Wie sich Ionity in der E-Auto-Nation Norwegen profiliert

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Ionity hat den ersten Schnellladekorridor in Norwegen eröffnet und uns zu diesem Anlass in die e-mobile Hauptstadt Oslo eingeladen. Unsere electrive.com-Redakteurin Nora Manthey folgte dem Aufruf. Hier ihr Erfahrungsbericht aus „EV Wonderland“, das sich ganz schnell wie das neue Normal anfühlt. 

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Ionity holt uns mit einer kleinen Flotte aus vier Audi e-tron an der Zentralstation in Oslo ab. Es geht früh los, denn die neueste High Power Charging-Station Norwegens liegt etwa 1,5 Stunden von Oslo entfernt, in Ringdalskogen. Der Standort ist einer der größten von Ionity und wird sich später als echter Hotspot für Ladeanwendungen entpuppen.

Doch zunächst bietet die entspannte Fahrt in Audis elektrischem Raumgleiter Gelegenheit zum Gespräch mit der Audi-Chefin in Norwegen, Elin Sinervo. Während wir den benzingetriebenen Verkehr auf der Schnellstraße links liegen lassen und die leerere Busspur nutzen – ein Privileg, das E-Autos in Oslo nach wie vor eingeräumt wird, vorausgesetzt das Auto hat mindestens zwei Insassen – berichtet die Direktorin, dass sie die Ankunft des ersten echten Audi-Stromers kaum abwarten konnte. Denn ohne E-Auto im Angebot lasse sich in Norwegen kein Geschäft mehr machen. Allein im März haben sich 77 Prozent aller Käufer für einen elektrischen Neuwagen entschieden. Tesla hat dabei klar die Nase vorn und einen symbolischen Heimvorteil: Das Model 3 hat sich als der neue Volkswagen etabliert. Es sei eine Preisfrage, erzählt die Audi-Chefin, und der Vorteil des jetzt etablierten “first movers”. Dennoch, der mindestens 65.000 Euro teure e-tron findet Abnehmer. Von den 7.200 Reservierungen haben die Händler soweit 4.400 in Verträge überschreiben können. Ausgeliefert wurden seither 800 e-tron, sagt Sinervo, die deutsche Audi Zentrale sprach zuletzt von 672. Audi Norway geht davon aus, dass man unter idealen Lieferbedingungen etwa 75 Prozent des Absatzes mit dem E-Audi bestreiten könnte.

Der norwegische Ionity-Korridor

Bei unserer Ankunft an der Ionity-Station in Ringdalsvagn wird schnell klar, dass der Standort streng genommen bereits eröffnet ist – es besteht Auslastung. Neben unseren e-tron-Fahrzeugen laden dort auch echte Kunden und während unseres Aufenthalts herrscht ein relativ stetiger Strom von Neuankömmlingen.

Die „Eröffnung“ entpuppt sich schnell als Anlass, sich besser kennenzulernen. Das gilt für die Presse und die Partner, die mit knapp 30 Mann und Frau vertreten sind. Ionity arbeitet in Norwegen exklusiv mit Circle K zusammen und der Tankstellen-Betreiber in kanadischer Hand zeigt sich entschlossen, vom Wandel der ölproduzierenden Nation zu profitieren. Der norwegische Vizepräsident der Firma bezeichnet die Lage als einen “perfekten Sturm” und weist auf die ambitionierte Zielsetzung der Gruppe hin: In Norwegen sollen ein Drittel der “Energy-Stops”, wie Circle K die Tankstellen neuerdings nennt, mit Ladesäulen ausgestattet werden. 2020 sollen auf diese Weise 100 Standorte etwa 500 Ladepunkte beherbergen. Darunter fällt Ionity, aber nicht ausschließlich: Circle K will selbst in das Geschäft einsteigen und arbeitet bereits an einer eigenen App und Homecharging-Suite.

Auch in Ringdalskogen befinden sich auf dem großen Gelände weitere Ladestationen, ein Supercharger-Park von Tesla liegt gleich gegenüber. Das hält Norwegens Youtube-Vlogger Björn Nyland allerdings nicht davon ab, seinen Tesla mit stetigen 120 kW an einer der Ionity-Stationen zu laden. Er sagt, dass dies momentan selbst an vielen Superchargern nicht möglich sei.

