Vom sporadischen zum systematischen Ladenetzaufbau

In Niedersachsen beraten seit eineinhalb Jahren drei Elektromobilitätsmanager im Auftrag des dortigen Verkehrsministeriums Kommunen und weitere Akteure beim Aufbau von Ladeinfrastruktur. Ein einzigartiges Angebot in Deutschland. Unsere Autorin Nicole de Jong hat mit einen von ihnen, Shivam-Ortwin Tokhi, über das Rollenverständnis und die Aufgaben der sogenannten EMMAs gesprochen.

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Das Niedersächsische Verkehrsministerium und die Niedersächsische Landesbehörde für Straßenbau und Verkehr haben ein umfangreiches Beratungsangebot kreiert, um die Elektromobilität in Niedersachsen voranbringen. In dessen Zentrum stehen drei Elektromobilitätsmanager, die ihre Arbeit Mitte 2021 aufgenommen haben. Die Aufgaben des Trios drehen sich schwerpunktmäßig um den Aufbau von öffentlicher Ladeinfrastruktur, wofür der Bund deutschlandweit bis 2025 rund 800 Millionen Euro bereitstellt.

Herr Tokhi, Sie sind Elektromobilitätsmanager bei der Niedersächsischen Landesbehörde für Straßenbau und Verkehr (NLStBV). Was genau machen Sie?

Die NLStBV hat diese Positionen im Sommer 2021 eingerichtet. Wir sind zu dritt und sorgen maßgeblich dafür, dass sich das Land Niedersachsen bei der Transformation zur Elektromobilität und im Ladeinfrastrukturaufbau gut aufstellt. Zu unseren Aufgaben gehört auch, das Thema kontinuierlich weiterzuentwickeln. Wir haben als erstes eine Beratungs-Hotline eingerichtet, über die sich Interessierte wie Unternehmen, Behörden, öffentliche Einrichtungen, Pflegedienste, Taxi-Unternehmen, Dienstleister oder auch Privatleute bei uns melden können. Viele Fragen erreichen uns beispielsweise zu den Themen Fördermittel und Ladeinfrastruktur. Auch von benachbarten Bundesländern kamen schon Anrufe. Wir sind definitiv nicht kontaktscheu!

Was sind Ihre eigentlichen Berufe?

Wir kommen aus unterschiedlichen Richtungen. Ich habe Volkswirtschaft und Philosophie studiert und lange im Bereich der erneuerbaren Energien gearbeitet. Mein Kollege Werner Possler hat eine Ausbildung als Elektroinstallateur absolviert, Umweltingenieurswesen studiert und viele Jahre im Bereich Elektromobilität und Solartechnik gearbeitet. Er und ich haben das Verfahren zur Erstellung der Ladeinfrastrukturkonzepte entwickelt, welches ich aktuell maßgeblich in der Zusammenarbeit mit den Kommunen umsetze. Werner Possler erledigt außerdem die Anlagenprüfung hinsichtlich der ersten niedersächsischen Förderung für nicht-öffentliche Ladeinfrastruktur bei den Unternehmen. Unser dritter Mann, Martin Duddek, hat regenerative Energietechnik studiert und war lange für das Landesamt für Bergbau, Energie und Geologie tätig. Er unterstützt auch bei den Konzepten, ist aber hauptsächlich für die Elektrifizierung der Dienstfahrzeuge an Landesliegenschaften zuständig, die dieses Jahr nachträglich im niedersächsischen Klimaschutzgesetz verfestigt wurde. Wir ergänzen uns gegenseitig und haben unterschiedliche Perspektiven. Uns allen gemein ist die Motivation und die Vision, Handlungsweisen zu entwickeln, damit die Gesellschaft beim Thema Elektromobilität vorankommt.

War es erforderlich, sich speziell weiterzubilden?

Ja und Nein. Wir alle haben unsere Erfahrungen aus den vorherigen Jobs mitgebracht und uns darüber intensiv ausgetauscht. Vor allem ich habe dadurch technisch viel dazugelernt. Wir haben viel gelesen, also Fachliteratur und die bekanntesten Studien und Prognosen, etwa das, was auf Bundesebene dazu bereits erarbeitet wurde. Wir haben dann festgestellt, dass sich der Markt und damit auch die Studien schnell ändern, und haben für uns einen eigenen Ansatz entwickelt, den wir vermitteln können, womit wir Arbeitsergebnisse erzielen und handfeste Handlungen erzeugen.

Wie sehen denn handfeste Handlungen aus?

Wir wollten zunächst zusammen mit den Kommunen die Dimension für den Ladeinfrastrukturausbau erfassen. Wir stehen gerade in Niedersachsen sehr gut da aufgrund dessen, was in den Kommunen schon gelaufen ist. Das alleine reicht aber nicht, um eine Transformation in dem Umfang zu wuppen, wie wir sie als Gesellschaft vorhaben. Das heißt für die Elektromobilität konkret: weg vom sporadischen hin zum strategischen Ladeinfrastrukturausbau. Denn was bisher getan wurde, ist hier mal drei, dort im nächsten Jahr mal fünf Ladesäulen zu installieren. So erreicht man die Klimaziele aber nicht und das ist ja der Grund, warum wir die Elektromobilität überhaupt machen. Es brauchte also einen zielgerichteten Ansatz, um eine flächendeckende Ladeinfrastruktur auszubauen. Wir möchten mit den Kommunen Konzepte schreiben, gehen aktiv auf sie zu und fragen, was sie benötigen, finden heraus und zeigen aber auch, was möglich ist.

