Mercedes eVito im Fahrbericht: Lautloser Nützling

Elektro-Transporter sind das Gebot der Stunde. Einen Neuling am Markt, den Mercedes eVito, konnten wir kürzlich ausgiebig testen. Den für die KEP-Branche entwickelten Kastenwagen haben wir jedoch nicht für Paketlogistik, sondern als Umzugshelfer eingesetzt. Und als Freizeitmobil.

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Vorneweg: Mit dem eVito hat Mercedes-Benz Vans, die Daimler-Sparte für leichte Nutzfahrzeuge, einen praktikablen Strom-Transporter auf die Räder gestellt. Dem ohne Einschränkungen nutzbaren und drei Meter langen Innenraum des eVito, der letztlich die Elektro-Variante der neuesten Vito-Generation ist, können bis zu 1.016 Kilo Zuladung zugemutet werden. Geschafft haben wir das zwar nicht, aber das verfügbare Ladevolumen von 6,6 Kubikmetern haben wir zu nutzen gewusst – mit Zimmerpflanzen, Kisten, Fahrrädern und natürlich kleineren Möbeln. Denn wir haben den elektrischen Transporter von Mercedes als Umzugshelfer genutzt. Wohl wissend, dass er eigentlich für die KEP-Branche, also die Zusteller von Paketen und Sendungen aller Art, entwickelt worden ist. Das flexible Sicherungssystem und die gute Verarbeitung im Laderaum werden professionelle Anwender zu schätzen wissen. Optionale Trennwände bieten übrigens vielseitige Möglichkeiten zur Individualisierungen und der eVito kommt obendrein in zwei Fahrzeuglängen.

Entspannter Helfer mit akustischer Überraschung

Erfahrene Vito-Piloten werden mit dem elektrischen Pendant keine Mühe haben. Für vollkommen Verbrenner-entwöhnte Elektro-Mobilisten ist der Startvorgang dagegen ungewöhnlich, muss doch tatsächlich noch ein Zündschlüssel umgedreht werden, um den Wagen in einen fahrbereiten Zustand zu versetzen. Danach wird der Fahrhebel wie üblich auf D gestellt und schon surrt der eVito los. Wichtig: Die Parkbremse muss zuvor manuell gelöst werden.

Beim Startvorgang sorgt übrigens ein Geräusch für Unruhe hinterm Lenkrad: Es klingt nach einer Pumpe und lässt den überraschten Fahrer erstaunt aufhorchen. Wie wir später von Mercedes lernen, stammt der Ton von einer elektrischen Pumpe, die den Unterdruck für den Bremskraftverstärker erzeugt. Diese ist auch in konventionellen Vitos verbaut. Dort wird das Geräusch jedoch vom konventionellen Motorlärm übertönt.

Die 85 kW starke Elektro-Maschine (Asynchron drehender Induktionsmotor von ZF, Dauerleistung: 70 kW) sorgt dann je nach Beladung für eine ausreichende bis dynamische Beschleunigung. Als Transportmittel bei einem Familienumzug hat der Autor den eVito als höchst entspannten Begleiter erlebt, was wohl der sanften Antriebsabstimmung zu verdanken ist. Kein Kuppeln, kein Schalten, kein Ruckeln, kein Dröhnen – das Transporter-Fahren gestaltete sich derart mühelos, dass es eine Freude sein sollte, damit täglich Pakete oder andere Güter auszufahren. Selbst bei 120 km/h auf der Autobahn war das Fahrerlebnis stets ausgewogen, die Geräuschkulisse angenehm. Nur auf manch‘ modernem Straßenpflaster wurde es unangenehm laut in der Fahrerkabine, die übrigens Platz für drei Personen bietet. Bei Tempo 120 ist derweil mit Rücksicht auf die Reichweite auch Schluss. Für reine Stadtanwender liefert Mercedes-Benz Vans übrigens auch eine 80-km/h-Ausführung.

