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HintergrundInfrastruktur

„Utrecht Energized“ gestartet: So soll das bidirektionale Laden den Durchbruch schaffen

Bidirektionales Laden gilt als Heiliger Gral der Elektromobilität: Die Akkus der E-Autos werden nicht nur zum Fahren genutzt, sondern können auch das eigene Haus mit Energie versorgen – oder gar das Stromnetz stabilisieren. Aufgrund diverser Hürden ist es bisher bei Pilotprojekten geblieben. Doch in Utrecht ist jetzt der Realbetrieb eines deutlich größeren Projekts gestartet – mit 50 bidirektional ladenden E-Autos, 500 sollen es werden. Was können die Niederlande, was wir nicht können? Wir waren vor Ort.

Es sieht aus wie eine gewöhnliche, öffentliche Ladestation in der Jan Pieterszoon Coenstrat nahe des Zentrums von Utrecht. Die zwei weißen Renault 5 des Carsharing-Anbieters MyWheels fallen sofort auf, sind aber zunächst nichts Besonderes. Für Carsharing-Autos reservierte Ladeplätze gibt es sogar in Deutschland – und in Utrecht für die dort weit verbreiteten „Deelautos“ zuhauf. Was jene Ladestation mit den beiden Elektro-Renaults abhebt, ist ein kleines und für den Laien unscheinbares Detail: Die Animation der Status-LEDs an der Ladesäule dreht sich gegen den Uhrzeigersinn. Und nicht mit ihm.

„Ich habe unsere Ingenieure aufgefordert, sich etwas einfallen zu lassen. Es sollte subtil sein, aber für jeden sichtbar“, erklärt Robin Berg. Der Niederländer ist der Chef von We Drive Solar und hat die Säule im Viertel Lombok-West nicht nur gebaut, sondern mit seinem Team auch selbst entwickelt. Mit der kleinen Status-LED über dem Ladeanschluss ist es wirklich eine sehr dezente Lösung geworden, über welche die Besonderheit der ansonsten unauffällig grauen Ladesäule nach außen sichtbar gemacht wird. Die blaue LED zeigt an, dass gerade ein Ladevorgang läuft. Die weiße LED darunter – umrandet von symbolischen Sonnenstrahlen – ist die wichtigere der beiden Leuchten: Dreht sich die Animation nach rechts, wird das verbundene Auto mit Strom aus dem Netz geladen. Dreht sie sich hingegen nach links, fließt der Strom aus dem Akku des Renault 5 zurück ins Utrechter Stromnetz.

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Dass bidirektionales Laden funktioniert, haben unzählige Pilotprojekte über die Jahre bewiesen – zuletzt haben Vattenfall und Volkswagen einen Feldversuch in Schweden mit 200 Fahrzeugen gestartet, die Lade-Hardware liefert dort das deutsche Unternehmen Ambibox. Die beschriebene Ladesäule in der Jan Pieterszoon Coenstrat ist aber kein Einzelstück eines solchen Testlaufs, sondern eine von 50, die in den vergangenen Wochen über das Stadtgebiet verteilt aufgebaut wurden. In Utrecht soll das bidirektionale Laden den Schritt aus der Nische machen, wenn es nach Robin Berg geht. Mit We Drive Solar und den Partnern MyWheels, Renault und Mobilize steht er hinter dem Projekt, das den Durchbruch bringen soll.

Denn für das bidirektionale Laden ist der Start von „Utrecht Energized“ tatsächlich eine Premiere: Es ist das erste, voll funktionierende Vehicle-to-Grid-Ökosystem (V2G) in einer europäischen Stadt. Es soll dazu beitragen, in einem nennenswerten Umfang das Stromnetz zu unterstützen – und da es sich um elektrische Carsharing-Autos handelt, gleichzeitig noch eine saubere Mobilitätslösung bieten.

