Traton zieht F&E-Teams seiner Marken zentral zusammen
Die Traton-Gruppe bezeichnet den Schritt als ein neues Kapitel bei der Zusammenarbeit ihrer Marken: Zum 1. Juli hat die gruppenweite Forschung & Entwicklung unter der Bezeichnung „Group R&D“ ihre Arbeit aufgenommen. Damit sind rund 9.000 Mitarbeitende der vier Traton-Marken zentral zusammengezogen worden. 3.000 weitere Kollegen aus dem F&E-Bereich verbleiben bei den Marken, um den angestrebten Standard-Baukasten um „markenspezifische Lösungen“ zu ergänzen. So soll sich auch künftig ein MAN-Lkw noch von seinem Scania-Pendant unterscheiden.
Geführt wird die neue Zentraleinheit von Niklas Klingenberg, Traton-Vorstand für Forschung & Entwicklung. Er betont, dass mit der Neuaufstellung der Forschung & Entwicklung die gesamte Gruppe künftig besser vom gemeinsamen Baukastensystem, dem Traton Modular System (TMS), profitieren soll. Im Mittelpunkt steht dabei die Entwicklung modularer Komponenten, die bei Scania, MAN, International (früher Navistar) und Volkswagen Truck & Bus eingesetzt werden können – darunter freilich auch viele eMobility-spezifische Teile. Dazu gleich mehr.
„Produkte früher auf den Markt bringen“
Niklas Klingenberg hebt hervor, dass Traton durch die nun beginnende engere Zusammenarbeit in Forschung und Entwicklung schneller und effizienter werde: „Wir können zielgenauer Innovationen entwickeln und Produkte früher auf den Markt bringen. Auf diese Weise können wir Doppelarbeit vermeiden und gleichzeitig ein jederzeit ideal auf die unterschiedlichen Kunden unserer Marken abgestimmtes Produktportfolio bieten.“
Damit sich die Nutzfahrzeuge der Marken dennoch unterscheiden, soll mitunter die gleiche Technologie in verschiedenen Leistungsstufen angeboten werden („um unterschiedlichen Anforderungen der Kunden zu entsprechen“). Das leuchtet etwa bei Batterien ein, die als Packs standardisiert sein können, deren Anzahl aber je nach Anwendungsfall variieren kann. Um dabei eine gute Balance zu finden, wird es künftig auf die Zusammenarbeit zwischen der Group R&D und den erwähnten verbliebenen F&E-Kollegen bei den Marken ankommen. Letztere agieren ab sofort unter dem Label „Brand Identity Development“ (BID).
Umsetzung soll noch nicht rund laufen
Laut „Automobilwoche“ schwebt Traton vor, durch die angestrebten Synergieeffekte Milliarden einzusparen. Allerdings soll die Sache nach Informationen der Fachzeitschrift bisher nicht rund gelaufen sein: „Eigentlich sollte der Baukasten ab 2028 einsatzbereit für die neue Generation von Lkw sein, inzwischen ist von einer Verspätung von bis zu einem Jahr die Rede.“ So sollen sich die Entwickler von MAN und Scania bei der Umsetzung des TMS „verzettelt haben“. Als Motor des Großprojekts gilt Traton-CEO Christian Levin, der gleichzeitig Präsident und CEO von Scania ist. Da es bei der Umsetzung bisher holperte, soll allerdings der Traton-Aufsichtsrat nach Informationen mehrere Medien im Frühjahr eine Prüfung des Projekts durch McKinsey beauftragt haben. Levin gilt auch deshalb als geschwächt, weil er lange an Northvolt als einzigen Batteriezelllieferanten für die E-Lkw von Scania festhielt. Die Schweden sind bekanntlich insolvent und stehen vor dem Verkauf.
Doch zurück zum TMS-Baukasten. Traton widmet diesem auf seiner Webseite eigene Unterseiten. Dort betont die Gruppe, dass das Modularitätskonzept bei Scania schon seit den 1930er Jahren verankert ist – gemäß des sogenannten Byggladan-Prinzip (Schwedisch für „Baukasten“). Schon damals untersuchte Scania, „wie Komponenten dafür genutzt werden können, die Bedürfnisse und Anforderungen zu erfüllen und dabei die Anzahl der Teile insgesamt zu minimieren“, heißt es dort.
Dieses Erbe rückte Christian Levin 2021 bei seinem Antritt als Gesamtgruppenchef ins Zentrum der markenübergreifenden Konzern-Strategie. Die Initiative schuf die Voraussetzungen für den Start von besagtem „Traton Modular Systems“. Dieses baut auf einer Matrixorganisation mit „beschleunigten Entscheidungsfindungen“ auf und geht hinunter bis auf eine „niedrigere Komponentenebene“, wie Traton schreibt. Als weitere Vorteile sieht der Konzern, dass die Produktion bei Bedarf auf verschiedene Standorte verteilt und auch der After-Sales-Bereich gebündelt werden kann und dass „durch diese Produkt- und Effizienzeinsparungen mehr Ressourcen für andere wichtige F&E-Projekte bereitstehen“.
Zentrale F&E widmet sich auch Batterien
Der TMS-Baukasten enthalten sein werden laut Traton u.a. Fahrwerke, Achsen, Getriebe, Antriebsstränge, Batterien und Radaufhängungen sowie Software und digitale Dienste. Die Gruppe geht davon aus, dass künftig 80 Prozent der F&E-Projekte des Konzerns in der neuen Zentraleinheit gebündelt und 20 Prozent auf markenspezifische Lösungen ausgerichtet sein werden. Laut Traton kam und kommt der neue modulare Ansatz bereits bei einem neuen eAxle-Projekt, der Anpassung der Federung und „einer Initiative zur Energiespeicherung“ zum Einsatz. Im weiteren Sinne sind auch die neuen konzerneigenen Serviceeinheiten wie die „Traton Charging Solutions“ und „Traton Financial Services“ Puzzleteile der neuen Strategie.
„Eine moderne Mehrmarken-Fertigungsgruppe muss die Synergien zwischen ihren Partnern nutzen, und die Einhaltung modularer Prinzipien kann diese Anforderung erfüllen“, betont auch Martin Björklund, verantwortlich für die modulare Produktstrategie der Gruppe. „Dies gewährleistet externe Effektivität durch gleichbleibend hochwertige Lösungen und profitable Massenanpassung, was langfristige Wettbewerbsvorteile verspricht.“ Wichtig dabei: Die Interaktion soll nun zwar auf eine neue Ebene gehoben werden. Die Zusammenarbeit ist aber schon länger eng – vor allem zwischen den in Europa aktiven Traton-Marken Scania und MAN. So verkündete die Gruppe schon 2016 die Bildung von markenübergreifenden Entwicklungsteams beider Marken.
Fazit: Mit Batterien und E-Achsen sind bei Traton zwei Herzstücke von E-Lkw als konzernweite Entwicklungsschwerpunkte benannt. Dass sich die nun neu eingerichtete Group R&D von Traton verstärkt eMobility-spezifischer Forschung widmen wird, ist auch aus wirtschaftspolitischen Gründen evident. Denn den neuen EU-Regularien zufolge müssen Hersteller 2030 den CO2-Ausstoß ihrer neuen Flotte gegenüber dem Referenzjahr 2019 um 45 Prozent senken. 2040 steigt dieser Wert auf 90 Prozent. Eine umfassenden Elektrifizierung ist zur Erreichung dieser Normen unumgänglich. Hersteller, die die Zielwerte reißen, müssen mit hohen Strafen rechnen.
traton.com, automobilwoche.de, traton.com (Webseite)
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