
CO2-Halbjahresbilanz: Und plötzlich läuft’s bei den Elektroautos
Das International Council on Clean Transportation (ICCT) hat detaillierte Daten zu den CO2-Emissionen der Autoindustrie im ersten Halbjahr 2025 veröffentlicht: Der Durchschnitt liegt bei 101 Gramm Kohlendioxid pro Kilometer (g CO2/km). Das sind neun Prozent mehr als der Grenzwert von 93 g CO2/km. Eigentlich müsste diese Überschreitung zu Strafzahlungen an die Europäische Union führen. Wegen der so genannten Flexibilisierung wird das nicht passieren. Außerdem ist der Durchschnittswert irreführend, weil zum Beispiel BMW den Zielwert bereits erfüllt, während Volkswagen noch richtig Strom geben muss.
Um zu verstehen, was hier passiert, muss zuerst das Instrument der CO2-Flottengrenzwerte erklärt werden.
Jedem im Europäischen Wirtschaftsraum (EWR) – also den 27 Staaten der EU plus Island, Liechtenstein und Norwegen, aber ohne die Schweiz und das Vereinigte Königreich von Großbritannien – neu zugelassenem Pkw ist ein CO2-Wert zugeordnet. Dieser steht in der Zulassungsbescheinigung Teil I (früher: Fahrzeugschein) unter Position V.7.
Die CO2-Emissionen werden im WLTP gemessen
Wie hoch dieser CO2-Wert ist, wird für den jeweiligen Fahrzeugtyp auf einem Prüfstand nach dem Verfahren Worldwide harmonized Light vehicle Test Procedure (WLTP) ermittelt. Elektroautos haben keine direkten Abgase und folglich null Gramm CO2. Und nein, das ist keine Verzerrung oder Verschiebung, weil die EU über die Renewable Energy Directive (RED) zugleich die Kraftstoffseite reguliert. In Deutschland kamen 2025 mehr als 60 Prozent des Stroms aus Erneuerbaren Quellen wie Wind-, Sonnen- oder Wasserkraft.
Eine Sonderrolle nehmen Plug-in-Hybridautos ein (abgekürzt PHEV für Plug-in Hybrid Electric Vehicle): Die PHEV durchfahren den Messzyklus im WLTP zwei Mal, nämlich einmal mit komplett entleerter Batterie – also mit dem Verbrennungsmotor – und einmal mit voller Batterie, was faktisch rein elektrisch bedeutet. Die Ergebnisse werden auf Basis der maximalen elektrischen Reichweite gewichtet (Utility Factor); diese Mischung führt dazu, dass PHEV erheblich niedrigere CO2-Werte als vergleichbare Pkw haben, die ausschließlich mit Otto- oder Dieselmotor unterwegs sind. Zumindest im WLTP-Verfahren.
In der Periode von 2021 bis 2024 lag der allgemeine Grenzwert bei 95 g CO2/km. Er musste in jedem Jahr eingehalten werden.
OEM | Ziel | Juni 2025* | YTD 2025* | Eco-innocations | adj. YTD 2025* | Reference-Target 2025-2027* | ZLEV factor | Target 2025-2027* | Target Gap | Marktantei |
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BMW | 0 % | 92 | 94 | 1 | 93 | 88 | 1,05 | 93 | 0 | 7 % |
Kia | 4 % | 101 | 97 | 0,9 | 96 | 93 | 1 | 93 | 3 | 4 % |
Mercedes-Volvo-Polestar | 4 % | 99 | 95 | 0,3 | 94 | 86 | 1,05 | 91 | 4 | 8 % |
Hyundai | 6 % | 99 | 100 | 0,9 | 99 | 94 | 1 | 94 | 6 | 4 % |
Renault | 6 % | 103 | 103 | 1,4 | 102 | 96 | 1 | 96 | 6 | 12 % |
Tesla-Stellantis-Toyota | 7 % | 98 | 102 | 1,1 | 101 | 95 | 1 | 95 | 6 | 32 % |
Durchschnitt | 9 % | 100 | 102 | 1 | 101 | 93 | 1 | 93 | 9 | |
SAIC | 12 % | 94 | 106 | 0 | 106 | 95 | 1 | 95 | 11 | 2 % |
VW | 14 % | 104 | 106 | 1 | 105 | 92 | 1 | 92 | 19 | 27 % |
Nissan | 31 % | 126 | 123 | 1,1 | 122 | 93 | 1 | 93 | 29 | 2 % |
*CO2-Ausstoß in g/km nach WLTP
NEFZ-Umrechnung, Gewichtsfaktor und Pooling
Zwischen 2025 und 2029 wird der Grenzwert um 15 Prozent abgesenkt. Und ab 2030 muss das Minus im Vergleich zu 2021 bis 2024 55 Prozent betragen.
