Bild: MAN
HintergrundNutzfahrzeug

MAN schiebt sich beim Elektro-Reisebus in die Pole-Position

MAN will zu den ersten Anbietern eines Batterie-elektrischen Reisebusses gehören: Der dreiachsige Lion‘s Coach 14 E wird im Herbst Weltpremiere feiern, doch schon jetzt enthüllen die Münchner die wichtigsten technischen Eckdaten zum neuen Fernbus, darunter eine Reichweite von bis zu 650 Kilometern. In Serienproduktion soll der Lion‘s Coach 14 E kommendes Jahr in Ankara gehen.

Im ersten Schritt kommt der E-Coach als 13,9 Meter langer Dreiachser mit einem technisch zulässigen Gesamtgewicht von maximal 27 Tonnen auf die Straße. Damit wird er 2026 hierzulande noch ein Exot sein. Denn elektrische Überland- und Reisebusse sind noch selten. MAN selbst frohlockt, „als erster großer europäischer Hersteller einen vollelektrischen Reisebus an den Start zu bringen“. Die Betonung liegt auf „europäisch“. Denn BEV-Modelle von außereuropäischen Anbietern wie Yutong und BYD sind auch in unseren Breiten vereinzelt schon anzutreffen.

Es gibt mehrere Gründe, warum der Markt noch am Anfang seiner Entwicklung steht. Der Wichtigste: Speziell bei Fernbussen geht es im Gegensatz zu den inzwischen schon recht weitläufig elektrifizierten Stadtbussen nicht nur um die TCO, da sie nicht wie diese auf planbaren Routen unterwegs sind und nachts an der eigenen Ladestation im Depot ihren Strom für den nächsten Tag beziehen. Reisebusse müssen stattdessen flexibel sein und benötigen an unterschiedlichsten Orten eine entsprechend schnelle Ladestation. Ihr Use Case ähnelt eher dem von elektrischen Fernstrecken-Lkw, die ja auch gerade erst dabei sind, Marktreife zu erlangen.

MAN wagt sich nun vor und will 2026 mit einem E-Reisebus antreten. Dieser erhält nicht etwa ein abgewandeltes Tech-Paket aus dem MAN-Stadtbus, sondern die Antriebstechnologie aus dem MAN eTruck. Der Lion‘s Coach 14 E ist somit näher verwandt mit dem E-Lkw aus dem eigenen Haus als mit dem Lion’s City E. So nutzt der künftige Bus dieselben 89-kWh-Batteriepacks wie der Lkw, die per CCS mit bis zu 375 kW DC geladen werden können und von MAN in Nürnberg in Großserie montiert werden. Perspektivisch sollen per MCS (Megawatt Charging System) analog zu MANs E-Lkw auch bis zu 750 kW drin sein. Interessant ist dabei, dass MAN in seinen Nutzfahrzeugen auf NMC-Batterien setzt und nicht wie weite Teile der Konkurrenz auf Akkus mit LFP-Chemie.

Bis zu 650 Kilometer Reichweite

Der Reisebus kann grundsätzlich vier bis sechs der genannten NMC-Batteriepacks aufnehmen, was einem Brutto-Energiegehalt von 356 bis 534 kWh entspricht. Die Maximal-Konfiguration von 534 kWh (480 kWh nutzbar) hat der Lion’s Coach dabei also ebenfalls mit dem eTruck gemeinsam. Damit kommt der Bus aber deutlich weiter als der Lkw. MAN beziffert die Reichweite auf bis zu 650 Kilometer. Einen Anteil daran dürfte das stromlinienförmige Design ( „Smart Flow Design“) haben, das den Luftwiderstandsbeiwert auf 0,31 senkt und damit „auf einen Wert im Bereich kompakter SUVs bringt“, so der O-Ton aus der Münchner Zentrale. An solchen Aussagen muss sich das Modell nach seinem Launch 2026 freilich messen lassen.

Auch den Motor erbt der künftige E-Reisebus vom strombetriebenen MAN-Lkw, ein weiteres Indiz für die ausgeprägte Gleichteile-Strategie der Traton-Tochter. Es handelt sich um MANs Synchronmotor eCD330 mit 330 kW Leistung. Dabei soll das Packaging der Antriebs- und Batteriekomponenten derart kompakt ausfallen, dass das Raumangebot üppig bleibt. MAN verspricht Plätze für bis zu 61 Fahrgäste und „keinerlei Einschränkungen beim Gepäckvolumen im Vergleich zum Dieselpendant“ (minimal 11 bis maximal 13 Kubikmeter).

