Neue E-Antriebs-Plattform SELECT – Dr. Christoph Sasse, ZF
Sasse, bei ZF der Leiter Vorentwicklung elektrifizierte Antriebstechnologien, gibt uns bei electrive LIVE tiefe Einblicke in die Entstehung, den Aufbau und die strategische Ausrichtung der Antriebsplattform ZF SELECT, die ZF kurz vor seinem Vortrag bei uns bereits bei einem Event in Zweibrücken vorgestellt hatte.
Seit 2009 baut ZF Elektromotoren in Serie, seit 2018 komplette elektrische Antriebe und seit 2022 auch im 800-Volt-Bereich. Mit SELECT will das Unternehmen nun einen „hochflexiblen Baukasten“ bieten, der sowohl Primär- als auch Sekundärantriebe abdeckt. Grundlage dafür war laut Christoph Sasse eine doppelte Perspektive: „Die Inside-View in das eigene Werk hinein sowie die Outside-View, was wollen die Kunden?“ Dabei flossen sowohl Produktionsmöglichkeiten als auch globale Markttrends in das Konzept ein. Die Zielklassen reichen von 100 bis 300 kW Leistung, zugeschnitten auf die Segmente C bis F, um Skaleneffekte zu sichern.
Technische Basis: Inverter, E-Motor, Getriebe
Der Baukasten gliedert sich in Unterbaukästen für Inverter, E-Motor, Reduziergetriebe und Converter – ergänzt um eine einheitliche Softwareplattform, die sich nicht nur für reine E-Antriebe, sondern auch für Hybride und Range Extender eignet. Herzstück sind leistungsdichte, kompakte und kosteneffiziente Komponenten: Ein Spitzenantrieb mit 300 kW, gut 5.000 Nm, unter 90 kg Gewicht und einer Dauerleistung von rund 60 Prozent. „Wenn ich kompakt bauen kann, kann ich in der Regel auch preisgünstig bauen“, so Sasse.
Besonders hervor hebt er den Coax-Antrieb, bei dem Differenzial- und Reduzierfunktion in einem Planetensatz zusammengeführt werden. Ergebnis: neun Kilogramm weniger Gewicht und 25 Prozent weniger Bauraum – ohne Abstriche bei NVH ( steht für Noise, Vibration, Harshness – also Geräusch, Vibration, Rauigkeit) und Effizienz. Der Markt habe ZF dieses Konzept „schon aus der Hand gerissen, bevor der ganze Antrieb fertig war“.
Motorenvielfalt und Materialstrategie
Beim E-Motor setzt ZF auf einen Einheitsstator und drei Varianten: PSM (Permanenterregte Synchronmaschinen) und ASM (Asynchronmaschinen) sowie eine fremderregte Synchronmaschine (I2SM). Letztere verzichtet komplett auf Magnete und damit auf seltene Erden – ein klarer Schritt in Richtung Kostensenkung und Versorgungssicherheit. Mit dem im Rotor integrierten induktiven Erreger spart ZF 80 Millimeter Baulänge, steigert das Drehmoment um 30 Prozent und die Dauerleistung um 40 Prozent gegenüber konventionellen fremderregten Synchronmotoren (FSM). Zudem reduziert der Carbon-Taped-Rotor bei PSM-Motoren die Magnetmasse um 30 Prozent bei gleicher Performance.
Beim Inverter wurde der Bauraum verkleinert und eine modulare Bauweise gewählt, um die Unabhängigkeit von einzelnen Halbleiter-Lieferanten zu erhöhen. Ein weiteres Highlight ist die Integration von Converter-Funktionen: Onboard-Charging mit bis zu 22 kW AC, Schnellladen mit rund 300 kW DC sowie das sogenannte Boost-Charging. Letzteres erlaubt es, ein 800-Volt-Fahrzeug auch an 400-Volt-Ladern mit bis zu 200 kW zu laden – effizient über den Antrieb selbst. „Der Trend geht in Richtung Leistungsverdichtung und Integration“, betont Sasse.
Effizienz beim Laden wird immer wichtiger
ZF hat dafür auch eine kompakte Converter-Box entwickelt, die bei 40 Prozent geringerem Volumen alle relevanten Lade- und Wandlungsfunktionen bietet, inklusive Vehicle-to-Load und 48-Volt-Bordnetzwandler. Die Effizienz beim Laden sieht Sasse als künftig ebenso wichtig an wie die Fahr-Effizienz: Weniger Verlustleistung bedeutet weniger Kühlbedarf und damit geringere Kosten.
Ein zentrales Entwicklungsziel war es, die Kostenstruktur konsequent zu optimieren. ZF verglich eigene A-Muster mit Wettbewerbsprodukten – vor allem aus China – und erreichte laut Sasse rund 15 Prozent niedrigere Produktkosten auf Basis einer Greenfield-Kalkulation. Das gilt sowohl für Primär- als auch für Sekundärachsen. Maßnahmen wie der Verzicht auf seltene Erden, kompaktere Bauformen und modulare Elektronik tragen entscheidend dazu bei.
Verteilte Komponenten zentral bündeln
Besonders stolz ist Christoph Sasse auf die funktionale Integration: Ladefunktionen, Inverter und Motor in einer kompakten Einheit. Diese Philosophie ermögliche es, viele bisher verteilte Komponenten im Fahrzeug zentral zu bündeln – ein Ansatz, der Bauraum, Gewicht und Kosten spart.
Mit SELECT positioniert sich ZF als Systemanbieter, der komplette Antriebe ebenso wie einzelne Module liefern kann. Die Technologie ist laut Sasse serienreif erprobt und bereit für den Markt – in einem Umfeld, das Effizienz, Flexibilität und Kostendisziplin mehr denn je verlangt. Die Serienproduktion des Asynchronmotors (ASM) der neuen Plattform hat ZF übrigens bereits in China begonnen.
Schauen Sie sich gern den gesamten Vortrag „ZF SELECT: Die modulare Plattform für elektrische Primär- und Sekundärantriebe der Zukunft“ von Dr. Christoph Sasse an. Nutzen Sie dazu einfach unseren Videoplayer oberhalb des Beitrags.
0 Kommentare