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Nio EL7 im Test: Angriff auf die Premium-Konkurrenz

Der chinesische Hersteller Nio hat zum Europastart gleich drei Modelle im Gepäck. Eines davon ist der EL7. Mit dem E-SUV will das junge Unternehmen die hiesige Premium-Kundschaft unter anderem von Audi, BMW und Mercedes von sich überzeugen. Wir zeigen auf, ob dieser Coup gelingen kann.

Sicher hätten viele einen deutlich früheren Marktstart von Nio erwartet. Schließlich waren schon im Sommer 2019 die ersten ES8 mit deutschem Kennzeichen unterwegs, auch wir konnten eines dieser Fahrzeuge damals testen. Die offizielle Markteinführung hat Nio dann aber erst im Oktober vergangenen Jahres gefeiert. Doch statt dem ES6 oder auch ES8, hatten die Chinesen den ET5, ET7 und das elektrische SUV EL7 im Gepäck. Vom letztgenannten Modell, um dessen Namen es bereits vorab einen Rechtsstreit mit Audi gab, konnten wir uns kürzlich einen ersten Eindruck verschaffen.

Und der galt zunächst der Optik. Das Designzentrum in München hat es geschafft, dem Nio EL7 ein in sich stimmiges und vor allem fließendes Design zu verpassen. Ähnlichkeiten zu Modellen anderer Hersteller sind aber nicht von der Hand zu weisen: So erinnert die Front eher an einen großen Bruder des Hyundai Kona, während die Seitenlinie ab der A-Säule und auch die Heckansicht mit dem durchgezogenen Leuchtenband stark an einen Audi Q8 e-tron erinnern. Bei der Länge sind der Q8 als auch der EL7 mit jeweils 4,91 Meter sogar gleichauf. Während der Q8 e-tron auf eine Breite von 1,94 Meter und eine Höhe von 1,63 Meter kommt, bringt es der EL7 auf 1,99 Meter bzw. 1,72 Meter. Der Vollständigkeit halber seien auch noch der Mercedes EQE SUV mit 4,88 Meter (Länge), 1,94 Meter (Breite) und 1,67 Meter (Höhe) und der BMW iX mit 4,95 Meter, 1,97 Meter und 1,70 Meter genannt. Die Konkurrenz für den Nio ist namhaft.

Etwas deplatziert wirken bei dem sonst sehr harmonisch gestalteten Exterieur die oberhalb der Windschutzscheibe untergebrachten Sensoren, die eher an einen Prototyp als ein Serienfahrzeug erinnern. Sie weisen aber bereits daraufhin, dass dieses Elektroauto ganz offensichtlich mit viel Hightech ausgestattet ist. Untermalt wird der Eindruck durch die bündig abschließenden Türgriffe mit Näherungssensor sowie den automatisch sanft öffnenden und schließenden Türen.

Das Interieur ist ähnlich elegant gestaltet wie das Äußere. Darüber hinaus wirkt der Innenraum sehr klar und vor allem extrem reduziert, was schon bei den nahezu unsichtbaren Luftdüsen anfängt. Verstärkt wird der Eindruck durch drastische Reduktion haptischer Bedienelemente. Nahezu alle Einstellungen werden über das 12,8 Zoll große Touch-Display in der Mitte vorgenommen. Egal ob Außenspiegel, Sitzeinstellungen, die Klimaanlage oder die Navigation. Hinzu kommt ein Head-up-Display und ein 10,2-Zoll-Fahrerinformationsdisplay.

Die vorderen und hinteren Sitze sind an Bequemlichkeit kaum zu übertreffen, es kommt ein richtiges Lounge-Feeling auf. Die Vordersitze sind sogar serienmäßig mit Heizung, Belüftungs- und Massagefunktionen ausgestattet. Zudem soll es an der Beinfreiheit im Fond nicht hapern. Ganz im Gegenteil, selbst bei Erwachsenen ist vor den Knien noch reichlich Platz. Etwas enger geht es dafür am Kopf zu. Für Großgewachsene leider zu eng.

