Mercedes nennt weitere Details zu E-Rekordfahrt
Insgesamt 25 Rekordmarken hat Mercedes aufgestellt, als Ende August gleich zwei Prototypen des Concept AMG GT XX auf der legendären Teststrecke in Nardò unterwegs waren. Als das erste Fahrzeug die 40.075 Kilometer – also den Umfang der Erde am Äquator – zurückgelegt hatte, lag das zweite Fahrzeug nur 25 Kilometer dahinter. Das optimale Dauer-Tempo lag bei 300 km/h –mit entsprechenden Anforderungen an die Technik.
Dieser extreme Stresstest war dabei laut Mercedes nur dank der Dauerleistungsfähigkeit des Antriebskonzepts möglich. Zahlreiche weitere, teils seriennahe Innovationen haben ebenfalls zum erfolgreichen Extremtest beigetragen. Im Fokus standen dabei unter anderem das integrierte Kühlkonzept, die ausgeklügelte Aerodynamik sowie die intelligente Betriebsstrategie.
Zwei Beispiele: In den Prototypen waren Axialflussmotoren (konkret drei je Fahrzeug) der Mercedes-Tochter Yasa und eine direktgekühlte Batterie verbaut – „Technologien, die bereits im kommenden Jahr in der Hochleistungsarchitektur AMG.EA in Serie gehen“, so Mercedes.
Schon im Vorfeld hatten zahlreiche Simulationen die optimale Strategie für die Extremfahrt ergeben – etwa die ideale Fahrgeschwindigkeit von 300 km/h mit der besten Balance aus Tempo und Effizienz. Das Fahrzeug ist mit bis zu 360 km/h angegeben, allerdings wäre dann der Verbrauch überproportional gestiegen. Über mehrere Simulations-Zyklen wurden die Ergebnisse zunächst auf dem Prüfstand (bis auf die Zellebene der Batterie) und später mit Daten von der Teststrecke schrittweise validiert und verbessert.
850 kW Ladeleistung an Alpitronic-Prototyp
Zusätzlich haben die Simulationsexperten von der Formel-1-Motorensparte Mercedes‑AMG High Performance Powertrains (HPP) ein Tool entwickelt, das die vorausberechnete Betriebsstrategie live mit den Bedingungen vor Ort abgleichen konnte. Sprich: Während der Rekordfahrt wurden alle Daten in Echtzeit in den „Mission Control Truck“ übertragen und analysiert – ob externer Faktoren wie Temperatur und Wind, Schmutz auf der Fahrbahn oder Reifenverschleiß einen Einfluss auf Fahrt und Fahrzeugkomponenten haben. So konnte die Strategie noch während der mehrtägigen Fahrt laufend angepasst werden, etwa die Länge der einzelnen Stints bis zum nächsten Ladestopp.
Zentral neben dem möglichst optimalen Reisetempo bei niedrigem Verbrauch war bei der Rekordfahrt natürlich auch die Komponente der Ladestopps – je länger das Fahrzeug hier steht, desto mehr Zeit geht verloren. Mercedes hat hier auf eine Kooperation mit dem Südtiroler Ladesäulen-Hersteller Alpitronic gesetzt, um im Zuge eines gesamtheitlichen Entwicklungsansatzes Fahrzeug und Ladesäule bestmöglich aufeinander abzustimmen. Auf einem Prüfstand in Stuttgart‑Untertürkheim simulierte das Entwicklungsteam reale Ladeszenarien, bei denen Fahrzeugkomponenten und Ladesäule zusammen getestet und validiert wurden.
Denn nicht nur beim Concept AMG GT XX handelt es sich um einen nicht käuflich zu erwerbenden Prototypen, sondern auch die Ladesäule gibt es in dieser Form nicht auf dem Markt. Denn während kommerziell verfügbare CCS-Ladepunkte auf 500 Ampere ausgelegt sind (und nur kurzzeitig höhere Peaks erreichen), kann der Alpitronic-Prototyp über ein Standard-CCS-Kabel Ströme von bis zu 1000 Ampere übertragen. Um das zu ermöglichen, haben die Alpitronic-Ingenieure einen ursprünglich für Lkw ausgelegten MCS-Dispenser genutzt und das MCS-Kabel durch ein CCS-Kabel mit verbesserter Kühlung ersetzt. So konnten die Fahrzeuge mit durchschnittlich 850 kW geladen werden – mehrmals hintereinander.
Für die Rekordfahrt musste ein solches Ladesystem allerdings auch noch an der Teststrecke in Süditalien aufgebaut werden – inklusive Mittelspannungs-Stromleitungen und Transformatoren. Der neue Netzanschluss wurde dabei direkt für drei Lader mit insgesamt über 2,5 Megawatt ausgelegt. An der Installation, die vom Bauantrag bis zur Inbetriebnahme nur knapp drei Monate gedauert hat, war noch die Mercedes‑Benz Charging Unit involviert, die das globale Schnellladenetz von Mercedes aufbaut.
