Man e lkw electric truck hintergrund background min
Bild: MAN
InterviewNutzfahrzeug

„Technologieoffenheit ist keine Industriepolitik“ – MAN-Chef Alexander Vlaskamp

Bundeskanzler Merz lud diesen Monat zum Auto-Gipfel und brachte dort das griffige Zitat, dass „das E-Auto auf der Hauptstraße fährt“. Und wo fährt der E-Lkw? Wir haben jemanden gefragt, der beim Gipfel dabei war: Alexander Vlaskamp, CEO MAN Truck & Bus, über gemeinsame Branchen-Interessen, neue Konkurrenz aus China und Denkfehler der Politik.

Alexander Vlaskamp war dieser Tage im Kanzleramt. Zusammen mit Karin Rådström, Vorstandschefin von Daimler Truck, hat der MAN-CEO die Nutzfahrzeug-Hersteller beim jüngsten Auto-Gipfel vertreten. Ein Selfie zeigt beide Top-Manager auf ihrer Mission. Sonst Konkurrenz, aber im Antriebswandel vereint? Vlaskamp bejaht, dass die Interessensunterschiede innerhalb der Branche in der Tat klein sind. Kein Wunder angesichts der immensen Herausforderungen.

Doch Vlaskamp gibt sich vorwärtsgewandt und klar: Auf die ganze Debatte um
Technologieoffenheit reagiert er ungeduldig. Denn: „Sie ist keine langfristig angelegte Industriepolitik“. Der Batterie-elektrische Anteil im Straßengüterverkehr kann aus seiner Sicht in Europa künftig über 90 Prozent erreichen. Wenn alle anpacken und verstehen, dass wir uns aktuell in einer kritischen Phase befinden. Vlaskamp hält die Lage für ernst. Denn die Elektrifizierung der Nutzfahrzeugindustrie steckt noch in den Kinderschuhen. Sie ist kein Selbstläufer. Im Interview mit electrive warnt der MAN-CEO, dass die Entwicklung aktuell viel zu langsam voranschreitet.

***

Herr Vlaskamp, Sie waren beim Autogipfel im Kanzleramt. Auf die Nutzfahrzeug-Industrie gesamt gesehen: Wie groß sind die Interessensunterschiede in Ihrer Branche?

In der Nutzfahrzeugindustrie sind die Interessenunterschiede nicht besonders groß. Im Grundsatz geht die gesamte Branche davon aus, dass der Großteil des Lkw-Transports der Zukunft elektrisch betrieben wird. Es gibt lediglich kleine Unterschiede in den Strategien der einzelnen Unternehmen. Diese Unterschiede liegen eher in den Prozentzahlen und Einschätzungen zum Tempo dieser Entwicklung.

Wenn sie das Wort „Technologieoffenheit“ hören, was geht Ihnen dabei durch
den Kopf?

Wir sind ein Industrieunternehmen und von unserer DNA her „technologieoffen“. Man muss jedoch sehen, dass es momentan eine sehr eindeutige Technologieklarheit gibt. Wir gehen davon aus, dass der Batterie-elektrische Anteil im Straßengüterverkehr in Europa künftig über 90 Prozent betragen wird. Die Produkte sind da und bestellbar. Und sie sind sehr gut. Der Batterie-elektrische Antrieb wird sich daher in einer Betriebskosten getriebenen Branche durchsetzen. Die Herausforderungen resultieren aus dem (richtigen) gesellschaftlichen Anspruch, diesen Hochlauf extrem zu beschleunigen. Dabei ist es natürlich immer leichter, die Herausforderungen einer neuen Technologie in den Vordergrund zu stellen, anstatt intensiv die Rahmenbedingungen hierfür zu schaffen. Das Schlagwort Technologieoffenheit darf nicht dazu führen, dass die Elektromobilität als nicht marktreif erscheint, ausgebremst und benachteiligt wird.

Gefühlt waren wir bei der Einigkeit zur Technologiezukunft im
Nutzfahrzeugbereich schon weiter. Jetzt schlägt das Pendel zurück – ein
Eindruck, den Sie teilen?

Nein, es muss hier unterschieden werden zwischen Einigkeit der Technologiezukunft und den Einschätzungen, wie schnell diese Zukunft erreicht werden soll und wer das Risiko für eine Nicht-Erreichung tragen muss. Unsere Branche hat geliefert: Wir haben unsere Hausaufgaben gemacht und sehr gute Produkte entwickelt. Die Umsetzung der zugesagten Rahmenbedingungen wie z.B. hinsichtlich der Ladeinfrastruktur gestalten sich leider jedoch zeitintensiver als vielleicht erwartet. Dies liegt jedoch nicht in unseren Händen. Wir sollen hierfür aber das Risiko tragen, Stichwort Strafzahlungen. Das passt nicht zusammen: die ganze Debatte um
Technologieoffenheit ist damit keine langfristig angelegte Industriepolitik!

