
EU ETS2 ab 2027: Was der neue CO2-Handel für das Elektroauto bedeutet
14,7 Cent pro Liter Dieselkraftstoff und 13,2 Cent pro Liter Superbenzin: In Deutschland kostet das Verbrennen von fossilen Ressourcen Geld, weil CO2 frei wird. Diese Bepreisung ist seit 2021 in Kraft und im Brennstoffemissionshandelsgesetz (BEHG) geregelt. Faktisch ist das eine CO2-Steuer, die mit 25 Euro pro Tonne angefangen hat und 2025 bei 55 Euro liegt. Dieser Mechanismus aus fixen Preisen geht ab 1. Januar 2027 in einen freien europäischen Handel über, der EU ETS2 (für Emissions Trading System) abgekürzt wird. Die Folgen könnten im Positiven wie im Negativen drastisch sein.
EU ETS2 umfasst sowohl die CO2-Emissionen aus dem Verkehr als auch von Gebäuden. Was hier verbrannt wird, wird vorher verkauft. Die Anbieter in Gestalt der Mineralölkonzerne sind verpflichtet, für die CO2-Emissionen aus ihren Produkten Zertifikate zu ersteigern; der Endkunde hat mit dem Handel selbst nichts zu tun. Die Anzahl dieser Zertifikate aber ist begrenzt und wird jährlich um 5,1 Prozent reduziert. Diese Verknappung führt zu kontinuierlich steigenden CO2-Preisen, wenn keine Gegenmaßnahmen ergriffen werden.
Obwohl die Zertifikate für den Verkehrs- und den Wärmesektor gemeinsam gehandelt werden, fokussieren wir im Folgenden auf die Mobilität. Zuständig ist die Deutsche Emissionshandelsstelle (DEHSt) am Umweltbundesamt (UBA).
Extrem breites Spektrum der möglichen CO2-Preise
Ein übles Problem ist, dass es zurzeit lediglich Prognosen und Annäherungen über die kommenden CO2-Preise gibt. Weil die Behörden keinen ungefähren Pfad beschreiben, entsteht Unsicherheit. Die Schätzungen für 2030 reichen von 48 bis 350 Euro pro Tonne CO2 gegenüber 55 Euro pro Tonne CO2 heute. Das ist eine extrem breite Spanne.
Nehmen wir trotzdem exemplarisch eine aktuelle Studie des Energiewirtschaftlichen Instituts Köln (EWI): Die Wissenschaftler gehen bis 2035 von einem mittleren Preis von 160 Euro pro Tonne CO2 aus. 2027 sind es nach den Berechnungen des EWI etwa 120 Euro pro Tonne CO2 und 2035 rund 205 Euro pro Tonne CO2. Umgerechnet auf Dieselkraftstoff wären das 32,1 (2027) bis 54,8 Cent (2035) pro Liter. Für Superbenzin entspricht die Prognose 28,8 (2027) bis 49,2 (2035) Cent pro Liter.
Es könnte mehr sein, es könnte weniger sein? Ja.
Für die Preisbildung ist entscheidend, auf welche Nachfrage die jährlich sinkende Menge an Zertifikaten trifft. Jeder nicht verbrannte Liter zählt, um den Preisanstieg zu verlangsamen.
Regulierung, Förder- und Informationsprogramme
„Eine simple Sofortmaßnahme ist ein Tempolimit auf Autobahnen“, erklärt Jakob Graichen. Der Physiker ist Senior Researcher am Öko-Institut und forscht zu EU ETS2. Die CO2-Preise alleine, so Graichen, wären nicht ausreichend, um eine Lenkungswirkung zu erreichen.
Neben ordnungsrechtlichen Regulierungen wie dem beispielhaften Tempolimit wären Förder- und Informationsprogramme notwendig: „Leider befürchte ich, dass die kommende Bundesregierung aus Union und SPD nicht konsequent bei der Umsetzung ist“, so Graichen. Ihm ist wichtig, dass die Bundesregierung klare Signale sendet, um jede Marktverunsicherung zu vermeiden.
Später mehr zu dem, was im Koalitionsvertrag steht.
Das Geld geht zurück an die EU-Bürger
Zuerst soll die Funktionsweise von EU ETS2 noch genauer beschrieben werden.
Deutschland ist der bevölkerungsreichste Nationalstaat in der Europäischen Union. Wenig verwunderlich entfällt auch der höchste Anteil von CO2-Emissionen auf Deutschland: Es sind rund 24 Prozent. Das bedeutet, dass jede Maßnahme, die hier getroffen oder unterlassen wird, größere Auswirkungen hat.
Was aber ist mit den Einnahmen aus dem CO2-Handel? Die gehen zu 25 Prozent in den Sozialklimafond der Europäischen Union und zu 75 Prozent in die Kasse der Nationalstaaten. Der Sozialklimafond (wahlweise auch Klimasozialfond) soll einen Ausgleich zwischen arm und reich schaffen. Gemeint ist das aber in einer gesamteuropäischen Dimension. Menschen in Osteuropa könnten also eher Geld bekommen als die in Deutschland.
Für deutsche Verbraucherinnen und Verbraucher stehen zusätzlich zum Sozialklimafond jene 75 Prozent der Einnahmen aus dem CO2-Handel zu Verfügung, die in den jeweiligen Nationalstaaten bleiben.
Nichts Konkretes im Koalitionsvertrag
Es ist irgendwo zwischen erstaunlich bis erschreckend, dass gut eineinhalb Jahre vorm Start von EU ETS2 keine konkreten Maßnahmen hierzu festgeschrieben sind. Immerhin sind im Koalitionsvertrag Absichten aufgeführt.
„Wir werden die E-Mobilität mit Kaufanreizen fördern“, heißt es. Was das bedeutet, ist offen. Zudem – also darüber hinausgehend – solle es ein „Programm für Haushalte mit kleinem und mittleren Einkommen aus Mitteln des EU-Klimasozialfonds [siehe oben] geben, um den Umstieg auf klimafreundliche Mobilität gezielt zu unterstützen“.
Was sind kleine und mittlere Einkommen genau? Was exakt ist klimafreundliche Mobilität? Und wie sieht eine gezielte Unterstützung konkret aus – ähnlich wie das Social Leasing in Frankreich? Das alles ist unklar.
Mindestens fünf Cent weniger pro Kilowattstunde Strom
Auch im Kapitel Klima und Energie des Koalitionsvertrags sind lediglich Grundsatzaussagen zu finden: „Die CO2-Einnahmen geben wir an die an die Bürgerinnen und Bürger zurück.“ Ja, genau so sieht es EU ETS2 vor.
Ob zum Beispiel die avisierte Senkung der Stromsteuer auf das gesetzlich vorgeschriebene Mindestmaß oder die Reduzierung der Netzentgelte, die zusammen zu einer Preissenkung von dauerhaft mindestens fünf Cent pro Kilowattstunde führen sollen, aus den Einnahmen des CO2-Handels finanziert werden, wird von CDU/CSU und SPD nicht kommuniziert. Und welche Ideen gibt es, den Strompreis an der öffentlichen Ladeinfrastruktur billiger zu machen?
Sicher ist nur: Das Fahren von Pkw und Lkw mit Verbrennungsmotor wird durch EU ETS2 sukzessive teurer. Der Betrieb von elektrischen Pkw und Lkw wird im Vergleich preisgünstiger.
Marktstabilitätsreserve bei explodierenden Preisen
Nicht unterschlagen werden darf außerdem, dass es eine so genannte Marktstabilitätsreserve gibt. Für den Zeitraum von 2027 bis 2030 stehen vier Milliarden Zertifikate zur Verfügung. Auf diese Zahl können bis zu 600 Millionen weitere Zertifikate kommen, um den Preis dämpfen.
Allerdings gibt es Voraussetzungen dafür. So könnte zum Beispiel eine kurzfristige Verdreifachung des CO2-Preises dazu führen, dass die Marktstabilitätsreserve greift. Fachleute gehen davon aus, dass das nicht oder nicht bis zur vollen Höhe der 600 Millionen Zusatzzertifikate passiert. Angesichts der nicht beschlossenen Maßnahmen in Deutschland und der Kritik, die vor allem aus osteuropäischen Staaten kommt, haben einige Menschen aus der Umweltbewegung den Verdacht, dass das Absicht ist.
Wenn es keinen konkreten und spürbaren soziale Ausgleich für Menschen mit wenig Geld oder gar eine Umverteilung von unten nach oben gibt, würde EU ETS2 automatisch diskreditiert werden. Das wäre eine politische Begründung, den CO2-Handel auszusetzen. Dieses Szenario ist trotzdem unwahrscheinlich.
Alles spricht fürs Elektroauto
Plausibel ist vielmehr, dass sich die deutsche Bundesregierung und die Regierungen der anderen europäischen Nationalstaaten in den kommenden gut eineinhalb Jahren intensiv mit der Ausgestaltung von EU ETS2 auseinandersetzen werden.
Diese Situation ist weder ideal noch befriedigend. Perspektivisch aber wird die Entscheidung fürs elektrische Fahren noch eindeutiger. Das ist klar.
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