Auswertung der These des Monats: Tempolimit fördert Antriebsgerechtigkeit

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Würde ein generelles Tempolimit auf Autobahnen den fairen Wettbewerb zwischen den Antriebsarten fördern und die Nachteile von Elektroautos beim Schnellfahren abmildern? Das haben wir mit Ihnen im Februar diskutiert – und freuten uns über Rekordbeteiligung. Die Auswertung zeigt: Die Mehrheit will ein Tempolimit, aber nicht unbedingt wegen der Elektromobilität!

** Sie können sich die Auswertung der These hier auch als PDF herunterladen. **

Im Herbst 2018 setzte die Bundesregierung die Nationale Plattform „Zukunft der Mobilität“ (NPM) ein. Sie soll unter Federführung des Bundesverkehrsministeriums in sechs Arbeitsgruppen Lösungsansätze für eine nachhaltige, bezahlbare und klimafreundliche Mobilität entwickeln. Ihre AG „Klimaschutz und Verkehr“ hat die Aufgabe, bis Ende März 2019 Empfehlungen zu erarbeiten, wie die Treibhausgas-Emissionen des Verkehrssektors bis 2030 gegenüber dem Vergleichsjahr 1990 um mindestens 40 Prozent gesenkt werden können. Denn nur dann kann Deutschland seine 2015 im Klimaschutzabkommen von Paris eingegangenen Verpflichtungen erfüllen.

Am 18. Januar 2019 zitierten Spiegel Online und Reuters aus einem Entwurf dieser Arbeitsgruppe. Demnach wolle diese unter anderem die Einführung eines generellen Tempolimits von 130 km/h auf Autobahnen empfehlen – und manche anderen Einschränkungen mehr. „Würde auch nur ein Teil der Maßnahmen umgesetzt, müssten sich Autofahrer und Industrie radikal umstellen“, schrieb der „Spiegel“. Verunsichert durch die Gelbwesten-Proteste in Frankreich und verärgert über das Informationsleck in der NPM-AG, reagierte das Verkehrsministerium noch am selben Nachmittag. Der Vorschlag eines Tempolimits sei „weder sozial noch wirtschaftlich zu verantworten“. Der Minister bezweifelte gar öffentlich den gesunden Menschenverstand der Befürworter einer solchen Maßnahme.

Bemerkenswert erschien uns, dass die Perspektive der Elektromobilität in der nachfolgenden hitzigen Debatte keine Rolle spielte. Denn käme ein Tempolimit nicht deren Markthochlauf zugute? Würden alle Autos gleich schnell fahren, wäre der Reichweiten-Vorteil des Verbrennungsmotors weniger groß – und die Effizienz könnte in den Vordergrund rücken. Entspräche das nicht der Technologieoffenheit, die Politiker stets fordern? Mit dieser Überlegung formulierten wir unsere These des Monats Februar, für die wir in der Abstimmungsphase eine Rekordbeteiligung von insgesamt 439 Teilnehmern verzeichneten:

„Ein generelles Tempolimit auf Autobahnen ist sinnvoll, da es den fairen Wettbewerb der Antriebsarten fördert.“

Eine Mehrheit der Teilnehmer stimmte der These vorbehaltlos (216) oder mit Vorbehalten (40) zu. Eindeutig oder mit Einschränkungen abgelehnt wurde sie von 149 bzw. 27 Teilnehmern. Hinzu kamen sieben neutrale Bewertungen. Hier die Ergebnisse der Abstimmung im Überblick:

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Zeichnet man die Diskussion der These inhaltlich nach, so finden sich darin die folgenden Aussagen. Sie spiegeln ausdrücklich die Auffassung der Diskussionsbeteiligten und nicht die Meinung der Redaktion wider.

