
Bund ebnet Weg für bidirektionales Laden
Am Donnerstagabend hat der Bundestag den „Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Energiewirtschaftsrechts zur Stärkung des Verbraucherschutzes im Energiebereich sowie zur Änderung weiterer energierechtlicher Vorschriften“ beschlossen. Nicht nur der Titel ist komplex, in dem Gesetzestext geht es nicht minder kompliziert weiter. Alleine das Dokument mit den Änderungen zu Strompreisen, Gasversorgung und Co. ist über 250 Seiten lang.
In der Beschlussfassung des Ausschusses für Wirtschaft und Energie, die von der schwarz-roten Koalition beschlossen wurde und die electrive vorliegt, ist bei der Sitzung in dieser Woche auf Seite 149 eine wichtige Änderung aufgenommen worden. „Die Freistellung nach Satz 1 wird nur gewährleistet, soweit die elektrische Energie zur Speicherung in einem elektrischen, chemischen, mechanischem oder physikalischen Stromspeicher aus einem Transport- oder Verteilnetz entnommen und die zur Ausspeisung zurückgewonnene Energie zeitlich verzögert wieder in dasselbe Netz eingespeist wird; § 21 des Energiefinanzierungsgesetzes gilt entsprechend.“
Das heißt: Wird Strom aus dem Netz entnommen, gespeichert und später wieder ins Netz eingespeist, wird dieser Strom gemäß der neuen Rechtslage von den Netzentgelten und Stromsteuer ausgenommen – etwa bei stationären Speicherbatterien und eben auch bidirektional ladenden Elektroautos. Bisher werden bei E-Autos das Netzentgelt und Stromsteuer in voller Höhe berechnet. Denn Elektroautos sind derzeit aus rechtlicher Sicht eben Autos und keine Batteriespeicher, weshalb sie nicht von diesen rechtlichen Regelungen profitieren konnten. Beim bidirektional ladenden E-Auto wurde der Strom bisher also doppelt besteuert: Beim Kauf (also dem Bezug aus dem Netz) und dem Verkauf (wenn der Strom wieder ins Netz eingespeist wird). Das hat Vehicle-to-Grid-Anwendungen (V2G) bisher wirtschaftlich völlig unattraktiv gemacht.
Wird BiDi-Laden jetzt zum Geschäftsmodell?
Wichtig ist bei der Neufassung auch der letzte Halbsatz mit Verweis auf § 21 des Energiefinanzierungsgesetzes, wie in den Erläuterungen auf Seite 248 des Dokuments klar wird. „Die Anpassung ermöglicht, dass die Regelung auch auf Stromspeicher anzuwenden ist, die nur einen Teil des ausgespeicherten Stroms wieder in dasselbe Netz einspeisen. Dies ermöglicht es
den Betreibern der Stromspeicher, anteilig wieder ins Netz eingespeiste Strommengen wirtschaftliche vermarkten zu können, da sie für diese Strommengen von der Netzentgeltbefreiung Gebrauch machen können. Durch den eingefügten Verweis auf § 21 des Energiefinanzierungsgesetzes kommen die dort in den Absätzen 1 bis 4a geregelten Bestimmungen entsprechend für die anteilige Befreiung von den Netzentgelten zur Anwendung. Der Verweis auf § 21 des Energiefinanzierungsgesetzes führt insbesondere dazu, dass auch bidirektional genutzte Ladepunkte für Elektromobile entsprechend einem Stromspeicher einbezogen werden“, hießt es dort.
Spezifische Regelungen, die das bidirektionale Laden betreffen, haben bisher kaum Eingang in das deutsche Recht gefunden – § 21 des Energiefinanzierungsgesetzes war bisher die Ausnahme. Werden die stationären und in Elektroautos verbauten Energiespeicher jetzt steuerlich gleichgestellt, wird das bidirektionale Laden potenziell auch wirtschaftlich attraktiv – und damit zu einem lohnenden Geschäftsmodell.
In der Ladeinfrastruktur-Branche ist die Freude unter den Unternehmen, die sich bereits lange für das bidirektionale Laden einsetzen, entsprechend groß. Denn: Derzeit läuft auch noch das Konsultationsverfahren zur „Festlegung zur Marktintegration von Speichern und Ladepunkten“ (MiSpeL) der Bundesnetzagentur. Darin ist auch eine Pauschaloption vorgesehen, bei der in Haushalten mit eigener PV-Anlage, Stromspeicher und/oder Ladepunkt „ins Netz eingespeiste Strommenge auf Basis bestimmter Rahmenumstände und im Rahmen bestimmter Größenordnungen schlicht und sehr pauschal die Eigenschaft ‚förderfähig‘ oder ‚saldierungsfähig‘“ zuweisen können. Dadurch braucht man keinen zweiten Stromzähler und es ist „nur ein minimaler Messaufwand erforderlich, um Solarerzeugung, Stromspeicher und Ladepunkte unter Wahrung der grünen Eigenschaften flexibel am Markt nutzen zu können“, wie es die Bundesnetzagentur ausdrückt. Denn auf Basis der Pauschaloption sollen auch Misch-Strom-Speicher genutzt werden können, die sowohl Solarstrom als auch Netzbezugsstrom zur Einspeicherung verbrauchen. Innerhalb weniger Monate dürften also zwei wichtige Neuerungen in Kraft treten!
In der Kombination dieser beiden Vorgänge – dem Wegfall der Doppelbelastung und die Pauschaloption – im Laufe des kommenden Jahres wären tatsächlich einige große Hürden für den einfachen Einsatz des bidirektionalen Ladens wohl ausgeräumt. Sofort mit entsprechenden Angeboten zu rechnen ist aber nicht. Wie Experten gegenüber electrive angaben, dürfte es wohl neun bis zwölf Monate dauern, bis die neuen Vorgaben in den IT-Systemen der Netzbetreiber berücksichtigt seien. Und: Es braucht immer noch ein Smart Meter, um das bidirektionale Laden wirklich nutzen zu können.
Wenn nun aber die regulatorischen Rahmenbedingungen attraktiver werden, wird der großflächige Einsatz in Deutschland auf alle Fälle wahrscheinlicher. Bisher gab es viele Insel-Lösungen am Eigenheim oder kleinere Vehicle-to-Load-Anwendungen in Pilotprojekten. Künftig aber könnte das bidirektionale Laden dann wirklich große Effekte haben – wenn bei V2G Strom im großen Maßstab ins Netz eingespeist werden kann. Und für die Kunden dürfte sich das lohnen: Eine in der vergangenen Woche veröffentlichte Agora-Studie geht von einem Erlöspotenzial von bis zu 500 Euro im Jahr 2030 aus.
Ein voller Erfolg für die Ladeinfrastruktur ist die Gesetzesnovelle aber nicht: Im Energieausschuss wurde ein Antrag der Grünen, wonach das Antragsverfahren eines Netzanschlusses vollständig digitalisiert und über automatische Schnittstellen möglich gemacht werden soll, abgelehnt. Gerade Betreiber von Schnellladenetzen haben wiederholt die innerhalb von Deutschland sehr unterschiedlichen und meist intransparenten Antragsverfahren bei Netzanschlüssen kritisiert. Aber irgendwas ist ja immer.
bundestag.de (Abstimmung), bundestag.de (Ausschussvorlage)




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