Dazu muss man wissen: Sieht man von den E-Komponenten aus dem eTruck ab, bildet MANs 2017 vorgestellter Diesel-Reisebus Lion’s Coach das Gerüst des neuen XXL-Stromers. Das Verbrenner-Modell mit drei Achsen nutzt einen bis zu 382 kW starken Selbstzünder und bietet ebenfalls bis zu 61 Fahrgästen Platz. Der dieselbetriebene Coach ist dabei in unterschiedlichen Konfigurationen von 12,1 bis 13,9 Metern Länge mit zwei oder drei Achsen erhältlich. In die kürzeste Variante passen maximal 53 Fahrgäste und 11,7 Kubikmeter Gepäck, während der dreiachsige MAN Lion’s Coach L jene 61 Sitzplätze bietet. Ob es diese Auswahl künftig auch bei der BEV-Version geben wird, ist noch unklar, aber wahrscheinlich, denn MAN sagt zu, nach dem E-Dreiachser bis Ende der Dekade „weitere Typen im Reisebus-Segment ausrollen“ zu wollen.

Fokus zunächst „auf die Kurz- und Mittelstrecke“

Dass MANs erster E-Reisebus eher der Anfang als das Ende einer neuen Entwicklung ist, daraus machen die Münchner keinen Hehl. So sieht der Hersteller die bevorzugten Einsatzgebiete des Lion’s Coach 14 E unter Verweis auf den Entwicklungsstand und die öffentliche Ladeinfrastruktur im ersten Schritt „auf der Kurz- und Mittelstrecke“, dazu zählt MAN etwa Shuttledienste, Werkverkehre und Städtetrips. Die großen Distanzen – eher weiter Diesel-Paradestrecken.

Heinz Kiess, Leiter Produktmarketing Bus, sieht dennoch gute Chancen für die Reisebus-Touristik, mit dem E-Coach neue Zielgruppen mit hohem Nachhaltigkeitsbewusstsein zu erschließen. „Insbesondere auch deshalb, weil mit einer CCS-Ladeleistung des Fahrzeuges von bis zu 375 kW in Verbindung mit den gesetzlichen Lenk- und Ruhezeiten des Fahrers schon heute ein ähnliches Einsatzprofil wie mit einem Dieselbus darstellbar ist.“ Allerdings müssen solche leistungsfähigen Ladesäulen dann auch verfügbar sein. Mit der bereits in Entwicklung befindlichen Megawatt-Ladeinfrastruktur sollen sich die Einsatzbereiche des Elektrobusses künftig dann noch deutlicher in Richtung Langstrecke ausweiten. Denn dank 750 kW Ladeleistung in der Spitze dauert es künftig nur noch circa 45 Minuten, bis die entladenen Batteriepacks wieder weitgehend voll sind.

Serienproduktion für 2026 geplant

Den Start der Serienproduktion datiert das Unternehmen auf 2026 im türkischen MAN-Werk in Ankara, das dazu in den vergangenen Monaten sukzessive umgestellt worden ist. „Die Neuausrichtung am Standort in Ankara ist wichtiger Baustein der Transformation von MAN hin zu einem Anbieter nachhaltiger Transportlösungen“, betont Barbaros Oktay, Head of Bus bei MAN Truck & Bus. Zum Anlauf der Serienfertigung des E-Coach kündigt der Topmanager zudem eine „Early Fleet“ an, die im kommenden Jahr an ausgewählte Pionierkunden in den europäischen Kernmärkten gehen soll. Eine weitere Analogie zum E-Lkw. Denn ähnlich verfährt MAN aktuell auch bei der Einführung des eTruck.

Ein Pionierkunde des eCoach steht dabei schon länger fest: MAN will dem FC Bayern in der Saison 2025/26 ein Exemplar als Mannschaftsbus zur Verfügung stellen. Hintergrund der engen Beziehung beider Seiten ist eine seit 2008 bestehende Sponsoring-Partnerschaft, die MAN im vergangenen Sommer bis 2027 verlängert hat. Beide Seiten planen zudem einen Nutzfahrzeug-Ladepark an der Allianz Arena, der künftig an „spielfreien Tagen“ nutzbar sein soll. Dort kann dann auch der E-Coach der Mannschaft laden, der übrigens nicht primär für die Auswärtsspiele gedacht ist, sondern „die Profis des FC Bayern voraussichtlich von 2026 an mindestens zu den Heimspielen zur Allianz Arena fahren wird“, so der Fußballclub in einer früheren Mitteilung.

MAN betont unterdessen, mit dem Elektro-Reisebus bald als einer der ersten Player der Branche alle drei Bussegmente elektrifiziert zu haben: Stadt-, Überland- und Reisebusse. „Mit unserem E-Reisebus beginnt eine neue Ära des emissionsfreien und geräuscharmen Reisens, auf das viele Kunden gewartet haben“, ist Oktay überzeugt. Seit dem Einstieg in den Markt 2019 haben die Münchner nach eigenen Angaben inzwischen mehr als 2.500 E-Busse abgesetzt. Allein im ersten Quartal 2025 betrug der Absatz insgesamt 283 Elektrobusse, womit in diesem Zeitraum gut jeder zweite neue MAN-Stadtbus in Europa ein BEV war.

MAN plant elektrischen Hochflur-Überlandbus

Dem E-Reisebus folgen soll bei MAN übrigens schon 2026 oder 2027 ein elektrischer Hochflur-Überlandbus. Bei dem zurzeit angebotenen E-Überlandbus handelt es sich um den auf der Busworld Brussels 2023 vorgestellten MAN Lion’s City E LE, eine Low-Entry-Variante des klassischen Lion’s City E, die im Heck mit einem Hochboden statt einer zerklüfteten Hecklandschaft mit Stufen und Podesten aufwartet. Den Antrieb übernimmt das Modell aber komplett vom eng verwandten Stadtbus. Beim Hochflur-Überlandbus dürfte es dann Neuerungen beim Antrieb geben.

Barbaros Oktay betonte vergangenes Jahr in einem Interview mit den Kollegen von Sustainable Bus zudem, dass MAN im Stadt- und Überlandsegment nicht mehr in die Erfüllung der Norm Euro 7 investieren werde. Bei Reisebussen strebt sein Unternehmen hingegen an, die Euro 7 zu erfüllen. Daher soll es im Werk Ankara künftig auch weiterhin einen Bereich für die Produktion von Bussen mit Verbrennungsmotoren geben. Die Haupt-Produktion der MAN-Busse wird sich dabei nach wie vor in Polen abspielen. 2025 sollen nach Oktays 2024 getätigten Aussagen bis zu zwölf Einheiten pro Tag und in Ankara bis zu drei Einheiten pro Tag vom Band laufen. Insgesamt verfügt MAN über eine Kapazität von bis zu 6.000 Komplettfahrzeugen und 2.800 Fahrgestellen pro Jahr.

Um den Ladeinfrastruktur-Flaschenhals zu weiten und seine E-Busse somit auch auf weiteren Strecken alltagstauglich zu machen, hat MAN zudem schon länger Eigeninitiative ergriffen: In Kooperation mit E.On will MAN etwa an 170 Standorten in Europa Schnelllader für Elektro-Lkw errichten. Der Fokus liegt dabei zwar auf Deutschland, aber nicht nur. Die ersten Standorte sind bereits eröffnet, Ende 2025 sollen es bereits 80 sein. Über das Joint Venture Milence ist MAN – in Form der Muttergesellschaft Traton – auch schon zusammen mit Daimler Truck und der Volvo Group im Bereich der Lkw-Schnelllader aktiv. 1.700 Ladepunkte sind hier das Ziel.

Hinzukommt, dass auch die Bundesregierung inzwischen ein initiales E-Lkw-Ladenetz angeschoben hat: Die Aufträge für die ersten Netzanschlüsse sind vergeben, die Ausschreibung läuft. Und auch die politischen Ziele zur Dekarbonisierung des Verkehrs in Deutschland und Europa sind definiert: Die Bundesregierung will die Treibhausgasemissionen des schweren Straßengüterverkehrs in Deutschland bis 2030 um 55 Prozent senken und bereits 2045 klimaneutral sein. Die EU einigte sich zuletzt darauf, die CO2- Emissionen schwerer Nutzfahrzeuge bis 2035 um 65 Prozent und bis 2040 um 90 Prozent gegenüber dem Jahr 2019 zu senken.

press.mantruckandbus.com

2 Kommentare

zu „MAN schiebt sich beim Elektro-Reisebus in die Pole-Position“
tobias
15.05.2025 um 12:12
Cool, gut das der Hersteller da die Technik vom MAN eTGX übernimmt. Finde es sehr schade das ich von Mercedes in diesem Bereich noch nichts gehört habe.In Zukunft ist es wichtig für die Konzerne nicht nur gute elektrische LKWs oder einen guten elektrischen Bus zu bauen, sondern noch enger zusammen intern entwickeln. Das schlechteste wäre wenn die Bus und LKW Abteilungen nicht miteinander reden würden und alles doppelt entwickelt wird
Friedrich
15.05.2025 um 14:31
Reden und HANDELN... gemeinsam innerhalb eines Konzerns, innerhalb einer bestimmter Handlungsfelder... Gräben sollten, unter Beachtung der Compliance Vorgaben, im Sinne der gemeinschaftlichen Zielsetzung zusammen angegangen werden.Das eKennzeichen für N3-Fahrzeuge oder die Befahrbarkeit von eLadeparks und viele Herausforderungen mehr, können nur gemeinsam schnell(er) gelöst werden.

Schreiben Sie einen Kommentar zu tobias Antworten abbrechen

Ihre E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert