PodcastPodcasts

IAA: Verliert Deutschland bei E-Mobilität den Anschluss?

Wenige Tage vor dem Start der IAA Mobility in München haben wir für unseren Podcast „eMobility Insights“ mit Beatrix Keim, Direktorin des CAR – Center Automotive Research, über die aktuelle Lage der deutschen Autoindustrie gesprochen. Ihre Diagnose fällt kritisch aus: „Deutschland läuft Gefahr, im globalen Wettbewerb um die Elektromobilität den Anschluss zu verlieren – nicht aus technologischen Gründen, sondern durch fehlende industriepolitische Konsequenz und mangelnde gesellschaftliche Unterstützung.“

++ Diesen Pod finden Sie auch bei SpotifyAppleAmazon Music und YouTube. ++

Vor wenigen Tagen hat das CAR die Studie „Elektromobilität am Wendepunkt – Notwendige Entwicklungen bis Ende 2025 zur Wiederherstellung einer positiven Perspektive“ vorgelegt, die wir hier zusammengefasst haben. Im Gespräch mit electrive-Chefredakteur Peter Schwierz betont CAR-Leiterin Beatrix Keim, dass das abrupte Ende der Umweltprämie Ende 2023 ein zentraler Knackpunkt für die Elektromobilität in Deutschland war: „Das war ein absoluter Fauxpas, gelinde gesagt idiotisch, zu kurz angesagt, nicht wirklich gut erklärt – und der Bevölkerung wurde, sehr salopp gesagt, der Stinkefinger gezeigt.“ Während die Bundesregierung weiterhin 15 Millionen E-Autos bis 2030 auf der Straße sehen möchte, habe sie durch die Förderpolitik genau das Gegenteil signalisiert.

Hinzu komme eine unzureichende Kommunikation seitens Industrie und Politik. „Es wird immer noch nicht ausreichend erklärt, was E-Mobilität eigentlich ist, welche Vorteile sie bringt und für wen sie geeignet ist“, so Keim. Mythen über Batterielebensdauer, Recycling, zu wenige Ladestationen oder Reichweite seien nach wie vor weit verbreitet. Auch die Diskussion um ein „Verbrenner-Aus“ 2035 sorgt für Verunsicherung: Viele Menschen denken offenbar, dass Autos mit Verbrennungsmotor dann gleich ganz verboten werden sollen, dabei geht es nur um ein Verkaufsverbot für Neuwagen, die lokale Emissionen verursachen. Die Verunsicherung hat für eine Kaufzurückhaltung bei E-Autos gesorgt.

Forderung nach sozialer Förderung

Um die Nachfrage im Privatmarkt zu beleben, plädiert Keim für eine stärkere soziale Ausrichtung der Förderung. „Es reicht nicht, wenn steuerliche Vorteile vor allem Dienstwagenbesitzern zugutekommen. Auch Menschen mit normalen Gehältern brauchen Zugang zur E-Mobilität.“ Sie verweist auf das französische „Social Leasing“, das innerhalb weniger Monate vergriffen war.

Ein ähnliches Modell könne auch in Deutschland funktionieren – wenn es ausreichend finanziert wird. Darüber hinaus müsse die Ladeinfrastruktur weiter zügig wachsen, trotz oft leerer Ladeparks. Keim betont: „Es ist besser, fast schon zu viel zu haben, als wirklich zu wenig. Die gefühlte Lücke sorgt für Unsicherheit – und die Reichweitenangst sitzt tief.“

Einstiegspreise bleiben das Nadelöhr

Einen weiteren Hebel sieht Keim bei günstigen Einstiegsmodellen. Fahrzeuge unter 25.000 Euro sind in Europa bisher Mangelware. „Ich habe Volkswagen schon gesagt: Bringen Sie bitte den ID.2 oder ID.1 so schnell wie möglich – besser nicht erst 2027.“ Auch Stellantis oder chinesische Hersteller könnten diese Lücke schneller schließen. Zwar hätten die jüngst eingeführten EU-Zölle die Importpreise erhöht, doch viele Unternehmen absorbierten diese Kosten, so Keim.

Gleichzeitig warnt sie vor einer zu großen Abhängigkeit von Asien. „Wir brauchen dringend mehr Zellfertigung in Europa. Solange wir bei Batterien von China abhängig sind, bleiben wir verwundbar.“ Auch beim Zugang zu Rohstoffen müsse Europa neue Quellen erschließen – sei es in Norwegen, Chile oder sogar in der Pfalz, wo seit Kurzem Lithium gefördert wird.

Deutsche Hersteller zwischen Hoffnung und Realität

Im Hinblick auf die IAA richtet Beatrix Keim in unserem Podcast ihren Blick auf die heimischen Hersteller. Bei Volkswagen sieht Keim Licht und Schatten: „Die ID-Modelle werden in Europa durchaus gut angenommen, auch Cupra läuft sehr gut. Aber in China sieht es schwieriger aus.“ Der Premiumbereich mit Audi und Porsche hinke spürbar hinterher – auch weil Projekte wie die Cellforce-Batterieentwicklung ins Stocken geraten seien.

BMW hingegen tritt mit seiner „Neuen Klasse“ an. „Das ist ein echter Hoffnungsträger, technologisch sehr stark und mit internationaler Ausrichtung.“ Mercedes bringt die MMA-Plattform, hält aber die Tür für den Verbrenner weiter offen. Keim versteht die Strategie: „Wir haben noch zehn Jahre bis zum Verbrenner-Aus. Der US-Markt ist weiter ein Verbrennermarkt, auch in China dominiert der Verbrenner noch. Daher halten sich die Hersteller Optionen offen.“

Opel sucht seinen Platz – China drängt nach Europa

Auch Opel sorgt für Diskussion: Die Marke will nun doch nicht wie eigentlich geplant 2028 rein elektrisch werden, sondern setzt auf die Multi-Energy-Strategie von Stellantis. Für Keim ein riskantes Signal: „Man versucht hier nach allen Halmen zu greifen. Aber ob das Vertrauen schafft, ist fraglich.“

Parallel drängen chinesische Hersteller in großer Zahl nach München. BYD, Changan und andere reisen mit großem Auftritt an, flankiert von Batterieproduzenten wie CATL. „Die Fahrzeuge sind technisch gut, aber die Marken haben noch Nachholbedarf beim Image. Ohne mehr Kommunikation und Sichtbarkeit wird es schwer, Vertrauen aufzubauen.“ Gleichzeitig werde aggressiv der Flotten- und Abo-Markt bearbeitet, um Präsenz auf der Straße zu zeigen.

Offene Frage: Schafft Deutschland den Turnaround?

Am Ende bleibt die große Frage: Verliert Deutschland wirklich den Anschluss? Keims Antwort ist differenziert: „Es muss endlich gehandelt werden. Die Bundesregierung darf diese Schlüsselindustrie nicht einfach laufen lassen.“ Innerhalb eines Jahres sind in Deutschland über 50.000 Arbeitsplätze in der Branche verloren gegangen. „Wenn wir nicht reagieren, verlieren wir nicht nur Marktanteile, sondern auch industrielle Substanz.“

Ihre Kernbotschaft vor der IAA lautet daher: „E-Mobilität ist eine sehr schöne, sehr emotionale Mobilität. Aber sie muss von Politik, Industrie und Gesellschaft getragen werden, sonst werden wir in Europa nur noch zuschauen.“

++ Diesen Pod finden Sie auch bei SpotifyAppleAmazon Music und YouTube. ++

1 Kommentar

zu „IAA: Verliert Deutschland bei E-Mobilität den Anschluss?“
M
02.09.2025 um 21:50
Verliert Deutschland bei E-Mobilität den Anschluss? Nein. Deutschland hat den Anschluss bereits vor 10 Jahren verloren.

Schreiben Sie einen Kommentar

Ihre E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert