Zieljahr 2030 rückt näher: EU-Studie zoomt auf Markt für schwere E-Nutzfahrzeuge

Die Europäische Kommission hat eine Analyse zur Marktreife schwerer Nutzfahrzeuge mit alternativen Antrieben und der zugehörigen Infrastruktur vorgelegt. Der Bericht zeigt auf, wo die EU mit Blick auf ihre Flotten-Emissionsziele steht – und was noch passieren muss. So viel vorab: Batterie-elektrische Nutzfahrzeuge dominieren, das Angebot ist stark. Bei Nachfrage und Ladeinfrastruktur sieht's anders aus.

Bild: Daimler Truck

Im Auftrag der Europäischen Kommission haben sich Experten von Transport & Mobility Leuven, Ramboll und der Universität Antwerpen mit der Frage beschäftigt, wie es um das Ökosystem von alternativ angetriebenen Lkw und Bussen in der EU bestellt ist und wie schnell der Markt reift. Die Studie ist von der AFIR-Richtlinie der Europäischen Union vorgeschrieben (gemäß Artikel 24 Absatz 1) und zeigt nun auf 147 Seiten auf, mit welchen Entwicklungen bis 2030 zu rechnen ist – unter Berücksichtigung des Infrastruktur-Bedarfs und der aktuellen Hürden. Der Langtitel der Analyse lautet: „Market readiness analysis – Expected uptake of alternative fuel heavy-duty vehicles until 2030 and their corresponding infrastructure needs“.

Nur noch fünf Jahre bis zur ersten CO2-Flottenzielmarke

Zur Einordnung: Im Jahr 2024 hat die Europäische Union den Herstellern von schweren Nutzfahrzeugen neue CO2-Standards für Lkw und Busse auferlegt. So müssen die Flottenemissionen von Lkw ab 2030 um 45 Prozent, ab 2035 um 65 Prozent und ab 2040 um 90 Prozent reduziert werden. Als Referenz gelten dabei die CO2-Emissionen von 2019. Bei neuen Stadtbussen müssen bis 2030 90 Prozent emissionsfrei sein und bis 2035 dann 100 Prozent erreicht werden. Bis zur ersten Zielmarke sind es also nur noch fünf Jahre. Die Studie der Europäischen Kommission dient nun als Standort-Bestimmmung und Empfehlungskatalog gleichermaßen. Sie untersucht drei Hauptaspekte: die Marktreife der Fahrzeuge unter Berücksichtigung der Nachfrage- und Angebotsseite, die entsprechenden Infrastruktur-Anforderungen und die Hindernisse.

Methodisch basiert das Dokument auf einer Kombination aus Literatur- und Feldforschung. In letzterer kamen unter anderem Branchenverbände, Hersteller, Zulieferer, Betreiber und deren Kunden, Ladestationsbetreiber und Infrastrukturanbieter zu Wort. Ihre Erfahrungen flossen über 20 Interviews, einen vorbereitenden Workshop, eine Online-Umfrage und einen abschließenden Validierungsworkshop ein. Aus allen Informationen entwickelten die Forscher dann ein „Studienszenario“, das aufzeigt, wie die emissionsfreie Flotte schwerer Nutzfahrzeuge und ihr Energiebedarf bis 2030 aussehen könnten und wie der Infrastruktur-Bedarf zu bewerten ist.

Daten dienen zur Überprüfung der AFIR-Richtlinie

Relevant für den Hinterkopf: „Es ist wichtig zu betonen, dass die Ergebnisse nur so solide sind wie die Inputs, die mit großer Unsicherheit behaftet sind“, schränken die Studienmacher zur Methodik ein. „Die Ergebnisse sollen daher eher als Diskussionsgrundlage denn als Prognose dienen, sowohl in Bezug auf die Anzahl der Fahrzeuge als auch auf den Energiebedarf für die Auflade-/Tankstelleninfrastruktur.“ Daneben soll die gemäß AFIR obligatorische Studie den Zweck erfüllen, erste Informationen zur Überprüfung der AFIR-Richtlinie selbst bereitzustellen, die für 2026 geplant ist.

Steigen wir inhaltlich ein: Die Analyse des Fahrzeugmarkts zeigt, dass der Übergang zu emissionsfreien schweren Nutzfahrzeugen „rasch voranschreitet“, wie es in der Studie heißt. Aber die Kurve muss nun steil ansteigen: Um das in den CO2-Flottennormen festgelegte Reduktionsziel von 45 Prozent zu erreichen, müssen die Hersteller (unter Berücksichtigung der kommenden energetischen Verbesserungen) bis 2030 zu einem Drittel Fahrzeuge mit emissionsfreiem Antrieb absetzen. Dies erfordert einen starken Anstieg, denn aktuell liegt der Anteil von emissionsfreien Fahrzeugen an den Neuverkäufen in der EU nur bei etwa zwei Prozent. In absoluten Zahlen werden nach Schätzungen der Kommission bis 2030 zwischen 410.000 und 600.000 emissionsfreie schwere Nutzfahrzeuge auf den Straßen der EU unterwegs sein. Zum Vergleich: Der ACEA geht von rund 400.000 Einheiten aus.

BEVs dominieren innerhalb der alternativen Antriebe

Innerhalb der alternativen Antriebsarten wiederum bescheinigt die Studie den Batterie-betriebenen Elektrofahrzeugen „eine entscheidende Rolle“. So stimmten beim Validierungsworkshop etwa 80 Prozent der rund 80 Befragten der Aussage zu: „Bis 2030 werden die emissionsfreien schweren Nutzfahrzeuge in der neuen Flotte überwiegend durch BEVs vertreten sein. Diese BEVs werden auf stationäres Aufladen angewiesen sein (im Gegensatz zu elektrischen Straßensystemen)“.

Batterie-betriebene Elektrofahrzeuge dominieren den Analysten zufolge in der Tat den Markt für emissionsfreie Fahrzeuge in Europa: „Alle großen Erstausrüster bieten eine breite Palette von Modellen in allen Marktsegmenten an und planen die Einführung neuer Modelle bis 2030.“ Einige H2-Fahrzeuge gebe es ebenfalls. Sie machen bisher aber nur einen sehr kleinen Teil des Marktes aus, was in Kombination mit der bisher geringen Fahrzeugauswahl „zu größeren Unsicherheiten bei der Einführung von Wasserstofffahrzeugen führt“. Davon unabhängig sind auch einige Modelle mit Wasserstoff-Verbrennungsmotor angekündigt, die laut der Studie noch vor Ende des Jahrzehnts auf den Markt kommen sollen und die für den Langstreckenverkehr und andere besonders anspruchsvolle Einsätze geeignet sind.

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Quelle: Market Readiness Analysis

Performance wird über die nächsten Jahre besser

Sowohl Hersteller als auch Lkw-Betreiber wie Logistiker und Spediteure sind mit Blick auf die Use Cases der Meinung, dass sich BEVs zurzeit am besten für den regionalen und städtischen Lieferverkehr sowie für Stadtbusse eignen. Sie erwarten aber mehrheitlich, dass mit der Verfügbarkeit neuer Modelle die Leistung für alle Anwendungsfälle besser wird. Das gilt auch für H2-Fahrzeuge. Das ist auch wichtig, denn die Studie konstatiert, dass zur Erreichung der 45-Prozent-Reduktion emissionsfreie Fahrzeuge in allen Marktsegmenten eingesetzt werden müssen: „Es reicht nicht aus, den Stadt- und Regionalverkehr zu dekarbonisieren: Auch die Fahrzeuge im Fernverkehrssegment müssen einen wesentlichen Beitrag zur Emissionsreduzierung leisten. Insbesondere die Gruppe 5-Long Haul ist für einen großen Teil der Emissionen und Zulassungen verantwortlich.“ Diese Untergruppe (auch 5-LH genannt) macht etwa zwei Drittel aller neuen Lkw über 16 Tonnen aus.