Reichweite im Blick behalten

Elektro-Neulinge sollten die (etwas kleinteilige) Reichweiten-Anzeige im Cockpit ruhig im Blick behalten. Die 41,4 kWh große und aktiv gekühlte Batterie, die aus drei Plug-in-Hybrid-Modulen aus dem Pkw-Baukasten der Accumotive in Kamenz besteht, reicht auf dem Papier zwar für 150 bis 184 km nach WLTP. Doch bei voller Beladung und schlechtem Wetter sprechen die Mercedes-Ingenieure nur noch von 100 gesicherten Kilometern mit dem nutzbaren Teil des Speichers (etwa 38 kWh). Das sollte für die allermeisten Anwender im urbanen Umfeld zwar reichen, doch sich darauf einzustellen, ist anfangs vielleicht nicht jedermanns Sache. Unsere Testfahrten mit einigen hundert Kilo Zuladung und zwei Erwachsenen in der Fahrerkabine kamen übrigens nah an den Wert des Herstellers ran – allerdings bei idealen Bedingungen mit rund 20 Grad Außentemperatur, was beispielsweise ein Zuschalten der Klimaanlage unnötig machte. Nach 75 Kilometern mit einer Umzugsladung (je 1/3 innerorts, auf Landstraßen und der Autobahn) standen bei einem Batteriestand von 49% SOC noch 71 Kilometer Restreichweite auf der Anzeige. Alltagstauglich ist der eVito also allemal – ganz offensichtlich nicht nur für Paketboten. Der höchste Wert, der uns nach einer Ladung auf 100% angezeigt wurde, betrug übrigens beachtliche 166 Kilometer. In der Praxis hängt die erzielbare Reichweite natürlich maßgeblich vom Fahrer ab: Schließlich kann er sich zwischen drei Fahrprogrammen („E+“, „E“ und „C“, auswählbar per Tastendruck in der Mittelkonsole) und vier Rekuperationsstufen („D-“, „D“, „D+“ und „D++“ über die Lenkradschaltpaddles) entscheiden. Hier wäre etwas weniger Auswahl noch etwas einfacher im Alltag.

Stunden an der Steckdose

Geduld ist beim eVito gefragt, wenn es um die Energiebeschaffung geht. Dazu muss man sagen: Das Produkt orientiert sich am Nutzen. In der KEP-Branche haben Mercedes-Ingenieure die 100 Kilometer oft als Tagesmaximum identifiziert. Anschließend stehen die Fahrzeuge im Depot – und ihre Akkus können langsam wieder aufgeladen werden. Mit 7,2 kW zieht der Onboard-Lader des eVito den Energie-Nachschub immerhin auf zwei Phasen aus einer entsprechenden Ladestation. In diesem Fall dauert’s rund sechs Stunden, wenn tatsächlich von 0 auf 100 % geladen wird. Eine Option auf mehr, etwa schnelles DC-Laden per CCS, gibt es nicht. Wenn per Schuko geladen wird, summiert sich die Ladezeit auf ein Vielfaches. Routen und das Laden sollten also durchdacht sein.

Unserem Testwagen lag übrigens ein spiralförmiges Mode 3-Ladekabel in einer Länge von 4 Metern bei. Hinzu kam ein Mode 2-Ladekabel (Notladekabel für Schuko-Steckdosen) im Mercedes-Design. Beides war handlich verpackt in einer hochwertigen Samsonite-Tasche. Das tut auch Not, denn einen praktischen Platz zum Verstauen der Kabel gibt es im eVito leider nicht.