Dass der tatsächliche Grenzwert mit 93 g CO2/km nur leicht unter den 95 g CO2/km des vergangenen Abrechnungszeitraums liegt und nicht exakt 15 Prozent darunter, hat mit unterschiedlichen Nachlässen zu tun. Hierzu zählt unter anderem eine großzügige Umrechnung vom ausgelaufenen Neuen Europäischen Fahrzyklus (NEFZ) in das Verfahren WLTP.
Eine weitere spezielle Regelung ist der Gewichtsfaktor: Jedem Hersteller wird ein individueller Grenzwert auf Basis des durchschnittlichen Leergewichts vorgegeben. Für 2021 bis 2024 bedeutete das einen Rabatt für Marken mit schweren Pkw.
Jetzt hat sich die Wirkung des Gewichtsfaktors umgedreht. Während die Renault Group mit relativ leichten Autos ab 2025 einen Grenzwert von 96 g CO2/km hat, darf die BMW Group mit eher schweren Autos höchstens 88 g CO2/km emittieren.
Wer mit wem für wie viel Geld?
Vielfach in der Kritik steht das Pooling: Jeder Hersteller darf sich mit jedem anderen beliebig zusammen bilanzieren. Diese Pools müssen angemeldet werden. Ob und welche Ausgleichszahlungen es zwischen den Unternehmen gibt, ist geheim und unterliegt der Vertragsfreiheit.
Häufig tun sich die Marken eines Konzerns in einem Pool zusammen. Das ist zum Beispiel bei Volkswagen so. Einen Zwang dazu gibt es nicht: Hyundai und Kia etwa rechnen getrennt ab, obwohl sie zum selben Konzern gehören.
Neu und auffällig ist, dass Tesla, Stellantis und Toyota sich gemeinsam bilanzieren wollen – dazu später mehr. Ein etablierter Pool ist dagegen Mercedes mit Polestar und Volvo, wo es ohnehin gegenseitige Beteiligungen gibt. Diese Dreiergruppe hat übrigens die schwersten Fahrzeuge und folglich den mit 86 g CO2/km schärfsten Grenzwert.
Theoretisch hohe Strafen – praktisch nicht
Kern der Sache aber sind die angedrohten Strafzahlungen: Pro Gramm Überschreitung und pro Pkw müssen 95 Euro nach Brüssel überwiesen werden. Volkswagen hat 2024 in Europa etwa 1,25 Millionen Autos ausgeliefert. Ein einziges Gramm Abweichung nach oben würde also bereits Strafzahlungen in Höhe von fast 120 Millionen Euro nach sich ziehen.
Spoiler: Niemand hat bisher einen Euro zahlen müssen. Und nach aktuellem Stand sieht es auch nicht so aus, als würde das absehbar irgendwem passieren. Die häufig erwähnten Einnahmen von Tesla aus den Verkäufen von CO2-Zertifikaten stammen fast ausschließlich aus den USA – und nicht aus Europa.
Schauen wir nun, wie konkret die Halbjahresbilanz der Autoindustrie bei den unterschiedlichen Marken ausfällt. Es gilt: Je mehr Elektroautos, desto besser.