Der Audi e-tron hat noch stärkeren Zug und schafft es kurz auf die angepriesenen 150 kW. Den Rest der Zeit variiert die Ladeleistung zwischen 118 und 132 kW, während die Ladestation – akustisch gut vernehmbar – ihr Bestes gibt. Natürlich liegt das Geräusch nicht an den hohen Ladeströmen, sondern an der Pumpe, welche die dicken Kabel mit Flüssigkeit kühlt. Das System hat gerade erst ein Upgrade bekommen, sagt Ionity-COO Markus Groll. Statt neue Kabel anzubringen, hat es sich hier als einfacher erwiesen, die gesamte Station auszutauschen, so dass nun überall neue Tritium-Säulen stehen. (Hintergrundinfos zu Ionitys Umrüstaktion an seinen Tritium-Standorten gibt es hier.)

Groll verrät uns auch einige Daten zum derzeitigen Nutzerverhalten. An den mittlerweile 74 geöffneten Ionity-Stationen kommen oft elektrische Hyundai vorbei. Der koreanische Stromer war früh am Markt und lädt mit 75 kW. In den zwei Stunden in Ringdalskogen haben wir zwei Fahrzeuge dieser Art gezählt, ebenso viele Jaguar I-Pace waren dort. In dieser Gegend von Norwegen stehen viele Sommerhäuser gut betuchter Osloer.

Der Grund, warum sich Ionity hier aufgestellt hat, liegt natürlich nicht an der Lage im Feriengebiet. Ringdalskogen ist einer von sechs Stops entlang eines Korridors, der demnächst Oslo und Bergen via Stavanger verbinden wird. Die Ionity-Locations sind im Abstand von 120 bis 150 Kilometern gewählt und bilden eine von vielen sich gleichzeitig im Bau befindlichen Ladepassagen. Dieses Halbjahr stehen die Nordländer im Fokus. Ionity arbeitet hier an drei weiteren Standorten in Schweden und fünf in Dänemark. Weit fortgeschritten sind die “Hurtiglader” in Stockholm und Malmö, so dass bald die Fahrt über die Öresundbrücke nicht mehr in einer Ladewüste enden muss.

Norwegen als Modellnation

Dennoch, es hat gedauert bis Ionity in Norwegen sichtbar geworden ist. COO Groll erklärt, dass Baugenehmigungen verschiedenster Art die größte Hürde darstellen. Gleichzeitig verweist er darauf, dass Ionity “doppelt so schnell wie Tesla ist, wenn es zur Hochlauf-Kurve kommt”. Momentan laufen Bauarbeiten an 49 Standorten und in drei Regionen parallel.

Zu den besonderen Erfolgsmodellen rechnet Markus Groll übrigens Österreich, denn dort sei die Vergabe der Standorte zentral von einer Regierungsstelle geregelt und Ionity war einer von mehreren erfolgreichen Bietern im Vergabeprozess. Der Blick auf die Karte zeigt, dass Ionity in der Tat vor allem in der DACH-Region Fortschritte gemacht hat, wobei Groll auch hier auf Unterschiede verweist. So sei Baden-Württemberg ziemlich abgedeckt, während in Bundesländern wie Niedersachsen faktisch Stillstand herrsche.

Zudem arbeitet Ionity pan-europäisch, ein Faktor, der für Groll einen der größten Wettbewerbsvorteile darstellt und entsprechend von der EU gefördert wird. In dem Joint Venture von Audi, BMW, Daimler, Ford, Porsche und Volkswagen stecken 39 Millionen Euro aus dem Ten-T Programm und noch im April ist vorgesehen, einen Standort nahe Brüssel zu eröffnen. Schweden und Dänemark sowie (noch) Großbritannien gehören zu den geförderten Ländern.

In Norwegen ist der neue Schnellladekorridor jedoch ohne Fördermittel ausgekommen und der bei der Eröffnung anwesende Sekretär für Transport und Kommunikation sieht die Lage als eine Win-Win-Situation für alle Beteiligten. Mit Blick auf die in Norwegen immer noch großzügige steuerliche Förderung von E-Fahrzeugen stellt er ein Abflauen in Aussicht, aber nicht zu bald.