Eindeutig für oder gegen ein Tempolimit

Im Pro- wie auch im Contra-Lager gibt es zahlreiche Kommentare, die nur auf die Hälfte der These eingehen, sich also auf deren Hauptsatz beziehen, ohne den verbundenen Nebensatz zu berücksichtigen. „Ein Tempolimit ist sinnvoll, weil es dem gesunden Menschenverstand entspricht. Weniger Verbrauch = weniger Emissionen. Niedrigere Geschwindigkeit = kürzerer Bremsweg und niedrigere Aufprallgeschwindigkeit bei Unfällen = weniger Tote und Verletzte. Eigentlich ganz logisch.“ So lautet der typische Kommentar eines Befürworters. „Schwachsinn! Dröge Sozialisierung und Vergrünung“, poltert dagegen ein Tempolimitgegner, während ein anderer sachlicher argumentiert: „Wer eine Geschwindigkeitsbegrenzung befürwortet, sollte einmal von St. Gallen in der Schweiz nach Genf fahren! Danach braucht man die gemachten Erfahrungen nur auf eine Fahrt von Hamburg nach München übertragen. Deshalb klare Ablehnung.“ Emotional wiederum ist das Statement einer Befürworterin: „Der Wahnsinn mit größer schneller muss aufhören. Umdenken ist angesagt! Wir fahren sonst mit UMSATZ UMSATZ UMSATZ unseren Planeten mit Volldampf gegen die Wand.“

Darauf hinzuweisen, dass ein Tempolimit „die Aggressivität von der Autobahnnehmen würde, ist vielen seiner generellen Befürworter ein Anliegen. Es werde in Deutschland genug gerast und gedrängelt: „Wer auch nur einmal in Ruhe in anderen Ländern unterwegs war, weiß was entspanntes Fahren bedeutet.“ Kurzfristig schnell zu fahren, bringe langfristig ohnehin keinen Zeitgewinn. Kontrovers werden dabei die Aspekte Sicherheit und Staugefahr beurteilt. Während die Befürworter in der Regel hohes Tempo mit hoher Unfallgefahr gleichsetzen, bestreiten die Gegner diesen Zusammenhang. Die meisten Unfälle entstünden „nicht durch Raser, sondern durch unachtsame Autofahrer“, wobei das Risiko der Handynutzung hervorgehoben wird. Was die durch ein Tempolimit verringerbare Staugefahr betrifft, so berufen sich dessen Befürworter auf diesbezügliche Studien und schreiben beispielsweise: „Raser schließen schneller auf den Stau auf! Wenn alle gleich schnell fahren, entsteht nicht so schnell ein Stau.“ Auf der Contra-Seite dagegen heißt es: „Ein generelles Tempolimit führt nur zu noch mehr Stau, da sich der Verkehr z.B. auf dreispurigen Autobahnen nicht entzerrt.“

Es gibt unter den generellen Befürwortern auch einige Stimmen, die ein Tempolimit nur auf höherem Niveau begrüßen würden. So meint etwa ein Eher-Pro-Kommentator: „Die Errungenschaft der schnellen, individuellen Fortbewegung auf Autobahnen möchte ich nicht aufgeben. Deshalb sehe ich ein Tempolimit von 120-130 km/h als zu niedrig an. Hier könnte ein Kompromiss mit 150 km/h gefunden werden“. Quer durch die Lager findet sich überdies der Vorschlag, ein Tempolimit nicht fest einzuführen, sondern es je nach Verkehrslage und Witterung durch intelligent gesteuerte Regelanlagen flexibel auszugestalten. Sympathien werden im Übrigen auch mehrfach für ein differenziertes Tempolimit geäußert, wie es Österreich neuerdings eingeführt hat: Dort dürfen Elektroautos auf rund einem Fünftel des Autobahnnetzes, wo Verbrenner auf 100 km/h beschränkt sind, 130 km/h schnell fahren.

Ja, der Wettbewerb würde fairer!

Würde nun aber, wie in unserer These behauptet, ein Tempolimit den fairen Wettbewerb der Antriebsarten fördern? Ja, das Argument, dass ein Elektroauto nie die WLTP-Reichweite eines Verbrennungsfahrzeuges erreichte, würde verschwinden und die Elektromobilität an Attraktivität gewinnen, meinen die Befürworter. Allerdings wird mehrfach angemerkt, dass ein Tempolimit die Reichweite von Autos aller Antriebsarten erhöhen würde („der Reichweitenvorteil des Verbrenners ist bei Tempo 120 natürlich auch größer als bei Tempo 250“).

