Europäische Lkw-Hersteller wollen CO2-Ziele abschwächen

Die Lkw-Hersteller Volvo Trucks, Daimler Truck, Scania, MAN, Iveco und Ford haben die EU in einem Brief aufgefordert, die CO2-Emissionsvorschriften für den Sektor zu lockern. Sie stellen zwar nicht die Eckpfeiler der aktuellen Norm in Frage, aber die Etappen zwischen den Jahreszielen.

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Bild: Daimler Truck

Das berichtet die Nachrichtenagentur Reuters, der das Schreiben der Hersteller an die EU-Kommission eigenen Angaben zufolge vorliegt. Demnach datiert der Brief bereits vom 13. Oktober, wurde jedoch erst jetzt bekannt. In dem Dokument fordern die OEMs, die CO2-Standards für schwere Nutzfahrzeuge durch ein Credit-System aufzuweichen. Ihr Vorschlag würde sie in die Lage versetzen, zwischen den beibehaltenen Zielmarken 2025, 2030 und 2040 Emissions-Gutschriften aufzubauen und damit im Endeffekt weniger CO2 einzusparen.

Zur Einordnung: Nach geltendem EU-Recht müssen Lkw-Hersteller die Emissionen neuer Lkw bekanntlich bis 2025 um 15 Prozent, bis 2030 um 45 Prozent und bis 2040 um 90 Prozent gegenüber dem Niveau von 2019 senken. Angereizt wird im aktuellen System nicht nur die Unterschreitung dieser Zielvorgaben an sich, sondern on top müssen die Hersteller den linearen Verlauf zwischen den Zieljahren unterschreiten. Die CO2-Reduktion muss also sukzessive Jahr für Jahr erfolgen. Und diesen zweiten Teil wollen die Hersteller kippen. Sie sind also allein für die stufenweise Reduktion in den Jahren 2025, 2030 und 2040. Und wollen alle CO2-Mehreinsparungen, die potenziell zwischen 2025 und 2029 jenseits der 15%-Vorgabe angesammelt werden, als Credit zur Milderung der nächsten 45%-Stufe in 2030 und Folgejahren heranziehen.

Wichtig: Credits gibt es auch heute schon, aber nicht in so ausgeprägter Form. Hersteller können bzw. konnten sie jedes Jahr sammeln, die sie unterhalb der von 2019 zu 2025 gezogenen Sparlinie (von 100 auf 85 Prozent der CO2-Flottengrenzwerte) geblieben sind. Diese Credits können sie zum Ausgleich im Jahr 2025 verwenden, falls das Jahresziel gefährdet ist. Ungenutzte Credits verfallen nach aktuelle Recht allerdings nach 2025. Und müssten für den nächsten Zielzeitraum neu aufgebaut werden.

Christian Levin, CEO von Scania und Traton, bezeichnete das nun bekannt gewordene Schreiben gegenüber Reuters als „Hilferuf“. „Wir bestreiten nicht, dass die Ziele an sich richtig sind. Aber es wird sehr, sehr schwierig werden“, wird Levin zitiert, der auch Vorsitzender des Nutzfahrzeug-Ausschusses des Europäischen Automobilherstellerverbands (ACEA) ist. „Am besten wäre es, diese unsinnigen Strafen für die Branche abzuschaffen und stattdessen alle Beteiligten im System durch Anreize oder Sanktionen zu einem gemeinsamen Handeln zu bewegen.“

Ein Sprecher von Daimler Truck erklärte gegenüber der Nachrichtenagentur zudem, die Branche habe massiv in die Elektrifizierung investiert, sehe sich aber mit „drakonischen“ Strafen für das Verfehlen der Ziele konfrontiert – trotz Faktoren, die außerhalb ihres Einflussbereichs lägen, wie etwa Batterieherstellung und Ladeinfrastruktur.

In die gleiche Kerbe schlug dieser Tage Alexander Vlaskamp, CEO MAN Truck & Bus, im Interview mit elective. „Wir haben unsere Hausaufgaben gemacht und sehr gute Produkte entwickelt“, schilderte uns Vlaskamp. „Die Umsetzung der zugesagten Rahmenbedingungen wie z.B. hinsichtlich der Ladeinfrastruktur gestalten sich leider jedoch zeitintensiver als vielleicht erwartet. Dies liegt jedoch nicht in unseren Händen. Wir sollen hierfür aber das Risiko tragen, Stichwort Strafzahlungen.“

Und mit Thomas Fabian, Chief Commercial Vehicles Officer der ACEA, haben wir erst diese Woche ebenfalls in einem Interview über die aktuelle Marktlage gesprochen. Und auch Fabian betont: „Die Zeit drängt. Wenn der Markt weiter hinterherhinken, wird die gesamte Wertschöpfungskette die Folgen zu spüren bekommen, und die Hersteller werden mit übermäßigen Strafen für Faktoren konfrontiert sein, die außerhalb ihrer Kontrolle liegen.“ Das Wording der Hersteller-Repräsentanten ähnelt sich auffällig.

Doch es gibt auch andere Stimmen. Vor allem Umweltschützer warnen, dass eine Abschwächung der Ziele die Antriebswende in Europa verlangsamen und chinesischen Herstellern den Weg ebnen könnte. Die Umweltorganisation Transport & Environment kommentiert beispielsweise, die vorgeschlagenen Änderungen könnten den Absatz emissionsfreier Lkw in der EU bis 2030 um 27 Prozent reduzieren.