Welche Informationen benötigen die Kommunen?

Das ist ganz unterschiedlich. Viele sind bereits in der Umsetzung gewesen, sie haben aus sich heraus schon viel geleistet, komplett ohne Unterstützung. Wir wollten jetzt gemeinsam nochmal einen Schritt zurückgehen, aber nur um gut auszuholen. Wir wollen den Ausbaubedarf bis 2030 in seiner Gesamtheit erfassen, weil das ein organisiertes und umfangreicheres Vorgehen vor Ort ermöglicht. Viele fragen, ob sie als Kommune überhaupt investieren sollen, was sie eigentlich nicht wollen, weil sie zum Beispiel noch nie dafür verantwortlich waren, Tankstellen zu bauen. Viele Fragen gibt es außerdem zu den Bundesförderprogrammen.

Wie viele Kommunen gibt es denn in Niedersachsen?

Knapp 1.000. Wir sind daher schnell dazu übergegangen, unsere Konzepte auf Landkreisebene zu schreiben. Es gibt 45 Landkreise und kreisfreie Städte in Niedersachsen. Ein paar von ihnen haben ihr eigenes Ladeinfrastrukturkonzept entwickelt und umgesetzt, die brauchen unsere Unterstützung nicht. Den verbleibenden wollen wir zügig unser Angebot machen.

Was umfasst denn Ihr Ladeinfrastrukturkonzept alles?

Wir betrachten dabei immer fünf Aspekte. Dazu gehört erstens, wie viele Ladepunkte ein Landkreis bis 2030 benötigt. Wir gehen dabei nach Ladeleistung, also wie viel Kilowatt pro Tag innerhalb einer geografischen Region bereitgestellt werden soll, und nicht danach, welche Anzahl an Schnell- oder Normalladepunkte erforderlich sind. Zweitens wollen wir erörtern, wo Ladeinfrastruktur errichtet werden soll. Hierbei sind wir auf die Ortskenntnisse der Kolleginnen und Kollegen aus den Kommunen angewiesen. Sie wissen, wie die Situation vor Ort ist, also ob zum Beispiel beschlossen wurde, dass die Innenstadt bis 2030 autofrei sein soll. Dann sind dort natürlich keine Ladepunkte erforderlich.

Welches sind die anderen drei Aspekte?

Es geht drittens um technische Voraussetzungen. Wir prüfen, welche Art der Ladeinfrastruktur sich für den jeweiligen Standort am besten eignet, auch eine Abfrage bei den jeweiligen Netzbetreibern gehört dazu. Kommt als Standort ein Supermarktparkplatz infrage, gehen wir davon aus, dass Kunden bei einem rund 30-minütigen Einkauf Strom für 100 Kilometer laden können sollen, sprich, wir raten, dort einen 50-kW-Lader zu installieren. Auf einem Freibad-Parkplatz, wo wir davon ausgehen, dass man länger parkt, genügt ein 22-kW-Punkt. Als viertes stellen wir dar, mit welchem Kostenaufwand zu rechnen ist, und fünftens, in welcher Zeit das Vorhaben umgesetzt werden könnte. Alles ohne verpflichtenden Charakter und für die Kommunen kostenfrei.

Was haben Sie bislang geschafft?

Wir haben mit Modellkommunen begonnen und übertragen unsere Erfahrungen nun auf Modelllandkreise. Das läuft gut. Weitere Kommunen haben schon Interesse bekundet, zum Teil geht dort die Arbeit schon los. Es geht uns darum, Konzept, Perspektive und Dimension möglichst schnell zu etablieren, damit konkret die Umsetzung starten kann. Denn nach den Konzepten steht ja noch keine Ladeinfrastruktur, sondern nur der Blick auf die Sache. Wichtig ist auch, dass dann Akteure aus der Wirtschaft einbezogen werden und Investment in die Regionen stattfindet.

Warum ist Ihnen das Thema so wichtig?

Vielen ist nicht klar, dass wir eine 48-prozentige Reduktion von CO2-Emissionen im Verkehrssektor brauchen. Es ist bundesweit der einzige Sektor, der sich über die Jahre nicht nach unten bewegt hat. Dabei ist das so wichtig, denn 60 Prozent der Treibhausgasausstöße verursachen Pkw. Und das ist ein Indikator dafür, wo wir hin müssen mit unserer Ladeinfrastruktur – auch weil wir davon ausgehen müssen, dass sich der Modalsplit in Deutschland bis 2030 nicht groß ändern wird.

Am 6. Juli wurde in Hannover die Novelle des niedersächsischen Klimagesetzes beschlossen. Was bedeutet das für Sie?

Das Land hat unter anderem beschlossen, bis 2030 seinen Fuhrpark auf emissionsfreie Antriebe umzustellen. Wir denken, dass dabei vor allem E-Fahrzeuge eine Rolle spielen werden. Betroffen sind im ersten Schritt sicherlich rund 200 Pkw, die nach und nach ersetzt werden. Entstehen sollen voraussichtlich mehr als 700 Ladepunkte auf rund 150 Landesliegenschaften. Hierbei ist unsere Expertise sehr gefragt.

Herr Tokhi, haben Sie vielen Dank!

1 Kommentar

zu „Vom sporadischen zum systematischen Ladenetzaufbau“
Paul
26.01.2023 um 08:53
Das ist eine gute und wichtige Arbeit! Wie schaut es in anderen Bundesländern aus, gibt es ähnliche Aktivitäten?

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