1.000 DC-Ladeparks: Jetzt lässt der Bund deutsche Supercharger bauen

Bild: Porsche

Die Nationale Leitstelle Ladeinfrastruktur der NOW schreibt die Errichtung und den Betrieb des größten deutschen Schnell-Ladenetzwerks aus. Frei nach dem Motto: Der Markt hat versagt, jetzt richtet’s der Staat.

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Think big: Wenn Volkswagen mit der Auslieferung des ID.3 beginnt, startet automatisch eine neue Ära der Elektromobilität. Der Massenmarkt ist endlich Realität. Die ID.-Familie und die anderen Batterie-elektrischen Autos vom Tesla Model Y über den Porsche Taycan bis zum Opel Corsa-e treffen aber auf eine öffentliche DC-Infrastruktur, die den Anstieg nicht bewältigen kann.

Es reicht nicht. Das Queuing droht. Dazu kommen die bekannten Defizite, die von der Nationalen Leitstelle Ladeinfrastruktur klar benannt werden: Der Kunde, so heißt es in einem Arbeitspapier, sei „mit Insellösungen, hoher Unzuverlässigkeit, uneinheitlichen Informationen und unterschiedlichen Nutzerschnittstellen konfrontiert“. Bumms, das sitzt. Die Lösung für das Problem: Die Nationale Leitstelle Ladeinfrastruktur der NOW bereitet gemeinsam mit dem Bundesverkehrsministerium (BMVI) die Ausschreibung eines gigantischen Schnell-Ladenetzwerks vor. Spätestens im vierten Quartal geht das Verfahren los: 1.000 Standorte mit bis zu zweistelligen und in Einzelfällen sogar dreistelligen Anzahl von Ladepunkten sind das Ziel.

„Das ist ein Paradigmenwechsel“, sagt Johannes Pallasch, Leiter der Nationalen Leitstelle Ladeinfrastruktur bei der bundeseigenen NOW GmbH, im Gespräch mit electrive.net. Statt Förderungen direkt an Unternehmen zu verteilen, schreibt der Staat 1.000 DC-Standorte aus. Anders gesagt: Die Nationale Leitstelle Ladeinfrastruktur der NOW lässt bauen. „Wir müssen das aktuelle Marktversagen überwinden“, fordert Pallasch. Er meint damit nicht nur die Anzahl der Schnell-Ladesäulen, sondern auch die Funktion. Tesla ist das Vorbild, und am liebsten will man noch eins draufsetzen: Der Service muss besser werden – wie sieht es zum Beispiel mit einer Überdachung und sauberen Toiletten aus? –, und selbst Laderobotik ist vorstellbar.

Wirtschaftlichkeitslücke schließen, Flächen zur Verfügung stellen

„Die bisherige Förderpraxis ist nicht effizient genug. Ob am Ende wirklich aufgebaut wird, liegt nicht in unserer Hand“, kritisiert Johannes Pallasch von der NOW weiter und skizziert das Konzept des 1.000 Standorte-Programms. Die wesentlichen Inhalte in Auszügen:

  • Die Unternehmen bleiben die Betreiber. Sie schließen einen Vertrag mit dem Bund, in dem klare Qualitätsstandards und Fristen definiert sind.
  • Die Mindestleistung eines DC-Ladepunktes beträgt 150 kW. Die Standorte müssen ausbaufähig sein. Der Anschluss ans Mittelspannungsnetz ist also Voraussetzung.
  • Der Bund schließt die mittel- oder langfristige Wirtschaftlichkeitslücke der Betreiber.
  • Die Ausschreibung erfolgt in Losen, bei denen attraktive und weniger interessante Standorte zusammengefasst werden.
  • Teilnehmer des Losverfahrens sind Charge Point Operator (CPO), die allen E-Mobility Providern (EMP) und Ad-hoc-Ladern einen diskriminierungsfreien Zugang zu gleichen Konditionen ermöglichen müssen. Das B2B-Zugangsentgelt darf nicht in missbräuchlicher Weise nach oben abweichen.
  • Der Bund wird eigene Flächen zur Verfügung stellen sowie Länder und Kommunen dazu aufrufen, das ebenfalls zu tun. Zusätzlich sollen auch private Grundstücke genutzt werden, wenn sie verkehrlich geeignet und langfristig gesichert sind.

Das Gesamtziel bleibt eine bessere Nutzerfreundlichkeit. Kein Elektroautofahrer soll sich über mangelnde Verfügbarkeit, zu hohe Preise, mühevolle Stromfreischaltung oder nasse Ladestecker ärgern. Oder, wie es in der Vorgabe heißt: „Die Leitlinie ist […] eine flächendeckende, bedarfsgerechte und attraktive LIS“. Die Nationale Leitstelle Ladeinfrastruktur hat hierzu auch ein Standorttool entwickelt, das die optimale Verteilung der DC-Parks an Fernstrecken und auch in urbanen Ballungsräumen gewährleistet.

„Der Wettbewerb besteht weiterhin“

Für das Schnell-Ladenetzwerk mit 1.000 Standorten gibt es einen konkreten Zeitplan: Im dritten Quartal dieses Jahres werden die europaweiten Ausschreibungen vorbereitet. Hierzu sollen auch Gespräche mit potenziellen Marktakteuren zu „Bedenken, Bedürfnisse und Fähigkeiten geführt werden“, bevor es im vierten Quartal losgeht; die Verfahrensdauer wird voraussichtlich nicht unter acht Monaten liegen.

Einer dieser Marktakteure und möglichen Ausschreibungsteilnehmer ist die EnBW. Lars Walch, Leiter Vertrieb und Geschäftsmodelle E-Mobilität bei dem ambitionierten Versorger aus Baden-Württemberg, äußert sich im Gespräch mit electrive.net zur Bundesinitiative: „Wir begrüßen das Programm ausdrücklich“, so Walch, denn „der Wettbewerb besteht weiterhin. Das ist keine Aufhebung der Konkurrenz.“ Allerdings gibt Lars Walch zu bedenken, dass der Zeitrahmen zu wenig ambitioniert und angesichts der erwartbaren Verkaufszahlen enger gefasst sein müsste.

Was so simpel klingt, ist letztlich die Konsequenz aus zehn Jahren kontinuierlichem und leider nicht ausreichendem Ladeinfrastrukturaufbau. Zu viele Probleme wurden auf den Kunden abgewälzt. Die kleinen Mängel, die die Geduld strapazieren und den Ruf der Elektromobilität schädigen, müssen abgestellt werden. Das 1.000 Standortprogramm der Nationalen Leitstelle Ladeinfrastruktur verfolgt zur Lösung dieser Einschränkungen einen besonders vielversprechenden Ansatz. Jetzt ist es wichtig, dass Qualität und Geschwindigkeit zusammenfinden und aus der guten Idee eine perfekte Realität wird.

Das Ladeerlebnis soll letztlich so komfortabel und transparent sein wie am Supercharger von Tesla. B2B-Preiskämpfe wie zuletzt zwischen IONITY und EnBW sollen der Vergangenheit angehören. Und auch der Weg von Berlin zur Ostsee soll nicht am leeren Akku scheitern, weil die Infrastruktur nur im verkehrsreichen Süden und Westen entstanden ist. Kurzum: Es kommt endlich Druck auf den Kessel der Ladeinfrastruktur.

Update 27.06.2020: Die NOW GmbH hat nun ein offizielles Infopapier zur geplanten europäischen Ausschreibung veröffentlicht. Die Ausschreibung soll voraussichtlich im vierten Quartal 2020 starten. Die Verfahrensdauer wird nach Einschätzung der Behörde „vermutlich nicht unter acht Monaten liegen“.

Update 24.11.2020: Das BMVI hat bekannt gegeben, dass die Ausschreibung der 1.000 geplanten Schnelllade-Standorte nicht mehr wie angestrebt dieses Jahr erfolgen wird, sondern 2021. Ziel ist bekanntlich der Aufbau eines öffentlichen Netzes mit Ladeleistungen ab 150 kW, das bis Ende 2023 fertiggestellt sein soll.
now-gmbh.de, now-gmbh.de, now-gmbh.de (beide Update)

36 Kommentare

zu „1.000 DC-Ladeparks: Jetzt lässt der Bund deutsche Supercharger bauen“
RobT
18.06.2020 um 15:53
"Die ID.-Familie und die anderen Batterie-elektrischen Autos vom Tesla Model Y über den Porsche Taycan bis zum Opel Corsa-e treffen aber auf eine öffentliche DC-Infrastruktur, die den Anstieg nicht bewältigen kann." Das stimmt so nicht. Das Tesla Model Y kann auf eine gut ausgebaute, Europaweite Supercharger-Infrastruktur zugreifen, die zudem von Tesla laufend auf eigene Kosten erweitert wird. Versagt habe alle anderen deutsche BEV-Hersteller, weil sie sich nur als Autohersteller sehen und nicht verstanden haben, das BEV eine Infrastruktur zum Betrieb brauchen.
Josef
18.06.2020 um 20:00
Aha, wenn Tesla mal die 500.000 Autos in Grünheide pro Jahr auswirft, dann wird man sehen dass auch das Tesla Netz viel zu klein ist. In 2019 wurden gerade mal 9000 Model 3 in gesamt Deutschland verkauft und Vlogs auf YT zeigen schon hier immer wieder mal volle Ladepunkte gerade während der Urlaubszeit an Knotenpunkten mit niedriger KW-Leistung pro Fahrzeug als Folge...auch weil aus Holland und Norwegen die Durchreise stattfindet sind dann ein paar mehr Teslas unterwegs. Wenn Tesla nicht massiv aufbaut, dann wird das auch hier nichts mit Millionen von eAutos. Das Netz funktioniert noch so gut, da es nur eine Handvoll Teslas in De gibt.
DirkF.
03.07.2020 um 12:59
Tesla baut aus! Vor allem an den Knotenpunkten! Siehe Ladekreutz Hilden mit insgesammt 60 Schnellademöglichkeiten für Urlauber mit Superschnellen Ladern der neuesten Generation. Und ganz wichtig - Mit Strafzahlungen für „Parken“ wenn das Auto schon fertig geladen ist. Ich habe in den Niederlanden, wo es ja unzählige Tesla gibt, noch nie länger als 10 Minuten auf einen freien Platz gewartet!
Mario Schmidt
19.06.2020 um 12:35
Also ich stand während des Reiseverkehrs auch schon einmal an einer Tankstelle an der A7 schlange und musste bestimmt 10 Minuten warten. Das passiert gar nicht so selten, nur davon landen keine Videos im Netz.
Elena
19.06.2020 um 00:55
Tesla hat bisher und wird auch in Zukunft sein eigenes Netz dynamisch angepasst an die Menge an Fahrzeugen auf- und ausbauen. Was bisher funktioniert hat wird auch in Zukunft funktionieren. Das ist der Grund, warum man heute mit einem Tesla kreuz und quer durch Europa reisen kann und das nahezu problemlos. Dass es zu Stoßzeiten Engpässe gibt ist nicht zu verhindern.