Start mit 50 E-Autos und 50 Ladestationen

„Wir wechseln vom Testen und Pilotprojekten im kleinen Maßstab in den großen Maßstab“, hatte Berg noch am Abend zuvor bei der offiziellen Auftakt-Veranstaltung von „Utrecht Energized“ vor 350 geladenen Gästen erklärt. Und die Skalierung in den großen Maßstab ist nötig, um das volle Potenzial der Technologie zu heben: „Ein Auto kann für eine Nachbarschaft ausreichen. Aber nicht, um das Netz zu stabilisieren. Dafür brauchen wir viele Autos.“

Das bekommt Berg nun, denn „Utrecht Energized“ soll auf bis zu 500 E-Fahrzeuge wachsen. Um das ans Laufen zu bringen, haben alle Partner ihr Wissen aus den vielen Pilotprojekten eingebracht, um ein maßgeschneidertes System für das Projekt in der niederländischen Stadt zu schaffen – die Systeme aller Partner müssen miteinander verbunden sein und harmonieren, vom Fahrzeug über die Ladesäule, das Buchungssystem für das Carsharing bis hin zur Anbindung an den Energiemarkt mit dem aktuellen Strompreis. Letzteres passiert in diesem Fall über das Unternehmen Energyzero. Dazu kommen Genehmigungen und Zertifizierungen seitens der Stadt, Netzbetreibern und Co. „Bidirektionales Laden ist kompliziert, aber heute können wir zeigen, dass es funktioniert“, so Berg bei dem Launch-Event. Gegenstimmen hatte er aus dem Publikum nicht zu befürchten, denn im Kongresszentrum Jaarbeurs waren vor allem Vertreter von Projektbeteiligten und Partnern zusammengekommen. Und davon gab es viele, denn wie Berg sagt: Es ist kompliziert. Später dazu mehr.

In den vergangenen Wochen haben We Drive Solar und Partner MyWheels die ersten 50 bidirektionalen Ladesäulen aufgebaut und auch die ersten 50 Renault 5 E-Tech Electric in die MyWheels-Flotte integriert. Dieses Fahrzeug oder genauer gesagt der verbaute Onboard-Charger für das AC-Laden ist ab Werk für das bidirektionale Laden ausgelegt. 500 elektrische Renault mit dieser Technik sollen es in Utrecht insgesamt werden, so haben es die Partner im vergangenen November vereinbart. Neben dem Renault 5 und dem Schwestermodell Renault 4 werden die Franzosen auch den Mégane E-Tech und Scénic E-Tech an MyWheels liefern, beide ausgestattet mit dem neuen, bidirektionalen Onboard-Charger. So kann MyWheels auch Kunden bedienen, die ein größeres Auto als den Kleinwagen im Retro-Design wünschen. Parallel zu den Fahrzeugen wird We Drive Solar dann auch weitere Ladestationen errichten.

Die Zusammenarbeit von We Drive Solar und Renault besteht aber schon deutlich länger. Seit rund zehn Jahren tüftelt Robin Berg mit seinem Unternehmen an der Vision einer bidirektionalen Carsharing-Flotte. Daher ist We Drive Solar auch als Carsharing-Anbieter gestartet, unter anderem mit dem Renault Zoe. Die bis zu 250 E-Autos umfassende Flotte hat We Drive Solar inzwischen aber abgestoßen und das eigene Carsharing eingestellt, um sich ganz auf das bidirektionale Laden zu fokussieren. Dafür ist inzwischen MyWheels als Tochter der Sharing Group im Projekt für das Carsharing hinzugekommen.

Dass der erste großflächige Einsatz in Utrecht umgesetzt wird, liegt nicht nur daran, dass Robin Berg dort seit Jahren lebt und arbeitet. Auch die Gemeinde Utrecht hat das Projekt entscheidend unterstützt. Zumal das bidirektionale Laden in Utrecht viel Sinn ergibt: Laut den Initiatoren sind bereits auf 35 Prozent der Dächer in der Stadt PV-Anlagen installiert. Scheint die Sonne, gibt es tagsüber viel Solarstrom im Netz. So viel, dass er zu diesem Zeitpunkt gar nicht komplett verbraucht werden kann. Wird er dann in den Akkus der E-Autos gespeichert, kann er entweder dazu genutzt werden, sauber zu fahren oder eben am Abend, wenn die Sonne nicht mehr scheint, ins Netz zurückgespeist werden.

