
Stündlich wechselnde Ladepreise: Enercity und EV-Pay führen dynamische Ad-hoc-Preise ein
Dynamische Ladepreise sind an sich simpel: Ist der Strom im Einkauf an der Spotmarkt-Börse günstig, kann er auch billig weiterverkauft werden. Muss der Strom teurer eingekauft werden, steigt auch der Preis an der Ladesäule. So könnte – in der Hoffnung einiger Betreiber – über den Preis die Nachfrage in jene Zeiten verschoben werden, in denen der Strom günstig ist. Die Kunden können beim Laden ihres Elektroautos bares Geld sparen und auch der Betreiber profitiert, da er den Ladestrom mit einem kleinen Aufschlag weiterverkaufen kann – und nicht hohe Einkaufspreise bei einem Festpreis für den Endkunden die Kalkulation über den Haufen werden.
Erste Projekte werden aktuell schon umgesetzt, etwa von Shell Recharge. Das große Aber: Bei dem Mineralölkonzern gibt es die dynamischen Ladepreise an den eigenen Schnellladern nur über die eigene App oder Ladekarte – also für registrierte Kunden. Der Ad-hoc-Preis bleibt bei Shell gleich. Zudem schwanken die Preise nur um wenige Cent, die potenzielle Ersparnis für die Kunden ist klein: Im Vergleich zum Standard-Tarif wird es maximal drei Cent günstiger, bei hohen Strompreisen aber bis zu acht Cent teurer.
Bei dem Pilotprojekt in Hannover, das am Montag startet, ist einiges anders. Zwar fokussieren sich die Partner Enercity und EV-Pay vorerst auch auf Schnellladesäulen, konkret zwölf DC-Lader mit insgesamt 24 Ladepunkten entlang des Cityrings und eine Ladesäule an der Enercity-Firmenzentrale. Neu und in Deutschland bisher einzigartig ist aber, dass die dynamischen Ladepreise nicht nur für Vertragspartner (also die Nutzer des bestehenden Ladedienstes) angeboten werden, sondern als Ad-hoc-Preis für alle Kunden, die spontan dort laden wollen. Bezahlt werden kann per Girokarte oder Kreditkarte, aber auch über andere NFC-Zahlungsmittel wie Google Pay oder Apple Pay.
Stündlich neue Preise zwischen 0,37 und 0,67 €/kWh
Die Preise ändern sich stündlich, es gilt aber der angezeigte Preis zum Start des Ladevorgangs. Allerdings hat Enercity bei den flexiblen Preisen eine Ober- und Untergrenze eingezogen. Selbst wenn der Spotmarkt teilweise negative Preise erreichen kann, wird der Ladestrom in dem Pilotprojekt mindestens 0,37 €/kWh kosten – da es sich um Ladesäulen mit bis zu 300 kW handelt, ist das ein im Marktumfeld sehr guter DC-Ladepreis. Die Obergrenze hat Enercity bei 0,67 €/kWh eingezogen und sieht sich damit „im unteren Mittelfeld des derzeitigen DC-Felds“, wie Markus Dehn, Manager der Business Unit eMobility bei Enercity, im Gespräch mit electrive erklärt. Mit der Obergrenze werden Peaks am Strommarkt abgefangen, damit die Kilowattstunde für den Endkunden in Spitzenzeiten nicht zu weit steigt. Klar ist: Die Preisspanne ist bei Enercity deutlich größer als etwa bei Shell Recharge. Die Kunden können also nennenswerte Beträge sparen, wenn sie für 37 statt 67 Cent je Kilowattstunde laden. Zum Vergleich: Mit der regulären Ladekarte von Enercity kostet die Kilowattstunde an DC-Ladern 55 Cent im Tarif „easyGo FixLaden“, im Tarif „easyGo SmartLaden“ mit 5,99 Euro Grundgebühr im Monat sind es 0,52 Cent.
Mit dem Pilotprojekt will Enercity nicht nur die Serienreife der Technologie dahinter demonstrieren – dazu gleich mehr –, sondern auch das Nutzerverhalten beobachten. „Einerseits ist das für den Nutzer interessant, weil er – wie bei der Tankstelle – anhand des Preises entscheiden kann, ob er jetzt lädt oder später. Mit dem Pilotprojekt wollen wir testen, ob es auch beim Laden diese Sensibilität gibt und wir so Nutzerströme steuern können“, sagt Dehn. „Der Kunde lädt dann nicht nur günstiger, sondern entlastet die Netze – weil er den günstigen Ökostrom direkt nutzt, wenn der Wind weht und die Sonne scheint. Damit es es auf der anderen Seite auch für uns sehr interessant.“ Dominik Freund, Gründer und Geschäftsführer von EV-Pay, ergänzt: „Wir verzahnen darüber die Energiewende mit der Verkehrswende. In unseren Augen ist es im Interesse eines jeden Energieversorgers, der Strom an der Börse handelt, ihn auf diese Art und Weise an der Ladesäule nutzen zu können.“
Preis-Info vorab im Internet
Dehns Tankstellen-Vergleich hinkt aber an einer Stelle: Während dort die Kraftstoff-Preise von der Straße aus gut ersichtlich an der Preistafel angezeigt werden, ist das bei den Ladesäulen aktuell noch nicht der Fall. „Es kommt auf den Standort an, wie eine Preisanzeige bestmöglich umgesetzt wird. Bei Ladesäulen an Tankstellen ist es wohl das kleinste Problem, einen zusätzlichen Preis an der Preistafel aufzunehmen. Bei reinen Ladeparks sehen wir schon erste Lösungen mit einer in das Dach integrierten Anzeige“, sagt Dehn. „Darüber denken wir auch nach. Aber: Das ist ein Tankstellen-artiges System und geht an größeren Standorten gut. Wir haben – wie etwa am Cityring in Hannover – viele innerstädtische DC-Lader ohne Dach. Denkbar sind da Preismasten. Viel wichtiger in meinen Augen ist, dass es ein Preistransparenz-Portal wie beim Tanken gibt. Das ist jetzt keine Enercity-Sache, sondern allgemeingültig.“
Bis es ein solches Portal gibt – die Bundesnetzangentur sieht hierfür übrigens nach offizieller Angabe keinen Bedarf –, müssen die Kunden wohl auf Apps von Privatanbietern zurückgreifen. Dort sind derzeit aber die Preise der normalen Ladekarten hinterlegt, keine aktuellen Preisinformationen des dynamischen Modells. Daher hat Enercity vorerst eine eigene Lösung umgesetzt: Die jeweils stündlichen Preise werden im Internet gegen 13 Uhr für den Folgetag veröffentlicht. Damit können sich die Kunden vorab informieren und der Betreiber will für Transparenz und Verlässlichkeit sorgen.
Die DC-Ladestationen hat Enercity für das Projekt ausgewählt, da sie zum einen gut frequentiert sind und zum anderen ein begrenztes Testfeld für das Vorhaben benötigt wurde. Als städtischer Versorger setzt Enercity – anders als etwa die EnBW – beim Ausbau der Ladeinfrastruktur nicht nur auf Schnellladesäulen, sondern auch auf AC-Ladepunkte im öffentlichen Raum und in den Wohngebieten. Sollten die Erfahrungen aus dem Pilotprojekt positiv ausfallen, kann sich Dehn auch vorstellen, das dynamische Preismodell auszuweiten – auch bis in den AC-Bereich hinein. Der Hebel wäre dann groß: Enercity betreibt im Großraum Hannover über 1.000 Ladepunkte, ist als Teil des Konsortiums Autostrom Plus auch am Ausbau des Deutschlandnetzes beteiligt (wenn auch hier wohl künftig ohne dynamische Preise) und hat auch bei der Ausschreibung der Stadt Hamburg im vergangenen Jahr den Zuschlag für 500 AC-Ladepunkte in der Hansestadt bekommen.
Noch ist eine Ausweitung aber Zukunftsmusik und nicht beschlossen – das Pilotprojekt läuft jetzt erst an. Die Auswirkung, die der Testlauf in Hannover auf den Markt haben könnte, ist aber groß. Denn bei der Technik haben Enercity und EV-Pay das übliche System aufbrechen müssen, um dynamische Ad-hoc-Preise in Deutschland eichrechtskonform abrechnen zu können.
Dazu ein kurzer Exkurs zu dem Ansatz von EV-Pay: Im derzeit üblichen System ist es so, dass jedes Kartenterminal, das fest in einer Ladesäule verbaut ist, eichrechtlich abgenommen werden muss – jede Kombination aus Zahlterminal und Ladesäule muss durch den Zertifizierungsprozess. Bei EV-Pay ist hingegen das Terminal selbst eichrechtszertifiziert, auch die Produktion und das Backend. Es ist also egal, mit welcher Ladesäule das Terminal verbunden wird – und es ist ebenfalls egal, ob ein Terminal von EV-Pay fest in die Säule integriert wird oder extern angebracht zum Beispiel zehn Ladesäulen abdeckt.
Neue Systemlogik der EV-Pay-Lösung
Was nach einer einfachen und naheliegenden Lösung klingt, ist aufgrund der aktuellen Systemlogik der Bezahllösung an Ladesäulen aber eine Herausforderung. Denn auch wenn es für den Kunden so aussieht, als ob das in die Ladesäule integrierte Kartenterminal Teil der Ladesäule ist, ist in der Systemlogik noch ein weiterer Schritt dazwischengeschaltet – das Backend. Das heißt: Die Ladesäule kommuniziert mit dem Backend, das Backend dann mit dem in der Säule verbauten Kartenleser. Wenn man nun mit der Kartenzahlung einen Ladevorgang starten will, muss man durch das Backend – dabei werden quasi „Zölle“ erhoben, was den Ladevorgang verteuert, teils um mehrere Cent je Kilowattstunde. Mit dem Ansatz von EV-Pay werden die Positionen getauscht: Die Ladesäule kommuniziert mit dem Terminal von EV-Pay, erst dann kommt das Backend. „Nur so können wir unsere Kernversprechen einlösen: Eichrechtskonformität und der CPO hat die Preis- und Gebührenhoheit. Der Betreiber der Ladesäule legt fest, was der Ladestrom kostet, nicht ein Backend-Betreiber“, sagt Dominik Freund und ergänzt: „Wir können sogar so weit gehen, dass an einer Ladesäule unterschiedliche Preise aufgerufen werden, wenn zum Beispiel ein E-Auto nur ein Leistungsmodul einer Säule nutzt, wird es günstiger als bei dem anderen Auto, das drei Leistungsmodule nutzt und entsprechend schneller lädt.“
Dieser Umbruch in der Architektur der Systeme erfolgt im Hintergrund, der Endkunde an der Säule bekommt im Idealfall von den Kommunikationswegen nichts mit. Den Betreibern und Herstellern gibt die neue Architektur mit dem Bezahlterminal in der Mitte der Kette in den Augen von EV-Pay mehr Freiheiten. „Wir erleichtern den Herstellern das Leben, aber auch den Payment-Service-Providern: Diese müssen dann nicht mehr mit jedem Hersteller einzeln eine Belegabnahme machen, sondern einmal zentral mit EV-Pay“, so Freund. „Wir schlagen also zwei Fliegen mit einer Klappe.“
Um diese Vorzüge weiß auch Enercity-Manager Dehn, der selbst zuvor für einen Ladesäulen-Hersteller gearbeitet hat und mit der Hardware-Welt bestens vertraut ist. „Wir als Enercity haben zwei Blickwinkel auf das Thema: Einerseits ist es für uns eine attraktive Lösung am Markt, weil etwa beim Tanken die Giro- oder Kreditkarte bei Privatkunden das bevorzugte Zahlungsmittel ist – Dientwagenfahrer mit Tankkarte außen vor gelassen. Ein dynamisches Pricing mit einfachen Zahlungsmitteln auch per Smartphone ist das, wo wir aus Kundensicht hin müssen“, so Dehn. „Andererseits sind wir natürlich auch Shareholder bei EV-Pay und daher am Erfolg der Lösung interessiert. Ich habe selbst lange in der Hardware-Branche gearbeitet und weiß, welche Herausforderung die Integration unzähliger Karten-Terminals in die Ladesäulen für die Hersteller ist. Hier bietet EV-Pay eine in unseren Augen überzeugende Lösung. Wir sehen eine Lösung, für die Hersteller die Payment-Frage zu vereinfachen.“
Betreiber macht die Preise, nicht EV-Pay
Mit der EV-Pay-Lösung läuft es so, dass über das eigene Backend die Preisinformation flexibel auf die Terminals aufgespielt werden kann. EV-Pay empfängt diese Preisinformation vom Betreiber, legt selbst aber keine Preise fest. Der Betreiber – in diesem Fall Enercity – kann etwa die Startgebühr festlegen, eine Zeitkomponente (generell oder als Blockiergebühr nach einer gewissen Zeit) und eben den festen oder flexiblen Preis pro Kilowattstunde. Nach welchem Algorithmus der flexible Preis berechnet wird (etwa nach dem Spotmarkt oder der Auslastung), liegt ebenfalls beim Betreiber. So erhält der Betreiber laut EV-Pay die volle „Kosten- und Gebührenhoheit“.
Die Vorteile des Systems liegen auf der Hand, der große Nachteil aber auch: Es ist eine Änderung im System nötig, den viele Player am Markt wohl scheuen. Und einige haben auch schlichtweg kein Interesse an einer Änderung: Große Ladeanbieter streben ohnehin an, die Kunden in Abos und eine feste Vertragsbindung zu bekommen. Denn wer Ad-hoc zahlt, lässt so gut wie keine Daten da – und detaillierte Informationen über das Verhalten wiederkehrender Nutzer sind viel wert. Vielleicht kann das Pilotprojekt in Hannover also auch zeigen, dass es anders geht – und Ad-hoc-Zahlen für Betreiber wie auch Kunden zugleich attraktiv sein kann.
Quelle: Gespräch mit Markus Dehn und Dominik Freund, enercity.de (Website mit Preis-Angabe)
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