BMW vorbildlich
Beispiel BMW: Wie erwähnt hält der Konzern mit den Marken BMW und Mini das gewichtsbezogene CO2-Limit von 93 g/km genau ein. Punktlandung, gewissermaßen. Das klappt, weil zwar etliche leistungsstarke und emissionsintensive Pkw mit Verbrennungsmotor, aber zugleich 25 Prozent Elektroautos und 14 weitere Prozent PHEV neu zugelassen wurden.
BMW ist fraglos auf Erfolgskurs, und die Neue Klasse wird diese Entwicklung beschleunigen. Dass der Vorstandsvorsitzende Oliver Zipse nicht müde wird, für Alternativen zum Elektroauto von E-Fuels bis zur Brennstoffzelle einzutreten, wirkt vor diesem Hintergrund bestenfalls seltsam.
VW-Konzern mit Nachholbedarf
Ganz anders ist die Lage beim Volkswagen-Konzern. Mit 105 statt der erforderlichen 92 g CO2/km überschreitet VW das Limit um satte 14 Prozent. Das passt auf den ersten Blick nicht mit den sehr guten Verkaufszahlen bei den Elektroautos zusammen; der Volkswagen-Konzern mit Audi, Skoda, Cupra und weiteren Marken dominiert in Deutschland die Top 10.
Der Grund: Der Anteil von 18 Prozent Elektroautos und neun Prozent PHEV ist ganz nett – aber nicht ausreichend. Nicht nur die Elektroautos von VW sind erfolgreich. Auch Autos mit Verbrennungsmotor sind es, allen voran der neue Tiguan und dazu der T-Roc. Der Volkswagen-Konzern müsste noch viel, viel mehr Elektroautos verkaufen, um das auszugleichen. Die Offensive bei den Kleinwagen ab 2026 ist folglich zwingend.
Zu wenig Teslas, um Stellantis zu kompensieren
Eine Besonderheit stellt der Pool aus Tesla, Stellantis und Toyota dar. Der mittlere CO2-Wert liegt mit 101 g/km sieben Prozent über dem Grenzwert von 95 g/km.
Die Problemlage ist multipel: So hat Tesla in Europa schlicht nicht genug Elektroautos verkauft, um Stellantis und Toyota ausgleichen zu können. Stellantis wiederum gefällt sich in einer äußerst zaghaften Modellpolitik.
Die Elektroautos im preissensiblen Segment wie der Citroën ë-C3 werden zu sehr hohen Mehrpreisen im Vergleich zu den C3-Versionen mit Verbrennungsmotor eingepreist; hier geht es teilweise um über 7.000 Euro. Das sind Abwehrangebote.
Möglicherweise setzt Stellantis auf die Flexibilisierung.
Gemeinsame Abrechnung der Jahre 2025 bis 2027
Die Flexibilisierung ist von Großbritannien inspiriert: Dort gibt es anders als in der EU feste Quoten fürs Elektroauto, die jährlich steigen. Weil die Industrie die Vorgaben nicht erreicht, ist eine Bilanzierung über mehrere Jahre möglich; gebräuchlich ist der englische Begriff Averaging.
Die EU übernimmt dieses Averaging. Der ursprüngliche CO2-Flottenmechanismus sieht vor, dass der Grenzwert in jedem Jahr erfüllt werden muss. Neu ist, dass der Durchschnitt von 2025 bis 2027 maßgeblich ist. Ein schwaches 2025 kann durch ein gutes 2026 oder 2027 kompensiert werden.
Wenn Tesla, Stellantis und Toyota einen Pool anmelden, machen sie die internen Verhandlungsbedingungen nicht öffentlich. Im Regelfall, so berichten Fachkreise aus Brüssel, ist das Pooling eine Kann-Option und kein Muss.
Für Toyota ist das Pooling unattraktiv
Übersetzt: Toyota etwa könnte durch die aktuelle Modelloffensive von sechs neuen Elektroautos in den nächsten Monaten hinnehmen, dass der CO2-Zielwert 2025 leicht verfehlt wird und auf das Pooling verzichten. Für sich genommen liegen die Japaner mit 96 statt 95 g CO2/km nur leicht daneben. Es ist plausibel, dass Toyota den Pool verlässt.
Wenn ab Oktober der Urban Cruiser und der überarbeitete bZ4X und anschließend der C-HR+ sowie der bZ4X Touring kommen, dürfte das locker ausreichen. Es ist kein Geheimnis, dass der Hilux und der Land Cruiser als Elektroauto die Palette ergänzen.
Für Stellantis bleibt die Lage tendenziell grimmig, wenn selbst das Pooling mit Tesla nicht genug ist.
Mercedes leicht verspätet, Hyundai auf Kurs
Einen deutlichen Fortschritt muss auch Mercedes im Pool mit Volvo und der Elektroautomarke Polestar machen, um von 94 auf 86 g CO2/km zu reduzieren. Ist das Design die Ursache für die zu niedrigen Absatzzahlen der Elektroautos? Wahrscheinlich ja: EQE und EQE SUV sowie EQS und EQS SUV kommen nicht ansatzweise so gut an wie erwartet. Die BMW-Strategie, die gewohnte Formensprache auf die Elektroautos zu übertragen, hätte mutmaßlich besser funktioniert. Ein T-Modell der E-Klasse mit Elektromotor statt wie jetzt als PHEV mit Dieselmotor wäre eine gute Sache.
Der neuen Elektroautos mit 800-Volt-Plattform wie der CLA, GLC und VLE versprechen zeitnah eine Verbesserung. Auch Mercedes kann die Flexibilisierung derzeit also noch gut gebrauchen. Mercedes, Volvo und Polestar haben zusammen 23 Prozent Elektroautos und 23 Prozent PHEV verkauft. Das ist gar nicht so wenig, im Gegenteil – hier liegt statistisch nahe, dass die verbliebenen Verbrenner besonders CO2-intensiv sind. Die AMG-Modelle zum Beispiel.
Weniger im Fokus der deutschen Wahrnehmung und trotzdem unbedingt erwähnenswert sind Hyundai und Kia. Die Marken aus der südkoreanischen Hyundai Group sind im ersten Halbjahr 2025 mit 96 statt 93 g CO2/km (Kia) und 99 statt 94 g CO2/km (Hyundai) auf dem richtigen Weg. Elektroautos wie der Hyundai Inster kommen sehr gut an. Neuheiten vom Kia EV2 über den PV5 bis zum Hyundai Ioniq 2 werden für einen weiteren Schub sorgen, und das müssen sie auch.
Die Macher dürfen nicht bestraft werden
Fazit: Die Flexibilisierung, also die gemeinsame CO2-Bilanzierung der Jahre 2025 bis 2027, verhindert für mehrere Hersteller, dass sie im Pooling mit anderen Herstellern Geld oder gar eine Strafe an die EU zahlen müssen. Aber, so stellt Jan Dornoff vom ICCT fest, sie vermindert auch den Ehrgeiz in der Autoindustrie: „Seit dem Beschluss zur Flexibilisierung am Ende des ersten Quartals ist zu beobachten, dass keine Steigerung des Elektroautoanteils mehr feststellbar ist.“ In der Folge würden auch die CO2-Emissionen nicht weiter sinken, so Dornoff, der regelmäßig Analysen hierzu erstellt.
Zusammengefasst lässt sich sagen, dass die europäische Richtlinie zu den CO2-Flottengrenzwerten grundsätzlich funktioniert. Es wäre allerdings ein Fehler, der Autoindustrie durch weitere Aufweichungen entgegenzukommen. Die Hersteller wollen Planungssicherheit, und die bekommen sie durch die EU-Limits. Eine zusätzliche Aufweichung wäre gut für jene Marken, die nicht konsequent gearbeitet haben – und eine Bestrafung für die anderen, die eine kluge Modellpolitik gemacht haben. Und das darf nicht passieren.
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