Utrecht zählt zu den Vorreitern bei der Verbreitung von Photovoltaik-Anlagen, aber auch in den gesamten Niederlanden ist der Solarstrom sehr populär. „Die Niederlande haben pro Einwohner die höchste Solar-Dichte“, sagt Robin Berg und verweist auf aktuelle Zahlen aus dem Mai. Da wurden an sonnigen Tagen bis zu 26 Gigawatt Leistung nur über PV-Anlagen erzeugt, obwohl nur 15 Gigawatt Leistung im Netz benötigt wurden. „Deutschland und Belgien haben sich gefreut, weil wir den Überschuss günstig ins Ausland verkaufen mussten“, sagt Berg. Daher wäre es seiner Ansicht nach besser, den sauberen Strom für die Abend- und Nachtstunden vor Ort zu speichern, um ihn dann selbst zu nutzen. Und das eben nicht (nur) in stationären Energiespeichern, die speziell zum Ausgleich erneuerbarer Energien gebaut werden. Sondern auch in Akkus, die sich ohnehin in den Städten befinden – die Batterien von E-Autos. „Es wäre eine Schande, dieses Potenzial nicht zu nutzen“, so der Niederländer.

Dass das bidirektionale Laden mit Carsharing-Autos umgesetzt wird, scheint zunächst etwas widersprüchlich: Schließlich ist es für den Betreiber der Flotte lukrativ, wenn die Autos so viel wie möglich fahren – nur dann bringen sie Geld ein. Zumindest in der bisherigen Denkweise. Denn der Ansatz des Projekts ist es, dass die Autos auch dann Geld verdienen können, wenn sie geparkt sind – über das bidirektionale Laden. Dazu kommt die spezielle Ausrichtung von MyWheels: Der Anbieter will nicht unbedingt innerstädtische Kurzstrecken mit dem Auto ermöglichen, das machen viele Niederländer ohnehin eher zu Fuß oder mit dem Rad. Die geteilten Autos sollen vielmehr für Trips aus der Stadt heraus genutzt werden. Obwohl die Renault 5 erst seit wenigen Tagen in der Utrechter Flotte sind, wurden einige Fahrzeuge schon in fast allen Teilen der Niederlande geortet, eines wurde sogar für eine Fahrt bis nach Paris genutzt. Entsprechend ist auch das Preismodell von MyWheels aufgebaut: Kurzstrecken sind eher teuer, aber natürlich möglich. Mit steigender Mietzeit sinken die Preise, in der Urlaubszeit gibt es teilweise sogar spezielle Angebote für zwei Wochen. So will MyWheels eben jene Fälle abdecken, für die viele Utrechter doch noch ein eigenes Auto irgendwo im Viertel parken, obwohl sie im Alltag in der Stadt vor allem das Rad nutzen. So sollen sie ermutigt werden, das eigene Auto komplett abzuschaffen.

Wie das bidirektionale Laden in Utrecht abläuft

Doch wie läuft das bidirektionale Laden nun ab? MyWheels ist kein Free-Float-Carsharing, sondern stationsbasiert. Die Miete kann also nicht überall in der Stadt beendet werden, sondern nur dort, wo das Auto auch ausgeliehen wurde – an der eigenen Ladestation. Das gilt auch für die nicht-bidirektionalen E-Autos der Flotte, etwa die vielen Tesla Model 3 oder Model Y, Opel Corsa-e, VW ID.3, Hyundai Kona Electric oder Ioniq 5, um nur einige der verfügbaren E-Autos zu nennen. Und die Partnerschaft mit der Stadt sorgt dafür, dass die Carsharing-Ladeplätze auch frei gehalten und nicht durch Fremdparker blockiert werden. Im Falle der neuen Renault 5 ist das bidirektionale Laden an sich für die Nutzer denkbar simpel: Sie müssen das (mit einer roten Drahtschlinge gesicherte) Ladekabel einfach aus dem Kofferraum holen und auf der einen Seite in das Auto und der anderen in die Ladesäule einstecken – fertig. Keine Ladekarte, keine App ist nötig! „Das Protokoll für das bidirektionale Laden sieht auch Plug&Charge vor“, erklärt Berg. Für alle Fälle – wie etwa den Trip nach Paris – haben alle MyWheels-Autos auch eine Ladekarte an Bord. Für die eigene Ladestation am Abstellort ist sie aber nicht nötig. Praktisch!