Elektroautos könnten dann aber endlich ihre Effizienzvorteile ausspielen. Sei doch „hohe Autobahngeschwindigkeit die einzige Disziplin, wo die sehr schlechte Teillast-Effizienz der Verbrenner keine Rolle spielt bzw. die Effizienz-Vorteile des E-Antriebs kaum zum Tragen kommen“. Ferner könnten Elektroautos bei einem Tempolimit „ohne erhöhtes Unfallrisiko die linke Spur benutzen“, was bisher kaum möglich sei. Weiterhin würden sie endlich auch als Firmenwagen konkurrenzfähig, was der Elektromobilität einen Schub verleihen würde: „Gerade bei Firmenwagen zählen die Kosten des Treibstoffes nicht – und daher sind die meisten Schnellfahrer auch Firmenwagenfahrer. Was jedoch zählt, ist Reichweite. Und da man mit einem E-Auto entweder weit oder schnell fahren kann, wird es selten als Firmenfahrzeug gekauft“.

Nein, mit Fairness hätte das nichts zu tun!

Von Fairness könne keine Rede sein, denn „wenn man einen fairen Vergleich der Technologien haben möchte, dann darf man nicht die Randbedingungen so hinbiegen, dass die bevorzugte Technologie gewinnt“. Diese Contra-Meinung wird in zahlreichen Variationen vertreten, wie zum Beispiel auch in dieser: „Es dient sicherlich nicht dem fairen Wettbewerb, wenn man einen Vorteil des Verbrennungsmotors durch Verbote egalisiert. Elektrofahrzeuge müssen schon wirklich konkurrenzfähig (eigentlich sogar besser) sein und nicht künstlich bestenfalls auf Augenhöhe gebracht werden.“ Es komme also darauf an, Elektroautos mit einem „konkurrenzfähigen Antriebsstrang“ auszurüsten. Manch einer wehrt sich auch gegen eine drohende Freiheitseinschränkung: „Der Wettbewerb ist schon heute fair auch ohne Tempolimit. Denn frei ist fair. Jeder kann seinen Wagen/Antriebstechnologie und damit seine maximale Langstreckengeschwindigkeit selber wählen.“ Letztendlich hänge „die Akzeptanz einer Antriebsart davon ab, die Bedürfnisse der Nutzer zu erfüllen“. Neue Technologien setzten sich nicht durch, indem sie von der Politik aufgezwungen, sondern nur, indem sie Kunden durch einen Mehrwert überzeugen würden. Vielfach wird eine klare Ablehnung von Regulierung als Mittel der Innovationspolitik ins Feld geführt: „Technologie und Innovation wurden noch nie in der Geschichte durch Restriktion, Beschränkung und Limitierung getrieben.“

Ja, aber die Begründung überzeugt nicht!

Auch unter denjenigen Diskussionsbeteiligten, die die These neutral oder negativ bewertet haben, gibt es nicht wenige, die ein Tempolimit dennoch befürworten – allerdings die von uns vorgegebene Begründung nicht akzeptieren. CO2-Minderung und Sicherheit werden als eigentliche Gründe angesehen. „Ein generelles Tempolimit ja, aber nicht mit der Begründung. Die limitierte Höchstgeschwindigkeit von Elektrofahrzeugen ist nur eine Kinderkrankheit, welche mit dem Fortschreiten der Technologie behoben wird. Zudem stellt diese Aussage Elektromobilität als Antriebsart zweiter Klasse dar und gibt ein falsches Signal in Richtung Verbraucher weiter“, heißt es etwa in einem Contra-Kommentar. Für einen fairen Wettbewerb der Antriebsarten viel wichtiger wäre eine „Bepreisung“ von Elektrofahrzeugen, die den „mittlerweile gefallenen Batteriepreis“ angemessen widerspiegelte.

Nein, auch Elektroautos können rasen!

Erstaunlich groß ist in dieser Diskussion die Fraktion der Fahrer von Elektroautos, die ein Tempolimit ablehnen. „Ich fahre deshalb ein Elektroauto, weil ich damit auf der Autobahn ohne schlechtes Gewissen schnell fahren kann“, schreibt einer. Ein anderer meint: „Geringe Reichweiten bei E-Autos ist ein schwaches Argument für die Einführung eines starren Tempolimits, da die geringere Reichweite temporär ist. Ich fahre mit dem Model S meistens links und muss mich gedulden, da die Verbrenner so schwach motorisiert sind. Immer mehr machen einem Tesla Platz so wie früher einem Porsche.“ Im Zuge der Technologieentwicklung würden Elektroautos ohnehin in absehbarer Zeit mit Verbrennern gleichziehen. Porsches Taycan wird ausdrücklich erwähnt. Ein Kommentator weist allerdings darauf hin, dass „eine Geschwindigkeit von dauerhaft >160 km/h kein Nutzerprofil der Elektromobilität“ sei.