In diesem Segment werden laut den Interview- und Umfrageergebnissen der Studie auch Wasserstofffahrzeuge als Ergänzung angesehen, „da sie eine höhere Reichweite und potenziell kürzere Betankungszeiten haben, wodurch ihr Betrieb dem von herkömmlichen Dieselfahrzeugen ähneln kann – je nach Qualität und Kapazität der H2-Infrastruktur“. H2-Fahrzeuge seien jedoch mit höheren Kosten, geringeren Wirkungsgraden und einer großen Unsicherheit in puncto Preise und Verfügbarkeit verbunden. Im „Studienszenario“ der Analysten werden BEVs deshalb bis 2030 die vorherrschende Rolle im Markt der alternativ angetriebenen schweren Nutzfahrzeuge spielen. Für H2-Fahrzeuge (inklusive Wasserstoff-Verbrennungmotor) prognostizieren sie einen Anteil von 16 Prozent an der emissionsfreien Flotte mit einem Energiebedarf von 28,5 Prozent der gesamten emissionsfreien Flotte. BEVs vereinen auf sich entsprechend die komplementären Werte.

Auf der Nachfrageseite fehlen die Anreize

Als eine zentrale Erkenntnis der Fahrzeugmarktanalyse hält die Studie fest, „dass es zwar klare Zielvorgaben für die Hersteller gibt, dass aber auf der Nachfrageseite weniger klare politische Anreize vorhanden sind, um den Übergang voranzutreiben“. Betreiber sehen ergo häufig noch keine soliden Geschäftsmodelle. Einige bereits bestehende Anreize seien die Eurovignetten-Richtlinie, die Richtlinie über saubere Fahrzeuge (CVD) und die Richtlinie über Gewichte und Abmessungen. Doch es gebe noch viel Potenzial, etwa durch eine CO2-Staffelung bei der Maut (wie in Deutschland).

Zum Infrastruktur-Bedarf konstatiert die Studie, dass Batterie-elektrische Fernstrecken-Lkw und Reisebusse in hohem Maße auf öffentlich zugängliche Ladepunkte angewiesen sind, während städtische Lieferfahrzeuge, Busse und Berufsfahrzeuge mit BEV-Antrieb in erster Linie – oder im Falle von Bussen fast ausschließlich – im Depot geladen werden können. Bei den Studienteilnehmern variierte die prognostizierte Nutzungsrate öffentlich zugänglicher Lader zwischen zwei und 30 Prozent, was auf eine potenziell große Diskrepanz bei der Nutzung hinweist. Die Betreiber von Ladestationen bereiten sich derweil auf den künftigen Bedarf vor, indem sie in CCS und MCS-Technologien investieren „und die Einführung von Tausenden HPC-Ladern bis 2030 planen“, so die Studie. Aber: „Diese Entwicklungen werden derzeit durch die begrenzte Netzkapazität und die oft langwierigen Fristen für den Netzausbau behindert.“

Geschätzter Bedarf von 18.000 Ladepunkten bis 2030

Für Wasserstofffahrzeuge sehen die Befragten eine erhebliche Abhängigkeit von der öffentlichen Tankinfrastruktur, denn nur fünf bis 15 Prozent der Flottenbetreiber mit H2-Fahrzeugen dürfte der Studie nach bis 2030 über private Tankeinrichtungen verfügen. In absoluten Zahlen geht die Analyse daher von einem Bedarf von 18.000 Ladepunkten (hauptsächlich mit über 150 kW) und 1.100 Betankungspunkten aus (vorwiegend mit 700 bar), um den Infrastruktur-Bedarf für BEVs und FCEVs 2030 zu decken. Die Vorgaben der AFIR-Verordnung dürften dabei je nach Szenario zwischen 50 und 80 Prozent (für BEVs) bzw. zwischen 50 und 65 Prozent (für FCEVs) des dargelegten Bedarfs abdecken. Um die sich auftuende Lücke zu schließen, sind vor allem private Investitionen erforderlich.

Als Haupthindernisse für die Einführung emissionsfreier Lkw und Busse identifiziert die Studie ferner

  • die hohen Gesamtbetriebskosten,
  • die begrenzte Kapazität des Stromnetzes,
  • die langwierigen Verwaltungsverfahren für den Netzanschluss,
  • das Fehlen einer öffentlichen Ladeinfrastruktur
  • und die Unsicherheit bei der Preisgestaltung für Wasserstoff, insbesondere für grünen Wasserstoff.

Sorgen macht den Studienmachern insbesondere die begrenzte Kapazität des Stromnetzes, da sie die potenzielle Größe der Ladestationen einschränkt, „was sich direkt auf die Ausbaurate der Ladestationen entlang der wichtigsten Verkehrskorridore auswirkt“. Um dies zu beheben, müsse das Netz ausgebaut werden, sowohl in Depots, Lagern und an Industriestandorten als auch entlang der Autobahn. Die Verwaltungsverfahren im Zusammenhang mit der Genehmigung von Netzanschlüssen tragen ebenfalls zu längeren Vorlaufzeiten und höheren Kosten bei – hier müssen den Analysten zufolge effizientere Genehmigungsmechanismen her.

Zweifel an Wettbewerbsfähigkeit von H2-Fahrzeugen

Die Beteiligten sind der Studie zufolge aber zuversichtlich, dass der Mangel an Infrastruktur durch die im Rahmen der AFIR festgelegten verbindlichen Ausbauziele überwunden werden kann. Und: Die Interessenvertreter sind optimistisch, dass technologische Fortschritte und die Marktreife die „kostenbezogenen Hindernisse“ bis 2030 verringern werden, „insbesondere durch Größenvorteile bei der Fahrzeugproduktion und reifere Lademärkte“. Aufgrund der geringen Energieeffizienz und der Abhängigkeit von Subventionen besteht unter den Befragten jedoch weiterhin Unsicherheit mit Blick auf die preisliche Wettbewerbsfähigkeit von Wasserstoff.

Um die größten Hindernisse abzubauen, hält die Studie fest, dass koordinierte Anstrengungen zur Verbesserung der Netzkapazitäten, zur Beschleunigung der Verwaltungsverfahren und zur Verbesserung der öffentlichen Lademöglichkeiten entscheidend seien. Nur so kann sich eine breite Akzeptanz gegenüber emissionsfreien schweren Nutzfahrzeugen bilden.

Auch die EU-Kommission selbst ist dabei natürlich als einer der zentralen Stakeholder gefragt – und sich dessen bewusst: Im März stellte sie bekanntlich einen Aktionsplan für die Automobilbranche vor – und widmete darin auch mehrere Passagen der Marktunterstützung für emissionsfreie Nutzfahrzeuge. Die Vorschläge reichen von einer weiteren Mautbefreiung bis zu harmonisierten Typgenehmigungen. Hier fassen wir zusammen, an welchen Stellschrauben die Kommission drehen will, um die Verbreitung von E-Bussen und E-Lkw in der Union zu unterstützen.

op.europa.eu, linkedin.com

1 Kommentar

zu „Zieljahr 2030 rückt näher: EU-Studie zoomt auf Markt für schwere E-Nutzfahrzeuge“
Peet
13.06.2025 um 07:09
Wir müssen wirklich davon weg Wasserstoffmotoren als emissionsfrei zu bezeichnen. Sie stoßen jede Menge Wasserdampf und Stickoxide aus. Das kann nicht in der gleichen Kategorie wie elektrische Fahrzeuge laufen.

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