Nehmen wir an, einer der Renault 5 von MyWheels wird nach einer Tagesmiete gegen 17 Uhr wieder an seiner Ladestation abgestellt und angeschlossen. Ab diesem Zeitpunkt übernimmt die Software von We Drive Solar die Steuerung des Ladevorgangs – immer im engen Austausch mit dem Buchungs-Backend von MyWheels. Für den nächsten Tag um 10 Uhr steht eine weitere Buchung im Plan, bis dahin kann das Auto von Kunden frei gebucht werden. „Dann werden wir in der Regel nicht sofort Laden, weil der Strom zu dieser Tageszeit teuer ist“, erklärt Berg das fiktive Szenario. Wäre bei MyWheels aber eine Buchung für eben jenes Auto für 19 Uhr hinterlegt, würde die Software das Laden sofort starten – unabhängig vom Preis. Gibt es keine Buchung und der Akku ist noch voll genug, um eine spontane Fahrt zu ermöglichen, passiert erst einmal nichts.

Steigt der Stromverbrauch im Netz dann in den frühen Abendstunden an, weil die Menschen zu Hause kochen, die Waschmaschine starten oder nach Feierabend ihr eigenes E-Auto an der Wallbox laden, kann die Software von We Drive Solar entscheiden, dass unser Beispiel-R5 nun Strom ans Netz abgibt, um es zu stabilisieren. Auf dem Papier ist die mögliche Wirkung immens: Wenn alle angekündigten 500 Elektro-Renaults in der Utrechter MyWheels-Flotte gleichzeitig mit ihren bidirektionalen Ladestationen verbunden sind, kann We Drive Solar rechnerisch bis zu fünf Megawatt Leistung zur Verfügung stellen.

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Bild: Sebastian Schaal

Ist der Abend-Peak beim Strombedarf vorbei, ist es laut Berg wahrscheinlich, dass die Software den Akku wieder etwas mit dem dann etwas günstigeren Strom nachlädt – um für eine flexible Buchung des Autos wieder bereitzustehen. Voll geladen wird aber nicht, sondern nur bis zu einem gewissen Schwellenwert. Denn eigentlich wartet die Software auf den nächsten Morgen, bis die Sonne wieder scheint und die Produktion des Solar-Stroms steigt. Dann wird die Batterie möglichst günstig geladen, um bis zur nächsten Buchung um 10 Uhr voll geladen zu sein.

Ist es in der Nacht jedoch stürmisch und es gibt viel Windstrom im Netz, könnte die Software auch anders entscheiden. Es ist kein fester Ladeplan, sondern von vielen Faktoren abhängig. Bis zu welchem Ladestand die Batterie von We Drive Solar für das bidirektionale Laden genutzt werden kann und was MyWheels für seine Kunden als Mindestreichweite zur Verfügung haben will, will in Utrecht aber keiner der Firmenvertreter so genau verraten. „Wir nutzen grob zwischen zehn und 20 Kilowattstunden pro Fahrzeug, aber flexibel über den Tag und die Nacht verteilt“, gibt Berg immerhin als grobe Einordnung.

Bidirektionales Laden soll Carsharing günstiger machen

Seitens MyWheels ist übrigens zu hören, dass sich der Carsharer nach Möglichkeit immer für die größtmögliche Batterie entscheidet – also im Renault 5 für den optionalen 52-kWh-Akku anstatt dem 40 kWh großen Speicher des Basismodells. Denn der größere Speicher bietet nicht nur mehr Potenzial für das bidirektionale Laden, sondern auch mehr Flexibilität für die Kunden: Ist der Akku bei einer spontanen Buchung nicht voll geladen, da er gerade eben noch zur Netzstabilisierung entladen wurde, bietet die größere Version bei zum Beispiel 60 Prozent Ladestand einige Kilometer mehr Reichweite als die kleinere.

Und die Mehrkosten für die größere Batterie – die beim Renault 5 mit 3.000 Euro recht überschaubar ausfallen – kann MyWheels über das bidirektionale Laden wieder einspielen. „Mit V2G ist es das Ziel, dass wir das Carsharing günstiger machen können“, sagt MyWheels-CEO Laurens van de Vijver. „Und genau das konnten wir in den ersten Tagen der öffentlichen Nutzung schon sehen, dass mit dem bidirektionalen Laden die Betriebskosten sinken können.“ Zahlen ließ er sich aber nicht entlocken. Außerdem wäre es nach nur rund einer Woche wohl noch zu früh, um Schlussfolgerungen zu den langfristigen Kosten zu ziehen.