Ja, das fördert nachhaltigen Fahrzeugbau!

Die Einführung eines Tempolimits würde, darin sind sich manche Befürworter einig, eine „vernünftige Bauteilauslegung“ im Automobilbau begünstigen, weil man dann den Bereich maximaler Effizienz des Antriebsstrangs in einen sinnvollen Geschwindigkeitsbereich legen könnte. Die Industrie würde aufhören, „überdimensionierte Autos“ zu bauen und Verbrenner mit kleineren, sparsameren Motoren ausrüsten. Das Geld, das sie bisher in „teure Technik für hohe Geschwindigkeiten“ steckt, könnte sie „in gut ausgestattete, bezahlbare, bequeme Fahrzeuge“ investieren. „Da hätte dann auch ein leises, ohne Getriebe ausgestattetes Elektrofahrzeug gute Chancen.“ Mehrfach wird überdies von Befürwortern die Entwicklung des autonomen Fahrens angesprochen. Dafür sei ein „Tempolimit eine entscheidende Voraussetzung“. Es sei „sicher, dass beim autonomen Fahren ein Limit programmiert werden wird“, idealerweise so, „dass alle Fahrzeuge es fahren können“.

Nein, Tempolimit schadet der Elektromobilität!

„Ein Tempolimit würde die Akzeptanz von Elektroautos weiter behindern“, schreibt ein Gegner der These. Dieses Argument wird von anderen geteilt. „Die Elektroautos sind für die breite Masse schon für die Fahrverbote schuld. Bitte nicht auch noch am Tempolimit“, heißt es beispielsweise. Ein Tempolimit würde zu einem „Wertverlust von bestehenden Autos“ führen und damit „Missgunst in der Bevölkerung“ schüren. Einer „Bestrafungspolitik“ seien deshalb positive Anreize vorzuziehen, damit sich Elektromobilität durchsetze.

Streitpunkt Wettbewerbsfähigkeit

Ganz unterschiedliche Einschätzungen gibt es zwischen Befürwortern und Gegnern der These bezüglich der Auswirkungen eines Tempolimits auf die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Industrie. „Ohne Tempolimit werden die deutschen OEM überzüchtete Dinosaurier, die bei schnellem Klimawandel aussterben. Es geht nicht nur um fairen Wettbewerb, sondern um globale Wettbewerbsfähigkeit“, lautet beispielsweise ein Pro-Argument. „Das ‚fehlende‘ Tempolimit ist genau unser Wettbewerbsvorteil“, hält ein Contra-Kommentator dagegen. „Mit wachsender Zahl an Zero-Emission-Fahrzeugen halte ich es für nachgerade sträflich, dieses Technik- und Marketing-Instrument ohne Not aus der Hand zu geben.“ Verknüpft ist diese Kontroverse mit der Frage, ob ein Tempolimit (wie „nahezu in allen Staaten“ der Welt) die Begehrlichkeit nach schnellen Autos dämpft. Diese Annahme, heißt ein Contra-Argument, werde „allein dadurch widerlegt, dass in der Schweiz, Österreich, den USA und China ein hoher Anteil an (über-)motorisierten Fahrzeugen angemeldet ist“.

Fazit

Die hohe Beteiligung an unserer Diskussion zeigt, wie wichtig das Thema Tempolimit ist. Keinesfalls sollte es, egal von welcher Seite, mit dem flapsigen Hinweis auf den „gesunden Menschenverstand“ abgehakt werden. Während die deutliche Mehrheit der Diskussionsbeteiligten ein generelles Tempolimit auf Autobahnen befürwortet, sind diejenigen, die das mit einem faireren Wettbewerb der Antriebsarten begründen, dennoch in der Minderheit. In Argumentation und Tonfall der Diskussion wird ferner deutlich, wie sehr das Thema polarisiert. Besonders bedenkenswert erscheint deshalb der Vorschlag eines Diskussionsbeteiligten, der dafür plädiert, zu dessen Lösung die Möglichkeiten der Digitalisierung effektiver einzusetzen: „Tempolimit Ja oder Nein spaltet die Gesellschaft. Innovativ wäre eine digitale Geschwindigkeitsregelung. Niemand kann schneller fahren als erlaubt – dafür sind die Autobahnen bedarfsreguliert mal frei und mal nicht. Technisch kein Problem.“

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