Dennoch: Dieses Elektrofahrzeug bietet Premium durch und durch – der Kundschaft der hiesigen Autobauer dürfte es gefallen. Einzig der Sprachassistent Nomi, der in der Mitte des Armaturenbretts sichtbar in Erscheinung tritt und ein „Gesicht“ bekommen hat, wirkt eher verspielt als seriös. Aber hey, man kann dem Sprachassistenten immerhin einfach „den Mund verbieten“.

480 kW sorgen für eine sportliche Beschleunigung

All der Komfort ist vor allem für die Langstrecke ein wichtiger Faktor. Und hier kommt die Technik „unter der Haube“ ins Spiel, die für ein möglichst langes Durchhaltevermögen auf der Straße sorgen soll. Die Basis bildet die neue NT2.0-Plattform, die dem Nio EL7 einen 180-kW-Permanentmagnetmotor vorne und einen 300-kW-Induktionsmotor hinten beschert. Die Systemleistung liegt in dieser Konfiguration bei 480 kW. Der Antrieb kann den E-SUV so innerhalb von 3,9 Sekunden von 0 auf 100 km/h beschleunigen.

Von der Sprintstärke – wenn auch als Zwischensprint und nicht von 0 auf 100 – konnten wir uns auf der Autobahn einmal selbst überzeugen. Mit einem beherzten Tritt auf das Strompedal zieht der EL7 beeindruckend nach vorne, dabei lag das Fahrzeug satt auf der Straße und ließ kein Gefühl von Unsicherheit aufkommen. Schluss ist bei 200 km/h in der Spitze – ausreichend. Doch in der Praxis spielen diese Werte sicherlich eher eine untergeordnete Rolle. Sprints und auch das Ausfahren der Höchstgeschwindigkeit über einen langen Zeitraum – sofern überhaupt möglich – gehen bekanntlich auf die Reichweite.

Egal ob sportlich oder vernünftig, der Elektro-SUV setzt sich nahezu geräuschlos in Bewegung. Die schaumgedämmten Radhäuser tragen ihren Anteil dazu bei. Schotterpisten oder andere Unebenheiten merzt die Federung des EL7 fast perfekt aus. Kein Wunder, handelt es sich doch um eine „intelligente Luftfederung mit kontinuierlich elektronisch geregelter Dämpfung“. An die Grenzen kommt diese allerdings bei heftigen Bodenwellen und Schlaglöchern – das würde aber wohl auch den Fahrwerk-Systemen in vergleichbaren Modellen passieren.

Reichweite auf Augenhöhe der Konkurrenz

Unsere kurze Ausfahrt hat zwar nicht ausgereicht, um stichfeste Verbrauchswerte festhalten zu können, so genügen die gesammelten Werte für eine erste Einschätzung. Auf Stadt- und Landstraßen pendelte sich ein Verbrauch von um die 20 kWh/100 km ein, bei einer Autobahnfahrt mit Richtgeschwindigkeit lag dieser bei um die 24 kWh/100 km. Nach WLTP sollen mit dem 75-kWh-Akku bis zu 391 Kilometer und mit dem 100-kWh-Akku – den auch unser Testwagen hatte – bis zu 509 Kilometer möglich sein. Die Akku-Größen sind bei Nio übrigens Brutto-Werte, den nutzbaren Energiegehalt gibt der Hersteller nicht an.