Dazu wird nun das Projekt im Realbetrieb weitere Daten und Zahlen liefern – und das nicht nur in einem außergewöhnlich sonnigen und trockenen Mai, sondern über alle Jahreszeiten hinweg. Von den ersten, vielversprechenden Zahlen will sich keiner der Partner verführen lassen, wenn man so will. Klar ist aber: Mit der weiter steigenden Anzahl an Fahrzeugen wird sich auch die Aussagekraft der Daten weiter verbessern.

Jedes Projekt ist individuell

Allerdings ist allen Partnern von „Utrecht Energized“ klar: Egal wie positiv die Erfahrungen des Projekts sein werden, 1:1 übertragen lassen sich die Learnings aus Utrecht auf mögliche weitere V2G-Projekte nicht. Denn zum einen gibt es auch in den Niederlanden insgesamt acht Netzbetreiber, wobei vier große Player den Markt dominieren. Es kommt aber auch auf die Zusammenarbeit mit den Städten an, die etwa eigene Vorgaben beim Bau von Ladepunkten haben. MyWheels ist mit seinen E-Autos in den gesamten Niederlanden aktiv, muss sich aber an die jeweiligen Regeln anpassen. In einigen Städten bekommt man für das Carsharing exklusive Ladeplätze genehmigt, in anderen dürfen neue Ladestationen nur als Teil einer Konzession errichtet werden – und müssen dann auch öffentlich zugänglich sein.

Das Utrechter Modell wäre damit nicht kompatibel, denn hier handelt es sich zwar um Ladestationen im öffentlichen Raum, aber eben um eine exklusive Infrastruktur: An den speziellen Ladesäulen von We Drive Solar können nur die bidirektionalen E-Autos der MyWheels-Flotte laden, es ist kein öffentlicher Ladepunkt. Wer selbst einen privaten Renault 5 an eine der Säulen anschließt, bekommt dort keinen Strom – die Säulen können nur von den MyWheels-Fahrzeugen freigeschaltet werden.

„Um das volle Potenzial von V2G auszuschöpfen, müssen wir bestehende Hindernisse beseitigen – von der Anpassung der Steuervorschriften und Netzentgelte bis hin zur Förderung der Interoperabilität und Vereinfachung der Zertifizierungsprozesse. Mit der richtigen Ausrichtung kann V2G zu einem Eckpfeiler des Stromnetzes von morgen werden“, sagt Jérôme Faton, Director Energy von Mobilize. Faton macht sich stellvertretend für den ganzen Renault-Konzern für eine schnelle Anpassung der Regulierung im V2G-Bereich stark.

Renault will V2G auch in Deutschland ausrollen

Bekanntlich bietet Renault in Frankreich (Privat-)Kunden des Renault 5 E-Tech bereits das bidirektionale Laden an, dort in Zusammenarbeit mit The Mobility House. Wie am Rande der Veranstaltung in Utrecht zu hören war, soll ein V2G-Angebot für Privatkunden in den Niederlanden im ersten Halbjahr 2026 vorgestellt werden. Für Frankreich deuten die ersten Erfahrungen darauf hin, dass ein Kunde mit 10.000 Kilometern Fahrleistung pro Jahr etwa 300 Euro einsparen kann. Da netzdienliche Leistungen im überlasteten Stromnetz der Niederlande wertvoller sind, schätzt Faton, dass für niederländische Privatkunden das Einsparpotenzial höher ausfallen dürfte.

„Wir werden hier aber nicht stoppen. Wir haben Pläne, die Technologie weiter auszurollen, speziell in Deutschland“, sagt Faton im Gespräch mit electrive. In Deutschland ist die Lage mit über 850 Verteilnetzbetreibern allerdings ungleich komplexer. Auch wenn er Deutschland als explizierten Wachstumsmarkt benennt, sieht Faton vor allem zwei große Herausforderungen: „Mit den vielen Anbietern ist der Energiemarkt sehr fragmentiert. Aber vor allem hinkt Deutschland beim Rollout der Smart Meter hinterher, das ist aber die Grundvoraussetzung für V2G. Deshalb brauchen wir noch etwas Zeit, auch wenn wir schon sehen, dass es eine sehr hohe Nachfrage aus Deutschland dafür gibt.“

Wann genau das Angebot in Deutschland startet, will Faton noch nicht verraten. Wie die Renault-Gruppe sich insgesamt für eine zügige Deregulierung einsetzt, ermuntert Faton die Player der Branche zu einer Zusammenarbeit und Interoperabilität der Systeme. Denn egal, wie es beim jeweiligen Projekt im Detail funktioniert, es sind immer die Systeme mehrerer Unternehmen nötig und verbunden. Nur eines steht fest: Renault wird auch in Deutschland auf bidirektionales Laden mit Wechselstrom setzen – das eingangs erwähnte Projekt in Schweden mit der Ambibox-Technik ist DC-basiert, auch Volkswagen setzt bei dem bidirektionalen Laden seiner MEB-Modelle auf Gleichstrom.

Renault setzt auf AC-Technik

„Wir bei Renault wollen attraktive Lösungen mit Blick auf die Preise bieten. Und AC ist der einzige Weg, Vehicle-to Grid zu annehmbaren Kosten für die Kunden zu realisieren – zu Hause oder im großen Maßstab auch öffentlich“, erklärt Faton die Renault-Strategie. „Das zeigt sich auch beim Fahrzeug: Der Renault 5 ist für Preise für deutlich unter 30.000 Euro erhältlich, nächstes Jahr kommt der Twingo in der 20.000-Euro-Klasse. Wir unternehmen alles, um Elektroautos finanziell einer größeren Zielgruppe zugänglicher zu machen – inklusive V2G. Extrem teure DC-Wallboxen passen da nicht dazu, auch wenn es in Einzelfällen technisch natürlich interessant sein kann. Unser Fokus ist es aber, V2G schnell zu skalieren. Und das geht über Wechselstrom!“

In Utrecht handelt es sich um eine reine AC-Lösung. Das ist auch der Ansatz von We Drive Solar und Robin Berg – in einigen (Einzel-)Anwendungen kann eine bidirektionale DC-Lösung Sinn ergeben, etwa wenn man im eigenen Haus aus der PV-Anlage auf dem Dach, dem Heimspeicher im Keller und dem E-Auto in der Garage das Optimum herausholen will – und die Kosten nicht an erster Stelle stehen. Geht es aber um größere Stückzahlen und eine weite Verbreitung, sind Wechselstrom-Lösungen im Vorteil.

Dafür muss der Onboard-Charger der Fahrzeuge – und nicht die Wallbox – über die entsprechenden Konverter und die passende Software verfügen. Kritiker der AC-Lösung bemängeln, dass es für die Netzbetreiber einfacher wäre, einige wenige DC-Wallboxen zu zertifizieren anstatt die diversen Onboard-Charger aller Elektroautos. Seitens Renault war in Utrecht zu hören, dass das aber kein großes Problem sei – je Fahrzeugplattform sei ein Onboard-Charger vorgesehen, der sich zwischen den verschiedenen Modellen nicht nennenswert unterscheide.

Den Onboard-Charger des Renault 5 konnte We Drive Solar übrigens schon lange vor dem Marktstart des Modells testen, wie Robin Berg erzählt. Schon zwei Jahre zuvor hatten er und sein Team einen Termin in einem Renault-Entwicklungszentrum, um die Protokolle und Kompatibilität zu testen. Weil es den Renault 5 noch nicht gab, war der bidirektionale Onboard-Charger zu Testzwecken in einen Mégan E-Tech Electric eingebaut. „Wir hatten zwei Tage Zeit, aber waren schon nach zwei Stunden fertig. Weil alles einfach funktioniert hat“, berichtet Berg zufrieden.

Danach hieß es Abwarten – auf das Serienfahrzeug, auf die Ladestationen, auf die unzähligen Genehmigungen und Zertifizierungen. „Die Idee und Grundlage war schon lange da. Das Warten war der härteste Teil“, sagt der Chef von We Drive Solar. Das ist jetzt aber vorbei, der Betrieb ist gestartet. Und in Utrecht drehen sich die Status-LEDs an den Ladesäulen nun gegen den Uhrzeigersinn. Als Zeichen dafür, dass Elektroautos das lokale Stromnetz stabilisieren – und die Zukunft der Elektromobilität endlich begonnen hat.

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