Szenen an der Ampel

Zurück in Oslo bleibt Zeit für einige abschließende Betrachtungen. Zugegeben, wir sind aus Großbritannien eingeflogen, um in Norwegen eine Schnellladestation für Elektrofahrzeuge zu eröffnen. Doch so bald der Trolley über das Parkett in die Haupthalle des Osloer Flughafens rollt, setzt die CO2-Karma-Rückzahlung ein. Zumindest gefühlt, denn Norwegen ist einfach das Land, das umsetzt, worüber andere noch reden – die Verkehrswende. Ist man einmal mit dem eigens eingerichteten Zug in Oslo eingefahren, bestätigen persönliche Beobachtungen, wo wir sonst anonyme Statistiken zitieren: Fast jedes dritte Auto fährt hier bereits elektrisch. Regelmäßig Trauben von i3-Fahrzeugen an einer Kreuzung zu sehen, gefolgt von einem Leaf, der ein oder anderen Zoe und verschiedenen Tesla – das fühlt sich nach einem halben Tag in Norwegens Hauptstadt schon wie das neue Normal an.

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Dazu kommt, dass Oslo Autoverkehr jeglicher Art relativ unattraktiv macht. Parkgelegenheiten, vor allem überirdische, sind selten und teuer – und viele Straßen dürfen nur in einer Richtung befahren werden. Die Stadt lässt sich also am besten erlaufen, eine Tatsache, die wir aus erster Hand erfahren haben. Daneben gibt es eine Menge an Mikromobilität und eine Schlüsselszene unseres Besuchs war es, ein E-Skateboard, einen Segway und einen elektrischen Tretroller in trauter Verfolgungsjagd bergauf sausen zu sehen. Die kleinen leichten Elektrofahrzeuge sind die neueste Ergänzung im Osloer Innenstadt-Kosmos und in der ganzen Stadt verteilt. Die E-Roller von Voi aus Schweden scheinen dabei ständig im Einsatz zu sein, da die Buchung über App und QR-Code-Scan sehr einfach ist. Zwei Hebel, einer für die Geschwindigkeit und einer für das Bremsen, reichen aus, um sich ziemlich schnell und ziemlich norwegisch vorzukommen – ein echt gutes Gefühl.

Nora Manthey, verantwortliche Redakteurin der internationalen Ausgabe electrive.com

4 Kommentare

zu „Wie sich Ionity in der E-Auto-Nation Norwegen profiliert“
Stefan
10.04.2019 um 22:36
Schnelladekorridore gibt es in Oslo und ganz Norwegen schon seit 6 Jahren. Sie heissen Supercharger und haben bis zu 30 Stationen. Der Vorsprung von Tesla ist nicht vom Himmel gefallen. Das war wohl sehr harte Arbeit und Weitsicht.
Professor
11.04.2019 um 10:27
Ja hier wird mal wieder medienwirksam gefeiert und den Leuten die sich schlecht auskennen (was leider noch über 90% sind bei uns) suggeriert, dass hier einmaliges entsteht.Ich kann dir da nur beipflichten, bin selbst vor 4 Jahren ans Nordkapp gefahren mit einem Model S von Zürich aus (10'000km). Alles nur mit Supercharger, einzig die letzte Übernachtung musste man mit 22kW AC laden im Hotel.Würde ich die Tour heute mit Ionity machen wollen, dann könnte man nur in Norwegen nicht mal 20% von der Strecke mit deren Ladern abdecken.Da sind noch Welten dazwischen ...
Robert
17.04.2019 um 11:38
Tolle Aussage von Ionity "Gleichzeitig verweist er darauf, dass Ionity “doppelt so schnell wie Tesla ist" Es wäre schon sehr traurig, wenn die Gründer von Ionity (Die Autohersteller Daimler, BMW, Ford sowie die VW-Töchter Audi und Porsche) also nahzu die Gesamte Deutsche Automobilindustrie langsamer als das kleine US-Start-Up Unternehmen Tesla wären die nebenbei gesagt ganz alleine und ohne Staatlichen Hilfen weltweit das Supercharger Netzwerk aufgebaut haben und das zu einem Zeitpunkt als noch gar nicht klar war ob E-Mobilität überhaupt funktioniert. Hut ab vor soviel Pioniergeist und Risikobereitschaft
Bartholomäus Steiner
30.04.2019 um 17:51
Schöner Artikel.

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