieren." Ohje, ich fühle mich ins Jahr 2010 zurückversetzt bei solchen überholten Aussagen. Man weiß es mittlerweile sehr wohl, keine Sorge. Die Hersteller haben ja ein Eigeninteresse, das BMS so zu programmieren, dass die Batterie mindestens die Garantiedauer durchhält.
Kasimir
26.03.2019 um 23:37
@ Karl: "Eine entsprechende Verarbeitung hat auch der viel kritisierte TESLA."Haben Sie schon in beiden Fahrzeugen gesessen und verglichen. Auf YT findet sich ein Video eines Tesla X Fahrers was genau gegenteiliges behauptet und dem Audi eine deutlich bessere Verarbeitung attestiert."Außerdem weiß niemand wie haltbar die Batterien sind und wie sie auf oftmaliges Schnellladen reagieren."Witzig, dass ist genau das Argument was sonst von den Verbrennerfraktion immer gegenüber den Tesla angebracht wird. "Nach 5 Jahren sind die Akkus tot." Im Moment sieht es aber absolut nicht danach aus.
Marcus Timmermann
26.03.2019 um 07:43
Mir ist beim Fahren des e-tron aufgefallen, dass der im Bordcomputer angezeigte Verbrauch von rund 30kWh/100km in keiner Relation zur angezeigten Reichweite steht, die offenbar relativ gut stimmt. Wenn die Zahlen in irgendeiner Weise Sinn ergeben sollen, muss der Verbrauch wesentlich niedriger sein, als das Auto vorgibt. Ein längerer Praxistest wird zeigen, inwieweit diese Beobachtung stimmt. Dass der e-tron nichts für erfahrene e-Auto Fahrer sei, halte ich für Unsinn. Für mich ist der e-tron bereits das vierte e-Auto, nach zwei Model S und einem E-Golf. Und ich bin nicht der einzige in meinem Bekanntenkreis, der von z.B. von Tesla zu Audi wechselt.
Filofax
25.04.2019 um 07:05
Ich denke das kommt durch die Rekuperation.
M.F.
15.04.2019 um 13:51
Ich hatte den e-tron für eine Woche fahren können, fahre seit über 30tkm Model S, des öfteren auch Model X.Der e-tron ist sichtbar eine umfunktionierte Verbrenner-Konstruktion mit dem alten Habitus eines Audi. Neben der fehlenden technischen Innovation ist mir die weitaus geringere Reichweite, das Fahrverhalten und der fehlende Autopilot kritikwürdig. Noch rückschrittlicher ist Audi wegen den fehlenden kostenlosen Update-Möglichkeiten over the air. Ein weiterer, sehr ernsthafter, Grund keinen Audi zu kaufen, liegt in der langjährigen Betrugsmentalität der Manager bei Audi.Optische Anreize, vernünftige Verarbeitung und durch die Kunden zu bezahlendes Hypermarketing zur Erzeugung eines sauberen Audi-Images, blenden mich nicht.TESLA hat den disruptiven Wandel erst möglich gemacht - als Konsument switche ich daher nicht beliebig. Mich interessiert die Nachhaltigkeit und die reale Unternehmenspolitik. Bislang hat TESLA keine Konkurrenz.

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