„Die Ergebnisse unterstreichen die Rolle dieses Projekts als Testlabor: Die wertvollen Erkenntnisse, die unter extremen Bedingungen gewonnen wurden, werden in unsere Serienprodukte einfließen“, schreibt Alpitronic in einem LinkedIn-Post. „Die Tests bestätigten, dass eine sehr hohe Ladeleistung technisch machbar ist und dass sich die Ladezeiten dem Tankerlebnis annähern, was direkt zur breiteren Akzeptanz der Elektromobilität beiträgt.“
Doch so enorme Ladeleistungen müssen auch von den Fahrzeugen und deren Batterien aufgenommen werden können – E-Lkw mit ihren großen Batterien können das teilweise schon heute, wie diverse MCS-Ladeversuche zeigen. In Elektroautos mit kleineren Batterien sorgen Ladeleistungen von 850 kW jedoch für Herausforderungen – vor allem für das Kühlsystem.
Neuartiges Kühlkonzept
„Die leistungsstarke Kühlung ist ein wesentlicher Schlüssel für die hohe Dauerleistung des CONCEPT AMG GT XX“, schreibt auch Mercedes und verweist auf die „innovative Direkt-Ölkühlung der Hochleistungsbatterie“. Dazu kommt noch die Kühlung der die Motoren und deren Inverter sowie die sogenannte „Onebox“, in der die Leistungselektronik für das 12‑Volt-Bordnetz und den On-Board-Lader zusammengefasst wird. Die Herausforderung: Alle Komponenten benötigen andere Temperaturen. Daher hat Mercedes ein „Central Coolant Hub“ (CCH) entwickelt, das laut der Mitteilung das „Mastermind“ der Kühlung des Fahrzeugs ist. Das hochintegrierte Bauteil, das zwischen dem E-Motor an der Vorderachse und dem Längsträger der Karosserie verbaut ist, umfasst die Hochleistungs-Kühlpumpen, Temperatursensoren sowie 4-und 5-Wege-Ventile.
„Der große Vorteil des Kühlsystems liegt dabei vor allem darin, dass es in Kombination mit den Axial-Fluss-Motoren und der direktgekühlten Batterie in nahezu allen Situationen volle Leistung anbieten kann – beim Fahren und an der Ladesäule“, so Mercedes. „So ermöglicht das System beispielsweise nach Hochgeschwindigkeitsfahrt und bei hohen Umgebungstemperaturen sofort die volle Ladeleistung. Umgekehrt kann nach dem Laden an der Highspeed-Ladesäule sofort die volle Fahrleistung abgerufen werden.“
Teil des Kühlkonzepts ist auch eine passive Kühlplatte vorn im Unterboden, wie sie etwa schon im Vision EQXX erprobt wurde. Diese permanent durchströmte Unterbodenkühlplatte soll dabei helfen, den Hauptkühler so weit zu entlasten, dass über weite Strecken das Luftregelsystem geschlossen bleiben kann. Auch einige aerodynamische Elemente wurde so ausgelegt, damit sie das Kühlsystem unterstützen. Insgesamt ist eine effiziente Aerodynamik wichtig, da bei 300 km/h rund 83 Prozent der Antriebsenergie aufgewendet werden, um den Luftwiderstand zu überwinden, wie Mercedes vorrechnet. Mit vielen Einzelmaßnahmen habe man den cW-Wert auf 0,19 senken können. „So hatte die Verbesserung um nur 1 Punkt (= cW um 0,001 weniger) einen ähnlichen Effekt für Reichweite und Effizienz wie eine Gewichtsersparnis von rund 90 Kilogramm“, schreibt Mercedes.
BMS kann Zellverhalten modellieren
Während die Aerodynamik des Sportwagens nicht unmittelbar auf alltagstauglichere Serienmodelle übertragbar ist, haben die Mercedes-Ingenieure viel Grundlagenarbeit geleistet, um die Technologie des Concept AMG GT XX für die Rekordfahrt zu optimieren – was künftig auch in die Serienentwicklung einfließen soll, etwa bei der Batterie.
So wäre es für das Batteriemanagement optimal, die Vorgänge im Kern jeder Zelle direkt zu messen – was aber nicht möglich ist. Deshalb verwendete das Team im Vorfeld speziell modifizierte Zellen und Sensoren, sogenannte Referenzelektroden, um zu lernen, wie sich die Zellen während der Nutzung verhalten. Mit den gesammelten Daten wurde dann die Software des Batteriemanagements gefüttert, was eine bessere Modellierung des Zellverhaltens ermöglichen soll – nicht nur im Concept AMG GT XX, sondern auch in anderen Fahrzeugen mit diesen Zellen. Und für Serienautos mit anderen Zellen kann etwa das Verfahren mit den Referenzelektroden übertragen werden.
0 Kommentare