Stef Cornelis, T&E-Leiter des Bereichs Fracht und Flottenmanagement, warnt: „Die Lkw-Hersteller wollen den Eindruck erwecken, es ginge nur um eine kleine Anpassung, doch das Gegenteil ist der Fall. Es würde einen massiven Rückschlag für Europas Pläne zur Dekarbonisierung von Lkw bedeuten und den Absatz von Elektro-Lkw bis 2030 um fast ein Drittel reduzieren. Sie schaffen enorme Investitionsunsicherheit für die Ladeinfrastruktur und den Energiesektor, die dringend mit dem Aufbau von Netzen und Ladeinfrastruktur beginnen müssen.“ Die Europäische Kommission solle standhaft bleiben, so Cornelis. „Je länger Europa und unsere Lkw-Hersteller den Übergang verzögern, desto größer ist das Risiko, dass wir den Markt an chinesische Wettbewerber verlieren.“

Auch der NABU kritisiert die Vorschläge als Rückschritt für Klimaschutz und Verkehrswende. In einem uns per E-Mail vorliegenden Statement von Merlin Jonack, Referent Verkehrspolitik beim NABU-Bundesverband heißt es: „Die Abschwächungsforderungen der Lkw-Hersteller wirken in ihrem Ausmaß wie Arbeitsverweigerung. Während überall in Europa in Ladeinfrastruktur und Netzanschlüsse investiert wird, spielen die Hersteller auf Zeit – und gefährden damit genau die Planungssicherheit, die für den Ausbau dieser Rahmenbedingungen nötig ist.“ Wer so handelt, riskiere Klimaziele, Marktanteile und Arbeitsplätze. „Wir erwarten einen konstruktiven Dialog darüber, wie der geplante Anstieg an E-Lkw in Europa gelingen kann“, so Jonack.

Die Europäische Kommission hat laut Reuters auf eine Bitte um Stellungnahme nicht umgehend reagiert. Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen soll aber kürzlich in einem separaten Schreiben an die EU-Staats- und Regierungschefs den Herstellern von Nutzfahrzeugen „konkrete Maßnahmen“ versprochen haben, „um sie beim Erreichen ihrer Ziele zu unterstützen“. Brüssel ist bereits drauf und dran, die Ziel für die CO2-Emissionen von Pkw bis 2035 abzuschwächen, nachdem Industrie und Mitgliedstaaten Druck gemacht hatten.

Die Nutzfahrzeug-Normen waren davon unberührt – bisher jedenfalls. Laut einer aktuellen ICCT-Studie sind weniger die Vorgaben für 2025 als die späteren Ziele das Problem. Die Studienmacher haben jüngst den Fortschritt der europäischen Lkw-Hersteller bei der Erfüllung der ersten CO2-Einsparhürde der EU für diese Jahr analysiert. Das Ergebnis: Fünf der sieben großen OEMs dürften die Ziele locker erreichen. Das hat aber weniger mit E-Lkw zu tun als mit verbesserten Dieseln.

Während sich die EU die Ziele für 2030 und 2040 erst vergangenes Jahr gegeben hat, besteht die Zielvorgabe für 2025 übrigens schon länger. Laut diesem Ziel müssen die Emissionen von schweren Lkw mit einem Gewicht ab 16 Tonnen um besagte 15 Prozent runter. Konkret müssen Hersteller diese Vorgabe für den Berichtszeitraum 2025 erfüllen. Sie gilt also für die Lkw-Flotte, die zwischen dem 1. Juli 2025 und dem 30. Juni 2026 erstmals zugelassen wird.

Die CO2-Flottengrenzwerte für 2025 können die Hersteller dabei mit einem Mix aus Maßnahmen erreichen. Der Verkauf von mehr emissionsfreien Lkw (also Batterie-elektrischen oder Wasserstoff-Lkw, BEVs oder FCEVs) ist nur ein Weg. Die Studienmacher des ICCT betonen, dass vor allem effizientere Verbrennungsmotoren ausschlaggebend dafür sind, dass die meisten OEMs wenig Probleme mit der neuen Hürde bekommen.

Bei dem 2025er Ziel handelt es sich übrigens um die erste CO2-fokussierte Vorgabe, die die Europäische Union den Herstellern überhaupt macht. Insofern ist sie für alle Unternehmen Neuland.

reuters.com, transportenvironment.org, Infos per E-Mail (NABU)

2 Kommentare

zu „Europäische Lkw-Hersteller wollen CO2-Ziele abschwächen“
Simon
31.10.2025 um 10:48
Ich war selber bei einem der LKW Bauer Praktikant. Kümmert euch lieber mal um die internen Prozesse und Software, die Chinesen bauen immer bessere elektrische LKWs und bei unseren Herstellern dauert das ewig. Keiner der Leute im Vorstand schaut auch auf den PWK Bereich. Die Entwicklung ist sehr ähnlich, trotzdem wurden alle Fehler im PKW Bereich wiederholt. Warum setzt VW oder Mercedes auf OTA und Zentralrechner beim MEB und MAN oder Daimler Trucks nicht oder warum nutzt MAN nicht die Software Architektur von VW?
Musicman
31.10.2025 um 11:05
100% korrekt. Aber das Jammern der deutschen Industrie hat lange Tradition. Wenn man die Energie der Lobbyisten der deutschen Automobilindustrie statt dessen in Innovation und Entwicklung gesteckt hätte würden unsere Autos und LKW heute schon fliegen.

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