Die Zentralverriegelung ver- und entriegelt die Steckverbindung an der Ladedose, welche übrigens direkt neben der Fahrertür platziert ist. Also dort, wo im konventionellen Vito sonst der Tankstutzen sitzt. Diese Positionierung sollte man bei der Planung der Infrastruktur auf Betriebshöfen bedenken. Wir haben uns an einer Schnellladestation (wohlwissend, dass der eVito dort nicht hingehört) die Tür blockiert, weil die Kabelzuführung von vorne erfolgen musste. Ins Fahrzeug ging’s in dem Fall nur noch durch die Beifahrertür. Eine Platzierung der Ladeinlets an der Front des Fahrzeugs (Stichwort: Nasenlader) sollte Mercedes für die nächste Generation vielleicht ins Auge fassen.

An einem Schnelllader lädt der eVito wohl selten. Wenn doch, ist die Fahrertür währenddessen blockiert.

Der Preis ist heiß

Los geht’s bei 45.710 Euro netto für das Basisfahrzeug mit normaler Länge. Der von uns gefahrene eVito steht dank üppiger Ausstattung mit 51.860,00 Euro Netto in der Preisliste – vor Abzug von Subventionen und regionalen Förderungen. Ein analog ausgestatteter Verbrenner mit 100-kW-Diesel läge Mercedes zufolge bei 42.119,00 Euro netto. Für den 84-kW-Diesel könnte man noch einmal rund 2.500 Euro abziehen, dieser ist aktuell jedoch nicht bestellbar. Der Elektro-Aufpreis von knapp 10.000 Euro fällt also durchaus ins Gewicht. Die nahende Förderung von elektrischen Transportern und der Umstand, dass größere Flottenbetreiber (etwa der Mercedes-Kunde Hermes) selten den Listenpreis bezahlen, lässt uns jedoch vermuten, dass es für den eVito durchaus noch Spielraum bei der TCO-Berechnung gibt.

Fazit

Der Mercedes eVito hat sich als praxistauglicher Umzugshelfer erwiesen. Und auch beim anschließenden Kurzurlaub, für den Fahrräder und Paddelboote transportiert werden mussten, hat sich der elektrische Kastenwagen alltagstauglich und hochwertig präsentiert. Professionelle Anwender wird er zu überzeugen wissen! Schließlich müssen sie mit dem eVito keine Kompromisse machen, zumindest wenn sie Reichweite und Ladezeiten stets mit bedenken. Gewiss erlaubt der E-Antrieb in der Weiterentwicklung künftig noch mehr Freiheiten, die Mercedes-Benz Vans auch nutzen sollte. Vielleicht auch optisch, denn sein elektrisches Wesen ist dem eVito von außen kaum anzusehen. Auf der Straße macht der E-Transporter seine Arbeit dennoch souverän. Frei nach dem Motto: Elektrisch mit Last von A nach B – das macht mit dem eVito Spaß und ist völlig okay.

4 Kommentare

zu „Mercedes eVito im Fahrbericht: Lautloser Nützling“
Christian Schubert
14.08.2019 um 07:14
Langsames Laden, Bremskraftverstärker Pume aus der Steinzeit und Kurze Reichweiten zeugen wieder einmal von einem Flickwerk in Sachen E-Mobilität, deren Entwicklung v bei Mercedes-Benz nichts kosten darf... Mercedes-Benz hat bis heute nicht verstanden, dass die Zukunft nicht im Anpassen der alten Fahzeuge besteht, sondern Neue Denkweisen und total neue Fahrzeugekonzepte braucht...
Daniel
14.08.2019 um 11:10
Im Jahr 2019 ein solches Fahrzeug ohne CCS überhaupt anzubieten, ist eine Frechheit und ein deutliches Signal an die Kunden, bitte nicht kaufen.
TL431
14.08.2019 um 14:49
Streetscooter baut ZEHNTAUSENDE E-Transporter ohne CCS und mit 3,6kW AC. Welchen Postboten stört das?
Axel
14.08.2019 um 13:54
Der EQV bekommt CCS in die Stoßstange vorn links. Da hat Mercedes also schonmal gelernt, bevor Sie den Vito in Stückzahlen auf die Straße geworfen haben. . . vielleicht wird das ja schneller korrigiert als man so denkt. . .

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