Kann man denn überhaupt mehrere Technologiepfade parallel weiterentwickeln? Der Bundeskanzler stellt sich das so vor und lädt die Branche regelrecht dazu ein.
Bei Ihrem Wettbewerber aus Stuttgart will man auch nicht von der
Brennstoffzelle lassen. Wie geht MAN weiter vor?

Natürlich behalten wir verschiedene Antriebstechnologien im Blick und werden sie in unterschiedlichem Umfang weiterverfolgen – so wie wir es auch schon die letzten Jahrzehnte gemacht haben. Anders als Daimler haben wir bereits einen Wasserstoff-Verbrennungsmotor im Angebot, der heute bestellt werden kann. Auch die Brennstoffzelle entwickeln wir weiter. Aber klar ist auch – aktuell besteht aufgrund des hohen Wasserstoffpreises kaum Bedarf an solchen Lösungen im Markt. Und das wird sich auf absehbare Zeit auch nicht ändern. Aktuell kostet das Kilo Wasserstoff bis zu 20 Euro. Rentabel wird der Betrieb unserer Fahrzeuge aber erst ab einem Preis zwischen drei bis fünf Euro. Das ist ein weiter Weg. Unsere
Technologieentscheidung – wie in der Vergangenheit auch – basiert am Ende immer auf Technologie-Reifegrat, Verfügbarkeit und Preis. Da ist der E-Lkw
schlichtweg dem Wasserstoff um Jahre voraus.

Eine Studie vom ICCT zeigte neulich, dass die meisten Lkw-Hersteller in
Europa auf einem guten Weg sind, die 2025er EU-Flottenziele zu erreichen. In
Ihrem Fall rettet Scania die Traton-Bilanz, da MAN noch Luft nach oben hat.
Wie bewerten Sie die Lage für dieses Jahr?

Wir sind mit unseren aktuell nochmals effizienteren Motoren und dem derzeitigen Anteil an E-Mobilität bereits auf einem guten Weg. In der E-Mobilität haben wir die höchsten Wachstumsraten in der gesamten Gruppe und gerade erstmals beim Absatz je die 1000er-Marke mit unseren E-Bussen und E-Trucks überschritten. Und noch sind wir erst ganz am Anfang des Hochlaufs. Denn die gute Entwicklung bedeutet nicht, dass wir uns jetzt ausruhen können. Der Nutzfahrzeugmarkt ist aufgrund der wirtschaftlichen Lage durchaus sehr angespannt. Investitionen in die Antriebswende bei unseren Kunden sind daher keine Automatismen. Wir wollen sie mit einem guten Produkt überzeugen, brauchen hierfür aber den weiteren Hochlauf an Ladeinfrastruktur europaweit, vor allem aber den Netzzugang in den Logistikdepots.

Und warum wird es mit Blick auf die CO2-Vorgaben der EU im nächsten Zeitabschnitt bis 2030 aus Ihrer Sicht so viel schwieriger?

Bis 2030, und besonders ab 2030, müssen wir eine neue Zulassungsquote,
beziehungsweise eine CO₂-Einsparung von 45 Prozent erreichen. Das ist ein
ambitionierter Sprung für den wir nur wenige Jahre Zeit haben, der eine deutlich ausgebaute Ladeinfrastruktur über alle EU-Mitgliedsstaaten hinweg sowohl im öffentlichen Raum als auch in den Depots erfordert. Diese Entwicklung wird derzeit jedoch durch bürokratische Hürden und, insbesondere, durch fehlende Netzanschlüsse ausgebremst. Ohne ausreichende Ladeinfrastruktur in den Depots und im öffentlichen Bereich wird der notwendige Schritt ab 2030 nicht zu schaffen sein – ohne dass wir als Hersteller es beeinflussen können.

Was sind Ihre größten Forderungen an die politischen Entscheidungsträger in Brüssel und Berlin? Wie sieht es mit Förderungen aus? Wird da aus Berlin noch einmal etwas kommen, das der Nutzfahrzeug-Branche hilft oder reicht es, auf die Ausnahme bei der Maut zu setzen?

