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InterviewNutzfahrzeug

Die Stärke des EU-Binnenmarkts für E-Lkw nutzen – Thomas Fabian vom ACEA

Die Europäische Union bildet einen vielversprechenden Binnenmarkt für E-Nutzfahrzeuge, aber dafür müssen die 27 einzelnen Nationen sehr gut kooperieren. Thomas Fabian, Chief Commercial Vehicles Officer des ACEA, blickt im Interview mit elective auf die aktuelle Marktlage, wie mehr Tempo in die Elektrifizierung kommt und benennt die politischen Hausaufgaben, die dringend zu erledigen sind.

Die European Automobile Manufacturers‘ Association (ACEA) vertritt die Fahrzeughersteller in der EU, führt Statistik (von uns regelmäßig veröffentlicht) und ist an Themen wie der Dekarbonisierung des Verkehrs, des ÖPNV und der Schwerlast-Branche nah dran. Thomas Fabian ist im Verband der Experte für Nutzfahrzeuge und ordnet uns im Interview die aktuellen Marktentwicklungen ein. Klar ist: Im ersten Halbjahr haben wir einen Abschwung erlebt, bei BEVs, aber auch über alle Antriebe hinweg.

Fabian macht aber Hoffnung, dass die Antriebswende schnell wieder Fahrt aufnehmen wird und strombetriebene Nutzfahrzeuge beachtliche Marktanteile zugewinnen können – wenn, ja wenn die Koordination zwischen den Binnenmarktteilnehmern der EU funktioniert. Denn: „27 verschiedene Systeme innerhalb des Binnenmarktes können wir uns nicht leisten“, unterstreicht Fabian. In Konkurrenz zu anderen großen Nationen wie China geht es nur gemeinsam.

Dieser Aspekt wird mit Sicherheit auch bei der Next Truck Konferenz am 3./4. November in Berlin diskutiert. Fabian ist dort einer von 50 Speakern, die im Estrel Congress Center in Berlin vor Entscheidern aus Politik und Wirtschaft sprechen. Motto der Konferenz ist “Software, future drives and changing markets: transforming the trucking world”. Es geht also um neue Realitäten und die zu gestaltenden Perspektiven im europäischen Lkw-Markt. Unser Interview liefert einen Vorgeschmack darauf.

Herr Fabian, „das erste Halbjahr 2025 gestaltete sich für den Nutzfahrzeugmarkt der EU herausfordernd“ war in Ihrem jüngsten Statistik-Bericht zu lesen. Was ist da los?

Nach einem sehr starken Jahr 2023 und einem starken Start ins Jahr 2024 hat sich der Markt deutlich abgekühlt. Die Transport-Nachfrage ist zurückgegangen, die wirtschaftliche Unsicherheit belastet die Stimmung, und viele Transportunternehmen verschieben die Erneuerung ihrer Flotten oder halten sich mit neuen Investitionen zurück. Die Auftragsrückstände der Hersteller sind weitgehend aufgearbeitet, sodass die heutigen Zulassungszahlen eher die tatsächliche Marktnachfrage widerspiegeln als die Zahlen im Anschluss an die Lieferketten-Engpässe. Gleichzeitig bleiben viele Flottenbetreiber vorsichtig, insbesondere bei emissionsfreien
Lkw.

Woran liegt die Kaufzurückhaltung Ihrer Meinung nach noch?

Mehrere Faktoren spielen eine Rolle. Viele Flottenbetreiber warten etwa auf mehr Klarheit hinsichtlich des Ausbaus der Infrastruktur und stabiler Förderbedingungen. Auch stellen die Gesamtbetriebskosten nach wie vor eine Herausforderung dar, insbesondere im Fernverkehr. Weiter ist die Lade- und Betankungsinfrastruktur für schwere Lkw noch immer unzureichend, und selbst der Anschluss von Depots an das Stromnetz kann Monate oder Jahre dauern. Außerdem sind die politischen Signale uneinheitlich: CO2-basierte Mautgebühren, Energiepreise und Anreizsysteme variieren stark zwischen den Mitgliedstaaten. Betreiber, insbesondere KMU, brauchen aber Klarheit und Vorhersehbarkeit, bevor sie sich zu größeren Investitionen verpflichten.

E-Lkw sind noch keine große Marktstütze: Zwischen Januar und Juni kam es in der EU zu 1.918 Neuzulassungen – das sind nur 1,5 Prozent des Markts…

Ja, wir stehen noch am Anfang der Einführungskurve. Vorreiter setzen Batterie-elektrische Lkw vor allem im Stadt- und Regionalverkehr ein. Der Fernverkehr ist komplexer, wird aber folgen, sobald ein dichtes Ladenetz, einschließlich Megawatt-Laden, vorhanden ist und die Gesamtbetriebskosten eindeutig für emissionsfreie Lkw sprechen. Die Hersteller erweitern ihr Portfolio rasch, aber die Kunden brauchen Vertrauen in den Ausbau der Infrastruktur, die Energiekosten und die langfristige Politik.
Sobald diese Faktoren aufeinander abgestimmt sind, kann sich die Akzeptanz schnell beschleunigen. Die Frage ist, ob dies schnell genug geschehen wird, denn bis 2030 muss bereits jeder dritte neue Schwerlast-Lkw emissionsfrei sein – und die Zeit läuft.

Im Bussektor haben sich Elektro-Fahrzeuge schon viel besser etabliert. Was stimmt Sie zuversichtlich, dass dieser Trend anhält?

Die Bedingungen sind viel günstiger. Der Busbetrieb ist vorhersehbar, das Aufladen erfolgt über Nacht in den Depots, und die öffentliche Beschaffung treibt die Nachfrage an. In vielen Städten sind die Gesamtbetriebskosten von
emissionsfreien Bussen dank der richtigen Politik niedriger als die von Dieselbussen. Die größte Herausforderung ist nun die Geschwindigkeit: Bis 2030 müssen neun von zehn neuen Stadtbussen emissionsfrei sein, was bedeutet, dass der Diesel zur Ausnahme werden sollte. Dies erfordert ein starkes politisches Engagement und eine stetige Finanzierung, um die
Erneuerungszyklen auf Kurs zu halten.

Viele sehen die Politik bei der Elektrifizierung als Bremsklotz. Muss die EU mehr tun oder müssen die Nationalstaaten in die Gänge kommen?

Beide. Die EU und die Mitgliedstaaten müssen Hand in Hand arbeiten. Die EU sollte für eine zeitnahe und einheitliche Umsetzung sorgen, während die nationalen Behörden die Ladeinfrastruktur bereitstellen, die Genehmigungsverfahren straffen und vorhersehbare Förderprogramme auflegen müssen. Wir können uns 27 verschiedene Systeme innerhalb des Binnenmarktes nicht leisten. Die Richtlinie über Gewichte und Abmessungen ist ein typisches Beispiel: Die Kommission hat einen soliden Vorschlag vorgelegt, das Parlament hat ihn verbessert, aber die Mitgliedstaaten
laufen Gefahr, ihn wieder zurückzunehmen. Das würde die Nutzlast-Nachteile für emissionsfreie Lkw verlängern und den Übergang verlangsamen.

Zusammenfassend kann man sicher sagen, dass sich die Antriebs-Transformation innerhalb der EU sehr uneinheitlich entwickelt. Einige Länder sind ehrgeizig, andere weniger. E-Mobilität funktioniert aber gerade auf der Fernstrecke nur grenzübergreifend. Ein entscheidender Nachteil gegenüber großen, zentralisierten Nationen wie etwa China?

Das kann ein Nachteil sein, muss es aber nicht. Die Stärke Europas liegt in seinem Binnenmarkt, wenn wir ihn richtig funktionieren lassen. Koordination ist dabei der Schlüssel. Wenn sich die Mitgliedstaaten klar auf Ziele einigen,
Infrastruktur entlang wichtiger Korridore ausbauen und eine nahtlose grenzüberschreitende Gebührenerhebung ermöglichen, können wir
einen florierenden Binnenmarkt schaffen, den europäische Hersteller brauchen, um global wettbewerbsfähig zu sein. Was uns am meisten Sorgen bereitet, sind die kurzen Fristen und der Umfang der Koordination, der erforderlich ist, um diese einzuhalten.

Gefühlt waren wir bei der Einigkeit zur Technologie-Zukunft im Nutzfahrzeugbereich schon einiger, jetzt schlägt das Pendel zurück – es ist wieder mehr von Verbrennern (als Range-Extender oder klassischer Plug-in-Hybrid) die Rede. Ein Eindruck, den Sie teilen?

Die Richtung ist klar: Wir bewegen uns in Richtung emissionsfreier Technologien. Aber Verbrennungsmotoren werden noch jahrelang Teil des Mixes bleiben, insbesondere im Schwerlastverkehr. Die Betreiber haben unterschiedliche Bedürfnisse, und die Hersteller müssen geeignete Lösungen anbieten. Batterie- elektrische Antriebe werden die meisten Anwendungsfälle abdecken, aber auch Wasserstoff wird eine wichtige Rolle spielen. Selbst 2030 werden zwei Drittel der neuen Lkw noch mit Verbrennungsmotoren ausgestattet sein, die nicht mit fossilem Diesel betrieben werden sollten. Flexibilität ist unerlässlich, unterstützt durch einen Rechtsrahmen, der den Übergang ermöglicht, anstatt ihn zu behindern.

Mit Sany wird Anfang 2026 erstmals ein großer Lkw-Hersteller aus China einen BEV-Lkw nach Europa bringen. Im E-Bussektor sind chinesische Marken schon länger konkurrenzfähig. Wie beurteilen Sie diese neuen Mitbewerber?

Wettbewerb fördert Innovation und Effizienz, was gut ist. Aber er muss fair sein. Europäische Hersteller erfüllen die weltweit höchsten Standards in Bezug auf Sicherheit, Nachhaltigkeit und Qualität. Neue Marktteilnehmer müssen dieselben Standards erfüllen. Europa sollte Reziprozität und echte Wettbewerbsgleichheit gewährleisten. Unsere Stärke liegt in Innovation, Zuverlässigkeit und langjährigen Partnerschaften mit Transportunternehmen.

Und Ihre Prognose? Wo stehen wir mit der Elektrifizierung in fünf Jahren?

Das hängt ganz davon ab, wie schnell die Voraussetzungen für die Elektrifizierung geschaffen werden. Wenn Europa bis 2030 rund 50.000 öffentliche Lkw-Ladestationen, darunter Megawatt-Ladestationen, mehrere Hunderttausend Depot-Ladestationen und einige hundert Wasserstofftankstellen bereitstellt und einen Rahmen schafft, der emissionsfreie Lkw zur besseren Wahl hinsichtlich der Gesamtbetriebskosten macht, dann ist das Erreichen des zur Einhaltung der CO2-Ziele erforderlichen Anteils von einem Drittel emissionsfreier Lkw zwar weiter ehrgeizig, aber nicht unmöglich. Aber wir sind noch weit davon entfernt, und die Zeit drängt. Wenn der Fortschritt weiterhin hinterherhinkt, wird die gesamte Wertschöpfungskette die Folgen zu spüren bekommen,
und die Hersteller werden mit übermäßigen Strafen für Faktoren konfrontiert sein, die außerhalb ihrer Kontrolle liegen.

Herr Fabian, haben Sie vielen Dank!

Das Interview ist Teil der Medienpartnerschaft von electrive mit der  NextTruck Konferenz am 03. und 04. November in Berlin.

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