Anhand der obigen Verbräuche wird aber deutlich, dass diese Prüfstand-Reichweiten in der Praxis nicht zu erreichen sind. Die WLTP-Angaben dienen ohnehin eher der „Vergleichbarkeit“. Und wo wir dieses Stichwort gerade in den Raum geworfen haben, schauen wir uns doch einmal den Wettbewerb an: Demnach kommt ein Audi Q8 mit 89 kWh (netto) auf bis zu 491 Kilometer und mit 106 kWh auf bis zu 582 Kilometer. Der BMW iX schafft es auf bis zu 435 Kilometer (74,1 kWh, netto) bzw. 633 Kilometer (108,8 kWh, netto). Für den EQE SUV gibt Mercedes eine Reichweite von bis zu 590 Kilometer (90,56 kWh, netto) an. Demnach reiht sich Nio mit dem EL7 gut zwischen diesen Modellen ein und muss sich nicht verstecken.

Durchwachsene Ladeperformance

Ein sehr wichtiger Punkt ist bei dem Premium-Anspruch neben der Reichweite auch die Ladezeit. Nio gibt für den kleinen Akku mit einer maximalen Ladeleistung von 140 kW von 10 auf 80 Prozent 30 Minuten an, beim großen Akku sind es mit maximal 126 kW 40 Minuten. Testen konnten wir dies nicht, holen wir aber nach. Auch, wie gut die manuelle und automatische Vorkonditionierung des Akkus funktioniert. Ein Audi Q8 e-tron (28 bzw. 31 Minuten) oder auch BMW iX (31 bzw. 35 Minuten) lädt jedoch schneller. An der heimischen Wallbox oder öffentlichen AC-Ladesäule kann mit maximal 11 kW geladen werden. Einen 22-kW-Lader gibt es nicht.

Schneller geht es nur mit einem Akku-Tausch. Dann kann die Fahrt, wenn kein anderer vor einem an der Station wartet, nach fünf Minuten bereits weitergehen. Doch bislang gibt es hierzulande erst drei Standorte. Immerhin: Bis zu 40 Batterietausch-Stationen sollen es einmal werden. Bis wann? Unklar. Europaweit plant das chinesische Unternehmen aber, bis Ende 2023 ganze 120 solcher Stationen aufgebaut zu haben. Nachteil: Nur Kunden, die den Akku mieten, können diese Stationen nutzen (zu den Preismodellen kommen wir weiter unten).

Sämtliche Assistenzsysteme sind serienmäßig

Ein großer Pluspunkt ist, dass alle Assistenzsysteme serienmäßig sind. Kollisionswarner, Notbremsassistent, Spurhalteassistent, Einparkhilfe oder auch Querverkehrswarnung – es bleiben fast keine Wünsche offen. Bei der ersten Ausfahrt war es zwar kaum möglich, ein genaueres Bild der Assistenten zu erhalten. Der Notbremsassistent und auch der Spurhalteassistent gaben zumindest in dem kurzen Zeitraum bereits ein sehr gutes Bild ab. Das volle Potenzial sei aber längst noch nicht ausgeschöpft. Hier sind vor allem regulatorische Gründe die Bremser.

Potenzial hat auch die Navigation, die eher mäßig arbeitete und auch die Planung von Ladestopps hat Nachholbedarf. Stichprobenartig wurden Routen inklusive Ladestopps zwar geplant, doch alle verfügbaren Schnelllader entlang verschiedener Strecken wurden im System (noch) nicht angezeigt. Es ist aber davon auszugehen, dass Nio hier zeitig eine Schippe drauflegt. Ein weiteres Manko: Apple CarPlay und Android Auto werden nicht unterstützt. Mit einer Integration ist vorerst auch nicht zu rechnen. Schade.

Viel Stauraum und zwei Tonnen Anhängelast

Bevor wir zum Ende kommen, müssen wir noch über den Stauraum und die Anhängelast sprechen. Kein unwichtiger Punkt für ein Reisegefährt, das Kind und Kegel transportieren soll. Gepäck lässt sich in dem Elektro-SUV genug unterbringen. Hierfür sorgen die 580 Liter im Kofferraum. Im Fach unter dem Kofferraumboden stehen weitere 88 Liter zur Verfügung. Ein Audi Q8 bietet hingegen lediglich 569 Liter und ein BMW iX sogar nur 500 Liter. Und auch bei der Anhängelast reiht sich der Nio EL7 ganz vorne ein. Bis zu zwei Tonnen kann der China-Stromer ziehen (Stützlast: 100 kg). Ein Q8 kommt immerhin auf 1,8 Tonnen, dafür aber nur auf eine Stützlast von 80 kg. Ein BMW iX kann hingegen 2.500 kg (Stützlast von 100 kg) ziehen.

Und der Preis?

Für den EL7 mit kleinem Akku rufen die Chinesen einen Kaufpreis von 85.900 Euro und mit dem 100-kWh-Akku von 94.900 Euro auf. Der Akku-Tausch kann jedoch nicht genutzt werden – auch nicht kostenpflichtig. Günstiger wird es, wenn man sich für den Miet-Akku entscheidet. In dem Fall liegt der Kaufpreis bei 73.900 Euro. Hinzu kommt eine monatliche Miete von 169 Euro für den kleinen und 289 Euro für den großen Akku. Und: Die Nutzung der Tausch-Stationen ist zumindest bis Ende des Jahres inklusive.

Eine weitere Option bietet Nio mit seinem Abo-Modell an. Hier geht das junge Unternehmen sehr selbstbewusst auf den Markt. Nur so viel: Für Privatkunden liegt der Startpreis beim EL7 bei über 1.200 Euro pro Monat. Geschäftskundentarife konnten wir so nicht einsehen. Ein Indiz bieten die Privatkundentarife dennoch. Egal ob Abo-Modell oder Leasing, womit es eine dritte Option gibt, auch in diesen beiden Fällen ist die Nutzung des Akku-Tauschs möglich.

Fazit

Nio bietet mit dem EL7 einen elektrischen Premium-SUV auf Augenhöhe mit der heimischen Konkurrenz. Während diese aber mit einer langen Liste an aufpreispflichtigen Funktionen aufwarten, erhalten Kunden den EL7 mit Vollausstattung. Trotz des guten Angebots begibt man sich in das Gefilde einer wählerischen und von den deutschen Premium-Modellen verwöhnten Kundschaft. Da ist Überzeugungsarbeit für eine junge und noch nicht etablierte Automarke gefragt.

Bei vielen jungen und technisch versierten Kunden muss diese Arbeit hingegen sicherlich nicht geleistet werden. Bei dieser dürfte auch gut ankommen, dass Nio auf das ständige Nutzer-Feedback eingeht und den persönlichen Kontakt schätzt. Nur ein Beispiel: Norwegische Kunden wünschten sich einen Button zur manuellen Vorkonditionierung des Akkus. Die Chinesen reagierten und brachten diese Funktion per Software-Update.

1 Kommentar

zu „Nio EL7 im Test: Angriff auf die Premium-Konkurrenz“
Norbert Seebach
26.04.2023 um 10:42
Zu dumm, dass die Chinesen mittlerweile auch "Premium" können und sich nicht auf die Segmente beschränken, die deutsche Autobauer mangels Marge ohnehin nur widerstrebend bedienen, nämlich bezahlbare E-Fahrzeuge für breite Bevölkerungsschichten! Nun müssen wir zur Kenntnis nehmen, dass die Chinesen durch eine weitsichtige und langfristig angelegte Industriepolitik sich nicht nur hinsichtlich essentieller Rohstoffe quasi ein Weltmonopol gesichert und im Bereich der Batterieforschung einen mehrjährigen Vorsprung haben, sondern auch im Softwarebereich den deutschen Herstellern deutlich voraus sind. Wenn in absehbarer Zeit auch das "Image" deutscher "Premiumhersteller" in China verblasst sein wird, gibt es für die mehrheitlich Technik-affinen Chinesen objektiv keinen einzigen Grund mehr, für ein Fahrzeug mit "bescheidener" IT-Integration viele Tausende Euro mehr auszugeben als für ein heimisches Luxusmodell auf der Höhe der Zeit.

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