Die wichtigste Forderung ist ein Aussetzen der geplanten Strafzahlungen für 2030 und möglichst eine Kopplung an Rahmenbedingungen, auf die wir keinen direkten Einfluss haben. Kurzum: Wir brauchen mehr Flexibilität in der CO2-Regulierung. Außerdem braucht es ein klares politisches Bekenntnis zur Elektrifizierung des Nutzfahrzeugbereichs – nicht allein auf Risiko der Industrie, sondern mit konkreten Schritten, wie zum Beispiel der Einbeziehung von Spediteuren und Logistikunternehmen in den Paragraph 9b des Stromsteuergesetzes. Logistikunternehmen werden künftig zu energieintensiven Unternehmen – insbesondere wenn sich die Rahmenbedingungen im Bereich des bidirektionalen Ladens verbessern. Diese Realität muss sich auch in der politischen und steuerlichen Behandlung widerspiegeln. Darüber hinaus ist eine gezielte Förderung der Infrastruktur aber auch der Fahrzeuge insbesondere für kleine und mittlere Unternehmen (KMU) entscheidend, um die hohen Anfangsinvestitionen zu erleichtern.

Warum heben Sie gerade den Lkw-Mittelstand hervor?

Rund 80 Prozent der Transportunternehmen sind KMU – sie decken zwar nicht 80 Prozent des Transportvolumens ab, bilden aber das Rückgrat der Branche. Gerade für diese Unternehmen ist die Anfangsinvestition, selbst bei vorteilhaften Betriebskosten, schwierig. Von steuerlichen Sonderabschreibungen profitieren sie meist nicht. Deshalb müssen sie gezielt unterstützt werden. Zusätzlich brauchen wir eine starke Beschleunigung des Netzausbaus. Es kann nicht sein, dass die Elektrifizierung an den Netzanschlüssen scheitert, es gleichzeitig aber keine ernsthaften Bemühungen der Politik gibt, diese Seite zu beschleunigen. Insgesamt müssen die Gesamtbetriebskosten von batterieelektrischen Fahrzeugen günstiger sein als die von Diesel-Fahrzeugen – nur dann wird der Umstieg wirtschaftlich machbar und nachhaltig erfolgreich sein. Wir und unsere Kunden benötigen daher politische Verlässlichkeit und Planungssicherheit über viele Jahre hinweg. Das ist eine Verkehrs- und Industriepolitik, die ich mir erwarte und die uns auch die Kraft gibt, gegen neue Wettbewerber im Markt bestehen zu können.

Apropos neue Wettbewerber: Mit Sany wird Anfang 2026 erstmals ein großer Lkw-Hersteller aus China einen BEV-Lkw nach Europa bringen. Im E-Bussektor sind chinesische Marken schon länger konkurrenzfähig. Wie wollen Sie sich gegen diese neuen Mitbewerber behaupten?

Die Elektrifizierung ist die große Transformation unserer Branche, die in vollem Gange ist. Der Antriebswechsel ist daher nicht nur ein wichtiges klimapolitisches Instrument, sondern vor allem auch die Absicherung der Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Nutzfahrzeugindustrie gegenüber neuen Wettbewerbern aus Fernost – die insbesondere auf batterieelektrische Antriebe setzen. Autonomes Fahren wird darüber hinaus noch eine ungleich größere Transformation. Bei MAN sind wir für diesen nächsten Schritt jedoch gut aufgestellt. Wir haben in unserem ATLAS L4 Projekt gezeigt, dass es uns technisch möglich ist, nach heutigen europäischen Gesetzen Hub-to-Hub Verkehr autonom zu bewältigen. Ab 2030 planen wir erste autonome Serienlösungen anzubieten.

Kann sich ein OEM künftig noch leisten, nur OEM zu sein? Und wie weit
können sich Hersteller vorwagen, wenn es beispielsweise etwa darum geht,
öffentliche Lader aufzustellen?

Wir als Traton Gruppe haben gemeinsam mit den anderen großen OEMs Daimler und Volvo in das Joint Venture Milence investiert. Milence hat sich zum Ziel gesetzt 1.700 Ladepunkte bis 2027 an öffentlichen Standorten zu errichten. Ziel des Joint Ventures ist es, die dringend benötigte Ladeinfrastruktur für den Hochlauf der Elektromobilität im Nutzfahrzeugbereich bereitzustellen. Gleichzeitig haben wir eine umfassende Kooperation mit E.ON für den Aufbau von öffentlich zugänglichen Ladesäulen an unseren Service-Standorten. Dieses Engagement ist ein entscheidender Schritt, um die ambitionierten CO₂-Ziele ab 2030 realistisch zu erreichen. Es zeigt, dass die Industrie bereit ist, Verantwortung zu übernehmen. Nun muss die Politik die geeigneter Rahmenbedingungen bereitstellen – beispielsweise durch vereinfachte Genehmigungsverfahren, ausreichende Netzkapazitäten und Förderinstrumente für Betreiber und insbesondere für kleine und mittlere Logistikunternehmen. Nur im Zusammenspiel mit der Politik kann der Hochlauf der Elektromobilität in der Transportbranche erfolgreich und schnell gestaltet werden.

Unsere Angebotspalette hat sich stark weiterentwickelt. Wir bieten unseren Kunden eine 360° Beratung an, bei der alle Seiten der Elektrifizierung eines individuellen Fuhrparks beleuchtet werden. Mit der Transformation zu noch stärker von Software definierten Fahrzeugen und hin zu autonomen Fahrzeugen, wird sich unsere Rolle weiter verändern.

Zu Ihrem Unternehmen: Kaum ein OEM sucht zwischen E-Bussen und E-Lkw
so viele Synergien wie MAN, ist das ein echter Wettbewerbsvorteil oder aus der
Not geboren?

Es ist ein echter Wettbewerbsvorteil! Nicht umsonst haben wir frühzeitig auf unsere eigene Kompetenz in der Batterieentwicklung und unsere eigene Batterieherstellung gesetzt. Eine Viertelmilliarde Euro haben wir dafür alleine in unser Werk in Nürnberg investiert. Über eine Milliarde insgesamt ist in unser elektrisches Fahrzeugportfolio geflossen. Das zahlt sich jetzt aus! Unsere Batteriefamilien für Bus und Truck haben hohe Synergien und sind trotzdem optimal mit Fahrzeug und Antriebsstrang für die jeweilige Anwendung entwickelt und ausgelegt. Bauform, Batterieanzahl, Leistung, Integration in das Gesamtfahrzeug: alles orientiert sich am optimalen Einsatznutzen für den Kunden! Dank dieser Philosophie können wir zum Beispiel eine echte vollelektrische Low-Liner-Sattelzugmaschine anbieten: mit niedriger
Aufsattelhöhe für maximales Ladevolumen, kürzestem Radstand und trotzdem maximaler Batteriekapazität! Perfekt für die Automobillogistik und einzigartig auf dem Markt! Mit der gleichen Inhouse Elektro-Kompetenz haben wir aber gerade auch den ersten vollelektrischen Reisebus mit bis zu 650 Kilometern Reichweite auf der Messe Busworld in Brüssel vorgestellt. Die hohen Synergien zwischen den Produkten sind dabei ein enormer Vorteil.

Mehrere Mitbewerber sind von NMC- auf LFP-Batterien gewechselt. Nicht so
MAN. Warum?

NMC bietet im Vergleich eine höhere Energiedichte, das bedeutet, dass die Batterien weniger Bauraum benötigen und auch leichter sind bei gleicher oder sogar höherer Reichweite. Ebenso unterstützt die Technologie unseren modularen Designansatz, bei dem der Kunde je nach Einsatz-, Reichweiten- und Nutzastbedarf zwischen drei und sieben Batterien wählen kann. Außerdem haben NMC-Batterien eine bessere Ladefähigkeit bei kalten Temperaturen. Das sind grundsätzlich starke Argumente für den Einsatz im
Nutzfahrzeug. Aber natürlich schauen wir uns die Entwicklung in der Batterietechnologie genau an, die ja sehr schnell voranschreitet, und bewerten Vor- und Nachteile in der Produktentwicklung fortlaufend. Letztlich geht es immer um den Nutzenvorteil für unsere Kunden, bei wettbewerbsfähigen Kosten.

Und zuletzt Ihr Blick in die Glaskugel: Wo steht MAN mit der Elektrifizierung in
fünf Jahren?

Das hängt von den Rahmenbedingungen ab. Wenn es nach uns geht, sind im Jahr 2030 gut 50 Prozent unserer Neuzulassungen in Europa elektrisch.

Herr Vlaskamp, haben Sie vielen Dank!

3 Kommentare

zu „„Technologieoffenheit ist keine Industriepolitik“ – MAN-Chef Alexander Vlaskamp“
Schnaufi15
23.10.2025 um 13:24
Ein Interview das einen optimistisch stimmt. Blick nach vorne und gute Produkte die jetzt schon verfügbar sind. Wahnsinn das es letztendlich die Politik ist die am meisten bremst.
Jörg
23.10.2025 um 14:28
wenn die Produkte schneller am Markt sind als die Politik, dann ist das ja nicht technologieoffen oder marktfähig....
Schmack
23.10.2025 um 18:01
Klare Ansage Richtung Politik! Ich hoffe das wurde auch ebenso klar im Kanzleramt ausgesprochen. Dieses Gerede um Technologieoffenheit schadet unserem Wirtschaftsstandort und Her Vlaskamp hat klar und deutlich ausgedrückt wo die Reise hingeht und wonach Sie ihre industriepolitischen Entscheidungen treffen. Thema Netzanschlüsse wird der Engpass in den nächsten 5-10 Jahren sein und gerade hier zeigt die Politik nicht ausreichend Initiative den Ausbau zu beschleunigen.

Schreiben Sie einen Kommentar zu Jörg Antwort abbrechen

Ihre E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert